TE OGH 1992/2/26 2Ob60/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.02.1992
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Zehetner, Dr. Niederreiter und Dr. Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang S*****, vertreten durch Dr. Franz Kreibich, Dr. Alois Bixner, Dr. Erwin Demoster und Dr. Heinrich Schellhorn, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1.) Martin G*****, und

2.) *****Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** beide vertreten durch Dr. Ernst Blanke, Rechtsanwalt in Hallein, wegen 700.799,18 S sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 11. September 1991, GZ 1 R 113/91-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 6. Februar 1991, GZ 11 Cg 134/89-30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das erstinstanzliche Urteil zur Gänze wieder hergestellt wird. Der Kläger ist weiters schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von 42.327,78 S (darin 198,-- S an Barauslagen und 7.021,63 S an Umsatzsteuer) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von 26.473,60 S (darin 10.000,-- S an Barauslagen und 2.745,60 S an Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 15. 8. 1987 ereignete sich auf dem Salzburgring ein Unfall, an dem der Kläger mit seinem Motorrad *****und der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Motorrad ***** beteiligt waren. Dabei wurden beide Fahrer verletzt und ihre Motorräder beschädigt.

Der Kläger begehrte von den Beklagten den Ersatz des ihm bei diesem Unfall entstandenen Schadens in der Höhe von (zuletzt rechnerisch richtig) 700.799,18 S sA (Schmerzengeld von 450.000,-- S, Verunstaltungsentschädigung in der Höhe von 100.000,-- S, Verdienstentgang von 82.447,76 S, Fahrzeugschaden von 37.742,11 S, Kleiderschaden von 7.810,-- S sowie Fahrtkosten/Spesen in der Höhe von 22.799,31 S) und die Feststellung der allgemeinen Haftung der Beklagten für alle seine künftigen Schäden aus diesem Unfall. Er, der Kläger, sei am Ende der Boschkurve in einer Linkskurve vom Erstbeklagten rechts überholt worden; dabei habe der Erstbeklagte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und sei vom Motorrad abgeschleudert worden. Das Motorrad sei in seine Fahrlinie geschlittert, wodurch er zum Sturz gekommen sei. Der Erstbeklagte habe daher den Unfall allein verschuldet und dieses Verschulden auch zugegeben.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei zunächst auf der rechten Fahrbahnhälfte gefahren, weshalb ihn der Erstbeklagte links - also in der Kurveninnenseite - habe überholen wollen. Völlig unvorhergesehen habe der Kläger jedoch sein Motorrad nach links gelenkt, die Fahrlinie des Erstbeklagten geschnitten und dadurch dessen Sturz verursacht. Den Kläger treffe zumindest ein Mitverschulden an dem Unfall. Der Erstbeklagte habe ein Verschulden am Unfall nie zugegeben. Schließlich wendeten die Beklagten die Ansprüche des Erstbeklagten auf Schmerzengeld, Kleiderschaden und Fahrzeugschaden "vorsichtshalber" der Klageforderung gegenüber aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es traf über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Salzburgring ist eine etwa 4,2 km lange Rennstrecke, die nur in einer Richtung als Einbahn im Uhrzeigersinn befahren werden durfte. Am Unfallstag war der Salzburgring zur alleinigen Benützung an jedermann freigegeben, der dafür eine entsprechende Gebühr bezahlte. Dafür erhielt der jeweilige Fahrzeuglenker von den Betreibern des Salzburgringes eine Mitgliedskarte mit der Aufschrift "IGM-Salzburgring" ausgefolgt. Sowohl der Kläger als auch der Erstbeklagte lösten eine derartige Mitgliedskarte zur Benützung der Rennstrecke. Diese Mitgliedskarte enthielt auf der Rückseite die "Bahnordnung" in deren Punkt 3. es unter anderem heißt: "Für das Verhalten auf der Strecke gelten die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung. Beachten Sie bitte die Verkehrszeichen und fahren Sie unter allen Umständen auf Sicht ...." Die etwa 10 m breite Fahrbahn des Salzburgringes beschreibt bei Kilometer 3,8 eine Rechtskurve (Boschkurve) und daran anschließend bei Kilometer 3,9 eine Linkskurve. Der Kläger wollte diese Kurven auf der Ideallinie, d.h. jeweils von der Kurvenaußenseite am Beginn zur Kurveninnenseite kurz nach dem Scheitelpunkt und sodann wieder zur Kurvenaußenseite durchfahren, wobei seine Geschwindigkeit nicht bekannt ist. Ob der Kläger die Boschkurve auf der Ideallinie durchfuhr, kann nicht genau festgestellt werden, er befand sich am Scheitelpunkt der Kurve jedenfalls nahe dem rechten Fahrbahnrand. Nach dem Passieren dieser Kurve fuhr der Kläger in die anschließende Linkskurve, um im Scheitelpunkt nahe dem linken Fahrbahnrand zu sein. Ob zu dem Zeitpunkt, als der Kläger begann, den rechten Fahrbahnrand zu verlassen, das Motorrad des Erstbeklagten bei ausreichender Beobachtung des Folgeverkehrs schon sichtbar gewesen wäre, ist nicht feststellbar. Ein sicheres Erkennen nachfolgender Fahrzeuge hätte eine längere Beobachtung bedungen, die der Kläger nicht vornahm. Nachdem der Kläger den Scheitelpunkt der Linkskurve nahe dem linken Fahrbahnrand erreicht hatte, ließ er sich nach rechts aus der Kurve hinaustragen, um wieder zum rechten Fahrbahnrand zurückzukehren. Während dieser Kurvenfahrt achtete er auf den Nachfolgeverkehr nicht. Bei ausreichender Beobachtung des Nachfolgeverkehrs zu einem Zeitpunkt, als er sich in der Boschkurve am rechten Straßenrand befand, hätte der Kläger einem überholenden schnelleren Fahrzeug insofern Rechnung tragen können, als er es hätte unterlassen können, die Ideallinie zu suchen. In diesem Falle hätte er ohne weiteres dem Straßenverlauf folgend am rechten Straßenrand weiterfahren und dadurch eine Gefahrensituation für den nachfolgenden überholenden Erstbeklagten vermeiden können. Als sich der Kläger nach dem Passieren der Linkskurve wieder dem rechten Straßenrand näherte, sah er plötzlich kurz vor sich den rutschenden Körper des Erstbeklagten, versuchte, diesem nach rechts auszuweichen und stieß während des Ausweichmanövers gegen das ebenfalls auf der Fahrbahn rutschende Fahrzeug des Erstbeklagten. Dadurch kam der Kläger selbst zu Sturz.

