TE OGH 1991/9/18 3Ob540/91

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Veröffentlicht am 18.09.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Egermann und Dr. Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hedwig D*****, vertreten durch Dr. Hellfried Muhri, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Paul D*****, vertreten durch Dr. Siegfried Leitner, Rechtsanwalt in Graz, wegen Unterhalt, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 9. April 1991, GZ 2 R 61/91-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 21. Dezember 1990, GZ 34 C 72/90b-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen vierzehn Tagen die mit S 4.077,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 679,50 Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, deren Ehe mit dem Beklagten aus dessen Verschulden geschieden wurde, begehrt von ihm einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 3.000,-- seit 1. Mai 1990. Der Zuspruch eines Teilbetrages von S 1.566,-- monatlich erwuchs in Rechtskraft. Strittig ist noch der Mehrbetrag von

S 1.434,-- monatlich.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren in diesem Umfang ab. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Die beiden Vorinstanzen gingen von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:

Die Klägerin hat ein monatliches Einkommen von S 8.867,--. Für eine von ihr in ihrem Haushalt betreute behinderte Tochter, geboren 1963, bezieht sie die "doppelte" Familienbeihilfe (gemeint: Familienbeihilfe nach § 8 Abs 2 und 4 FamLAG, das sind derzeit zusammen S 3.100,-- monatlich). Die Tochter bezieht eine monatliche Pension von S 5.341,--, in welchem Betrag der Hilflosenzuschuß von S 2.644,-- enthalten ist. Ein Pflegegeld erhält die Klägerin für ihre Tochter nicht. Der Beklagte hat ein Monatseinkommen von S 21.182,--.

Beide Vorinstanzen waren der Auffassung, daß der Hilflosenzuschuß als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen sei, weil er als Abgeltung erhöhter Pflegeleistungen durch Dritte, hier durch die Klägerin, gedacht sei. Damit ergab sich folgende Berechnung: Das Gesamteinkommen beider Streitteile wurde mit

S 8.867,-- (Einkommen der Klägerin) plus S 21.182,-- (Einkommen des Beklagten) plus S 2.644,-- (Hilflosenzuschuß der Tochter der Klägerin) das sind zusammen S 32.693,-- veranschlagt. Hievon gebühre der Klägerin ein Anteil von 40 %, das sind S 13.077,--, was abzüglich von S 8.867,-- und S 2.644,-- den Restbetrag von

S 1.566,-- ergibt.

Demgegenüber vertritt die Klägerin in ihrer Revision den Standpunkt, der Hilflosenzuschuß sei ein Einkommen der Tochter der Klägerin und könne nicht als Einkommen der Klägerin betrachtet werden. Die Tochter der Klägerin sei nicht verpflichtet, der Klägerin den Hilflosenzuschuß oder auch nur einen Teil desselben abzuliefern.

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage der Berücksichtigung eines für ein behindertes Kind des Unterhaltsberechtigten anfallenden Hilflosenzuschusses als Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten soweit ersichtlich nur die vergleichbare, bisher aber nicht veröffentlichte Entscheidung 6 Ob 641/90 vorliegt.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin hat sich nicht auf den für sie günstigeren Fall berufen, daß ihr ein Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs 2 EheG zusteht, sodaß ihr Unterhaltsbegehren nur im Rahmen des § 66 EheG zu beurteilen ist. Der nicht dem verheirateten, Haushalt führenden Ehegatten gleichgestellte geschiedene Ehegatte ist im Umfange der Zumutbarkeit zur Erwerbstätigkeit verpflichtet (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 66 EheG), und sein Einkommen ist daher nicht nur "angemessen" (§ 94 Abs 2 ABGB), sondern ohne diese Einschränkung in vollem Umfang zu berücksichtigen.

Gemäß § 105 a Abs 1 ASVG gebührt Pensionsbeziehern ein Hilflosenzuschuß, wenn sie derart hilflos sind, daß sie ständig der Wartung und Hilfe bedürfen. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Grundsatzentscheidung zu den Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses (SSV-NF 1/46) zum Ausdruck gebracht, daß bei der Gewährung des Hilflosenzuschusses der Umstand, daß Angehörige zur Betreuung vorhanden sind, ohne Bedeutung ist. Das Gesetz enthält keine Bestimmung, die wie § 12 a FamLAG für die Familienbeihilfe besagen würde, daß der Hilflosenzuschuß nicht als Einkommen des Pensionsbeziehers zu gelten habe.

Damit ist der Hilflosenzuschuß jedenfalls ein Einkommen des hilflosen Pensionsbeziehers, also im vorliegenden Fall ein Einkommen der Tochter der Klägerin, und nicht etwa schon an sich ein unmittelbares Einkommen der Klägerin.

