TE OGH 1992/1/15 2Ob509/92

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Veröffentlicht am 15.01.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. Allgemeine Ortskrankenkasse ***** D*****, und 2. Landesversicherungsanstalt *****, D*****, beide vertreten durch Dr. Christoph Raabe, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Gemeinde T*****, vertreten durch den Bürgermeister Franz B*****, vertreten durch Dr. Herbert Hillebrand und Dr. Walter Heel, Rechtsanwälte in Innsbruck, 2. Fremdenverkehrsverband T*****, vertreten durch den Obmann Hermann B*****, vertreten durch Dr. Gert Kastner und Dr. Hermann Tscharre, Rechtsanwälte in Innsbruck, und 3. Sepp G*****, vertreten durch Dr. Bernhard Haid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 145.550,52 DM und Feststellung (41 Cg 29/88) und 33.180,60 DM und Feststellung (41 Cg 30/88) infolge außerordentlicher Revision der drittbeklagten Partei gegen das (End-) Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. Juli 1991, GZ 2 R 60, 61/90-48, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 14. November 1989, GZ 41 Cg 28/88-31, hinsichtlich der erst- und zweitbeklagten Partei bestätigt und hinsichtlich der drittbeklagten Partei abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz, die in Ansehung der erst- und zweitbeklagten Partei sowie der Bestätigung der Abweisung des gegen den Drittbeklagten gerichteten Leistungs- und Feststellungsbegehrens im Ausmaß von 50 % als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird hinsichtlich ihres Ausspruches über das Zurechtbestehen des Leistungs- und Feststellungsbegehrens dem Drittbeklagten gegenüber dem Grunde nach zu 50 % aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Insoweit sind die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung:

Im Gemeindegebiet von T***** führt vom Ortsteil L***** aus ein Weg zu der auf 1787 m Höhe gelegenen G*****alm, wo der Drittbeklagte eine Gastwirtschaft betreibt. Dieser Weg war Anfang der 60-iger Jahre von verschiedenen Agrargemeinschaften gebaut worden, die sich in der Folge zu einer Interessentschaft zusammengeschlossen haben. Auf diesem Weg, der zunächst nur im Sommer offen war, bestand ein Fahrverbot mit Ausnahme für land- und forstwirtschaftliche Zwecke; er wurde vorerst von den Interessenten erhalten, wobei die Kosten dafür von den Agrargemeinschaften und dem Drittbeklagten anteilig übernommen wurden. Während der Sommermonate wird dieser Weg auch heute noch als Bringungsweg für die Agrargemeinschaften benützt. Seit dem Jahr 1980 betreibt der Drittbeklagte die Gastwirtschaft auf der G*****alm auch im Winter. Er setzte sich deshalb im Jahr 1980 mit den Mitgliedern der Interessentschaft in Verbindung, um die Erlaubnis zu bekommen, daß der Weg auch im Winter, und zwar auch von Rodlern benützt werden dürfe. Mit Beschluß vom 31. Jänner 1981 wurde von der genannten Interessentschaft dem Drittbeklagten die "Wegbenützung, -räumung und -erhaltung zur Bewirtschaftung der G*****alm (Rodelbahn) für die Wintermonate" unter der Bedingung bewilligt, daß er dafür die Kosten und die Haftung allein übernimmt. Da der Weg zum Teil entlang eines Steilabfalles verläuft, wurde an diesen Stellen - zum Schutz des Viehs beim Almabtrieb - zunächst ein Stacheldrahtzaun errichtet, der noch vor 1980 durch einen normalen Drahtzaun ersetzt wurde. Im Jahr 1987 wurde dieser Drahtzaun durch Einziehen stärkerer Drähte verbessert. Seit der Vereinbarung des Drittbeklagten mit der Interessentschaft erfolgt die Schneeräumung durch den Drittbeklagten. Sofern genug Schnee vorhanden ist, bildet sich durch die Räumung beiderseits des Weges eine Schneemauer. Irgendwelche Sicherungen (gegen Absturz) hat der Drittbeklagte entlang des Weges nicht errichtet. Seit 31. Jänner 1981 obliegt dem Drittbeklagten auch die Erhaltung des Weges; er nimmt auch bei Beschädigungen Ausbesserungen vor. Da der Zweitbeklagten bekannt war, daß der Weg als Rodelstrecke benützt wird, vermerkte sie dies und zeichnete diesen Weg unter der Bezeichnung "Rodelstrecke mit Anliegerverkehr" in ihren Prospekten ein. Die tägliche Frequenz an Rodlern auf dem insgesamt ca. 5 km langen Weg ist sehr unterschiedlich; an Spitzentagen können bis zu 200 Rodler auf dem Weg sein.

