TE OGH 1991/9/5 8Ob591/91

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Veröffentlicht am 05.09.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache der ***** 1973 geborenen mj. Tanja S***** infolge Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg als Unterhaltssachwalter gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes vom 27.Juni 1991, GZ 22 c R 70/91-57, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Tamsweg vom 4.April 1991, GZ P 40/79-53, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Eltern der im Jahre 1973 geborenen Minderjährigen trennten sich bereits im Jahre 1975; ihre Ehe wurde am 14.April 1978 aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden geschieden. Der Mutter wurde die Obsorge über die Minderjährige übertragen; der Vater hatte zuletzt für sie monatlich Unterhalt von S 2.000 zu zahlen. Die Minderjährige besuchte nach dem problemlosen Abschluß der Hauptschule in Tamsweg das Oberstufengymnasium in Salzburg und wohnte dort in einem Wohnheim der Arbeiterkammer. Im Frühjahr 1988 mußte sie wegen disziplinärer Schwierigkeiten (tagelange Abwesenheit von der Schule und Fälschung der Unterschrift ihrer Mutter auf Entschuldigungen) die Schule und das Heim verlassen. Nach der Rückkehr zu ihrer Mutter kam es in Tamsweg bald zu erheblichen Erziehungsschwierigkeiten (mehrtägige Abgängigkeit und Kontaktpflege der Minderjährigen zu teils arbeitslos und teils straffällig gewordenen Jugendlichen), denen die Mutter hilflos gegenüberstand; sie wandte sich deshalb an das Jugendamt um Hilfe. Auf Grund des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg vom 2.August 1988 wurde die Minderjährige gemäß § 26 Abs.1 der Salzburger Jugenwohlfahrtsordnung, LGBl.1956/39 (SbgJWO), im Rahmen der freiwilligen Erziehungshilfe in einem sozialpädagogischen Mädchenwohnheim in Salzburg untergebracht; weil die therapeutischen Möglichkeiten im Mädchenwohnheim für sie nicht ausreichend waren, wurde sie am 17.Oktober 1988 im Rahmen dieser Erziehungshilfe in eine Wohngemeinschaft des Vereines Salzburger Jugendhilfe eingewiesen. Die vom Land Salzburg als Sozialhilfeträger ausgelegten Kosten dieser Unterbringung betrugen täglich S 825. Der von der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg als Unterhaltssachwalter der Minderjährigen übernommene Unterhaltsbeitrag des Vaters wurde als teilweiser Kostenbeitrag "gewertet" und dem Sozialamt der BH Tamsweg erstattet. Die als Betreuerin in der Lebenshilfe tätige Mutter der Minderjährigen leistet zu den Unterbringungskosten auf Grund einer Vereinbarung monatlich S 1.000. Im Oktober 1989 beantragte der Vater unter Hinweis auf das Eigeneinkommen der Minderjährigen als Lehrling, auf sein Einkommen als ÖBB-Beamter von monatlich rund S 14.000 und auf seine weiteren Sorgepflichten für die im Haushalt tätige zweite Ehegattin und zwei Kleinkinder aus dieser Ehe die Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages für die Minderjährige auf monatlich S 1.000. Der Antrag wurde vom

Erstgericht - unangefochten - abgewiesen.

Am 11.Jänner 1991 beantragte der Vater die Enthebung von der Unterhaltspflicht gegen die Minderjährige, weil diese eine Lehrlingsentschädigung von rund S 5.000 beziehe und nicht mehr in der Wohngemeinschaft lebe, während ihn eine neue Sorgepflicht für ein weiteres Kleinkind treffe.

