TE OGH 1992/4/28 10ObS310/91

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Veröffentlicht am 28.04.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl und Dr. Theodor Zeh (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Aurelia S*****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (Landesstelle Kärnten), 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückersatzes infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Mai 1991, GZ 7 Rs 26/91-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 7. November 1990, GZ 32 Cgs 160/90-6, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 12. Dezember 1983 erkannte die beklagte Partei der Klägerin die Alterspension und einen Kinderzuschuß für den am 21. September 1964 geborenen Sohn Hubert St. zu. Der Kinderzuschuß war als eigener Leistungsbestandteil ausgewiesen. Die Meldebelehrung enthielt den Hinweis, daß der Kinderzuschuß wegen der noch nicht abgeschlossenen Berufsausbildung des Sohnes über das 18. Lebensjahr hinaus bis zur Beendigung dieser Ausbildung weitergebühre und daß das Ende dieser Ausbildung binnen zwei Wochen anzuzeigen sei. Hubert St. beendete seine Berufsausbildung zum Bürokaufmann im Jänner 1984. Er bezog von der beklagten Partei unter der PNr. 613.935-11 eine Waisenpension. In diesem Akt wurde die Beendigung der Berufsausbildung von der Sachbearbeitung registriert und die Waisenpension mit Bescheid vom 30. Dezember 1983 vom 1. Februar 1984 an eingestellt. Aus einem Versehen der Sachbearbeitung unterblieb damals die Einstellung des Kinderzuschusses, den die Klägerin bis Juni 1988 weiterbezog. Die Klägerin meldete der beklagten Partei das Ende der Berufsausbildung ihres Sohnes nicht.

Mit Bescheid vom 24. April 1990 stellte die beklagte Partei fest, daß der Klägerin der Kinderzuschuß vom 1. Februar 1984 an nicht mehr gebühre, forderte den Überbezug von 23.637,10 S unter Berufung auf § 76 GSVG zurück und rechnete die zu Unrecht bezogene Geldleistung unter Berufung auf § 71 GSVG auf.

Die rechtzeitige Klage, deren Begehren zunächst auf "Feststellung, daß die Rückforderung des behaupteten Überbezuges von 23.637,10 S zu Unrecht erfolgt und daher einzustellen sei, und Wiederauszahlung der bereits einbehaltenen Raten" lautete und sodann auf Abstandnahme von der Rückforderung des Kinderzuschusses für die Zeit von Feber 1984 bis Juni 1988 "konkretisiert" wurde, stützt sich im wesentlichen darauf, die Klägerin habe auf ihrem Pensionsauszahlungsbeleg keinen Hinweis auf einen Kinderzuschuß erkennen können und deshalb nicht bemerkt, daß sie diesen weiterhin bezogen habe. Bei ihrer kleinen Pension habe sie auch nicht erkennen können, daß ihr zuviel ausgezahlt worden sei. Sie stehe schon im 7. Lebensjahrzehnt und habe den größten Teil ihres Lebens im landwirtschaftlichen bzw. Gastgewerbebetrieb gearbeitet. Es könne ihr nicht angelastet werden, daß sie daneben keine Zeit gehabt habe, sich mit den komplizierten Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes auseinanderzusetzen. Sie habe den von der beklagten Partei bezogenen Geldbetrag in gutem Glauben als Pensionszahlung betrachtet, entgegengenommen und verbraucht.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Möge der Meldepflichtverletzung wegen der Aktenkundigkeit des Ausbildungsendes im Waisenpensionsakt auch keine Relevanz zukommen, hätte die Klägerin doch wegen der Meldebelehrung im Pensionszuerkennungsbescheid erkennen müssen, daß der über das 18. Lebensjahr hinaus gewährte Kinderzuschuß nach Beendigung der Berufsausbildung des Sohnes nicht mehr gebührte. Auch auf den Pensionsüberweisungsbelegen würden die Leistungsbestandteile auf den Groschen genau ausgewiesen, so daß bei jedem Überweisungsvorgang klar ersichtlich sei, ob und in welcher Höhe ein Zuschuß gewährt werde. Die Klägerin sei daher nicht nur anläßlich der Zuerkennung des Kinderzuschusses, sondern Monat für Monat bis Juni 1988 darüber informiert worden, daß sie einen Kinderzuschuß zu ihrer Pension erhalte. Weil der überbezugsbegründende Sachverhalt bereits im Frühjahr 1984 verwirklicht worden sei, sei § 76 GSVG in der bis 31. Dezember 1985 geltenden Fassung vor der 10. GSVGNov anzuwenden. Der Beginn der Verjährungsfrist nach Abs 2 leg cit sei mit 22. Juni 1988 anzusetzen, als dem Sachbearbeiter der beklagten Partei die unrichtige Leistungserbringung bewußt geworden sei. Von der einschließlich Ausgleichszulage 4.971,20 S betragenden Pension der Klägerin würden vom 1. Mai 1990 monatlich 420 S einbehalten.