Im Jänner 1985 befand sich Patrick K***** mit seiner Freundin Ute S***** auf Winterurlaub in L*****; es handelte sich dabei um ihren zweiten Urlaub in diesem Ort. Am Unfallstag begaben sie sich mit zwei von ihrem Vermieter entlehnten Rodeln auf die G*****alm, wie sie dies schon mehrmals getan hatten. Sie hielten sich den ganzen Nachmittag in der G*****alm auf, wo Patrick K***** im Laufe des Nachmittags zwei Bier und zwei Schnäpse getrunken hat. Am Unfallstag herrschte Föhnwetter, der G*****weg war mit ca. 20 cm Schneematsch bedeckt. Da im Winter 1984/85 wenig Schnee gefallen war, war der Weg talseitig nicht durch eine Schneemauer begrenzt. Gegen 16.15 Uhr fuhren Patrick K***** und Ute S***** auf dem gegenständlichen Weg talwärts. Ute S***** fuhr voraus und hatte beim Befahren des Weges keinerlei Schwierigkeiten. Sie mußte an keiner Stelle wegen zu schneller Fahrt abbremsen. Oberhalb der nachmaligen Unfallstelle befindet sich eine mäßig steile S-Kurve, deren zweiter Teil eine Linkskurve darstellt. In dieser Linkskurve befindet sich eine Senke, an die sich eine längere Gerade anschließt, die eine Neigung von 10 bis 12 % aufweist. Auf dieser Geraden ist der Weg 2,5 bis 3 m breit. Talseitig wird diese Gerade durch einen steilen Abhang begrenzt, der nach einigen Metern in einen Abbruch übergeht. Am Unfallstag war es nicht möglich, rodelnderweise durch die Senke um die Linkskurve zu kommen, es mußte die Rodel ca. 4 bis 5 m vor der Unfallstelle gezogen werden. Patrick K***** ist im letzten Drittel dieser Geraden über den Steilhang hinuntergestürzt, wobei die Ursache hiefür nicht festgestellt werden kann. Im Bereich der Unfallstelle befindet sich ein Teil des erwähnten Stacheldrahtzaunes, der im Bereich der Absturzstelle beschädigt war; ob diese Beschädigung durch den Sturz des Patrick K***** verursacht wurde oder schon vorher vorhanden war, konnte vom Erstgericht nicht festgestellt werden.

Mit den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehrten die klagenden Parteien letztlich von den beklagten Parteien den Ersatz der von ihnen für Patrick K***** erbrachten Leistungen sowie die Feststellung deren Haftung zur ungeteilten Hand für alle dem Patrick K***** aus dem Unfall "entstandenen" Schäden. Zur Begründung des gegen den Drittbeklagten gerichteten Begehrens - die gegen die Erst- und Zweitbeklagte gerichteten Klagebegehren wurden bereits rechtskräftig abgewiesen - brachten die Klägerinnen im wesentlichen folgendes vor:

Der Drittbeklagte sei auf Grund einer Vereinbarung mit der Interessentschaft G*****weg zur Räumung und Sicherung des als Rodelstrecke mit Anliegerverkehr gekennzeichneten Interessentschaftsweges verpflichtet. Patrick K***** sei über einen steilen Abhang in den Abbruch gestürzt. An der Unfallstelle sei kein Fangzaun errichtet gewesen, obwohl dies auf Grund des steilabfallenden Geländes und des Umstandes, daß am Unfallstag wegen Schneemangels talseitig kein Schneewall vorhanden gewesen sei, notwendig und zumutbar gewesen wäre.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Einwendungen des Drittbeklagten lassen sich dahin zusammenfassen, daß er weder Halter des Weges noch sonst irgendwie vertraglich oder vorvertraglich zur Instandsetzung des Weges verpflichtet gewesen sei. Patrick K***** habe den Unfall selbst verschuldet, weil der Rodelweg an der Unfallstelle fast flach verlaufe und man dort daher, wenn überhaupt, nur mit äußerst geringer Geschwindigkeit fahren könne. Normalerweise müsse man bei den gegebenen Wegverhältnissen die Rodel an dieser Stelle schieben. Die Ursache des Unfalles könne daher nicht in der mangelnden ordnungsgemäßen Instandhaltung des Rodelweges gelegen gewesen sein, der Unfall müsse vielmehr auf das alleinige Verschulden Patrick K***** zurückzuführen sein.

Das Erstgericht schränkte die verbundenen Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und wies die von beiden Klägerinnen gestellten Begehren zur Gänze ab. Bei der rechtlichen Beurteilung des bereits wiedergegebenen Sachverhaltes ging es davon aus, daß hinsichtlich der Erst- und Zweitbeklagten kein haftungsbegründender Tatbestand vorliege, der Drittbeklagte jedoch die Wegerhaltung übernommen habe und ihn damit die Verkehrssicherungspflicht treffe. Es könne ihm aber keine auch nur leichte Fahrlässigkeit angelastet werden, weil ihm im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse zur Unfallszeit weitergehende Sicherungsmaßnahmen nicht zumutbar gewesen wären. Patrick K***** habe den Unfall selbst verschuldet, weil er auf dem flachen Wegstück nach links in den Abgrund abgebogen sei.

Das Gericht zweiter Instanz verwarf die von den Klägerinnen wegen Nichtigkeit erhobene Berufung. Im übrigen gab es der gegen die Abweisung der Klagebegehren gegen die erst- und zweitbeklagte Partei erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte insoweit das angefochtene Urteil als Endurteil. Soweit die Berufung gegen die Abweisung des Klagebegehrens gegen den Drittbeklagten gerichtet war, gab es der Berufung Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es das gegen den Drittbeklagten gerichtete Leistungsbegehren sowie das Feststellungsbegehren als Teil- und Zwischenurteil dem Grunde nach zu 50 % als zu Recht bestehend erkannte und das Feststellungsmehrbegehren im Ausmaß von 50 % abwies. Schließlich sprach es aus, daß die Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht nahm hinsichtlich der Frage der Absicherung des Wegstückes eine Beweiswiederholung vor und stellte in Abänderung der erstgerichtlichen Feststellung fest, daß der talseitige Abhang mit anschließendem Abbruch zur Unfallszeit durch keinen Zaun gesichert war. Im übrigen übernahm es die Feststellungen des Erstgerichtes. Davon ausgehend billigte das Berufungsgericht die Abweisung der gegen die Erst- und Zweitbeklagte gerichteten Klagebegehren.

Vor Eingehen in die hinsichtlich der Abweisung des Klagebegehrens gegen den Drittbeklagten erhobenen Rechtsrüge hielt das Berufungsgericht fest, daß bei der Beurteilung der vorliegenden Rechtssachen mangels Vorliegens von Anhaltspunkten für die Annahme einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Rechtswahl oder stärkeren Beziehung zum Recht eines anderen Staates österreichisches Sachrecht anzuwenden sei, und zwar insoweit die Klägerinnen außervertragliche Schadenersatzansprüche geltend machten, nach § 48 Abs 1 IPRG, in Ansehung vertraglicher Schadenersatzansprüche hingegen nach § 36 IPRG. Zur Rechtsrüge selbst nahm es im wesentlichen wie folgt Stellung:

Der Drittbeklagte, der von der Interessentschaft G*****weg nicht mit den Aufgaben des Wegerhalters als selbständiger Unternehmer betraut worden sei, sondern auf den die Interessentschaft G*****weg die Pflichten als Halter übertragen habe, habe die Pflichten eines Wegerhalters nach § 1319 a ABGB übernommen. Entgegen der Meinung der Klägerinnen greife bei unentgeltlicher Benützung eines zum Befahren mit Rodeln freigegebenen Weges nur die "Wegerhalterhaftung" nach § 1319 a ABGB und nicht eine auch bei leichter Fahrlässigkeit bestehende Haftung aus einem Vertrag ein. Es sei nun zu unterscheiden, ob im Hinblick auf das Fehlen eines Zaunes am talseitigen Steilabfall von einem "mangelhaften Zustand" des Weges gesprochen werden könne und was zur Entschärfung der Situation angemessen und zumutbar gewesen wäre. Berücksichtige man, daß der Weg als Rodelweg benützt werde, begründe das Fehlen eines Zaunes im unfallsgegenständlichen Bereich angesichts der geringen Breite des Weges und des daran anschließenden Steilabfalles objektiv einen schweren Mangel. Daß die Gefährlichkeit des Wegstückes bekannt gewesen sei, zeige das Errichten des Zaunes, um das Vieh beim Almabtrieb zu schützen. Im Sinne der bei der Benützung von Schipisten entwickelten Grundsätze habe Patrick K***** auf einen verkehrssicheren Zustand des von ihm benützten Rodelweges vertrauen und daher damit rechnen dürfen, daß atypische Gefahrenquellen, sofern sie überhaupt vorhanden gewesen seien, entsprechend gekennzeichnet oder durch Absicherungen entschärft sein würden. Unter diesem Gesichtspunkt sei das Fehlen eines Zaunes im gegenständlichen Bereich eine atypische Gefahrenquelle, bilde doch ein Zaun auch für einen Rodler einen markanten Hinweis darauf, daß er sich einem gefährlichen Bereich der Abfahrt nähere und deshalb seine Fahrweise darauf einzustellen habe. Die schrägliegenden noch vorhandenen drei Zaunsäulen hätten eine solche Warnfunktion nicht erfüllen können. Im Fehlen eines Zaunes im gegenständlichen Bereich des Steilabfalles sei daher ein "mangelhafter Zustand des Weges" im Sinne des § 1319 a ABGB zu erblicken. Der Drittbeklagte wäre verpflichtet gewesen, diese Gefahrenstelle zu entschärfen. Das Unterlassen der Errichtung bzw. Erhaltung eines ordnungsgemäßen Zaunes im gegenständlichen Bereich sei dem Drittbeklagten als grobes Verschulden anzulasten. Entgegen der vom Erstgericht vertretenen Meinung bedeute es keineswegs eine "Überspannung" der dem Drittbeklagten auferlegten Pflicht, Gefahrenstellen wie die gegenständliche abzugrenzen, weil mit dem Sturz von Rodlern über den Rand der Rodelbahn hinaus stets - auch bei mäßiger Geschwindigkeit - gerechnet werden müsse, sei es durch einen Fahrfehler oder auch infolge von durch den steilen ungesicherten Abhang ausgelösten Angstgefühlen. Da die Beklagten das Alleinverschulden Patrick K***** behaupteten, schließe diese Einwendung einen Mitverschuldensvorwurf in sich. Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB setze kein Verschulden im technischen Sinn voraus; schon Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern führe dazu, daß der Geschädigte weniger schutzwürdig erscheine, weshalb dem Schädiger nicht mehr der Ersatz des gesamten Schadens aufzuerlegen sei. Das Erstgericht habe die Ursache dafür, warum Patrick K***** über den Wegrand hinausgeraten und in den Steilabhang hinuntergestürzt sei, nicht feststellen können. Das Berufungsgericht führe diese Ursache des sturzauslösenden Manövers prima facie auf eine Unachtsamkeit des Patrick K***** zurück. Den Zwischenfall, der zum Sturz geführt habe und der ihn möglicherweise entlasten könne, kenne im Regelfall nur der Rodler selbst, nicht aber auch der Halter der Rodelbahn, der deshalb zu dessen Aufklärung im allgemeinen nichts beitragen könne. Umstände, die ein Mitverschulden des Patrick K***** ausschlößen, seien nicht behauptet worden und lägen auch nicht vor. Es sei daher von einer Sorglosigkeit des Patrick K***** beim Passieren der Unfallstelle auszugehen, weshalb eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 gerechtfertigt erscheine. Für die Klägerinnen sei aber auch nichts gewonnen, wenn ein Mitverschulden des Patrick K***** verneint werde und für den Schaden der Klägerinnen ein Haftungsgrund mit Zufall konkurriere. Der bloße Zufall treffe nach § 1311 ABGB grundsätzlich denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereigne. Habe auch der Geschädigte eine Bedingung für den Schadenseintritt gesetzt, so gebühre nach § 1304 ABGB kein voller Ersatz. Der Geschädigte müsse einen Teil des Schadens selbst tragen. Dem § 1304 ABGB liege der allgemeine Rechtsgrundsatz der Schadensteilung zugrunde, wenn mehrere gesetzliche Zurechnungsgründe vorlägen. Konkurriere daher ein dem Geschädigten zurechenbarer Zufall mit einem Haftungsgrund, so sei in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 1304 ABGB eine Schadensteilung vorzunehmen und der Schädiger nur mit jenem Schadensteil zu belasten, der seinem Verursachungsanteil entspreche. Läßt sich der Verursachungsanteil nicht feststellen, so sei im Sinne der Zweifelsregel des § 1304 ABGB der Schaden zu gleichen Teilen zu tragen. Aus diesen Erwägungen sei der Berufung hinsichtlich des Drittbeklagten teilweise Folge zu geben und dessen Haftung dem Grunde nach zur Hälfte auszusprechen gewesen. Schließlich brachte das Berufungsgericht zum Ausdruck, daß für die Zulassung der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO kein Anlaß bestanden habe, weil keiner der dort genannten Tatbestände vorliege.