Der Erstbeklagte entschloß sich, den Kläger links zu überholen, als sich dieser in der Kurveninnenseite der Boschkurve befand. Das wäre bei der eingehaltenen Geschwindigkeit von nicht über 100 km/h ohne Sturzgefahr möglich gewesen. Der weitere Verlauf der Fahrt des Erstbeklagten ist nicht mehr genau rekonstruierbar. Der Erstbeklagte hatte bereits zum Überholen angesetzt, als der Kläger sein Fahrzeug nach der Boschkurve allmählich nach links zog. Es ist nicht auszuschließen, daß er sich zu diesem Zeitpunkt dem Motorrad des Klägers bereits soweit genähert hatte, daß es ihm auch bei sofortiger Einleitung eines Bremsmanövers nicht mehr möglich gewesen wäre, eine Kollision zu vermeiden. In diesem Fall war es fahrtechnisch richtig, zu versuchen, nach rechts auszuweichen, wie es der Erstbeklagte tat. Da der Kläger, der noch nicht bemerkt hatte, daß ihn der Erstbeklagte gerade überholte, sein Fahrzeug wieder nach rechts lenkte, ist nicht auszuschließen, daß er dadurch wiederum in die Fahrlinie des Erstbeklagten geriet und diesen zum Bremsen veranlaßte, was schließlich dazu führte, daß das Fahrzeug des Erstbeklagten instabil wurde und umstürzte. Ein fahrtechnisches Fehlverhalten des Erstbeklagten beim Überholversuch ist jedenfalls nicht feststellbar.

