TE OGH 1992/2/25 10ObS314/91

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Veröffentlicht am 25.02.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Herbert Vesely (Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Arnold M*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30.Juli 1991, GZ 12 Rs 75/91-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. März 1991, GZ 20 Cgs 143/90-10, abgeändert wurde in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 11.6.1990 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 12.3.1990 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab.

Die auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß ab 1.4.1990 gerichtete Klage stützt sich im wesentlichen darauf, daß der am 2.10.1933 geborene Kläger vor allem wegen eines Bandscheibenschadens und der dadurch ausgelösten langen Krankenstände seine seit 28.12.1970 ausgeübte Tätigkeit als Vertragsbediensteter eines Finanzamtes in der Entlohnungsgruppe c, und zwar bis vor drei Jahren in der Veranlagung, seither im Bewertungsreferat, nicht mehr ausüben könne und daher berufsunfähig iS des § 273 Abs 3 ASVG sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1.4.1990 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und trug eine vorläufige Zahlung von monatlich 5.000 S auf.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen ist der Kläger seit Dezember 1970 als vollbeschäftigter Vertragsbediensteter beim Finanzamt Salzburg-Stadt tätig, und zwar "zuletzt" in der Entlohnungsgruppe c. Er war zunächst in der Kasse, dann in der Veranlagungsabteilung und seit etwa 3 Jahren im Bewertungsreferat eingesetzt. Er verrichtet überwiegend Schreibtischarbeit, die vom Herbeischaffen der Akten unterbrochen wird, wobei er sich fallweise bücken oder auf Leitern steigen muß. Im Jahre 1989 war er 44 Arbeitstage, im Jahre 1990 86 Arbeitstage krankheitsbedingt vom Dienst abwesend. Wegen des mindestens seit März 1990 bestehenden, näher festgestellten Gesundheitszustandes kann der Kläger während der täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden mit den üblichen Unterbrechungen leichte Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen im Freien und in geschlossenen Räumen leisten, wobei Unterkühlungen und Durchnässungen vermieden werden müssen. Das Heben und Tragen von bis zu 5 kg schweren Lasten ist zumutbar, Bückbelastungen sollten jedoch möglichst nur gelegentlich erfolgen. Die Anmarschwege zur Arbeitsstätte sind nicht eingeschränkt.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes sei der Kläger wegen der langen Dauer der bisherigen Krankenstände berufsunfähig.

Dagegen erhob die beklagte Partei Berufung, in der sie die Abänderung des erstgerichtlichen Urteils im klageabweisenden Sinne, allenfalls die Aufhebung und Zurückverweisung beantragte. Unter den benannten Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache machte sie geltend, weil der Sachverständige für Orthopädie keine Prognose über die zu erwartenden Krankenstände habe stellen können, hätte ihn das Erstgericht darüber befragen müssen, mit welchen zukünftigen Krankenständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen sei. Die Feststellung künftig zu erwartender Krankenstände könne nur von Medizinern getroffen werden. Eine Berücksichtigung von vergangenen Krankenständen bei der Beurteilung künftiger Leidenszustände sei unzulässig. Im übrigen sei wegen der mangelnden Krankenstandsbegründungen eine Zuordnung der bereits aufgetretenen Krankenstände zu den von den Sachverständigen festgestellten körperlichen Leiden durch das Gericht gar nicht möglich. Das Erstgericht habe keine Feststellungen darüber getroffen, inwieweit der Kläger wegen der medizinischen Einschränkungen seine bisherige Tätigkeit oder allenfalls artverwandte Tätigkeiten ausüben könne. Ein berufskundlicher Sachverständiger sei nicht beigezogen worden. Weil das Verfahren mit einem derart gravierenden Mangel behaftet sei, habe keine richtige rechtliche Beurteilung erfolgen können. Schließlich bekämpfte die beklagte Partei auch die erstgerichtliche Kostenentscheidung.

Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil im klageabweisenden Sinne ab, weil es die gehörig ausgeführte Rechtsrüge als im Ergebnis berechtigt erachtete. Der Kläger könne seine an sich als leichte Arbeit einzustufende Schreibtischtätigkeit noch ausüben. Bückbelastungen seien ihm nicht generell verboten, sondern sollten nur gelegentlich erfolgen. Da er nur Lasten über 5 kg nicht tragen könne, könne er neben seiner Arbeit am Schreibtisch auch für das Zu- und Abtragen der Akten sorgen, zumal er schwerere Aktenpakete teilen könnte. Die stRsp bejahe, wenn die zu erwartenden leidensbedingten Krankenstände jährlich 8 Wochen erreichten, einen Ausschluß vom Arbeitsmarkt nicht nur deshalb, weil der Versicherte vielleicht keinen Arbeitsplatz finde, sondern vor allem deswegen, weil die Gefahr einer Kündigung bestehe (SSV-NF 4/40). Letzteres sei jedoch beim Kläger nicht zu befürchten, weil er nach wie vor beim Finanzamt als Vertragsbediensteter beschäftigt sei und wegen seiner Krankenstände deshalb nicht gekündigt werden könne, weil das krankheitsbedingte Fernbleiben vom Dienst auf keinem Verschulden beruhe und daher keinen Kündigungsgrund darstelle (JBl 1966, 575). Erst unter den Voraussetzungen des § 24 Abs 9 VBG (mindestens einjähriger Krankenstand) oder beim Eintritt der dauernden Dienstunfähigkeit (§ 32 Abs 2 lit b leg cit) könne es zu einer Auflösung des Dienstverhältnisses kommen. Solange jedoch das Dienstverhältnis unverändert aufrecht sei und nicht einmal die Gefahr einer Kündigung bestehe, könne von einer einzig und allein auf zukünftig zu erwartende Krankenstände beruhenden Erwerbsunfähigkeit nicht gesprochen werden. Da die Rechtsrüge schon ausgehend vom unbekämpften Sachverhalt begründet sei, habe sich ein Eingehen darauf, wie mangelhaft die Feststellungen zur Zukunftsprognose seien, erübrigt.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt.

Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 14.1.1992, 10 Ob S 361/91, die Rechtsansicht, daß auch das vorauszusehende Auftreten leidensbedingter Krankenstände von acht Wochen keinen Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt bewirken würde, weil die damalige Klägerin, eine Angestellte eines Sozialversicherungsträgers, nach ihrem Dienstvertrag keine Kündigung zu befürchten hätte, mit eingehender Begründung abgelehnt. Daß ein Versicherter unter den Bedingungen eines für ihn besonders günstigen Arbeitsvertrages, in dessen Rahmen die letzte Tätigkeit geleistet wurde, in der Lage wäre, weiterhin tätig zu sein, diese Tätigkeit jedoch unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr verrichten könnte, stehe der Annahme der Berufsunfähigkeit nicht entgegen. Es sei vielmehr ausgehend von den Kenntnissen und Fähigkeiten, durch die die letzte Angestelltentätigkeit geprägt gewesen sei, zu prüfen, ob der Versicherte diese Tätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes weiter ausüben könne. Daher sei auch für die Lösung der Frage, ob ein Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen sei, an die Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes anzuknüpfen, wobei besondere, den Versicherten begünstigende oder benachteiligende Bestimmungen des der letzten Tätigkeit zugrunde liegenden Arbeitsvertrages außer Betracht zu bleiben hätten. Ansonsten käme man zu einem auf einen bestimmten Arbeitsplatz bezogenen Berufsschutz, der dem Begriff der Berufsunfähigkeit im Sinn des § 273 ASVG widersprechen würde.

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist es daher auch für die Berufsunfähigkeit des Klägers nicht entscheidend, ob und unter welchen Umständen sein privatrechtliches Dienstverhältnis zum Bund nach dem Vertragsbedienstetengesetz beendet werden kann.

Es kommt vielmehr darauf an, ob der Kläger durch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende leidensbedingte Krankenstände vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, was vom erkennenden Senat bei einer voraussichtilchen Krankenstandsdauer von acht Wochen bejaht wurde (SSV-NF 3/152, 4/40 ua).

Aus den genannten Gründen wäre im Hinblick darauf, daß die Berufsunfähigkeitspension ab dem Stichtag 1.4.1990 begehrt wird, insbesondere auch festzustellen, in welcher Dauer beim Kläger bei Ausübung einer seiner eingeschränkten Arbeitsfähigkeit entsprechenden Tätigkeit seit dem Stichtag und in Zuunft mit hoher Wahrscheinlichkeit Krankenstände zu erwarten waren und sind.

Allenfalls wären auch genauere Feststellungen über die Art und Dauer der Tätigkeit des Klägers während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag erforderlich, um verläßlich beurteilen zu können, ob die Voraussetzung des § 273 Abs 3 ASVG vorliegt.

Wegen dieser Feststellungsmängel war der Revision Folge zu geben, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E28436

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00314.91.0225.000

Dokumentnummer

JJT_19920225_OGH0002_010OBS00314_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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