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz, insoweit es als Teil- und Zwischenurteil über die gegen den Drittbeklagten gerichteten Begehren im stattgebenden Umfang absprach, richtet sich die außerordentliche Revision des Drittbeklagten mit dem Antrag, das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes im Sinne der gänzlichen Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern.

Die klagenden Parteien haben von der ihnen eingeräumten Möglichkeit, eine Rechtsmittelgegenschrift einzubringen, nicht Gebrauch gemacht und es damit unterlassen, sich am Revisionsverfahren zu beteiligen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes zulässig, weil die Frage der Haftung des Drittbeklagten auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden kann, eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage somit aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich erscheint. Die Revision ist im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, daß im vorliegenden Fall österreichisches Sachrecht anzuwenden ist und daß § 1319 a ABGB auch auf einen als Rodelbahn benützten Weg anwendbar ist (vgl. JBl. 1991, 652 ua), der Drittbeklagte die Pflicht (Verfügungsmacht) zur Sicherung des Weges übernommen hat und seine Haftung für die Folgen des gegenständlichen Unfalles somit nach dieser Norm zu beurteilen ist.

Nach § 1319 a ABGB haftet für den Ersatz des Schadens, der durch den mangelhaften Zustand eines Weges verursacht wurde, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges Verantwortliche nur, soweit er (oder einer seiner Leute) den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Die Haftung ist somit nur soweit gegeben, als ein objektiv schwerer Verstoß gegen die nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt vorliegt, der auch subjektiv schwer anzulasten ist (Koziol, Haftpflichtrecht I2 131 und II 202; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 16 zu § 1319 a; ZVR 1986/11 und 106; JBl. 1991, 652 ua). Wird ein Weg für das Befahren mit Rodeln unentgeltlich freigegeben, so kann der Benützer einer solchen Rodelbahn - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte - damit rechnen, daß atypische Gefahrenquellen fehlen oder - sofern solche vorhanden sind - ausreichend gekennzeichnet oder durch Absicherungen entschärft werden. Anderseits wird aber auch bei der Ausübung des Rodelsportes vorausgesetzt, daß der Rodler auf Sicht fährt, also bei Auftreten eines Hindernisses oder Erkennen einer Gefahr in der Lage ist, seine Rodel rechtzeitig zum Stillstand zu bringen (vgl. JBl. 1991, 652).

