TE OGH 1992/5/14 6Ob539/92

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Veröffentlicht am 14.05.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Petra G*****, vertreten durch Dr. Klaus Rohringer, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei Christian G*****, vertreten durch Dr. Herbert Heigl, Rechtsanwalt in Marchtrenk, wegen Ehescheidung und Bestimmung eines vorläufigen Unterhalts, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgerichtes vom 5.Februar 1992, GZ 5 R 38/92-13, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom 14. November 1991, GZ 1 C 73/91-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die Entscheidung des Rekursgerichtes dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 16.777,04 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 1.962,84 S Umsatzsteuer und 5.000 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der am 30.Juli 1988 vor dem Standesamt Marchtrenk geschlossenen, beiderseits ersten Ehe der Streitteile entstammt ein am 6. Jänner 1989 geborenes Kind. Die seit November 1988 - im beiderseitigen Einvernehmen - nicht mehr berufstätige Klägerin (und gefährdete Partei, im folgenden Klägerin) zog am 21.Juli 1991 aus der bis dahin mit dem Beklagten (und Gegner der gefährdeten Partei, im folgenden Beklagter) bewohnten Ehewohnung in Marchtrenk aus, nachdem dieser sie vergewaltigt hatte, und wohnt seither gemeinsam mit dem Kind unentgeltlich bei ihrer Großmutter. Sie ist dabei, sich im Hause ihrer Großmutter eine Wohnung einzurichten, wobei sie in Zukunft für die Wohnungskosten selbst aufkommen muß. Der Beklagte erzielte als Fleischhauer vom 1.Jänner bis 31.Oktober 1991 ohne Berücksichtigung der Familienbeihilfe ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von 20.121 S; er trägt weiter die Rückzahlungsraten für die für den Ausbau der (szt.) Ehewohnung aufgenommenen Verbindlichkeiten und kommt auch weiterhin für die Betriebskosten, Strom- und Heizkosten der von ihm weiter bewohnten (szt.) Ehewohnung auf. Am 10.August 1991 unterfertigte die Klägerin folgende Urkunde:

"Betreff: Zahlungsvertrag.

Ich, Petra G*****, bestätige hiermit die vereinbarten Abmachungen mit Christian G*****, die wie folgend lauten.

Ab August 1991 werde ich monatlich S 1.500,- Unterhaltskosten, ca. (S) 1.600,- Alimentengeld und S 1.300,- Kinderbeihilfe erhalten. Ich bin damit einverstanden, daß mir Christian G***** die Unterhaltszlg. in Höhe von S 1.500,- zahlen muß, bis ich wieder in ein Arbeitsverhältnis einsteige.

Weiters bin ich damit einverstanden, daß sich der Vater unseres Kindes (...) dieses pro Monat 10 Tage zu sich holen kann."

Die Klägerin war mit einer monatlichen Unterhaltsleistung von 1.500 S einverstanden, weil sie sonst vom Beklagten überhaupt keinen Unterhalt bekommen hätte. Der Beklagte bezahlt die vereinbarten Beträge.

Die Klägerin begehrt neben der Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten einen vorläufigen Unterhaltsbetrag von monatlich 5.000 S.

Der Beklagte wendet gegen den Sicherungsantrag ein, durch die Vereinbarung vom 10.August 1991 sei seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Klägerin sowohl während aufrechter Ehe als auch für die Zeit nach der Ehescheidung definitiv festgelegt worden. Mittlerweile seien auch keine Umstände eingetreten, die diese, von ihm pünktlich eingehaltene Unterhaltsverpflichtung der Höhe nach in Frage stellten.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab, weil die Klägerin durch die Unterhaltsvereinbarung bis zu dem Zeitpunkt in dem eine erhebliche Änderung der Verhältnisse eintreten werde, auf ihr allenfalls zustehende Mehrleistungen verzichtet habe. Da die Unterhaltsvereinbarung erst im August 1991 getroffen worden sei und seither keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, komme diese vom Beklagten auch eingehaltene Vereinbarung zum Tragen und stehe einem weitergehenden vorläufigen Unterhaltszuspruch entgegen.

