TE OGH 1991/12/12 8Ob646/91

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Veröffentlicht am 12.12.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes

HonProf. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bayram K*****, vertreten durch Dr. Hans Bichler und Dr. Wolfgang Spitzy, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei mj. Michelle K*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie für den 11.Bezirk, 1110 Wien, Enkplatz 2, dieses vertreten durch Dr. Werner Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Bestreitung der ehelichen Geburt, infolge ao. Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 29.Mai 1991, GZ 44 R 2047/90-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 28.Februar 1990, GZ 2 C 33/90y-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung

an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit der am 24.10.1989 zu gerichtlichem Protokoll gegebenen Klage bestreitet der Kläger die Ehelichkeit der am 24.12.1988 geborenen Beklagten mit der Begründung, er habe deren Mutter, seiner Ehefrau, innerhalb der vom 25.2.1988 bis 27.6.1988 laufenden Vermutungsfrist nicht beigewohnt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger seit August 1989 von ihrer Geburt gewußt habe, nach dem hier zugrundezulegenden türkischen Recht für die Ehelichkeitsbestreitung aber eine Einmonatsfrist gelte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß der Kläger türkischer Staatsbürger und die Mutter der Beklagten österreichische Staatsbürgerin ist, daß es innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist keine geschlechtlichen Kontakte zwischen dem Kläger und der Mutter der Beklagten gegeben hat, daß der Kläger bereits im Jänner 1989 von der Geburt der Beklagten informiert war und daß keine rechtfertigenden Gründe für die Verzögerung der Ehelichkeitsbestreitung behauptet worden seien. Da nach Art 242 des bürgerlichen Gesetzbuches der Türkei vom 17.2.1926 die Frist für die Bestreitung der Ehelichkeit eines Kindes einen Monat vom Tage an betrage, an dem der Ehemann der Mutter von der Geburt erfahren habe, sei die Klage verspätet eingebracht worden.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Es verwies auf die Bestimmung des § 21 IPRG, nach der die Voraussetzungen der Ehelichkeit eines Kindes und deren Bestreitung nach dem Personalstatut zu beurteilen seien, das die Ehegatten im Zeitpunkt der Geburt des Kindes oder, wenn die Ehe vorher aufgelöst wurde, im Zeitpunkt der Auflösung hatten. Bei verschiedenem Personalstatut sei das Personalstatut maßgebend, das für die Ehelichkeit des Kindes günstiger sei. Durch diese Regelung werde der Grundsatz des § 1 IPRG, daß jene Rechtsordnung anzuwenden sei, zu der die stärkste Beziehung bestehe, durchbrochen. Da beide Normen aber gleichrangig seien, gelte die Spezialregelung des § 21 IPRG. Das für die Ehelichkeit der beklagten Partei günstigere Personalstatut sei hier das türkische Recht mit Ausnahme des türkischen Kollisionsrechtes. Die in Art 15 des türkischen Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilrechtsverfahren normierte Rückverweisung auf das österreichische Recht mache die Wahl des für die Ehelichkeit günstigeren Sachrechtes unmöglich, sodaß die Verweisungsnorm des § 21 IPRG sinnvoll nur so verstanden werden könne, daß es sich um eine unmittelbare Verweisung auf die Sachnorm und nicht um eine Gesamtnormverweisung entsprechend § 5 Abs.1 IPRG handle. Die allgemeinen Wirkungen der Ehe wären nämlich nach § 18 Abs.1 Z 2 IPRG wegen des gewöhnlichen Aufenthaltes beider Ehegatten in Österreich nach österreichischem Recht zu beurteilen, sodaß die Wahl des für die Ehelichkeit günstigeren türkischen Rechts ausgeschlossen wäre. § 21 zweiter Satz IPRG verlöre dann seinen Sinn. Das türkische Sachrecht widerspreche entgegen dem Vorbringen des Klägers auch nicht dem ordre public, da die relativ kurze Frist von einem Monat für die Bestreitung der Ehelichkeit der Geburt eines Kindes im Falle von Arglist oder bei Vorliegen dies rechtfertigender Gründe verlängert werde. Arglist sei weder behauptet worden noch sei sie im Beweisverfahren hervorgekommen. Besondere Gründe, die den Kläger an der früheren Bestreitung gehindert hätten oder die Verzögerung der Bestreitung entschuldbar erscheinen ließen, seien ebenfalls nicht vorgebracht worden.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag auf deren Annahme und auf Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen im Sinne der Klagestattgebung. Er führt aus, mit der Auslegung des § 21 IPRG lediglich als Sachnormverweisung setze sich das Berufungsgericht über die Entscheidung des Gesetzgebers hinweg, die in § 5 Abs.1 IPRG ausdrücklich die Gesamtverweisung normiere. Gehe das Gesetz grundsätzlich von einer Gesamtnormverweisung aus, so sei auch § 21 IPRG als Gesamtverweisung zu verstehen. Im Sinne des Art 15 des türkischen Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilrechtsverfahren sei hier österreichisches Recht anzuwenden, nach dem die Bestreitungsfrist ein Jahr betrage. Demgemäß sei die Klage rechtzeitig eingebracht worden.

