TE OGH 1992/3/18 9ObA59/92

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Veröffentlicht am 18.03.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Raimund Kabelka und Margarete Heidinger in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O***** V*****, Elektromonteur, ***** vertreten durch ***** Sekretär der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie, dieser vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wider die beklagte Partei O***** Ärztlich-technische ***** GesmbH, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen S 19.267,02 brutto und S 4.050 netto sA (Streitwert im Rechtsmittelverfahren S 6.847,18 brutto) infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.Oktober 1991, GZ 33 Ra 72/71-19, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes vom 4.Dezember 1990, GZ 18 Cga 61/89-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung unter Einbeziehung des unangefochten gebliebenen Teiles des Ersturteiles zu lauten hat:

"Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger S 19.267,02 brutto und S 4.050 netto samt 4 % Zinsen ab 1.8.1989 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu zahlen und dem Kläger die mit S 1.070 bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz (Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die Beklagte ist ferner schuldig, dem Kläger die mit S 2.175,36 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 362,56 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1.7.1971 bis 17.3.1989 bei der Beklagten als Elektromonteur - zuletzt mit einem Stundenlohn von S 97,50 brutto - beschäftigt. Seit Oktober 1987 arbeitete er ständig auf der Baustelle der Beklagten im Allgemeinen Krankenhaus (AKH). Die Parteien lösten ihr Dienstverhältnis einvernehmlich auf. Nach einem bei der Beklagten beschlossenen Sozialplan gebührt dem Kläger ein 25 %iger Zuschlag zur Abfertigung.

Nach dem einschlägigen Kollektivvertrag für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe (im folgenden: KV) gebührte dem Kläger nach Maßgabe des Punktes VIII Z 6 bis 8 auch eine sog Wegzeitvergütung. Die einschlägigen Bestimmungen lauten wie folgt:

"Wegzeiten

6. Wegzeiten, die in die Arbeitszeit fallen, werden wie Arbeitszeiten bezahlt.

7. Für Wegzeiten außerhalb der Arbeitszeit gebührt der Stundenlohn ohne Zulagen und Zuschläge.

Wird der Arbeitnehmer während jener Wegzeit, die nicht in die Arbeitszeit fällt, als Lenker eines Fahrzeuges beschäftigt, so gebührt ihm Überstundenentlohnung.

Wegzeiten, die nicht in die Arbeitszeit fallen, sind wie folgt zu vergüten:

Bei Entfernungen - Luftlinie - zwischen dem ständigen Betrieb bzw Montagebüro und dem nicht ständigen Arbeitsplatz

von 2 bis 4 km mit 1 Stundenlohn

von 4 bis 7 km mit 1 1/2 Stundenlöhnen und

von mehr als 7 km mit dem Lohn für die tatsächlich aufgewendete

Wegzeit, jedoch mindestens 1 1/2 Stundenlöhne.

....................

Wird der Arbeitnehmer an einem Ort beschäftigt, in dem es eine Betriebsstätte oder ein Montagebüro (Baubüro) gibt, so gilt die für die dortige Betriebsstätte bzw Montagebüro (Baubüro) geltende Wegkreiseinteilung.

Die Wegzeitvergütung gebührt nur in der halben Höhe, wenn der Hin- oder Rückweg in die Arbeitszeit fällt. Steht die Berechnung der Wegzeit aufgrund der "Luftlinie" offensichtlich in einem größeren Widerspruch zur tatsächlich aufgewendeten Wegzeit, so ist betrieblich eine Regelung zu vereinbaren.

Verkehrsmittel

8. Ist bei Beschäftigung außerhalb des ständigen Betriebes ein Verkehrsmittel zu benützen, so hat der Betrieb das Verkehrsmittel zu bestimmen und das Fahrgeld zu bezahlen."

Bis 31.12.1988 bezog der Kläger regelmäßig Wegzeitvergütung. Ab 2.1.1989 erkärte die Beklagte einseitig die "Langzeitmontage im AKH" zum Standort des Unternehmens und stellte die Zahlung der Wegzeitvergütung ein.

Von Jänner bis März 1989 arbeitete der Kläger insgesamt 47,5 Tage auf der Baustelle im AKH; die restlichen Arbeitstage entfielen auf Urlaub (2.1. bis 5.1.89, 9.1.89) und Krankheit bzw Arztbesuch (3.3. und 10.3.89).