Außer Streit gestellt wurde, daß der Kinderzuschuß auf dem Pensionsabschnitt eigens ausgeworfen ist.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, von der Rückforderung des Kinderzuschusses für Hubert St., geboren am 21. September 1964, für die Zeit von Feber 1984 bis Juni 1988 Abstand zu nehmen.

Außer den eingangs wiedergegebenen Feststellungen stellte das Erstgericht noch fest, daß die Klägerin darüber nicht informiert war, ab wann sie den Kinderzuschuß bekomme. Sie dachte auch dann nicht an den Kinderzuschuß, als ihr Sohn berufstätig wurde. Auch den Pensionsabschnitt betrachtete sie nicht so genau. Bei Bezug der Pension schaute sie nicht auf den Pensionsschein. Sie kümmerte sich nur um den Eingang des Geldes. Die Rechtsbelehrung der beklagten Partei über die Mitteilung von Änderungen wurden von der Klägerin nicht gelesen. Wenn sie davon Kenntnis gehabt hätte, dann hätte sie der beklagten Partei den Arbeitsbeginn des Sohnes mitgeteilt.

Nach der Rechtsmeinung des Erstgerichtes lägen eine bewußte Verschweigung von maßgeblichen Tatsachen oder bewußt unwahre Angaben nicht vor, weil die beklagte Partei offiziell von der Beendigung der Berufsausbildung Kenntnis erhalten, diesen Sachverhalt registriert und die Waisenpension des Sohnes der Klägerin eingestellt habe. Wenn damals aus einem Versehen einer Institution wie der beklagten Partei die Einstellung des Kinderzuschusses unterblieben sei, könne man für den Standpunkt der Klägerin Verständnis aufbringen, daß sie sich primär nur um den Eingang des Geldes gekümmert und nicht akribisch die Pensionsabschnitte auf ihren Inhalt geprüft habe und nach Jahren selbständig auf die Idee habe kommen müssen, eine Rechtsbelehrung der beklagten Partei neuerlich zu studieren. Abgesehen davon könne es als gerichtsbekannt gelten, daß Personen, die den größeren Teil ihres Lebens in landwirtschaftlichen bzw. Gastgewerbebetrieben arbeiteten, die gedankliche Ausrichtung mehr auf ihre Berufstätigkeit lenkten, als jeweils allfällige Mitteilungen bzw. Formularinhalte der Sozialversicherung genauestens auf den textlichen Inhalt zu prüfen. Selbst die beklagte Partei meine, daß der Meldepflichtverletzung der Klägerin keine Relevanz zukomme, weil das Ende der Ausbildung des Sohnes in dessen Waisenpensionsakt aktenkundig gewesen sei. Ein Versehen der beklagten Partei könne nicht implizite eine Zahlungspflicht der Klägerin auslösen. Die beklagte Partei hätte es ja in der Hand gehabt, nach Einstellung der Waisenpension auch die Einstellung des Kinderzuschusses zu veranlassen. Überdies sei die Forderung der beklagten Partei verjährt. Da der beklagten Partei bekannt geworden sei, daß wegen der Beendigung der Berufsausbildung des Sohnes dessen Waisenpension einzustellen sei, habe sie auch Kenntnis davon gehabt, daß für ihn kein Kinderzuschuß mehr zustehe.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen, auf Abänderung durch Klageabweisung, allenfalls Aufhebung gerichteten Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß

1. die Klägerin nicht verpflichtet ist, der beklagten Partei den für die Zeit vom 1. Jänner 1986 bis 30. Juni 1988 entstandenen Überbezug an Kinderzuschuß für ihren am 21. September 1964 geborenen Sohn Hubert St. von 13.762,70 S zurückzuzahlen;

2. das Mehrbegehren der Klägerin, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin gegenüber von der Rückforderung von 9.874,40 S des für die Zeit vom 1. Februar 1984 bis 31. Dezember 1985 entstandenen Überbezuges an Kinderzuschuß für den oben genannten Sohn abzusehen, abgewiesen wird und

3. die Klägerin daher schuldig ist, an die beklagte Partei 9.874,40 S in monatlichen Teilbeträgen von je 340,50 S - abzüglich bereits aufgerechneter Beträge - ab dem dem Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung folgenden Monatsersten zu zahlen.