Die Bezirkshauptmannschaft Tamsweg (Jugendamt) sprach sich gegen den Unterhaltsenthebungsantrag mit der Begründung aus, daß die Minderjährige sich nach wie vor in Betreuung der Wohngemeinschaft in Salzburg - allerdings in einer sogenannten "betreuten Außenwohnung" - befinde, der Betreuungsumfang grundsätzlich von ähnlicher Intensität wie beim Aufenthalt in der Wohngemeinschaft sei und Kosten von täglich S 980 verursachte, wovon die Minderjährige (neben den Kosten des Telefonanschlusses und der Telefongebühren) selbst monatlich S 1.183 tragen müsse. Vom - namentlich nicht näher bezeichneten - "Team der Wohngemeinschaft" werde die weitere intensive Betreuung der Minderjährigen auch noch für das Jahr 1991 als notwendig angesehen; ohne dessen Betreuungsarbeit wäre sie mit ihren Konflikten nicht zurechtgekommen und es könne auch nicht gesagt werden, ob sie die Arbeitssituation hätte bewältigen können. Die Minderjährige verdiene als Spengler- und Installationslehrling im dritten Lehrjahr monatlich netto S 5.155, sei jedoch selbst bei einer kostengünstigeren Betreuungsform oder bloß bei einem Aufenthalt in einem Lehrlingsheim noch nicht selbsterhaltungsfähig. Gemessen am Kostenaufwand der Sozialhilfe sei der als Kostenbeitrag dorthin abgeführte Unterhaltsbeitrag des Vaters ohnedies nur ein geringfügiger Anteil.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters auf Unterhaltsenthebung ab. Es traf nach Vernehmung der Minderjährigen und eines Sozialarbeiters der Salzburger Wohngemeinschaft über die Lebensverhältnisse der Minderjährigen die dargestellten Tatsachenfeststellungen und zog daraus folgende Schlüsse: Da die an der Minderjährigen vorgenommenen Erziehungsmaßnahmen offensichtlich nach wie vor notwendig erscheinen, sei der bisherige Unterhaltsbeitrag des Vaters zur Unterhaltsversorgung der Minderjährigen dringend erforderlich. Es sei nicht Aufgabe des Gerichtes, die Angemessenheit der tatsächlich ungewöhnlich hoch erscheinenden Kosten der Unterbringung in der Wohngemeinschaft im Verhältnis zum Betreuungs- oder Leistungsaufwand in Zweifel zu ziehen oder zu überprüfen.

Das Rekursgericht setzte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters in teilweiser Stattgebung seines Rekurses ab 1.Jänner 1991 auf S 1.000 herab und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Es stellte ergänzend fest, daß die Minderjährige eine Lehrlingsentschädigung von durchschnittlich S 6.014 monatlich bezieht, der vom Vater bisher geleistete Unterhalt als teilweiser Rückersatz an das Sozialamt weitergeleitet wird, das deshalb keine Übernahmsanzeige nach dem Salzburger Sozialhilfegesetz gegenüber dem Vater erlassen hat, und begründete seine Entscheidung folgendermaßen: Nach dem ab 1.Jänner 1991 gültigen "ASVG-Richtsatz" von durchschnittlich rund S 7.000 monatlich wäre die Minderjährige ohne zusätzliche Unterhaltsleistung des Vaters noch nicht selbsterhaltungsfähig. Es sei nicht anzunehmen, daß das Land Salzburg als Träger der Jugendwohlfahrts- und Sozialhilfe derart hohe Betreuungskosten ohne entsprechende Notwendigkeit aufwende. Müßten aber zufolge Scheiterns der familiären Beziehungen der Minderjährigen derart aufwendige Betreuungsleistungen erbracht werden, sei dem Unterhaltspflichtigen eine entsprechende Unterhaltsleistung auch zumutbar. Mit Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse und umfangreichen Sorgepflichten des Vaters erscheine der herabgesetzte Unterhaltsbeitrag angemessen. Da Judikatur zur grundsätzlichen Frage fehle, inwieweit Kosten für die Betreuung in einer Wohngemeinschaft bei der Unterhaltsbemessung bzw. bei der Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit des solcherart betreuten Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen seien, sei der Revisionsrekurs zulässig.

Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters der Minderjährigen ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Anordnung des § 42 Abs.3 JWG 1989 (BGBl. Nr.161) hat u. a. das Land Salzburg bis 1.Juli 1990 und auch seither kein Ausführungsgesetz erlassen. Da das auf Grund des JWG 1954 erlassene Salzburger Ausführungsgesetz LGBl.1956/39 (SbgJWO) in den im folgenden dargestellten Bestimmungen nicht gegen das JWG 1989 verstößt, ist hier danach zu entscheiden. Gemäß § 26 Abs.1 leg.cit. hat die Bezirksverwaltungsbehörde auf Antrag des Erziehungsberechtigten oder von Amts wegen einem Minderjährigen unter 18 Jahren, dem es an der nötigen Erziehung fehlt, ohne daß die Voraussetzungen für die Erziehungsaufsicht oder Fürsorgeerziehung vorliegen, Erziehungshilfe zu gewähren. Diese umfaßt alle Maßnahmen, die dem Ziel einer sachgemäßen und verantwortungsbewußten Erziehung dienen, wie anderweitige Unterbringung, Einweisung in ein Jugendheim usw. Gemäß § 8 Abs.1 leg.cit. sollen nach Maßgabe ihrer Satzungen die Organisationen der freien Jugendwohlfahrtspflege (d.i. die von Organisationen außerhalb der Behörden, wie von Kirchen und Vereinen durchgeführte Jugendwohlfahrtspflege) zur Mitarbeit in der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege mit ihrer Zustimmung herangezogen werden. Die Bezirksverwaltungsbehörde kann zur Unterstützung ihrer Amtsorgane freiwillige hiefür geeignete Jugendhelfer heranziehen (§ 8 Abs.2). § 10 Abs.2 leg.cit. verweist die Entscheidung über die Kostentragungspflicht auf den Verwaltungsweg. § 11 leg.cit. lautet: "Wird durch eine Maßnahme der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege dem Minderjährigen der Unterhalt gewährt und steht ihm für diese Zeit gegen einen Dritten ein Rechtsanspruch auf Geldleistungen zur Deckung des Unterhaltes zu, so geht dieser Rechtsanspruch im Ausmaß der erwachsenden Kosten auf die den Unterhalt gewährende öffentlich-rechtliche Einrichtung über, wenn und sobald die Verwaltungsbehörde, die eine solche Maßnahme durchführt, dem Dritten die Unterhaltsgewährung schriftlich anzeigt".

Diese Regelung entspricht im wesentlichen der Grundsatzbestimmung des § 34 JWG 1989. Gemäß dem - unmittelbar anzuwendendes Bundesrecht darstellenden - § 40 JWG 1989 entscheidet über den Ersatz der Kosten der vollen Erziehung, wozu gemäß §§ 28, 12 Abs.1 Z 5 JWG 1989 auch die Kosten der als soziale Dienste angebotenen Pflegeplätze in sozialpädagogischen Wohngemeinschaften (wie im vorliegenden Fall) zählen, das Pflegschaftsgericht auf Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers.

Überschneidend mit und teilweise neben den Maßnahmen nach der SbgJWO sehen die Bestimmungen des Salzburger Sozialhilfegesetzes, BGBl.1975/19 (SbgSHG), für Minderjährige auch Sozial-"Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes", auf die gemäß § 5 dieses Gesetzes ein Rechtsanspruch besteht, und auch das Anbot sozialer Dienste vor. Zum Lebensbedarf gehört gemäß § 10 SbgSHG unter anderem die Hilfe zur Erziehung und Erwerbsbefähigung, deren Ausformung im § 16 dargestellt ist. Zwar ist gemäß § 43 Abs.1 SbgSHG der Sozialhilfeempfänger grundsätzlich zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet, doch können gemäß § 43 Abs.2 Z 1 SbgSHG Leistungen, die für Personen vor Erreichung der Großjährigkeit gewährt wurden, oder auch gemäß Z 4 die Hilfe zur Erziehung und Erwerbsbefähigung gegenüber dem Empfänger niemals zum Gegenstand einer Ersatzforderung gemacht werden. Gemäß § 44 Abs.1 SbgSHG gehen Unterhaltsansprüche gegen Angehörige und sonstige Rechtsansprüche des Sozialhilfeempfängers gegenüber Dritten, aus denen er seinen Lebensbedarf ganz oder teilweise decken kann, für die Dauer der Hilfeleistung bis zur Höhe der Kosten auf den Sozialhilfeträger (gemäß § 28 das Land) über, sobald dieser dem Dritten hievon schriftlich die Anzeige erstattet. Mit Zustellung der schriftlichen Anzeige ist der Sozialhilfeträger berechtigt, ohne Zutun des Sozialhilfeempfängers dessen Leistungsanspruch gegenüber dem Dritten allein geltend zu machen. Alle Streitigkeiten über solche Ersatzansprüche sind vor den ordentlichen Gerichten auszutragen (§ 46 Abs.2).