Die Revision ist aus den nachfolgenden Gründen zulässig und im Sinne der Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach der Anordnung des § 21 IPRG sind die Voraussetzungen der Ehelichkeit eines Kindes und deren Bestreitung nach dem Personalstatut zu beurteilen, das die Ehegatten im Zeitpunkt der Geburt des Kindes oder, wenn die Ehe vorher aufgelöst worden ist, im Zeitpunkt der Auflösung gehabt haben. Bei verschiedenem Personalstatut der Ehegatten ist dasjenige Personalstatut maßgebend, das für die Ehelichkeit des Kindes günstiger ist (vgl. auch EB zur RV 784, 14.GP 37).

Es stellt sich somit zunächst die Frage, ob die Ehe des Klägers mit der Mutter der Beklagten wirksam geschlossen wurde - eine Auflösung der Ehe vor der Geburt der Beklagten ist nach dem beiderseitigen Vorbringen nicht erfolgt - sodaß die beiden im Zeitpunkt der Geburt der Beklagten, wie von § 21 IPRG vorausgesetzt, Ehegatten waren.

Gemäß § 17 Abs.1 IPRG sind die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut zu beurteilen.

Das Personalstatut einer natürlichen Person wird durch das Recht des Staates bestimmt, dem die Person angehört (§ 9 Abs.1 IPRG).

Für die Mutter der Beklagten als Österreicherin ist das Personalstatut demnach das österreichische Recht, für den Kläger als Türken ist das Personalstatut das türkische Recht.

Die Wirksamkeit der Ehe des Klägers und der Mutter der Beklagten nach österreichischem Recht als dem Peronalstatut der Mutter ist nach dem Akteninhalt - die Form der Eheschließung im Inland ist gemäß § 16 IPRG nach den inländischen Formvorschriften zu beurteilen - nicht zu bezweifeln.

Hinsichtlich des Klägers wird in Übereinstimmung mit der Regelung des § 17 Abs.1 IPRG in Art 12 des türkischen Gesetzes Nr.2675 über das internationale Privat- und Zivilrechtsverfahren angeordnet, daß auf die Eheschließung und die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Beteiligten sein Heimatrecht im Zeitpunkt der Eheschließung anzuwenden ist. Die Form der Eheschließung unterliegt nach dieser Gesetzesbestimmung - in Übereinstimmung mit § 16 IPRG - dem Recht des Ortes, an dem sie stattfindet. Die Voraussetzungen für eine wirksame Eheschließung des Klägers sind in den Art 88 ff des türkischen bürgerlichen Gesetzbuches vom 17.2.1926 idF des Gesetzes Nr.3444 vom 4.5.1988 normiert (siehe Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Abschnitt Türkei 97.Lieferung, Seite 19). Auf der Grundlage des beiderseitigen Parteienvorbringens und des Akteninhaltes ist auch nach diesen Regelungen an einem wirksamen Abschluß der Ehe des Klägers mit der Mutter der Beklagten nicht zu zweifeln.

Somit ist die Voraussetzung der Bestimmung des § 21 IPRG, daß der Kläger und die Mutter der Beklagten im Zeitpunkt von deren Geburt Ehegatten waren, erfüllt.

Im Hinblick auf das verschiedene Personalstatut der beiden Ehegatten im Zeitpunkt der Geburt der Beklagten ist nun im Sinne der vorgenannten Bestimmung zu untersuchen, welches Personalstatut für die Ehelichkeit der Beklagten günstiger ist und dieses ist sodann der Beurteilung zugrundezulegen.

Die österreichische Rechtsordnung als Personalstatut der Mutter der Beklagten sieht die Bestreitung der ehelichen Geburt durch den Ehemann der Mutter binnen Jahresfrist ab Kenntnis von der Geburt des Kindes durch den Ehemann vor (§ 156 Abs 1 ABGB). Diese Frist war bei Einbringung der vorliegenden Klage noch nicht verstrichen.

Die in § 21 IPRG ausgesprochene Verweisung auf das Personalstatut des Klägers und damit eine fremde Rechtsordnung umfaßt im Sinne der ausdrücklichen Anordnung des § 5 Abs 1 IPRG auch die Verweisungsnormen dieser fremden Rechtsordnung, ist also - und dies begründet die Zulässigkeit der Revision - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes eine Gesamtverweisung (vgl EB zu RV 784, 14.GP, 15; Anm.2 zu § 5 in Duchek-Schwind IPRG; Schwimann in Rummel ABGB Rz 1 ff zu § 5, Rz 3 zu § 21 IPRG). Verweist diese fremde Rechtsordnung auf das österreichische Recht zurück, so sind gemäß § 5 Abs 2 IPRG "die österreichischen Sachnormen (Rechtsnormen mit Ausnahme der Verweisungsnormen) anzuwenden".

