TE OGH 1991/11/27 2Ob55/91

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Veröffentlicht am 27.11.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang H*****, vertreten durch Dr. Eduard Pranz, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagten Parteien 1. Paulus L*****, und

2.) ***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Dr. Herbert Hofbauer, Dr. Peter Krömer und Dr. Friedrich Nusterer, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen

S 500.000 sA, infolge Revision aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27. Februar 1991, GZ 16 R 5/91-16, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Endurteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 11.Juni 1990, GZ 5 Cg 83/89-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 13.471,92 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten S 2.245,32 Umsatzsteuer), abzüglich der mit S 9.719,82 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung der klagenden Partei (darin enthalten S 1.619,97 Umsatzsteuer), somit S 3.752,10 binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 26.9.1960 geborene Kläger erlitt am 3.7.1986 bei einem vom Erstbeklagten verschuldeten Verkehrsunfall eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung, insbesondere mit einer massiven Hirnquetschung und einem allerdings nur kleinen Blutaustritt unter die harte Hirnhaut; eine Bauchquetschung mit Milzzerreißung; einen linksseitigen Oberschenkelschaftbruch und mehrfache Hautwunden an den Gliedmaßen. Im Vordergrund aller Verletzungen stand hinsichtlich Auswirkungen und auch Folgen die Schädel-Hirn-Verletzung. In der Unfallabteilung des Krankenhauses St. Pölten wurden an chirurgischen Sofortmaßnahmen eine Probebohrung des Schädels, anschließend eine Schädelöffnung zur Entleerung der allerdings nur kleinen Blutung unter die harte Hirnhaut, ein Bauchschnitt mit operativer Entfernung der Milz und eine gedeckte Oberschenkelschaftmarknagelung vorgenommen. Anschließend wurde der Kläger auf die Intensivpflegestation verlegt. Nach fünftägigem Koma entwickelte sich eine Flüssigkeitsansammlung im Schädelinneren (sogenanntes Hygrom), die am 16.7.1986 operativ entleert wurde. Am 1.8.1986 wurde der Kläger auf die normale Unfallabteilung, am 14.8.1986 schließlich auf die neurologische Abteilung verlegt. Ein zwischenzeitlicher Hirnvorfall mußte am 1.9.1986 in der Krankenanstalt Wien-Rudolfstiftung operiert werden. Nach kurzer Besserung kam es infolge einer Infektion wieder zu einer Verschlechterung des Zustandes des Klägers.

Am 22.10.1986 wurde der Kläger an die Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck verlegt, wo er bis zum 9.1.1987 verblieben ist.

Da die Kanalisation im Gehirn (sg. Shunt-System), welche in Wien operativ eingepflanzt wurde, nicht funktionierte, mußte der Kläger neuerlich vom 10. bis 31.1.1987 auf die Neurochirurgie Wien-Rudolfstiftung zu einer Revisionsoperation verlegt werden, danach war er vom 31.1. bis zum 16.3.1987 wieder auf der neurologischen Abteilung des Krankenhauses St. Pölten in stationärer Pflege. Nach neuerlichem Nichtfunktionieren des Shunt-Systems war wieder ein Aufenthalt an der Neurochirurgie Wien-Rudolfstiftung vom 16.3. bis 3.4.1987 erforderlich.

Nach Rückverlegung nach St. Pölten am 3.4.1987 wurde der Kläger am 14.4.1987 an das NÖ Landespflegeheim in Melk/Donau verlegt, wo sich eine deutliche Rückbildungstendenz der schweren Verletzungsfolgen zeigte. Im Rehabilitationszentrum Wien Meidling erfolgte schließlich vom 21.12.1987 bis 9.8.1988 eine weitere intensive Wiederherstellungsbehandlung. Die Gliedmaßenbeweglichkeit besserte sich, die Sprache konnte gebessert werden und vor allem besserte sich auch die psychische Mitarbeit des Klägers nach anfänglicher aggressiver Phase. Nach dem Sommer 1988 wurde der Zustand ziemlich stationär, am 9.8.1988 wurde der Kläger vorbehaltlich einer späteren Wiederaufnahme in häusliche Pflege entlassen. Am 12.6.1987 bestanden an Unfallsfolgen die den Operationen entsprechenden Narben am Kopf mit Schädelknochendefekt, die Bauchschnittnarbe und die Narbe im Bereich des linken Oberschenkels, Sehstörung mit Abweichung der Augäpfel, Verlust des Geruchssinnes, Nervenschädigung auch im Bereich der Schluck- und Kaufunktion und der Sprachmotorik, schwere linksseitige Körperlähmung mit verkrampfter Erscheinung, mäßige motorische Schwäche auch der rechten Körperhälfte; periphere Nervenschädigung an beiden unteren Gliedmaßen mit rechts komplettem sogenannten Fallfuß, links teilweise ein Fallfuß; zentrale Teillähmung des linken motorischen Gesichtsnerven; vor allem aber ein schweres posttraumatisches Psychosyndrom, wodurch es nur möglich war, fallweise und sehr geringfügige Reaktionen des Klägers auf äußere Reize im Sinne einer Kontaktaufnahme zu erzielen.