Das Rekursgericht sprach der Klägerin ab Antragstag (25.Oktober 1991), ausgehend vom festgestellten Einkommen des Beklagten und unter Anwendung der Prozentmethode, einen vorläufigen Unterhalt von monatlich 5.000 S zu. Nach der Rechtsauffassung der zweiten Instanz sei eine Unterhaltsvereinbarung nach § 879 Abs. 1 ABGB wegen Sittenwidrigkeit unwirksam, wenn durch die vereinbarte Unterhaltspflicht dem berechtigten oder verpflichteten Ehegatten geradezu die Existenzgrundlage entzogen werde. Erklärungen, mit denen ein Verzicht auf zustehende Rechte ausgesprochen werde, seien einschränkend auszulegen. Erkläre der Unterhaltsberechtigte dem Verpflichteten gegenüber, derzeit mit einem bestimmten Unterhaltsbetrag einverstanden zu sein, so habe er nur bis zum Widerruf dieser Erklärung auf allenfalls zustehende Mehrleistungen verzichtet. Schließlich sei auch nach alter Rechtslage ein ausdrücklicher oder stillschweigender Unterhaltsverzicht der Frau während aufrechter Ehe nur dann als zulässig erachtet worden, wenn diese imstande gewesen sei, ihren Unterhalt aus eigenem Einkommen oder Vermögen zu bestreiten. Bei Anwendung dieser Grundsätze müsse die Unterhaltsvereinbarung der Streitteile als von der Klägerin jederzeit widerruflich angesehen werden; denn die Klägerin sei mit der vereinbarten, äußerst geringen Unterhaltsleistung durch den Beklagten nur deshalb einverstanden gewesen, weil er ihr sonst (freiwillig) überhaupt keinen Unterhalt bezahlt hätte, somit für die Klägerin eine gewisse Zwangslage bestanden habe. Die Parteien seien bei Abschluß der Vereinbarung in keiner Weise davon ausgegangen, daß die Klägerin ihre über die vereinbarte Unterhaltsleistung hinausgehenden Unterhaltsbedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit decken müsse. Denn die Vereinbarung habe nur bis zum Zeitpunkt der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Klägerin wirksam sein sollen. Da mit einer monatlichen Unterhaltsleistung von 1.500 S nicht einmal die existenznotwendigsten Bedürfnisse einer nicht berufstätigen Frau gedeckt werden könnten, sei das Beharren des Beklagten auf die getroffene Vereinbarung für die Klägerin als existenzbedrohend und damit als sittenwidrig anzusehen. Der in der Judikatur entwickelte Grundsatz, daß es der Frau an einem Schutzbedürfnis im Sinn des § 382 Z 8 lit a EO fehle, wenn ein provisorisches Einverständnis der Parteien über den Unterhaltsanspruch vorliege, welches der Ehemann laufend erfülle, könne nicht zum Tragen kommen, weil hier die Existenzgefährdung der Frau geradezu auf der Hand liege und der Frau auch im Provisorialverfahren nicht bloß der notwendige, sondern der angemessene Unterhalt zuzusprechen sei. Eine Unterhaltsverletzung sei zu bejahen, weil der vom Beklagten geleistete Unterhalt in keiner Weise dem Ausmaß der gesetzlichen Unterhaltspflicht des Beklagten entspreche.

Rechtliche Beurteilung

Der - von der zweiten Instanz zugelassene - Revisionsrekurs des Beklagten ist gerechtfertigt.

§ 94 Abs 2 EheG unterscheidet drei Fälle: den Unterhaltsanspruch des den gemeinsamen Haushalt führenden Ehegatten (erster Satz), den - hier von der Klägerin geltend gemachten - Unterhaltsanspruch des Ehegatten, der den gemeinsamen Haushalt geführt hat, nach Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes (zweiter Satz) und den Anspruch des unterhaltsbedürftigen Ehegatten (dritter Satz). Die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Ehegattenunterhalts sind völlig identisch, ob nun der Anspruch als Klage- oder als Provisorialbegehren in einem Scheidungsverfahren verlangt wird. Der antragstellende Ehegatte muß nur das Bestehen des Anspruches und die Verletzung der Unterhaltspflicht bescheinigen, sodaß die Berechtigung des Begehrens der Klägerin auf Zuspruch eines einstweiligen Unterhalts nach § 382 Z 8 lit a EO davon abhängt, ob der Beklagte seine Unterhaltspflicht erfüllt und die Klägerin an die Unterhaltsvereinbarung vom 10.August 1991 gebunden ist.