Das Erstgericht traf dann noch im einzelnen Feststellungen über Art und Umfang der Verletzungen des Klägers und des Erstbeklagten bei diesem Unfall, die damit verbundenen Heilungsverläufe, die Schmerzen, die beide Teile dabei erleiden mußten, und die beim Kläger verbliebenen Dauerfolgen sowie den Verdienstentgang des Klägers. Schließlich stellte es noch fest, daß der Erstbeklagte nach dem Unfall kein Schuldanerkenntnis abgegeben hat.

Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes ging das Erstgericht davon aus, daß sich der Kläger sowie der Erstbeklagte durch die Lösung der Mitgliedskarte schlüssig der auf der Rückseite abgedruckten Bahnordnung unterworfen hätten. Danach hätten die Bestimmungen der StVO gegolten. Dem Kläger sei anzulasten, daß er nach dem Passieren der Boschkurve versucht habe, in Annäherung an die Ideallinie die anschließende Linkskurve zu schneiden und den nach der Straßenverkehrsordnung zum Befahren vorgesehenen rechten Straßenrand zu verlassen. Da er dies auch getan habe, ohne sich zu vergewissern, daß nicht etwa nachkommende Fahrer gerade im Begriff gewesen seien zu überholen, habe er eine besondere Gefahrensituation geschaffen. Dieser Verstoß gegen eine Schutznorm sei dem Kläger als Verschulden anzulasten. Der Beweis, daß den Erstbeklagten ein Mitverschulden am Unfall treffe, sei dem Kläger nicht gelungen. Dabei gingen unaufgeklärte Umstände zu Lasten des Klägers. Der Erstbeklagte habe darauf vertrauen dürfen, daß der Kläger auch im weiteren Verlauf seiner Fahrt sich an die Regeln der StVO halten, zumindest vor dem Verlassen des rechten Fahrbahnrandes den Nachfolgeverkehr beobachten werde. Das Rechtsvorbeifahren am Motorrad des Klägers habe ein erzwungenes Ausweichen sein können. Dem Erstbeklagten sei daher kein Verschulden nachzuweisen, sodaß das Klagebegehren abzuweisen gewesen sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es - von einem gleichteiligen Verschulden beider Motorradlenker ausgehend - die Klageforderung mit 350.399,59 S als zu Recht bestehend und mit 352.131,99 S als nicht zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung des Erstbeklagten mit 23.377,80 S als zu Recht bestehend und mit 30.377,80 S als nicht zu Recht bestehend erkannte und dem Kläger den Betrag von 327.021,79 S samt stufenweisen Zinsen zusprach. Außerdem stellte es fest, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand dem Kläger zur Hälfte für alle künftigen Schäden aus dem gegenständlichen Unfall hafteten, wobei es die Haftung der Zweitbeklagten auf die Versicherungssumme des zwischen ihr und dem Erstbeklagten abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrages beschränkte. Das darüber hinausgehende Leistungs- und Feststellungsmehrbegehren wies es ab. Schließlich sprach es aus, daß die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und nahm zu der in der Berufung erhobenen, vor allem zur Frage der Anwendbarkeit der Regeln der StVO ausgeführten Rechtsrüge im wesentlichen wie folgt Stellung:

Bei den Publikumsfahrten auf dem Salzburgring handle es sich zwar um keine Rennveranstaltung, die Rennstrecke sei jedoch für den übrigen Verkehr gesperrt gewesen und habe nur von den Teilnehmern befahren werden dürfen, die sich eine Mitgliedskarte gegen Entgelt gelöst hätten. Gemäß § 1 Abs 2 StVO seien die Teilnehmer daher grundsätzlich nicht zur Einhaltung der in der Straßenverkehrsordnung normierten Verkehrsregeln gehalten gewesen. Auch wenn die von der Betreiberin der Rennstrecke auf der Rückseite der Mitgliedskarte abgedruckte Bahnordnung vorsieht, daß für das Verhalten auf der Strecke die Bestimmungen der StVO gelten, stünde es mit den tatsächlichen Gegebenheiten und mit dem mit solchen Publikumsfahrten verfolgten Zweck im Widerspruch, würden diese Bestimmungen uneingeschränkt gelten. So könne es als offenkundige Tatsache angesehen werden (§ 269 ZPO), daß die Motorradfahrer in der Regel die Strecke deshalb befahren, um ihre fahrerischen Fertigkeiten und die Leistungsfähigkeit ihrer Motorräder zu erproben und dabei auch die sogenannte Ideallinie wählen, weil nur auf dieser Kurven mit höheren Geschwindigkeiten durchfahren werden könnten. Würden die Teilnehmer an derartigen Publikumsfahrten nicht diese Absicht verfolgen, könnten sie auch auf Straßen mit öffentlichem Verkehr fahren. Es werde daher niemand ernsthaft annehmen, bei Publikumsfahrten würden die Bestimmungen des § 20 Abs 2 StVO über die Fahrgeschwindigkeit, des § 7 StVO über das Rechtsfahrgebot oder der §§ 11 und 12 StVO über den Fahrstreifenwechsel zu beachten sein. Wohl werde aber das höhere Maß erlaubter Gefährdung eine erhöhte Beherrschung der vorzunehmenden Tätigkeiten unter Anwendung des im § 1299 ABGB normierten Sorgfaltsmaßstabes verlangen (vgl. Reischauer in Rummel Komm zum ABGB Rz 9 zu § 1297; ZVR 1990/116). Die grundsätzlichen Regeln der StVO, daß kein Verkehrsteilnehmer den anderen gefährden dürfe, würden auch von den Teilnehmern von Publikumsfahrten zu beachten sein. Wende man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so treffe beide Beteiligte ein Verschulden am Unfall. Der Kläger habe die Kurvenkombination annähernd auf der Ideallinie durchfahren wollen und dabei eine für den Fahrbahnverlauf und die fahrerischen Möglichkeiten eher geringe Geschwindigkeit eingehalten. Das ergebe sich daraus, daß ihn der Erstbeklagte mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h habe überholen wollen und es sich dabei nach dem Sachverständigengutachten keineswegs um die erreichbare Höchstgeschwindigkeit gehandelt habe. Auch wenn der Kläger grundsätzlich die Ideallinie habe befahren dürfen, hätte er sich bei dem von ihm geforderten erhöhten Sorgfaltsmaßstab davon überzeugen müssen, ob dies ohne Gefährdung anderer Motorradfahrer möglich gewesen sei. Hätte der Kläger den Nachfolgeverkehr durch einen längeren Blick nach rückwärts beobachtet, als er sich an der Kurveninnenseite der Boschkurve befunden habe, hätte er nach den Feststellungen den mit erheblich höherer Geschwindigkeit nachfolgenden Erstbeklagten wahrnehmen können, am rechten Fahrbahnrand weiterfahren müssen und nicht nach links lenken dürfen, um eine gefährliche Situation in der anschließenden Linkskurve zu vermeiden. Sein Verschulden liege darin, daß er nicht auf andere, möglicherweise schnellerfahrende Benützer der Rennstrecke geachtet habe. Der Erstbeklagte habe eine wesentlich höhere Geschwindigkeit als der Kläger eingehalten. Als nachfolgender Fahrer habe er den Kläger im Blickfeld gehabt. Er hätte beim beabsichtigten Überholen in Betracht ziehen müssen, daß der Kläger die Kurvenkombination auf der Ideallinie durchfahren und daher am Ausgang der Boschkurve nach links lenken werde. Daß er damit gerechnet habe, ergebe sich selbst aus seiner Aussage, in der er gemeint habe, der Kläger habe nach der Boschkurve zu spät nach links gezogen. Die Ideallinie wäre gewesen, schon früher nach links zu fahren (PV des Erstbeklagten S.9 in ON 10). Unter diesen Umständen habe für den Erstbeklagten bei der von ihm gleichfalls geforderten erhöhten Sorgfalt und Aufmerksamkeit erkennbar sein müssen, daß es bei Durchführung des Überholmanövers zu einer Kollisionsgefahr kommen könnte. Daß er dennoch nicht davon Abstand genommen habe, sei ihm als Verschulden anzulasten. Es treffe nicht zu, wie die beklagten Parteien in der Berufungsbeantwortung ausführten, daß der Kläger in erster Instanz dazu kein Vorbringen erstattet hätte. Es sei zwar richtig, daß sich die Prüfung eines behaupteten Verschuldens des Unfallsgegners auf jene tatsächlichen Umstände zu beschränken habe, die im Verfahren erster Instanz behauptet worden seien (ZVR 1981/8 ua). Die rechtserzeugenden Tatsachen könnten sich allerdings auch schlüssig aus dem übrigen Tatsachenvorbringen ergeben, sodaß dann das Fehlen einer ausdrücklichen Behauptung nicht schade (vgl. 8 Ob 37/85 ua). Der Kläger werfe dem Erstbeklagten in erster Instanz ausdrücklich ein Fehlverhalten beim Überholen vor. Darunter fielen schlüssig auch Aufmerksamkeitsfehler, die im Zusammenhang mit dem Überholvorgang stünden.