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Wegzeitentschädigung

von 71,25 Stunden - also auch für die Urlaubstage, für die Tage

der Erkrankung und für den 6.1.89 (Feiertag) - sowie die

Differenzbeträge, die sich durch die Nichtberücksichtigung der

Wegzeitvergütung bei der Berechnung der Sonderzahlungen, der

Urlaubsentschädigung, der gesetzlichen Abfertigung und der

zusätzlichen Abfertigung auf Grund des Sozialplans ergaben, in

Höhe von insgesamt                         S 19.267,02 brutto

sowie Aufwandsentschädigung in

Höhe von                                   S  4.050,-- netto.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte insbesondere vor, daß dem Kläger die Wegzeit nur für die tatsächlich zurückgelegten Wegzeiten an Arbeitstagen gebühre.

Das Erstgericht sprach dem Kläger S 12.419,84 brutto und S 4.050 netto sA zu und wies das Mehrbegehren von S 6.847,18 brutto sA ab. Es war der Ansicht, daß die Wegzeitvergütung kein Spesen- und Aufwandersatz, sondern ein echtes Entgelt sei, das auch in die Berechnung des Urlaubszuschusses und der Weihnachtsremuneration einzubeziehen sei. Die Wegzeitvergütung sei aber nach der Formulierung des Punktes VIII Z 6 KV nur dann zu zahlen, wenn tatsächlich Wegzeiten anfallen. Während des Urlaubs und des Krankenstandes gebühre eine Wegzeitvergütung daher nicht.

Die Beklagte ließ die Entscheidung des Erstgerichtes im stattgebenden Teil unbekämpft. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist somit nur mehr die Frage der restlichen Wegzeitvergütung des Klägers von Jänner bis März 1989 für die Tage, an denen er infolge Urlaubs, Krankenstands (Arztbesuchs) oder gesetzlichen Feiertags nicht gearbeitet hat, sowie die sich aus dieser Differenz ergebenden Mehrbeträge bei den Sonderzahlungen, dem Urlaubsgeld und der Abfertigung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen den abweisenden Teil des Ersturteils nicht Folge und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Für Wegzeiten außerhalb der Arbeitszeit gebühre nach dem KV der Stundenlohn ohne Zulagen und Zuschläge. Nach Punkt VI Z 6 KV seien Wegzeiten, die nicht in die Arbeitszeit fallen, je nach der Entfernung mit 1 oder 1 1/2-Stunden-Löhnen zu vergüten. Betrage die Entfernung mehr als 7 km, so sei die tatsächlich aufgewendete Wegzeit, jedoch mindestens 1 1/2-Stunden-Löhne zu vergüten. Falle nur der Hin- oder Rückweg in die Arbeitszeit, gebühre die Wegzeitvergütung nur in der halben Höhe. Die Wegzeitvergütung setze daher voraus, daß der Arbeitnehmer den Weg tatsächlich zurückgelegt habe. Das Erfordernis des tatsächlichen Anfalles von Wegzeiten fehle aber im Falle von Urlauben und Krankenständen.

Der Kläger bekämpft diese Entscheidung mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß ihm ein weiterer Betrag von S 6.847,18 brutto sA zugesprochen werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In den vom Kläger zitierten Vorentscheidungen wurde

ausgesprochen, daß die Wegzeitvergütung nicht

Aufwandsentschädigung, sondern Arbeitslohn ist, weil die

einschlägigen Bestimmungen des Kollektivvertrages keinen Zweifel

daran lassen, daß mit der Wegzeitvergütung nicht etwa ein mit der

Arbeitsleistung verbundener finanzieller Aufwand ersetzt wird,

sondern eine von den tatsächlichen Aufwendungen völlig

unabhängige, allein nach der Dauer der zeitlichen Inanspruchnahme

bemessene Vergütung für die Bereitstellung der Arbeitskraft

geleistet werden soll (9 Ob A 17/89 = WBl 1989, 345; 9 Ob A 24/87

= Ind 1988/5, 7; 9 Ob 28/89 = INFAS 1989/6, 23); der

Revisionswerber leitet daraus ab, daß ihm die Wegzeitvergütung nach dem Ausfallprinzip auch für Zeiten des Urlaubs und der Erkrankung gebühre. Der OGH habe auch ausgesprochen, daß die Wegzeitvergütung als Arbeitslohn in die Bemessungsgrundlage für Urlaubszuschuß und Weihnachtsremuneration einzubeziehen sei (9 Ob A 17/89 = WBl 1989, 345). Die Entscheidung des OGH Arb 10.554, auf die das Berufungsgericht verwiesen habe, stehe im Gegensatz zu allen anderen zitierten Entscheidungen. Insbesondere in der Entscheidung 4 Ob 60/83 (RdW 1984, 318 = Arb 10.355) habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß die Wegzeitvergütung als Bestandteil jenes Entgelts zu behandeln ist, auf dessen Fortzahlung der Arbeitnehmer im Krankheits- und Unglücksfall nach Maßgabe des § 2 EFZG Anspruch habe.