Weiters sprach das Berufungsgericht aus, daß die Revision nach § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig sei.

Nach der rechtlichen Beurteilung der zweiten Instanz hätte die Klägerin bei gehöriger Sorgfalt und Aufmerksamkeit iS des § 1297 ABGB die Beendigung der Berufsausbildung ihres Sohnes der beklagten Partei melden müssen. Sie sei im Gewährungsbescheid ausdrücklich auf diese Anzeigepflicht hingewiesen worden. Überdies sei der Kinderzuschuß auf ihren Pensionsabschnitten als eigener Leistungsteil ausgewiesen und ihr die Tatsache des Bezuges des Kinderzuschusses laufend gegenwärtig gewesen. Wer behaupte, Leistungsbescheide und die besonders hervorgehobenen Meldebelehrungen nicht anzuschauen, der handle zumindest leicht fahrlässig. Die Klägerin habe daher die Meldepflicht schuldhaft verletzt. Daß das voraussichtliche Ende der Berufsausbildung ihres Sohnes in den Versicherungsakten vorgemerkt gewesen sei, vermöge die Klägerin von der Meldepflichtverletzung nicht zu entheben. Sie habe nicht einmal behauptet, daß der Kinderzuschuß trotz pflichtgemäßer Meldung weitergewährt worden wäre. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß die beklagte Partei durch eine Meldung auf ihr Versehen aufmerksam gemacht worden wäre und die Leistung (des Kinderzuschusses) eingestellt hätte. Außerdem sei auch der Rückforderungstatbestand nach § 76 Abs 1 letzter Satz GSVG erfüllt. Die Klägerin hätte bei gehöriger Sorgfalt wissen müssen, daß der Kinderzuschuß nur deshalb über das 18. Lebensjahr ihres Sohnes hinaus gewährt worden sei, weil sich dieser noch in Berufsausbildung befunden habe. Sie hätte daher ohne besondere Kenntnis sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften wissen müssen, daß ihr von der Beendigung der Berufsausbildung und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (des Sohnes) an der Kinderzuschuß nicht mehr gebührte.

Weil die beklagte Partei aber auf Grund der Vormerke in den Bezugsakten hätte erkennen müssen, daß die Leistung (des Kinderzuschusses) zu Unrecht erbracht worden sei, komme nach § 76 Abs 2 lit. a GSVG idF der 10. GSVGNov seit 1. Jänner 1986 eine Rückforderung des Kinderzuschusses nicht in Betracht.

Das Recht auf Rückforderung verjähre nach § 76 Abs 2 lit. b GSVG binnen drei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden sei, daß die Leistung zu Unrecht erbracht worden sei. Da im GSVG Bestimmungen über die Verjährung nicht enthalten seien, seien die allgemeinen, für die Rechtseinrichtung der Verjährung geltenden Regeln des ABGB, insbesondere hinsichtlich der Hemmung und Unterbrechung der Verjährung (§§ 1494, 1496 und 1497 ABGB) analog heranzuziehen. Nach § 1501 ABGB ist auf die Verjährung ohne Einwendung der Partei von Amts wegen kein Bedacht zu nehmen. Da eine Verjährungseinrede weder ausdrücklich noch schlüssig erhoben worden sei, habe das Erstgericht auf die Verjährung nicht Bedacht nehmen dürfen. Daher sei die Klägerin schuldig, den Überbezug für die Zeit vom 1. Februar 1984 bis 31. Dezember 1985 zurückzuzahlen.

Der abändernde Teil des Berufungsurteils erwuchs mangels Anfechtung durch die dadurch beschwerte Klägerin in Rechtskraft.

Gegen den bestätigenden Teil der Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die nicht beantwortete Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch gänzliche Klageabweisung abzuändern oder es (im Umfang der Anfechtung) allenfalls aufzuheben.

Die nach § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt.