Im vorliegenden Fall hat weder der Jugendwohlfahrtsträger noch der Sozialhilfeträger den Unterhaltsanspruch der Minderjährigen gegenüber dem Vater durch Notifikation diesem gegenüber geltend gemacht und die damit eintretende Legalzession bewirkt. Vielmehr hat das Jugendamt als Unterhaltssachwalter der Minderjährigen aufgrund des Enthebungsantrages des Vaters deren Unterhaltsanspruch selbst geltend gemacht. Nach herrschender Rechtsprechung kann eine Person, deren Unterhaltsbedarf auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung von einem Dritten (Jugendwohlfahrtsträger, Sozialhilfeträger) gedeckt wird, insoweit keinen Unterhaltsanspruch gegen den zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen stellen, weil ihr Unterhaltsbedarf in dieser Höhe gedeckt ist und ein Anspruch auf Doppelversorgung nicht besteht (RZ 1990/24 mwH; in dieser Entscheidung wird die Entscheidung SZ 60/191 = EFSlg.53.185/5 = EvBl.1988/16 insoweit abgelehnt, als dort die Berechtigung eines Minderjährigen, trotz Erbringung der Unterhaltsleistung durch die öffentliche Hand selbst die Unterhaltsansprüche geltend zu machen, für den Fall anerkannt wird, daß von der Legalzession durch Unterlassung der Notifikation nicht Gebrauch gemacht wird; vgl. außerdem auch EFSlg.55.955 mwH). Dazu kommt hier noch, daß gegen die Minderjährige ein Anspruch auf Refundierung von Sozialhilfekosten gar nicht besteht (§ 43 Abs.2 Z 1 und 4 SbgSHG), so daß sie die väterliche Unterhaltsleistung auch nicht zur "Weiterleitung an den Sozialhilfeträger" - wie dies in den Entscheidungen EvBl.1989/142 und 8 Ob 621/90 der Fall war - benötigt. Wie dargestellt wurde, sind für beide Varianten der Kostenbeteiligung eines sonst zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen an den im Zuge der Erziehungshilfe und Sozialhilfe anfallenden Kosten Legalzessionen vorgesehen, von denen Gebrauch zu machen im Belieben der entsprechenden Rechtsträger steht. Keinesfalls aber kann die Minderjährige, deren derzeitige Unterbringung in einer Wohngemeinschaft exorbitant hohe, außerhalb normaler privater Aufwendungsmöglichkeiten liegende Kosten verursacht, zu deren Tragung sie selbst nur mit einem Bruchteil ihrer Lehrlingsentschädigung beiträgt, so daß sie ganz offensichtlich von der öffentlichen Hand voll alimentiert wird, von ihrem Vater Unterhalt verlangen. Die für die genannten Rechtsträger bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten der Geltendmachung und Eintreibung der Unterbringungskosten gegenüber dem Vater sind aber nicht Gegenstand dieses Pflegschaftsverfahrens.

Demgemäß bleibt der unberechtigte Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters der Minderjährigen erfolglos.

Anmerkung

E27565

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00591.91.0905.000

Dokumentnummer

JJT_19910905_OGH0002_0080OB00591_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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