Diesen Ausführungen ist im wesentlichen zu folgen.

In der Entscheidung Arb 10.355 = RdW 1984, 317, die den bezüglich der Wegzeitvergütung gleichlautenden Kollektivvertrag für die Eisen- und Metallindustrie betraf, ist der Oberste Gerichtshof, ebenso wie in den oben zitierten Entscheidungen zu dem hier anzuwendenden Kollektivvertrag (Arb 10.554 betraf den Kollektivvertrag für das Tapezierergewerbe) zum Ergebnis gelangt, daß dem Arbeitnehmer mit der Wegzeitvergütung nicht etwa ein mit der Arbeitsleistung verbundener finanzieller Aufwand ersetzt, sondern eine von seinen tatsächlichen Aufwendungen völlig unabhängige, allein nach der Dauer der zeitlichen Inanspruchnahme bemessene Vergütung für die Bereitstellung seiner Arbeitskraft geleistet werden soll. Die "Wegzeitvergütung" unterscheide sich daher grundlegend von den im § 2 Abs 1 des Generalkollektivvertrages vom 2.8.1974 "über den Begriff des Entgelts gemäß § 3 IFZG" (beispielsweise) angeführten Leistungen des Arbeitgebers, welche sämtlich der Abdeckung konkreter Aufwendungen des Arbeitnehmers dienen und daher alle den Begriff des "Spesen-" oder "Aufwandersatzes" unterstellt werden können (so wie im vorliegenden Fall die Fahrgeldvergütung gemäß Punkt VIII Z 8 KV). Der Beurteilung, daß die "Wegzeitvergütung" ein echtes "Entgelt" (im Sinne des Entgeltbegriffes der §§ 2, 3 EFZG) sei, stehe nicht entgegen, daß während einer krankheits- oder unfallbedingten Arbeitsverhinderung keine derartigen Wegzeiten anfielen. Auch die Wegzeitvergütung sei nach dem im § 3 Abs 1 EFZG verankerten Ausfallprinzip insoweit zu zahlen, als sie dem Arbeitnehmer gebührt hätte, wenn keine Arbeitsverhinderung eingetreten wäre. Die Qualifizierung der "Wegzeit" als Entgelt für die Bereitstellung der Arbeitskraft beruht nach dem Willen der KV-Parteien darauf, daß damit der Zeitaufwand für die (regelmäßig zusätzliche) Wegstrecke abgegolten wird, die der Arbeitnehmer zwischen dem "ständigen Betrieb" und dem "nichtständigen Arbeitsplatz" zurücklegen muß, um überhaupt mit der eigentlichen Arbeit beginnen zu können. Es handelt sich dabei nicht um Zeitaufwand für den Weg von der Wohnung zum "ständigen Betrieb", der noch der privaten Sphäre zuzurechnen ist, sondern um zusätzliche Wegzeiten, die auf betrieblichen Erfordernissen, nämlich der Verrichtung der Arbeit auf entfernter liegenden Baustellen, beruhen. Eine solche "Wegzeitvergütung" ist daher auch Bestandteil jenes Entgelts, auf dessen Fortzahlung der Arbeitnehmer im Krankheits- und Unglücksfall nach Maßgabe der Bestimmungen des § 2 EFZG Anspruch hat.

Dasselbe gilt für das Urlaubsentgelt. Gemäß § 6 Abs 3 UrlG ist

für die Urlaubsdauer "in allen anderen Fällen" (das heißt, soweit

§ 6 Abs 2 UrlG nicht in Betracht kommt) das regelmäßige Entgelt zu zahlen. Regelmäßiges Entgelt ist jenes Entgelt, das dem Arbeitnehmer gebührt hätte, wenn der Urlaub nicht angetreten worden wäre. Es gilt daher auch für das Urlaubsentgelt das sogenannte Ausfallprinzip (Cerny Urlaubsrecht5, 135; Arb 10.335; ZAS 1989, 174 (Andexlinger)). Auch für Feiertage erhält der Arbeitnehmer das Entgelt weitergezahlt, das er verdient hätte, wenn die Arbeit nicht wegen des Feiertags ausgefallen wäre (§ 9 Abs 2 ARG).

Eine ungerechtfertigte "Doppelberücksichtigung" der Wegzeiten tritt dadurch nicht ein.

Der Revision ist daher Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO. In zweiter Instanz hat der obsiegende Kläger Kosten nicht verzeichnet.

Anmerkung

E28593

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00059.92.0318.000

Dokumentnummer

JJT_19920318_OGH0002_009OBA00059_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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