§ 76 Abs 2 GSVG lautete idF vor der 10. GSVG:

"Das Recht auf Rückforderung gemäß Abs 1 verjährt binnen zwei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekanntgeworden ist, daß die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist."

Durch Art I Z 16 der 10. GSVGNov erhielt § 76 Abs 2 GSVG folgende Fassung:

"Das Recht auf Rückforderung nach Abs 1

a) besteht nicht, wenn der Versicherungsträger zum Zeitpunkt, in dem er erkennen mußte, daß die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist unterlassen hat;

b) verjährt binnen drei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden ist, daß die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist."

In der RV zur 41. ASVGNov 774 BlgNR 16. GP, 37 f wurde zur Änderung des § 107 Abs 2 ASVG ausgeführt:

"Der Zahlungsempfänger unterliegt gemäß § 40 ASVG einer Anzeigeverpflichtung und trägt damit die Verantwortung für einen entstandenen Überbezug auch dann, wenn der Sozialversicherungsträger Ausdrucke über Änderungen in den für den Fortbestand der Bezugsberechtigung maßgebenden Verhältnissen anderer Stellen, in erster Linie des Hauptverbandes, besitzt.

Durch die im versendeten Entwurf vorgeschlagene Regelung sollte sichergestellt werden, daß der Sozialversicherungsträger eine von ihm erbrachte Leistung dann nicht zurückfordern kann, wenn er aufgrund der gegebenen Sach- und Rechtslage erkennen mußte, daß die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist ...

Aufgrund der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens soll aber auch § 107 Abs 2 lit. a ASVG präziser gefaßt werden. Der Wortlaut des versendeten Entwurfes nimmt nicht darauf Bedacht, daß es zur bescheidmäßigen Feststellung eines ungebührlichen Bezuges oft zeitaufwendiger Erhebungen bedarf und kollidiert überdies mit dem Wortlaut des § 107 Abs 1 ASVG, wonach ein Recht auf Rückforderung auch dann besteht, wenn der Zahlungs- bzw Leistungsempfänger erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebühre.

In Berücksichtigung dieses Einwandes soll § 107 Abs 2 lit. a ASVG entsprechend genauer gefaßt werden."

Die EB der RV zur 10. GSVGNov 775 BlgNR 16. GP, 13 führen zur Änderung des § 76 Abs 2 GSVG aus, daß diese der im Entwurf zur

41. ASVGNov vorgeschlagenen gleichartigen Änderung des § 107 Abs 2 ASVG entspreche und verweisen auf die - oben

wiedergegebenen - entsprechenden Erläuterungen zum letztgenannten Entwurf.

Radner-Steingruber-Windhager-Engl, BSVG2 § 72 FN 7 führen zu Abs 2

lit. a dieser Gesetzesstelle u.a. aus, durch die 9. (BSVG)Nov solle

ab 1. Jänner 1986 sichergestellt werden, daß eine Rückforderung

dann nicht möglich sei, wenn die Sozialversicherungsanstalt .......

auf Grund der gegebenen Sach- und Rechtslage erkennen mußte, daß

die Leistung zu Unrecht erbracht worden sei ....... Dies sei vor

allem dann der Fall, wenn (sie) vom meldepflichtigen Sachverhalt von dritter Seite, zB vom Hauptverband erfahren und daraufhin nicht ordnungsgemäß reagiert habe.

Schrammel in Tomandl, SV-System 5. ErgLfg 174 meint, mit § 107 Abs 2 lit. a ASVG werde eine Art "Aufgriffsobliegenheit" des Versicherungsträgers statuiert. Der zur Rückforderung Berechtigte müsse dem Leistungsempfänger ohne schuldhafte Verzögerung Klarheit verschaffen, widrigenfalls er sein Rückforderungsrecht verliere. Dies sei sicherlich eine Verbesserung der Rechtsposition des Leistungsempfängers. Da diesem aber meist verborgen bleiben werde, zu welchem Zeitpunkt der Versicherungsträger vom Übergenuß Kenntnis erlangt habe, sei abzuwarten, ob sich die Neuregelung in der Praxis zugunsten des Leistungsempfängers auswirken werde.