Beiden unfallsbeteiligten Motorradfahrern sei somit vorzuwerfen, daß sie die von ihnen geforderte Aufmerksamkeit nicht beachtet hätten und es deshalb zum Unfall gekommen sei. Da aber die Sorgfaltsverletzung keines der Beteiligten entscheidend überwiege, sei eine Verschuldensteilung von 1 : 1 berechtigt. Der Kläger habe daher Anspruch auf Ersatz der Hälfte des ihm entstandenen Schadens. Dabei stehe der von ihm geltend gemachte Fahrzeugschaden von 37.742,11 S, der Kleiderschaden von 7.810 S und der Anspruch auf Ersatz der Fahrtkosten bzw. Spesen in der Höhe von 22.799,31 S der Höhe nach außer Streit. Was die Höhe des Schmerzengeldanspruches des Klägers anlange, so sei davon auszugehen, daß er im Sinne des § 1325 ABGB Anspruch auf ein den Umständen angemessenes Schmerzengeld habe. Dieses Schmerzengeld könne nur nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der körperlichen und seelischen Schmerzen des Verletzten sowie der Art und der Schwere seiner Verletzungsfolgen nach freier Überzeugung des Gerichts global festgesetzt werden (ZVR 1989/203 uva). Ausgehend von diesen Grundsätzen erachtete das Berufungsgericht das vom Kläger begehrte Schmerzengeld von (ungekürzt) 450.000 S als Globalabgeltung angemessen. Im Hinblick auf die beim Kläger zurückgebliebenen Verunstaltungen (Narben, Gehbehinderung infolge der Spreizfußstellung) sei auch der Eintritt eines damit verbundenen Schadens wahrscheinlich, weshalb dem Kläger dafür eine Entschädigung im verlangten Betrag von 100.000 S zustehe. Schließlich erkannte das Berufungsgericht dem Kläger - ausgehend von den Bestimmungen des deutschen Sachrechts - einen Verdienstentgangsanspruch von 5.806,18 DM (41.223,88 S) zu. Da die Möglichkeit künftiger Schäden des Klägers nicht auszuschließen sei, sei auch das Feststellungsbegehren der Schadensteilung entsprechend zur Hälfte berechtigt. Auf Grund der vorgenommenen Schadensteilung habe auch der Erstbeklagte Anspruch auf Ersatz der Hälfte seiner Schäden. Das ihm gemäß § 1325 ABGB zustehende Schmerzengeld sei gemäß § 273 ZPO mit 10.000 S festzusetzen gewesen, weil der Erstbeklagte nur Hautabschürfungen verbunden mit höchstens 1 1/2 Wochen leichten Schmerzen erlitten habe und die Verletzungen folgenlos abgeheilt seien. Der Fahrzeugschaden betrage 31.755,60 S, die vom Erstbeklagten getragene und beim Unfall beschädigte Lederbekleidung habe einen Zeitwert von 5.000 S gehabt. Ungekürzt sei die Höhe der Schadenersatzforderungen des Erstbeklagten mit 46.755,60 S berechtigt, sodaß die eingewendete Gegenforderung mit 23.377,80 S zu Recht und mit 30.377,80 S nicht zu Recht bestehe.