Am 11.10.1988 fanden sich unverändert die Weichteilnarben und Knochendefekte, die Störung der Augapfelbeweglichkeit und die hochgradige Sehstörung am rechten Auge und eine Halbseitenblindkeit links sowie Verlust des Geruchssinnes; im Bereich des linken Armes eine komplette spastische Lähmung, im Bereich des linken Beines eine teilweise spastische Lähmung; restliche Lähmungen im Bereich der rechten Gliedmaßen, wobei es auch zu einer Beugekontraktur des rechten Kniegelenkes gekommen war, die peripheren Nervenlähmungen im Bereich der unteren Gliedmaßen, rechts inkomplett, links komplett mit entsprechender Spitzfußstellung und noch immer ein als hochgradig einzuschätzendes posttraumatisches Psychosyndrom.

Am 15.10.1989 zeigten sich die Verletzungsfolgen nahezu unverändert, sodaß zusammenfassend festgestellt wurde, daß diese massiven körperlichen und psychisch-geistigen Verletzungsfolgen den Kläger - mit allergrößter medizinischer Wahrscheinlichkeit auf Dauer - vollkommen erwerbsunfähig und ihn derzeit weitgehend pflege-, hilfs- und wartungsbedürftig machen.

Die weitere Entwicklung kann in der näheren Zukunft nicht verläßlich vorausgesagt werden, es können heute nicht absehbare Dauer- bzw. Spätfolgen auch in Zukunft noch auftreten.

An gerafften Schmerzperioden sind aufgetreten andauernde starke

Schmerzen in einer Dauer von 270 Tagen, andauernde mittlere

Schmerzen in einer Dauer von ebenfalls 270 Tagen und andauernde leichte Schmerzen in einem Ausmaß von noch einmal 270 Tagen.

Der Kläger ist sich sicherlich seit geraumer Zeit weitgehend bewußt, daß er schwer behindert ist. Dies bedeutet, daß mit den rein körperlichen Verletzungsfolgen ein ganz außergewöhnlich hohes Maß an seelischer Belastung verbunden war und sein wird.

Ein irgendwie verläßliches Ausmaß der

zukünftigen - voraussichtlich sein Leben lang wiederkehrenden - körperlichen Schmerzen kann derzeit noch nicht annähernd angegeben werden.

Auch besteht kein Zweifel, daß die Lebenserwartung des Klägers merklich gegenüber dem Durchschnitt herabgesetzt ist.

Der Kläger begehrt Schadenersatz wegen der erlittenen Verletzungen. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Höhe des Schmerzengeldes. Der Kläger, der in der Klage ein Schmerzengeld von S 1,2 Mill. für die bisher erlittenen und bereits für die Zukunft vorhersehbaren Schmerzen körperlicher und seelischer Art begehrt hatte, machte zuletzt für die Zeit vom Unfallstag bis zum 11.Dezember 1989 einen Betrag von S 1,500.000, abzüglich einer erhaltenen Zahlung von S 1 Mill., somit restliche S 500.000 samt Zinsen geltend.

Das Erstgericht erachtete auf Grund der besonderen Schwere der körperlichen und seelischen Verletzungsfolgen ein Schmerzengeld in der Höhe von insgesamt S 1,500.000 für angemessen und sprach dem Kläger daher den begehrten Betrag von S 500.000 sA zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß ein Betrag von S 200.000 samt Zinsen zuerkannt, das Mehrbegehren aber abgewiesen wurde. Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, es sei dem Erstgericht freigestanden, trotz der vom Kläger vorgenommenen zeitlichen Einschränkung eine Globalbemessung vorzunehmen. Der Kläger, dessen Begehren zunächst auch die künftigen Schmerzen umfaßt habe, habe die Globalbemessung nicht angefochten. Wie schon vom Erstgericht ausgeführt, habe der Oberste Gerichtshof in ZVR 1989/6 bei schwersten, die Persönlichkeit des Verletzten in physischer und psychischer Hinsicht zerstörenden Verletzungen einen Schmerzengeldbetrag von S 1.020.000 für angemessen erkannt. Im vorliegenden Fall seien die Verletzungen nicht nur im Detail anders geartet, sondern es bestünden insbesondere bei den Verletzungsfolgen große Unterschiede. Der Kläger habe wesentlich stärkere und länger andauernde Schmerzen gehabt, er müsse ein Leben lang mit solchen Schmerzen rechnen. Er sei sich weitgehend bewußt, daß er schwer behindert ist, mit den rein körperlichen Verletzungsfolgen sei daher ein ganz außergewöhnliches Maß an seelischer Belastung verbunden. Der Kläger sei im Unfallszeitpunkt erst 25 Jahre alt gewesen, die Entscheidung ZVR 1989/6 habe hingegen einen im Unfallszeitpunkt 44 Jahre alten Kläger betroffen. Unter den besonderen Umständen des Falles könne hier mit einem Globalbetrag von rund S 1,000.000 nicht das Auslangen gefunden werden. Das vom Erstgericht zuerkannte Schmerzengeld von S 1,500.000 sei zwar zu hoch bemessen, ein Betrag von S 1,200.000 sei hingegen angemessen.