Nach Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4, Rz 223 erlischt der Rückerstattungsanspruch, wenn der Versicherungsträger nicht rechtzeitig die für die bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen ergreife.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat in der E 12.9.1989 SSV-NF 3/96 u.a. ausgeführt, daß es sich bei der Bestimmung des - § 107 Abs 2 lit. a ASVG und § 76 Abs 2 lit. a GSVG entsprechenden - § 72 Abs 2 lit. a BSVG um ein im Interesse des Leistungs- bzw. Zahlungsempfängers gegenüber § 1432 letzter Fall ABGB verschärftes Rückforderungsverbot handelt. Während nach der zit. Bestimmung des bürgerlichen Rechts eine Zahlung erst dann nicht zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende wußte, daß er sie nicht schuldig war, besteht das Recht auf Rückforderung nach den

zit. sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen schon dann nicht, wenn der Versicherungsträger erkennen mußte, daß er Geldleistungen zu Unrecht erbracht hat. Diese Bestimmungen verpflichten den Versicherungsträger daher (schon) ab dem Zeitpunkt, in dem er erkennen mußte, daß eine Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, innerhalb angemessener Frist die für eine bescheidmäßige Feststellung dieser Leistung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Überbezüge zu verhindern. Bei der Festlegung dieser von Schrammel aaO zutreffend als "Aufgriffsobliegenheit" bezeichneten Verpflichtung setzte der Gesetzgeber den mit dem durch die

29. ASVGNov eingeführten § 298 Abs 2 ASVG, dem § 146 Abs 2 BSVG (und § 155 Abs 2 GSVG) entspricht, eingeschlagenen Weg fort ......

§ 72 Abs 2 lit. a BSVG (und die entsprechenden Bestimmungen des ASVG und des GSVG) will (wollen) den Sozialversicherungsträger durch den drohenden Verlust des Rückforderungsrechtes zu einer möglichst raschen bescheidmäßigen Richtigstellung einer eindeutig erkennbar ungebührlich gewordenen Leistung bringen. Ignoriert der Versicherungsträger eine ihm, sei es durch eine Meldung des Leistungsempfängers, eine Mitteilung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger oder auf andere Art zugekommene Information, aus der er erkennen mußte, daß eine Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, und erbringt er diese Leistung weiter, dann besteht das Recht auf Rückforderung der zu Unrecht weiter erbrachten Leistung nach Abs 2 lit a nicht.

Der erkennende Senat betonte in der zit. E, daß es sich im Falle des Abs 2 lit. a nicht um eine Verjährung des Rückforderungsrechtes handelt, die nach lit b des zit Abs erst drei Jahre nach dem Bekanntwerden der Erbringung einer ungebührlichen Leistung eintreten kann, sondern um einen der bürgerlichrechtlichen Bestimmung des § 1432 letzter Fall ABGB ähnlichen Ausschluß des Rückforderungsrechtes, weil der Gesetzgeber einen Versicherungsträger, der bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, daß er eine nicht mehr oder nicht mehr in dieser Höhe gebührende Leistung erbringt, ebensowenig für schutzwürdig hält wie jemanden, der eine Zahlung leistet, von der er weiß, daß er sie nicht schuldet.

Die am 1.Jänner 1986 in Kraft getretene 10. GSVGNov und die am selben Tag in Kraft getretene 41. ASVGNov und 9. BSVGNov enthalten keine § 76 Abs 2 GSVG und die Parallelbestimmungen betreffenden Übergangsbestimmungen.

Daraus hat der erkennende Senat in seiner in der Revision zit. E 4.12.1990, 10 Ob S 273/90, den Schluß gezogen, daß § 76 Abs 2 GSVG idF des Art I Z 16 der 10. GSVGNov für (am 1. Jänner 1986) noch nicht verjährte Rechte eines Versicherungsträgers auf Rückforderung nach Abs 1 leg.cit., die vorher entstanden sind, nicht gilt. Aus der eingehenden Begründung ergibt sich eindeutig, daß sich diese Aussage auf die eine Besserstellung des Versicherungsträgers, dessen Recht auf Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen seither erst binnen drei Jahren verjährt, bewirkende lit. b bezog.