Die beklagten Parteien hätten daher dem Kläger zur ungeteilten Hand 327.021,79 S s.A. zu ersetzen.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß die Beurteilung der Frage, inwieweit im vorliegenden Fall die Bestimmungen der StVO anzuwenden seien, über den gegenständlichen Rechtsstreit hinausgehe.

Gegen dieses Urteil des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne der Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung abzuändern.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen und hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Die Revisionswerber wenden sich mit Recht in erster Linie gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, die unfallsbeteiligten Motorradlenker seien zur Einhaltung der in der StVO normierten Verkehrsregeln nicht verpflichtet gewesen.

Nach § 1 Abs.1 StVO gilt dieses Gesetz für Straßen mit öffentlichem Verkehr. Für Straßen ohne öffentlichen Verkehr gilt es insoweit, als andere Rechtsvorschriften oder die Straßenerhalter nichts anderes bestimmen (§ 1 Abs.2 StVO). Daraus folgt, daß Straßenerhalter einer Straße ohne öffentlichen Verkehr für ihre Straßen zum Zwecke der Regelung und Sicherung des Verkehrs ohne Zweifel auch die Anwendung der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung vorschreiben dürfen. In diesem Sinne waren die Betreiber des "Salzburgrings", die am Unfallstag die Benützung des Rings gegen Bezahlung einer Gebühr ermöglichten, jedenfalls auch berechtigt, im Rahmen einer "Bahnordnung" für das Verhalten auf der Strecke die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung als maßgeblich anzuordnen. Da sowohl der Kläger als auch der Erstbeklagte - wie von den Vorinstanzen ausdrücklich festgestellt wurde - die auf der Rückseite der ihnen anläßlich der Bezahlung der Gebühr für die Benützung des Rings ausgehändigten "Mitgliedskarte" abgedruckten Bestimmungen der "Bahnordnung" zur Kenntnis genommen haben, waren beide Parteien - unabhängig davon, ob der Salzburgring damals als Straße mit öffentlichem Verkehr oder ohne solchen Verkehr anzusehen war - zur Einhaltung der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung verpflichtet. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall grundsätzlich von dem der wiederholt genannten in ZVR 1990/116 veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 5.7.1989, 2 Ob 30/89, zugrundeliegenden Sachverhalt. Eine besondere Belehrung über das am Salzburgring einzuhaltende Fahrverhalten erfolgte damals nicht; insbesondere wurden keine Überhol- oder Sicherheitsregeln erklärt, es hieß vielmehr nur allgemein, daß nicht gegen die Einbahn gefahren werden dürfe und allfällige Defekte an den Motorrädern durch Handzeichen angezeigt werden müssen; es wurden auch keine Geschwindigkeitsbeschränkungen ausgesprochen. Aus der genannten Entscheidung läßt sich daher für den vorliegenden Fall nichts gewinnen.

