TE OGH 1992/2/11 11Os148/91

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Veröffentlicht am 11.02.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Februar 1992 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Friedrich, Dr. Reszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kohout als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dietmar J***** wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach dem § 202 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 23.September 1991, GZ 10 Vr 1.176/91-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertretes des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Jerabek, und des Verteidigers Dr. Fetz, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 13.Mai 1969 geborene Dietmar J***** des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach dem § 202 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 3.April 1991 in Graz "außer den Fällen des § 201 StGB" Katja B***** mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie an der Kleidung festhielt, an den Haaren zog und dabei ihre Brüste und ihren Geschlechtsteil betastete.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) im Urteil eine Auseinandersetzung mit dem der inkriminierten Tat vorangegangenen Geschehen, insbesondere damit vermißt, daß er mit dem Tatopfer, seiner ehemaligen Lebensgefährtin, am Tatort (dem Stiegenhaus ihres Wohnhauses) eine längere, harmonisch verlaufene Unterredung führte, beruft er sich auf keinen entscheidungswesentlichen Tatumstand. Ausschließlich sein dieser Unterredung nachfolgendes Verhalten - also ab dem Zeitpunkt, zu dem Katja B***** seinen Zudringlichkeiten erkennbar Widerstand leistete - unterliegt als festgestellte Grundlage des bekämpften Schuldspruchs einer Überprüfung im Nichtigkeitsverfahren.

Dem Beschwerdestandpunkt zuwider bedurfte die von den Tatrichtern zum Ausdruck gebrachte Überzeugung, Katja B***** habe mit ihrer im Vergleich zu den Angaben vor der Polizei "abgeschwächten" Anschuldigung in der Hauptverhandlung den Beschwerdeführer zu entlasten gesucht, als Akt freier, auf dem unmittelbaren persönlichen Eindruck beruhender Beweiswürdigung keiner näheren Begründung; abgesehen davon findet der bekämpfte Schuldspruch selbst in dieser - nur in Nuancen abweichenden - Aussage der genannten Zeugin Deckung.

Soweit der Angeklagte Aktenwidrigkeit der Urteilsbegründung mit dem Argument behauptet, "im gesamten Beweisverfahren finde sich kein Anhaltspunkt für die erstgerichtliche Feststellung, daß er mit der Zeugin B***** im Stiegenhaus einen Beischlaf durchführen wollte", ist ihm - abgesehen davon, daß Aktenwidrigkeit die (vorliegend nicht behauptete) unrichtige oder unvollständige Wiedergabe einer Aussage oder eines anderen Beweismittels voraussetzen würde (Mayerhofer-Rieder3 E 185 ff zu § 281 Z 5 StPO) - zu erwidern, daß die gerügte Annahme dem Urteilssachverhalt gar nicht zu entnehmen, sie vor allem aber für den Schuldspruch nach dem § 202 Abs. 1 StGB nicht wesentlich ist. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nämlich meint, die Annahme der auf Vollziehung eines Geschlechtsverkehrs gerichteten Zielsetzung stehe mit dem Urteilstenor im Widerspruch, der nur die Nötigung zu einer geschlechtlichen Handlung, nicht aber die versuchte Nötigung zum Beischlaf zum Inhalt habe, vernachlässigt er, daß dieser "Widerspruch" im angefochtenen Urteil auf einen Bereich beschränkt bleibt, der den Schuldspruch nach dem § 202 Abs. 1 StGB nicht berührt, die Annahme der gewaltsam herbeigeführten Duldung einer geschlechtlichen Handlung aber mängelfrei begründet ist. Der aufgezeigte Widerspruch betrifft demnach keine entscheidungswesentliche Tatsache und ist daher auch nicht geeignet, Urteilsnichtigkeit zu begründen.

Mit dem Einwand schließlich, die Urteilsannahme einer Betastung des Geschlechtsteils der Zeugin B***** lasse sich mit der eine solche Berührung nur oberhalb der Unterhose behauptenden Darstellung der Betroffenen nicht in Einklang bringen, macht der Angeklagte erneut keinen entscheidungswesentlichen Tatumstand geltend. Auch die durch Bezugnahme auf die Aussage der Katja B***** (S 47) hinlänglich festgestellte, wenngleich nicht ausdrücklich hervorgehobene - nicht bloß flüchtige - mittelbare Kontaktierung des Geschlechtsteils der Zeugin über der Unterhose entspricht nämlich nach gesicherter Rechtsprechung dem in § 202 StGB normierten Gesetzesbegriff der geschlechtlichen Handlung (vgl. zuletzt 12 Os 109/89, 11 Os 37/90, so auch Pallin in WK Rz 7 zu § 203 aF StGB).