Hier ist in der fremden, das ist der türkischen Rechtsordnung, durch Art.15 des oben genannten türkischen Gesetzes Nr.2.675 bestimmt, daß die Beziehungen der ehelichen Abstammung dem Recht unterliegen, das die allgemeinen Wirkungen der Ehe im Zeitpunkt der Geburt regelt. Zu den Beziehungen der ehelichen Abstammung zählt auch die Bestreitung der ehelichen Geburt (vgl Bergmann-Ferid aaO, S 16 FN 7). Die allgemeinen Wirkungen der Ehe unterliegen gemäß Art 12 Abs 2 leg cit dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten; falls die Parteien verschiedener Staatsangehörigkeit sind, wird nach dieser Gesetzesstelle das Recht des gemeinsamen Wohnsitzes, bei Fehlen eines solchen das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes und, falls auch ein solcher fehlt, türkisches Recht angewendet.

Da der Kläger und die Mutter der Beklagten verschiedener Staatsangehörigkeit sind und nach den Feststellungen offenbar im Zeitpunkt der in Österreich erfolgten Geburt der Beklagten weder in der Türkei noch sonst im Ausland einen gemeinsamen Wohnsitz oder gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten, käme in dem Falle, als sie im Zeitpunkt der Geburt der Beklagten einen gemeinsamen Wohnsitz oder gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatten, für die gegenständliche Ehelichkeitsbestreitungsklage materiell österreichisches Recht und damit die Bestreitungsfrist des § 156 Abs 1 ABGB, mangels eines solchen gemeinsamen Wohnsitzes oder gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes aber türkisches Recht zur Anwendung.

Gemäß Art 242 des türkischen bürgerlichen Gesetzbuches (vgl Bergmann-Ferid aaO S 19) kann der Mann die Ehelichkeit eines Kindes grundsätzlich nur binnen einer Frist von einem Monat von dem Tage an, an dem er die Geburt erfahren hat, anfechten. Somit wäre nach türkischem Recht die Bestreitungsklage des Klägers offenbar - ein Vorbringen im Sinne des letzten Absatzes leg cit wurde nicht erstattet - verspätet eingebracht worden.

Es steht jedoch nicht fest, daß der Kläger und die Mutter der Beklagten im Zeitpunkt von deren Geburt - der Kläger gab an (ON 6 AS 23) im Jänner 1989, als er wiederum in Österreich war, von der Mutter der Beklagten von dieser Geburt erfahren zu haben - in Österreich einen gemeinsamen Wohnsitz oder einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten.

Wäre dies der Fall, so käme eben nach dem Heimatrecht des Klägers, nämlich der in den Art 12 und 15 des türkischen Gesetzes Nr.2.675 enthaltenen Rückverweisung, somit nach dem Personalstatut des Klägers im Sinne des § 21 IPRG, österreichisches Recht und damit die Bestreitungsfrist des § 156 Abs 1 ABGB zur Anwendung. Keine der beiden Personalstatuten erschiene damit für die Ehelichkeit der Beklagten günstiger - ein entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes von § 21 IPRG keineswegs ausgeschlossenes, weil seinem ersten Fall eines gemeinsamen Personalstatutes beider Ehegatten entsprechendes Ergebnis - vielmehr führten die beiden verschiedenen Personalstatuten eben im Hinblick auf die Rückverweisung der türkischen Rechtsordnung auf das österreichische materielle Recht jedenfalls zu dessen Anwendung und damit dazu, daß die vorliegende Ehelichkeitsbestreitungsklage vom Kläger rechtzeitig erhoben worden wäre.

Demgemäß sind Feststellungen zur Frage des allfälligen Vorliegens eines gemeinsamen Wohnsitzes oder gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes des Klägers und der Mutter der Beklagten im Zeitpunkt von deren Geburt erforderlich. Die Beurteilung, was unter "gemeinsamen Wohnsitz" oder "gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt" im Sinne des Art 12 des türkischen Gesetzes Nr.2.675 in der türkischen Rechtsordnung verstanden wird, erfordert allenfalls - der Kläger hielt sich nach seinen Angaben in der Berufung (AS 41) einen Großteil des Jahres in der Türkei auf - ein Vorgehen im Sinne des § 4 IPRG.

Somit war der Revision Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 50 und 52 ZPO.

Anmerkung

E28105

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00646.91.1212.000

Dokumentnummer

JJT_19911212_OGH0002_0080OB00646_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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