Auch der Ehegattenunterhalt wird primär

durch - formfreien - Vertrag (in der Praxis häufig als "Unterhaltsvergleich" bezeichnet) reguliert, der die Dispositivbestimmungen des § 94 Abs 1 und 2 ABGB verdrängt (EvBl 1982/127; Pichler in Rummel2, Rz 9 zu § 94 ABGB; Schwimann in Schwimann, Rz 3 zu § 94 ABGB), ohne daß das Vereinbarungsergebnis an Hand der gesetzlichen Unterhaltsregelung korrigiert oder an diese angepaßt werden könnte (Schwimann aaO Rz 3). Als Vertrag unterliegt die Unterhaltsvereinbarung der Streitteile den allgemeinen Vertragsgrundsätzen. Die Vertragsfreiheit ist nur durch das hier unbestritten vorliegende Erfordernis der Geschäftsfähigkeit der Vertragsteile, das Anspruchsverzichtsverbot des § 94 Abs 3 ABGB - wobei auch für die Zukunft ein Verzicht in Ansehung einzelner oder von Teilen von Unterhaltsleistungen zulässig ist (JBl 1989, 717; EFSlg 58.686; EvBl 1982/127; SZ 50/128 = RZ 1978/16; Schwimann aaO Rz 8; vgl auch Pichler aaO Rz 9 zu § 94 ABGB) - sowie dadurch beschränkt, daß die Vereinbarung nicht unter gewissen Umständen (vgl dazu Schwimann aaO Rz 5) wegen Sittlichkeit (§ 879 Abs 1 ABGB) unwirksam wäre (Schwimann aaO Rz 3). Vorliegend wurde jedoch von der Klägerin die Unterhaltsvereinbarung im Verfahren erster Instanz nicht angefochten. Gemeinsam Beschlossenes bindet jeden einzelnen Ehegatten, solange sich nicht die Lebensumstände wesentlich ändern (2 Ob 532/91).

Durch bloßen Widerruf kann eine Ehegattenunterhalts-Vereinbarung nicht einseitig aufgehoben werden. Die in der Entscheidung SZ 54/83 = EFSlg 37.567 (in der Rekursentscheidung und der Revisionsrekursbeantwortung wird der Eindruck erweckt, es handle sich um zwei Entscheidungen) zum Ausdruck gebrachte Gedanke eines Widerrufs betrifft einen anderen Sachverhalt; dort ging es um die Auslegung einer Erklärung der Unterhaltsberechtigten, die bereits einen Bruchteilstitel hatte, "derzeit mit einem bestimmten Unterhaltsbetrag einverstanden zu sein" und die jederzeitige freie Widerruflichkeit einer solchen Erklärung. Daß Unterhaltsansprüche für die Zukunft unverzichtbar seien, soweit sie den notwendigen Unterhalt betreffen, wurde - abgeleitet aus § 795 ABGB - für den Unterhalt von auch großjährigen Kindern ausgesprochen (so die von der zweiten Instanz zitierte Entscheidung RZ 1984/5 mwN; EFSlg 53.262 mwN; SZ 49/28); ob dies nach nunmehriger Rechtslage (§ 94 Abs 3 ABGB idF Art 1 Z 1 EheRwg BGBl 1975/412) auch für den Ehegattenunterhalt gilt (ablehnend Schwimann aaO Rz 8 mwN und Rummel in Rummel, Rz 2 zu § 1444 ABGB; bejahend LGZRS Wien EFSlg 47.458, 40.002), muß hier nicht untersucht werden, weil im Verfahren in erster Instanz ein Vorbringen über die Gefährdung des notwendigen Unterhalts der Klägerin nicht erstattet wurde.

Unterhaltsverträge stehen nach herrschender Auffassung unter der clausula rebus sic stantibus (SZ 60/34; EvBl 1982/127; EFSlg 35.237 ua; Pichler aaO Rz 2, 10a; Schwimann aaO Rz 6; Koziol-Welser, Grundriß9 II 243 mwN in FN 186), doch hat die Klägerin eine Änderung der maßgeblichen Umstände weder behauptet noch sind solche festgestellt. Da der Beklagte die mit der Klägerin geschlossene Unterhaltsvereinbarung erfüllt, hat das Erstgericht ihren Antrag auf Zuspruch eines einstweiligen Unterhalts zu Recht abgewiesen, weil bis zu einer derartigen Änderung der Verhältnisse die Unterhaltsvereinbarung einer Unterhaltsfestsetzung im Sinn eines materiellrechtlichen Hindernisses entgegensteht (EFSlg 35.237 ua). Demgemäß muß die Entscheidung zweiter Instanz im Sinn einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses abgeändert werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E29328

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0060OB00539.92.0514.000

Dokumentnummer

JJT_19920514_OGH0002_0060OB00539_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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