Der in der Rechtsrüge (Z 9 lit. a) vorweg erhobene Vorwurf der "gänzlich verfehlten rechtlichen Beurteilung" nimmt erneut darauf Bezug, daß der im Betasten des Geschlechtsteils der Katja B***** gelegene geschlechtliche Mißbrauch nach Überzeugung der Tatrichter vom - nicht zum Ziel gelangten - Vorsatz des Beschwerdeführers getragen war, die Frau letztlich zur Duldung eines Geschlechtsverkehrs zu nötigen. Die Rüge fehlender Feststellung diesbezüglicher Tathandlungen negiert abermals den dem Angeklagten unmißverständlich eine Nötigung nur zu einer geschlechtlichen Handlung "außer den Fällen des § 201 StGB" anlastenden Schuldspruch. Mit diesem Vorbringen ist der genannte materiellrechtliche Nichtigkeitsgrund daher ebensowenig prozeßordnungsgemäß dargestellt wie mit der Behauptung fehlender Feststellung eines auf geschlechtliche Nötigung abzielenden Tätervorsatzes. Den Feststellungen des angefochtenen Urteiles ist nämlich mit hinlänglicher Deutlichkeit zu entnehmen, daß der Angeklagte, der nach - insoweit nicht relevanter - Auffassung der Tatrichter mit dem Vorsatz handelte, Katja B***** letztendlich zur Duldung des Geschlechtsverkehrs zu nötigen, in seinen Vorsatz jedenfalls auch die Nötigung zur Duldung sexualbezogener Handlungen aufnahm (US 1, 3 und 5).

In gleicher Weise versagen auch die weiteren Einwände, mit denen der Beschwerdeführer dem Erstgericht eine unrichtige Auslegung der Gesetzesbegriffe "Gewalt" und "geschlechtliche Handlung" iS des § 202 Abs. 1 StGB vorwirft. In Übereinstimmung mit dem Beschwerdevorbringen ist dazu vorweg festzuhalten, daß nur die zur Duldung der inkriminierten geschlechtlichen Handlung führende, nicht aber die nachfolgende, die Verhinderung der Flucht des Opfers anstrebende Gewalttätigkeit einer Prüfung auf ihre Eignung als taugliches Mittel zur Verwirklichung des in Rede stehenden Tatbestandes zu unterziehen ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich aber der Rechtsstandpunkt des Erstgerichtes als richtig: Unter "Gewalt" ist nach ständiger Judikatur die Anwendung jeder nach Lage des Falles überlegenen und zur Beugung bzw. Beseitigung des tatsächlich oder zu erwartenden Widerstandes des Opfers geeigneten physischen Kraft zu verstehen, wobei unter Umständen schon das bloße Festhalten einer Person genügen kann (Leukauf-Steininger2, RN 24 zu § 74 StGB; Pallin in WK Rz 2 d zu § 202 StGB, Ergänzungsheft iVm Rz 9 ff zu § 74 Z 5 StGB). Daß diese Gewalt "einen höheren Grad an Intensität" erreichen muß bzw. "eine nicht als schwer zu bezeichnende Gewalt nicht ausreicht", läßt sich hingegen dem Gesetz nicht entnehmen. Die diese Prämisse reklamierende Beschwerdebehauptung beruht, wie schon das unzweifelhaft auf den Tatbestand nach § 201 Abs. 1 StGB Bezug nehmende Beschwerdezitat zeigt, offenkundig auf der rechtsirrigen Annahme, daß auch die Verwirklichung des im ersten Absatz des § 202 StGB normierten Tatbestandes in gleicher Weise wie § 201 Abs. 1 StGB die Anwendung eines höhergradigen willensbeugenden Mittels voraussetzt. Dem aufgezeigten Bedeutungsinhalt des Begriffs der (einfachen) Gewalt im Sinn des § 202 Abs. 1 StGB werden die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Tatmodalitäten aber gerecht. Der Beschwerdeführer hat durch Festhalten der schon den vorangegangenen Annäherungsversuch abwehrenden Frau gerade jenes Maß an Kraft zum Einsatz gebracht, das zum Erreichen des im Betasten des Geschlechtsteils gelegenen primären Angriffszieles erforderlich war.

In Ansehung des Tatbestandsmerkmals der "geschlechtlichen Handlung" ist dem Beschwerdeführer zunächst erneut Recht zu geben, wenn er darauf hinweist, daß dieser durch die Strafgesetznovelle 1989 eingeführte Begriff den Strafbarkeitsbereich im Verhältnis zum bis dahin geltenden Recht nicht ausweiten sollte (Foregger-Serini, StGB5, Erl. III zu § 202); nicht anders als der - für andere Strafbestimmungen weiterhin aktuelle - frühere Unzuchtsbegriff setzt auch die geschlechtliche Handlung einen Mißbrauch voraus, bei dem zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper der jeweils anderen Person in eine nicht bloß flüchtige, sexualbezogene Berührung gebracht werden. Maßgebliches Abgrenzungskriterium zur strafrechtlich nicht erfaßten bloßen Zudringlichkeit ist, daß der Täter eine - nach den Wertmaßstäben eines sozial integrierten Durchschnittsmenschen - unzumutbare, sozial störende Rechtsgutsbeeinträchtigung im sexuellen Bereich setzt (vgl. Pallin, WK, Rz 4 zu § 202 StGB Ergänzungsheft). Davon ausgehend haftet der vom Beschwerdeführer in Frage gestellten Subsumtion aber kein rechtlicher Fehler an, weil es außer Zweifel steht, daß das keinesfalls nur flüchtige - siehe dazu die den bezughabenden Urteilsfeststellungen zugrundeliegenden Einlassungen der Zeugin Katja B***** AS 10, 37 - Betasten des Geschlechtsteiles gegen ihren durch tätlichen Widerstand demonstrierten Willen von jedermann, der sozial integriert ist, als unerträglich empfunden wird. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang die ehemalige Lebensgemeinschaft mit dem Tatopfer hervorhebt, genügt der Hinweis auf die - durch die schon genannte Strafgesetznovelle 1989 - geänderte Rechtslage, derzufolge das inkriminierte Verhalten auch in aufrechter Ehe oder außerehelicher Lebensgemeinschaft - wenngleich unter anderen Verfolgungsvoraussetzungen - pönalisiert ist.

Der zur Gänze unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde war daher ein Erfolg zu versagen.

Aber auch die Berufung ist unbegründet.

Das Erstgericht hat bei der Strafbemessung als erschwerend keinen Umstand, als mildernd die Unbescholtenheit des Angeklagten, sein Alter unter 21 Jahren und das Naheverhältnis zum Opfer gewertet und auf Grund dieser Strafzumessungsgründe eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen für tatschuldangemessen angesehen. Die Höhe des einzelnen Tagessatzes wurde mit 100 S festgesetzt.

Was zunächst die Zahl der Tagessätze betrifft, so hat die Berufung keine vom Erstgericht unberücksichtigt gelassenen Milderungsgründe aufgezeigt. Ausgehend von der Strafdrohung des § 202 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren) hat das Erstgericht dem Gewicht der Milderungsgründe dadurch ausreichend Rechnung getragen, daß es unter Anwendung der Bestimmung des § 37 Abs. 1 StGB eine tatschuldangemessene Geldstrafe verhängt hat, die schon deshalb als maßvoll bezeichnet werden muß, weil Dietmar J***** bereits am 13.Mai 1990 das 21.Lebensjahr vollendete, sodaß der Milderungsgrund des § 34 Z 1 StGB zu Unrecht angenommen wurde. Zu einer Herabsetzung der Zahl der Tagessätze bestand demnach kein Anlaß.

Die von der Berufung begehrte bedingte Nachsicht der Geldstrafe war hinwieder mit Rücksicht darauf nicht indiziert, daß angesichts der geringeren Effektivität dieser Strafart bei der Gewährung der bedingten Strafnachsicht für Geldstrafen ein weitaus strengerer Maßstab anzulegen ist (siehe 9 Os 143/76). Die tatabhaltende, rückfallshemmende Wirkung einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe ist bedeutend geringer als die einer (wenn auch nur angedrohten) Freiheitsstrafe. Auf Grund dieser Erwägungen ist mit der bedingten Nachsicht einer Geldstrafe nur dann vorzugehen, wenn der Unrechts- und Schuldgehalt der Straftat bloß ein Ausmaß erreichen, das die Abgeltung der Tat durch Ausspruch einer Unrechtsfolge mit relativ geringem Strafwert rechtfertigt oder aber die Geldstrafe in ihrem Ausmaß an Tagessätzen eine derartige Höhe erreicht, daß die bloße Androhung eines Vollzuges bereits deswegen straftatverhindernd wirken kann (vgl. dazu Mayerhofer-Rieder StGB3, E 29 b ff zu § 43). Beides ist beim vorliegenden Sittlichkeitsdelikt nicht der Fall.

Schließlich wurde auch die Höhe des einzelnen Tagessatzes vom Erstgericht zutreffend bemessen. Unbeschadet der Tatsache, daß der Angeklagte zum Zeitpunkt des Urteils erster Instanz Arbeitslosenunterstützung in der Höhe von (nur) 2.900 S monatlich bezog, ist bei der Beurteilung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (§ 19 Abs. 2 StGB) auch von den potentiellen Verdienstmöglichkeiten in seinem Beruf bei zumutbarer Erwerbstätigkeit auszugehen (siehe dazu Mayerhofer-Rieder StGB3 ENr. 16 ff zu § 19 StGB). Das Erstgericht durfte daher von dem vom Angeklagten unmittelbar vor Bezug der Arbeitslosenunterstützung erzielten Nettoeinkommen ausgehen, weil für ihn bei entsprechender Anspannung jedenfalls ein Einkommen in dieser Höhe erzielbar gewesen wäre.

Aus diesen Gründen war daher auch der Berufung kein Erfolg beschieden.

Die Kostenentscheidung ist in der angegebenen Gesetzesstelle begründet.

Anmerkung

E28206

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0110OS00148.91.0211.000

Dokumentnummer

JJT_19920211_OGH0002_0110OS00148_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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