Ob die Übergangsbestimmung des Art. II Abs 3 der 10. GSVGNov., nach der die (nicht die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen, sondern die Rückforderung ungebührlich entrichteter Beiträge regelnden) Bestimmungen des § 41 GSVG idF des Art I Z 10 auch für noch nicht verjährte Rückforderungen gelten, die vor dem 1. Jänner 1986 entstanden sind, analog auf die im vorliegenden Fall anzuwendende lit. a des § 76 Abs 2 GSVG angewendet werden könnte, durch die das Recht des Versicherungsträgers auf Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen ausgeschlossen, also eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Versicherungsträgers und eine Besserstellung des Leistungsempfängers bewirkt wurde, muß hier nicht näher geprüft werden. Es geht nämlich im Revisionsverfahren im Hinblick auf die Teilrechtskraft des Berufungsurteils hinsichtlich der Pflicht der Klägerin zum Rückersatz des für die Zeit vom 1. Februar 1984 bis 31. Dezember 1985 zu Unrecht empfangenen Kinderzuschusses nur mehr um die Frage, ob das Recht der beklagten Partei auf Rückforderung des von der Klägerin für die Zeit vom 1. Jänner 1986 bis 30. Juni 1988 zu Unrecht empfangenen Kinderzuschusses seit 1. Jänner 1986 gemäß § 76 Abs 2 lit. a nicht mehr besteht.

Im Hinblick auf die Art IV Abs 1 der 10. GSVGNov begann deren verbindende Kraft auch hinsichtlich des § 76 Abs 2 lit. a GSVG nach Art 49 Abs 1 B-VG nicht nach Ablauf des Tages, an dem das Stück des Bundesgesetzblattes, das die Kundmachung enthält, herausgegeben und versendet wurde, sondern erst am 1. Jänner 1986. Mit diesem Tag der Wirksamkeit "nahmen die daraus entspringenden rechtlichen Folgen ihren Anfang" (§ 3 ABGB).

Nach § 5 ABGB "wirken Gesetze nicht zurück; sie haben daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluß". Daher sind nur die nach Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen. Vorher geschehene Handlungen (und analog sonstige Sachverhalte) sowie vorher entstandene ("wohlerworbene") Rechte unterliegen weiterhin dem alten, bereits "außer Kraft getretenen" Gesetz. Der zeitliche Geltungsbereich ist in bezug auf einmalige Handlungen und Zustände, aber auch auf mehrgliedrige und dauernde Sachverhalte, die zur Gänze in die Geltungszeit eines der Gesetze fallen, einfach abgrenzbar. Andernfalls gelten für den Dauersachverhalt (zB Miete, Ehe, Kindschaft) die Rechtsfolgen des neuen Gesetzes ab seinem Inkrafttreten. Beim mehrgliedrigen Sachverhalt (zB Übereignung durch Kauf und Übergabe) ist nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 5 ABGB das alte Gesetz auf den früheren Sachverhaltsteil weiter anzuwenden (Bydlinski in Rummel, ABGB I2 Rz 1 zu § 5 mwN; Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts I8 32 f).

Ob das Recht der beklagten Partei, den von der Klägerin seit 1. Jänner 1986 zu Unrecht bezogenen Kinderzuschuß nach § 76 Abs 1 GSVG rückzufordern, allenfalls wegen bestimmter Unterlassungen des beklagten Versicherungsträgers nicht besteht, ist daher seit 1. Jänner 1986 nach dem seither geltenden Abs 2 lit. a leg.cit. zu beurteilen.

Dieses Rückforderungsrecht würde daher seither nicht bestehen, wenn der beklagte Versicherungsträger zum Zeitpunkt, in dem er (bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit) erkennen mußte, daß der Kinderzuschuß zur Alterspension zu Unrecht erbracht worden ist, die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist unterlassen hätte.

Für diese Beurteilung kommt es - entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin - auch auf ihr Verhalten (ihre Unterlassungen) vor dem 1. Jänner 1986 an. Das gilt insbesondere für die Beurteilung, ob die erforderlichen Maßnahmen innerhalb einer unangemessen langen Frist unterlassen worden sind.

Der Versicherungsträger war nämlich auch schon vor der 10. GSVGNovelle gemäß § 64 Abs 2 GSVG verpflichtet, die laufende Leistung auf den Kinderzuschuß für ein Kind nach Vollendung des 18. Lebensjahres bescheidmäßig zu entziehen (die Pension um den Kinderzuschuß herabzusetzen), sobald die Voraussetzungen nicht mehr vorhanden waren. Das Erlöschen des Anspruchs ohne weiteres Verfahren tritt nämlich bei Kinderzuschüssen gemäß § 68 Abs 1 lit. b GSVG nur mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.

Eine solche unangemessen lange Unterlassung der erforderlichen Maßnahmen liegt vor.