Der Umfang der Sicherungspflicht richtet sich - wie § 1319 a Abs 2 letzter Satz ABGB zu entnehmen ist - nach dem Verkehrsbedürfnis (Art des Weges, insbesondere seiner Widmung) und der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen. Das Merkmal der Zumutbarkeit erfordert auch die Berücksichtigung dessen, was nach allgemeinen billigen Grundsätzen vom Erhaltungspflichtigen erwartet werden kann (vgl. Reischauer in Rummel, aaO Rz 15 zu § 1319 a; ZVR 1983/14; SZ 58/154; ZVR 1991/48 ua). Unter dem im § 1319 a Abs 1 ABGB verwendeten Begriff der groben Fahrlässigkeit ist eine auffallende Sorglosigkeit zu verstehen, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlicher Weise verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Grobe Fahrlässigkeit ist daher dann gegeben, wenn ein objektiv schwerer Verstoß auch subjektiv schwer anzulasten ist (Reischauer, aaO, Rz 3 zu § 1324 und 17 zu § 1319 a; Harrer in Schwimann, ABGB V, Rz 21 zu § 1319 a; ZVR 1984/142; ZVR 1986/11 und 106; ZVR 1991/48).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so zeigt sich, daß die bisherigen Feststellungen eine abschließende Beurteilung der Rechtssache noch nicht zulassen.

Das Berufungsgericht gelangte allein aufgrund des Umstandes, daß der Weg als Rodelweg benützt wird, zu dem Ergebnis, daß das Fehlen eines Zaunes im Unfallsbereich angesichts der geringen Breite des Weges und des anschließenden Steilabfalles einen schweren Mangel des Weges begründe und daß das Bekanntsein der Gefährlichkeit des Wegstückes sich schon darin zeige, daß ein Zaun errichtet worden sei, um das Vieh beim Almabtrieb zu schützen. Bedenkt man, daß Wege im Gebirge häufig in steil abfallendem Gelände geführt werden, und nicht stets für eine völlig gefahrlose Benützung des Weges gesorgt werden kann und es bei Naturrodelbahnen an sich schon schwierig ist, Gefahren zu begegnen, die mit einem Abkommen vom Rodelweg verbunden sind, so können in der Breite des Weges und dem Vorhandensein eines Steilabfalles allein nicht die einzigen Kriterien für die Beurteilung der Frage erblickt werden, ob es sich um eine atypische Gefahrenquelle handelt, auf die durch einen Zaun hingewiesen werden muß. Aus dem Umstand, daß im Bereich der nunmehrigen Unfallstelle zu einer Zeit, als der Weg noch nicht dem Rodeln diente, ein Zaun errichtet wurde, um das Vieh beim Almabtrieb (vor Absturz) zu schützen, allein, läßt

sich - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - die Notwendigkeit der Errichtung bzw. Erhaltung eines ordnungsgemäßen Zaunes (oder einer sonstigen Schutzvorrichtung) im Hinblick auf den unterschiedlichen Schutzzweck nicht ableiten. Im Rahmen der Berücksichtigung der Art des Weges und seiner Anlage (§ 1319 a Abs 2 letzter Satz ABGB) ist vielmehr auch darauf Bedacht zu nehmen, in welcher Form der Weg beim Befahren mit einer Rodel regelmäßig benützt werden kann und welche Gefahren dabei gemeiniglich ausgelöst werden können. Die Vorinstanzen haben wohl auch Feststellungen über den Verlauf des Weges und dessen "Neigung" getroffen, den Feststellungen ist aber nicht eindeutig zu entnehmen, ob es sich dabei um ein Gefälle der Wegtrasse in Längsrichtung oder eine seitliche Neigung des Weges handelt, was ja für das Beibehalten der Fahrlinie im Unfallsbereich von Bedeutung sein könnte.