Sowohl der Kläger als auch die beklagten Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Revisionen. Der Kläger strebt den Zuspruch eines Betrages von weiteren S 300.000 an, die Beklagten die Abweisung des zuerkannten Betrages von S 200.000.

Die Parteien beantragen jeweils, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind zulässig, obwohl lediglich über die Höhe des Schmerzengeldes zu entscheiden ist. Das Berufungsgericht hat nämlich einen höheren Betrag an Schmerzengeld, als vom Obersten Gerichtshof bisher zuerkannt, zugesprochen, sodaß die Voraussetzungen des § 502 Abs. 1 ZPO vorliegen. Die Revisionen sind jedoch nicht berechtigt.

Bei Bemessung des Schmerzengeldes sind nach ständiger Rechtsprechung die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen, auch wenn sie unterbrochen waren, sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und ferner die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld5 176 f; 2 Ob 18/90, 2 Ob 7/91 uva). Der Oberste Gerichtshof erkannte bei besonders schweren Verletzungen mit Dauerfolgen, die das weitere Leben schwerstens beeinträchtigen - so bei Querschnittlähmungen oder auf Schädelverletzungen zurückzuführende schwere körperliche und geistige Behinderungen - wiederholt einen Betrag von S 1 Mill. zu (5 Ob 608/84; 8 Ob 20/86; 2 Ob 4/87; 2 Ob 15/88; 2 Ob 18/90; 2 Ob 7/91). In ZVR 1989/6 wurde sogar der vom Kläger begehrte Betrag von S 1,020.000 in voller Höhe als berechtigt angesehen. Entgegen der in der Revision der Beklagten vertretenen Ansicht, kann ein Betrag in der Größenordnung von S 1 Mill. nicht als Obergrenze angesehen werden. Die Annahme einer starren Obergrenze fände im Gesetz keine Deckung, würde den Umständen des Einzelfalles nicht immer gerecht werden können und ließe es nicht zu, geänderten Verhältnissen Rechnung zu tragen. Der Zuspruch höherer Beträge als bisher kann insbesondere seine Grundlage in einer Änderung des Geldwertes haben (seit der Entscheidung 5 Ob 608/84, in der ein Schmerzengeld von S 1 Mill. zuerkannt wurde, ist eine nicht unbeträchtliche Geldentwertung eingetreten). Da es sich beim Schmerzengeld um den Ersatz immateriellen Schadens handelt, für dessen Höhe sich im Gesetz kein Anhaltspunkt findet, könnte auch eine Änderung allgemeiner Anschauung, was unter einem angemessenen Schmerzengeld im Sinne des § 1325 ABGB zu verstehen ist, zu einer gewissen Änderung der Praxis führen.

Im vorliegenden Fall ist der Kläger als Folge der beim Unfall erlittenen Verletzungen körperlich und geistig schwerst beeinträchtigt, er ist sich seiner Behinderung auch bewußt. Er war im Zeitpunkt der Verletzung erst 25 Jahre alt und hatte, abgesehen von den besonders schweren Dauerfolgen, auch ungewöhnlich heftige lang andauernde Schmerzen zu dulden, so allein an starken Schmerzen 270 Tage. Er wird voraussichtlich sein Leben lang immer wieder körperliche Schmerzen zu ertragen haben. Diese Umstände rechtfertigen die Bemessung des Schmerzengeldes mit S 1,200.000. Es kann somit weder der Ansicht des Klägers, es wäre ein noch höherer Betrag und zwar S 1,500.000, noch jener der Beklagten, es wären nur S 1 Mill. berechtigt, gefolgt werden.

Beiden Revisionen war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E27696

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0020OB00055.91.1127.000

Dokumentnummer

JJT_19911127_OGH0002_0020OB00055_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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