Wenn ein Unterhaltspflichtiger oder ein Unterhaltsberechtigter einen Hilflosenzuschuß bezieht, spielt dieser bei der Unterhaltsbemessung keine Rolle, weil er den an Wartung und Hilfe notwendigen Sonderbedarf abdecken soll (vgl EFSlg 43.731 und 54.497).

Wenn aber der Hilflose den Hilflosenzuschuß einem Dritten als Entschädigung für dessen Pflegeleistungen zuwendet, dann kann diese Zuwendung zu einem Einkommen dieses Dritten werden.

Der schon angeführten Entscheidung 6 Ob 641/90 lag der Sachverhalt zugrunde, daß eine geschiedene Ehefrau, der sogar Unterhalt nach § 69 Abs 2 EheG zustand, eine durch einen Verkehrsunfall hilflos gewordene Tochter ganztägig selbst betreute, wobei für diese Tochter eine monatliche Unterhaltszahlung des Vaters, eine Rente des Schädigers, ein Pflegegeld nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz und die erhöhte Familienbeihilfe bezogen wurden. Der 6. Senat vertrat in dieser Entscheidung die Auffassung, daß das Pflegegeld zwar zu den eigenen Einkünften des Kindes zähle, daß aber das Kind verpflichtet wäre, hievon die Pflegeleistungen der Mutter angemessen abzugelten. Auch wenn hier formeller Vertrag bestehe, genüge der in der faktischen Übung der Haushalt führenden und obsorgenden Mutter liegende wirtschaftliche Vorgang, um das Pflegegeld unterhaltsrechtlich in angemessenem Umfang wie eigene Einkünfte im Sinne des § 94 Abs 2 ABGB zu werten.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung zumindest für den Fall eines Unterhaltsanspruches nach § 66 EheG an, wo iSd obigen Ausführungen auf jedes zumutbarerweise erzielbare Einkommen Bedacht zu nehmen ist.

Ob das behinderte Kind der Klägerin den Hilflosenzuschuß tatsächlich zuwendet oder nicht, ist nicht entscheidend. Es genügt, daß sich der Unterhaltsanspruch des Kindes gemäß § 140 Abs 3 ABGB im Umfange eigener Einkünfte mindert, daß also das Kind die notwendige Mehrbetreuung, oder deren Kosten, soweit sie durch den mehr oder weniger zweckgewidmeten Hilflosenzuschuß abgegolten sind, von der Mutter nicht mehr unter dem Titel der Unterhaltspflicht fordern kann. Ist aber die Klägerin nicht mehr zur unentgeltlichen Erbringung dieser Betreuungsleistungen verpflichtet, dann kann sie von ihrem Kind auch die Abführung des Hilflosenzuschusses als Entschädigung für die von ihr erbrachten Betreuungsleistungen fordern. Im Zweifel ist davon auszugehen, daß die Mutter ohnedies den Hilflosenzuschuß im gemeinsamen Haushalt, also auch für sich selbst, verbraucht. Selbst wenn sie aber hierauf verzichten sollte, müßte man zumindest von einem erzielbaren Einkommen ausgehen.

Gewisse sonstige Sonderbedürfnisse der hilflosen Tochter, zB Heimkosten oder ähnliches, wurden von der Klägerin nicht geltend gemacht. Es soll nicht verkannt werden, daß die Dauerpflege einer hilflosen Tochter nicht nur einen ungewöhnlich hohen Einsatz erfordert, sondern auch zu Mehraufwendungen für die Pflegeperson selbst führen kann. Auch hier hat aber die Klägerin einerseits nichts geltend gemacht, und zum anderen ist darauf hinzuweisen, daß auch die zur Unterhaltsbemessung nicht herangezogene erhöhte Familienbeihilfe ua der Deckung solcher Bedürfnisse dient.

Nur auf den ersten Blick mag es also unbillig erscheinen, einer geschiedenen Ehefrau nur deshalb weniger Unterhalt zuzusprechen, weil sie zusätzlich zu ihrer Berufstätigkeit ihr behindertes Kind betreut und hiefür den dem Kind gebührenden Hilflosenzuschuß vereinnahmen kann. Tiefergehende Überlegungen führen dazu, daß auch die Betreuungspflicht einer Mutter gegenüber ihrem Kind dort ihre Grenze findet, wo das Kind für die über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Betreuungsbedürfnisse eine öffentlich-rechtliche Zuwendung erhält, die es erlauben würde, wenigstens für gewisse Zeiträume gegen Entgelt eine dritte Pflegeperson zu beschäftigen. Wenn dann statt dieser dritten Person die Mutter selbst die Mehrleistungen erbringt, soll das Entgelt ihr zustehen. Dann aber stellt es ein iSd § 66 EheG anzurechnendes Eigeneinkommen der Mutter dar.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E27385

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0030OB00540.91.0918.000

Dokumentnummer

JJT_19910918_OGH0002_0030OB00540_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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