Es fehlen aber Feststellungen darüber, ob bei einem Durchfahren der Linkskurve mit einer Rodel der Abhang sowie der Abbruch als Gefahr wahrnehmbar sind und welche Geschwindigkeiten beim Durchfahren der Kurvenkombination (bei normaler Schneelage und unter den damaligen Verhältnissen) im allgemeinen erreicht werden können. Den Feststellungen ist damit nicht zu entnehmen, ob sich ein durchschnittlich tüchtiger Rodler üblicherweise auf die auftretende Gefahr allein durch Aufwendung der bei Ausübung dieser Sportart erforderlichen Aufmerksamkeit einzustellen vermag oder ob es dazu eines besonderen Gefahrenhinweises vor der Unfallstelle bedurft hätte. Aufgrund der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen läßt sich aber auch noch nicht eindeutig beurteilen, in welchem Ausmaß beim Passieren der Unfallstelle die Gefahr eines Abkommens vom Weg besteht und in welcher Weise dieser Gefahr allenfalls zu begegnen wäre. Aus all diesen Gründen vermag sich der Oberste Gerichtshof daher der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht anzuschließen, daß es keine Überspannung der Sorgfaltspflicht des Drittbeklagten darstellt, die Absicherung des Weges gegen ein Abkommen vom Weg und einen Sturz in den Abhang zu verlangen, und daß mit dem Sturz von Rodlern über den Rand der Rodelbahn hinaus auch bei mäßiger Geschwindigkeit - sei es infolge eines Fahrfehlers oder auch durch ein wegen des steilen ungesicherten Abhanges ausgelösten Angstgefühles - stets gerechnet werden müsse.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Entscheidungsgrundlage im aufgezeigten Sinn durch ergänzende Feststellungen zu verbreitern haben, und zwar über die Sichtverhältnisse und - allenfalls durch Beiziehung eines geigneten Sachverständigen - die Geschwindigkeiten, mit welchen bei Annäherung an die Unfallstelle im Zuge einer Rodelfahrt gerechnet werden muß, sowie darüber, ob ein durchschnittlich fahrtüchtiger Rodler dabei in der Lage ist, sein Fahrverhalten auf die Gefahr im Bereich der Unfallstelle einzustellen oder ob es dafür eines besonderen Gefahrenhinweises bedurft hätte. Darüber hinaus wird auch noch zu klären sein, ob unter den gegebenen Umständen damit zu rechnen war, daß ein durchschnittlicher Rodler bei normaler Fahrweise aus der Bahn kommen kann. Erst wenn Klarheit über diese Umstände besteht, wird eine abschließende Beurteilung darüber möglich sein, ob eine besondere Kennzeichnung oder Absicherung der vorhandenen Gefahrenquelle notwendig war.

Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, daß eine zusätzliche Gefahrenkennzeichnung oder Absicherung nicht erforderlich gewesen wäre, so wäre die Rechtssache im Sinne der erstinstanzlichen Klagsabweisung spruchreif. Falls sich jedoch herausstellen sollte, daß der Drittbeklagte ihm zumutbare Sicherungsmaßnahmen unterlassen hat, so bliebe noch zu prüfen, ob der Drittbeklagte dabei grob fahrlässig gehandelt hat. Zur Beurteilung dieser - vom Berufungsgericht gar nicht näher begründeten - Frage bedürfte es dann noch einer Feststellung darüber, ob der hier eingetretene Unfallablauf geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen gewesen wäre, wobei der Beweis des Vorliegens eines Sachverhaltes, der als grob fahrlässig im objektiven Sinn qualifiziert werden soll, den Klägerinnen obläge, der Drittbeklagte hingegen die fehlende subjektive Vorwerfbarkeit der objektiv groben Fahrlässigkeit zu beweisen hätte (vgl. Reischauer, aaO, Rz 18 zu § 1319 a und Rz 7 zu § 1324).

Mangels Spruchreife erweist sich somit die Revision im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages als berechtigt, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen im Rahmen der Anfechtung aufgehoben werden mußten und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E28000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00509.92.0115.000

Dokumentnummer

JJT_19920115_OGH0002_0020OB00509_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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