Im die Alterspension der Klägerin betreffenden Akt wurde hinsichtlich des Sohnes Hubert St. wiederholt auf den dessen Waisenpension betreffenden "Leit"- bzw. "Bezugs"-Akt 613985-11 verwiesen, ja im Kontrollblatt am 30. November 1983 vom Sachbearbeiter sogar ausdrücklich auf den Wegfall der Waisenpension und des Kinderzuschusses mit 1. Februar 1984 hingewiesen. Unter diesen Umständen hätte den mit der Bearbeitung der Pensionsakten betrauten Bediensteten des beklagten Sozialversicherungsträgers bei zumutbarer gewöhnlicher Aufmerksamkeit auffallen müssen, daß die im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 12. Dezember 1983 über die Gewährung des Kinderzuschusses für den am 21. September 1964 geborenen, damals also bereits im 20. Lebensjahr stehenden Sohn der Klägerin aktenkundigerweise fast abgeschlossene Berufsausbildung zum Bürokaufmann bald darauf beendet sein mußte und daß der Klägerin deshalb für diesen Sohn wegen Wegfalls der Kindeseigenschaft kein Kinderzuschuß mehr gebühre.

Deshalb wäre richtigerweise nicht nur die Waisenpension des Sohnes nach § 67 GSVG zu entziehen, sondern auch der Kinderzuschuß zur Alterspension nur bis Ende Jänner 1984 zu gewähren oder ab diesem Zeitpunkt die Alterspension der Klägerin nach § 64 Abs 2 GSVG um den Kinderzuschuß herabzusetzen gewesen. Daß der beklagte Versicherungsträger die Maßnahme nach der - mit diesem durch die

3. GSVGNov BGBl 1980/586 geänderten Wortlaut bereits seit 1. Jänner 1981 geltenden - letztzit Gesetzesstelle trotz der erwähnten Aktenkundigkeit des Herabsetzungsgrundes schon vor dem 1. Jänner 1986 mehrere Jahre hindurch unterlassen hatte, muß als unangemessen lange Unterlassung iS des § 76 Abs 2 lit a GSVG gewertet werden.

Wenn die Revisionswerberin vermeint, sie wäre auf Grund der

10. GSVGNov nicht verpflichtet gewesen, alle Pensionsakten auf in der Vergangenheit allenfalls unterlaufene Meldepflichtverletzungen zu prüfen, übersieht sie, daß sie - wie oben dargestellt - auf Grund der seit 1981 gegebenen Rechtslage und der seit Ende 1983 bestehenden Aktenlage schon damals und nicht erst seit 1. Jänner 1986 in der Lage und daher auch verpflichtet gewesen wäre, die Pension der Klägerin um den Kinderzuschuß herabzusetzen.

Weiters ist darauf hinzuweisen, daß der laufende Bezug des Kinderzuschusses durch die Klägerin den Pensionsblättern auch seit 1. Jänner 1986, aber etwa auch der Pensionsbestätigung vom 12. November 1986 zu entnehmen war. Für die Zeit seit Mai 1987 ergibt sich der Tatbestand des § 76 Abs 2 lit a GSVG überdies auch aus OZ 84, weil die Klägerin die Z 4 des Formulars über die Voraussetzungen der Ausgleichszulage (Kinder unter 18 Jahren oder in Schul/Berufsausbildung bzw. erwerbsunfähig) durchgestrichen hat, woraus die beklagte Partei jedoch nur den Schluß gezogen hat, daß für die Ausgleichszulage die freie Wohnung mit Beleuchtung und Beheizung weiter angerechnet werde, sonst aber keine Änderung bestehe. Die beklagte Partei hat aber auch aus Anlaß dieser Meldung keinerlei Maßnahmen gesetzt, um das Weiterbestehen der Kindeseigenschaft zu klären.

§ 76 Abs 2 GSVG ist - entgegen der Ansicht der Revision - bei allen im Abs 1 dieser Gesetzesstelle aufgezählten Rückforderungsgründen anzuwenden (arg "Das Recht auf Rückforderung nach Abs 1"), also auch dann, wenn der Leistungs- bzw. Zahlungsempfänger den Bezug durch Verletzung der Meldevorschriften herbeigeführt hat oder erkennen mußte, daß die Leistung nicht mehr gebührte.

Deshalb war der Revision nicht Folge zu geben.

Anmerkung

E29425

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00310.91.0428.000

Dokumentnummer

JJT_19920428_OGH0002_010OBS00310_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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