Waren aber die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung verpflichtend, so kommt dem Umstand, daß sich Benützer des Salzburgrings damals nicht an diese Bestimmungen hielten, rechtlich keine Bedeutung zu. Nach dem für die rechtliche Beurteilung allein maßgeblichen Sachverhalt versuchte der Kläger nach Durchfahren der Boschkurve die anschließende Linkskurve in Annäherung an die - bei Rennen übliche, sogenannte - Ideallinie zu schneiden und verließ entgegen der Bestimmung des § 7 Abs.1 StVO den rechten Fahrbahnrand. Da er es dabei unterließ, sich zu vergewissern, daß nicht etwa nachkommende Fahrer gerade im Begriffe wären, ihn zu überholen, schuf er damit eine besondere Gefahrenlage, zumal er selbst mit einer unter 100 km/h liegenden, bei Rennen, bei welchen die Ideallinie gesucht wird, nicht üblichen Geschwindigkeit gefahren war, und er damit rechnen mußte, von einem anderen, mit zulässiger Geschwindigkeit von 100 km/h fahrenden Kraftfahrzeuglenker überholt zu werden. Der Kläger hat damit gegen die Bestimmungen der §§ 7 Abs.1 und 11 Abs.1 StVO, also gegen Schutzgesetze, verstoßen. Die Vorinstanzen haben dem Kläger daher mit Recht ein Verschulden an dem Unfall angelastet.

Was nun die Frage eines (Mit-)Verschuldens des Erstbeklagten anlangt, so ist davon auszugehen, daß den Kläger dafür die Behauptungs- und Beweislast trifft und unaufgeklärte Umstände zu seinen Lasten gehen. Daß der Erstbeklagte - von der Annahme der Anwendung der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung ausgehend - auf ein verkehrsordnungsgemäßes Verhalten des Klägers nicht vertrauen durfte, wurde im Verfahren erster Instanz vom Kläger nicht behauptet. Das Erstgericht ist daher mit Recht davon ausgegangen, der Erstbeklagte habe annehmen können, der vor ihm fahrende Kläger werde zumindest vor dem Verlassen des rechten Fahrbahnrandes den Nachfolgeverkehr beobachten. Da der Erstbeklagte unter den gegebenen Umständen wohl berechtigt war, den Kläger links zu überholen und es nach den Ergebnissen des Verfahrens nicht auszuschließen ist, daß ihm trotz sofortiger Einleitung eines Bremsmanövers die Vermeidung einer Kollision nicht mehr möglich war, und der Versuch, nach rechts auszuweichen, fahrtechnisch richtig war, ein fahrtechnisches Fehlverhalten ihm beim Überholversuch somit nicht nachgewiesen werden konnte, ist das Erstgericht mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß dem Kläger der Nachweis eines Verschuldens des Erstbeklagten nicht gelungen, somit vom Alleinverschulden des Klägers an dem gegenständlichen Unfall auszugehen ist. Dementsprechend hat das Erstgericht auch zutreffend erkannt, daß es im Hinblick auf das eindeutige Verschulden des Klägers nicht erforderlich ist, den Erstbeklagten im Sinn des § 11 EKHG - die Anwendbarkeit der selbst bei Kraftfahrzeugrennen geltenden (vgl SZ 58/55 = ZVR 1986/6) Bestimmungen dieses Gesetzes ist im Revisionsverfahren nicht strittig, handelte es sich doch um einen Schadensfall beim Betrieb von zum öffentlichen Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeugen (hinsichtlich Unfällen auf Straßen ohne öffentlichen Verkehr; vgl ZVR 1985/51, ZVR 1988/64 ua) - zum Schadensausgleich heranzuziehen. Die Ablehnung einer Haftung des Erstbeklagten für die Unfallsfolgen und damit jedenfalls auch der Zweitbeklagten durch das Erstgericht entspricht somit der Sach- und Rechtslage.

Damit erweist sich aber die Revision als berechtigt, weshalb die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Sinne der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils abzuändern war, und zwar ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf die übrigen in der Revision erhobenen Rechtsrügen einzugehen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E28302

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00060.91.0226.000

Dokumentnummer

JJT_19920226_OGH0002_0020OB00060_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten