TE OGH 1992/7/30 7Ob573/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.1992
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Dr.Hans Pernkopf, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Josef P*****, vertreten durch Dr.Michael Zsizsik, Rechtsanwalt in Bruck/Mur, wegen Unterlassung (Streitwert S 600.000,--) infolge Revision der klagenden und beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 2.März 1992, GZ 2 R 238/91-41, womit infolge Berufung der klagenden und der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 24.Juli 1991, GZ 7 Cg 93/90-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben, jener der beklagten Partei nicht und das Urteil des Berufungsgerichtes, soweit es nicht bestätigt wird, dahin abgeändert, sodaß es insgesamt zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist bei Exekution schuldig, ab sofort jede Abtiefung und jeden Abbau ihres Grundes im Rahmen des Schotterabbaues oder auch sonst immer auf den Grundstücken 847/1, 847/2, 847/3 und 850 in der EZ 188 Grundbuch 600050 St. Ilgen (vormals EZ 25 der KG St.I*****) zu unterlassen, dies auch auf dem ihr gehörigen Grundstück 851/1 insoweit zu unterlassen, als talwärts des Profils 15 der Beilagen 5 und 7 der Abbau nicht tiefer als die im Plan 7 eingezeichnete Projektsohle und unter Einhaltung eines Böschungswinkels von 1 : 2 gemessen am Geländeverschnitt des gewachsenen Bodens, soweit die Grundgrenze in diesem Bereich auf dem gewachsenen Boden liegt, innerhalb von 2 m gemessen in Richtung Westen, sofern die Abtiefung mehr als 20 m beträgt, jedoch unter Einschaltung einer Perme von 4 m nach spätestens 20 m Tiefe durchgeführt wird und bergwärts des Profils 15 zur Gänze zu unterlassen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 45.893,20 (darin S 6.982,20 Umsatzsteuer und S 4.000,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 29.418,-- (darin S 3.903,-- Umsatzsteuer und S 6.000,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist Eigentümer der im Verlauf des Karlsbaches in der sogenannten "K*****" nacheinander in der Talsohle gelegenen Grundstücke 851/1, 847/1, 847/2, 847/3 und 850 alle in EZ 188 Grundbuch 600050 St. I***** (vormals EZ 25 der KG St. I*****). Die Klägerin ist Eigentümerin der angrenzenden Hanggrundstücke 849 und 847/4 je in der EZ 565 der KG A*****-Kurort (vormals KG St. I*****). Der Beklagte betreibt auf seinen Grundstücken einen Schotterabbau, den er von seinem Vater übernommen hat. Mit Bescheid vom 7.2.1979 zu 3/1 Pi 3/32-1977 der Bezirkshauptmannschaft Bruck/Mur wurde dem Vater des Beklagten die Einstellung des Schotterabbaus auf den Grundstücken 847/1 bachaufwärts angeordnet und gleichzeitig die Schotterentnahme in der K*****auf dem Grundstück 851/1 im Ausmaß von 330.000 m2, bei Einhaltung bestimmter Vorschreibungen, die unter anderem Böschungsneigungen von 1 : 2 mit Permen vorsahen, wasserbehördlich bewilligt. Bereits damals wurde vom Vertreter der klagenden Partei darauf hingewiesen, daß durch den erfolgten Schotterabbau Abrutschungen an ihren benachbarten Grundstücken verbunden mit Grenzänderungen in der Natur stattgefunden haben. MIt Bescheid vom 12.12.1979 wurden dem Vater des Beklagten konkrete Sanierungsmaßnahmen, die zufolge unsachgemäßen Abbaues notwendig geworden waren, auf dem Grundstück 847/1 vorgeschrieben. Der Beklagte bzw. sein Vater bauten jedoch Schotter ohne Berücksichtigung dieser Auflagen weiter ab. Anläßlich eines am 26.6.1986 im wasserrechtlichen Überprüfungsverfahren durchgeführten Ortsaugenscheines wurde festgestellt, daß beim Abbau durch den Beklagten die ihm mit Bescheid vorgeschriebenen Profile und Abbautiefen deutlich überschritten wurden, daß die Nichteinhaltung des Längsschnittes Eintiefungen und Tiefenerosionen bewirkte und dadurch Böschungen unter anderem zu den Nachbargrundstücken der Klägerin übersteil geworden sind. In der Folge verfügte die Bezirkshauptmannschaft Bruck/Mur die Einstellung des Schotterabbaus auf dem Grundstück 851/1 und 847/1. Dieser Bescheid wurde jedoch aufgrund einer Berufung des Beklagten von der steiermärkischen Landesregierung am 7.10.1988 behoben.

Anläßlich einer gemeinsamen Begehung durch einen Vertreter der Klägerin und dem Beklagten am 16.7.1987 wurde einvernehmlich festgestellt, daß beim Schotterabbau durch den Beklagten die Grundstücke 847/1, 847/2, 847/3 und 850 sowie das Grundstück 849 der Klägerin mitbeansprucht worden sind. Der in der Folge vom Beklagten bei der Wasserrechtsbehörde beantragte Schotterabbau aufgrund eines Sanierungskonzeptes wurde im Hinblick auf die widerrechtliche Abbauüberschreitung in der Vergangenheit und dadurch bedingte nachteilige rückschreitende Erosion nicht genehmigt.

Nachdem mehrfache Urgenzen der Klägerin, den alten Grenzverlauf wiederherzustellen, eine Entschädigung für entgangene Schottermengen zu leisten und die bisher eingetretenen Schäden zu sanieren, erfolglos geblieben waren, einigtn sich die Streitteile im November 1988 auf eine Neuvermessung der Grenzen auf Kosten des Beklagten und die Leistung einer Entschädigungssumme von S 250.000 als Ersatz für verlorengegangene Schottermengen aus den Grundstücken der Klägerin zufolge konsenswidrigen Abbaus des Beklagten. Eine Einigung über Grundabtretungen oder Ersatz der fehlenden Gesteinsmengen konnte dabei nicht erzielt werden. Der Beklagte baute weiter in Hangnähe ab und bewirkte dadurch ein Fortschreiten der Erosion. Weiteres Verführen von Schotter von Grundstücken der Klägerin auf Grundstücken des Beklagten führte zu Einrissen in die vorhandenen Böschungen.

Mit Bescheid vom 19.12.1990 wurde dem Beklagten die wasserrechtliche Bewilligung für die Sanierung bzw. Schotterentnahme auf den Grundstücken 851/1 und 847/1 der KG St. I*****im Ausmaß von 480.000 m2 nach Vornahme umfangreicher Sanierungsmaßnahmen und unter konkreten Vorschreibungen zur Schotterentnahme erteilt. Im Bescheid wurde davon ausgegangen, daß der Abbau im Sinne des gestellten Begehrens solange ausschließlich der Gewinnung einwandfreien Sanierungsmaterials unter Verwendung dieses Materials für das im Projekt vorgesehene Sanierungsvorhaben dienen soll, bis der Zweck und das Ziel der im Projekt dargestellten Sanierungsmaßnahmen einschließlich der Vergrößerung und in Erweiterung der einzelnen Baueinheiten erreicht sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Beklagte Berufung, wobei er das Begehren stellte, eine Schottermenge von 740.000 m2 abbauen zu dürfen. Weiters sprach er sich dagegen aus, daß vor den Sanierungsmaßnahmen kein Wegführen von Schotter zum Zweck der Einkommenserzielung erfolgen darf, weil dies mit einem wirtschaftlichen Stillstand seines Betriebes verbunden wäre. Der Beklagte hat in der Folge keine Sanierungsmaßnahmen, wohl aber weiterhin seinen Schotterabbau durchgeführt. Durch weitere Abbaumaßnahmen des Beklagten in Zukunft sind weitergehend Erosionen und Abrutschungen von den Grundstücken der Klägerin zu erwarten.

Die Klägerin stellte im erstinstanzlichen Verfahren das im Spruch ersichtliche Begehren und brachte dazu vor, der Beklagte betreibe ohne behördliche Genehmigung den Schotterabbau in einer Weise, daß der Hang zu den klägerischen Grundstücken abgegraben werde und die Grundstücke der Klägerin auf jene des Beklagten abrutschten. Der Beklagte habe dadurch in der Vergangenheit beträchtliche Schottermengen der Klägerin abgebaut und ihren Grundbestand erheblich verringert. Dies habe der Beklagte in der Vergangenheit anerkannt und auch Schadenersatz angeboten. Dennoch sei er aus wirtschaftlichen Gründen nicht bereit, den Schotterabbau einzustellen.

Der Beklagte gab zu, im fraglichen Gebiet in den letzten Jahren mit erheblicher Intensität Schotter auch konsenswidrig abgebaut zu haben und weiterhin zu gewinnen, wobei es im Verhältnis zur Klägerin, die seine Konkurrentin sei, zu "wechselseitigen Beeinträchtigungen und Überschneidungen" gekommen sei bzw. komme. Es sei auch richtig, daß sein seit Jahren anhängiges, einer wasserrechtlichen Bewilligung bedürfendes Schotterabbauprojekt noch nicht bewilligt worden sei, ein wasserrechtlicher Bewilligungsbescheid sei aber demnächst zu erwarten. Mangels Beeinträchtigung materieller Interessen der Klägerin beantragt er die Abweisung des Klagebegehrens. Die behaupteten Schäden wären uch allein aufgrund der Hochwässer vom 15.7.1988 und 18.6.1989 eingetreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und verpflichtete den Beklagten, die Abtiefe und den Abbau auf den Grundstücken 851/1, 847/1, 847/2, 847/3 und 850 alle in der EZ 188 der KG St. I*****, soweit zu unterlassen, als dadurch die benachbarten Grundstücke der Klägerin 847/4 und 849 beide in der EZ 565 der KG A***** in ihrem Bestand, in ihrer Höhenlage und ihrer Oberfläche gefährdet würden. Es wies das darüber hinausgehende Begehren auf Unterlassung jeder Abtiefung und jeden Abbaues auf den Grundstücken 847/1, 847/2, 847/3 und 850 sowie auf dem Grundstück 851/1 ab. Rechtlich folgerte es, daß der Beklagte entgegen seiner Sanierungszusage vom Jahre 1988 weiterhin seinen Schotterabbau durch Untergraben des Böschungsfußes zu den Grundstücken der Klägerin betreibe und die Gefahr, daß die benachbarten Hanggrundstücke der Klägerin abrutschen werden, emiment sei. Der Klägerin stehe daher ein Unterlassungsanspruch nach § 364 b ABGB zu. Dieser Anspruch dürfe aber zu keiner Betriebseinstellung beim Beklagten führen. Das modifizierte Begehren der Klägerin sehe die Unterlassung jeden Abbaues und jeder Vertiefung auf bestimmten Grundstücken, hinsichtlich des Grundstückes 851 in einem bestimmten Umfang vor. Nach Ansicht des Erstgerichtes würde mit der Stattgebung des Klagebegehrens ein Exekutionstitel geschaffen, der dem Beklagten verbiete, seine Schottergewinnung weiter zu betreiben. Zudem würden sich Überschneidungen mit dem im Auftrag des Beklagten ausgearbeiteten Sanierungsprojekt, welches auch Gegenstand des wasserrechtsbehördlichen Verfahrens sei, ergeben. Immerhin sehe das Sanierungsprojekt Abbaumaßnahmen vor, wobei allerdings das gewonnene Material vorerst nur zur Sanierung verwendet werden müsse. Die Schaffung eines Exekutionstitels dahin, daß der Beklagte jeglichen Abbau unterlassen müsse, könne dies verhindern. Im Berufungsverfahren modifizierte die Klägerin ihr Begehren hinsichtlich des Grundstückes 851/1 dahin, daß der Beklagte "talwärts" (südlich) des Profils 15 jede Abtiefung und jeden Abbau seines Grundes im Rahmen des Schotterabbaues oder auch sonst zu unterlassen habe, es sei denn, daß dadurch die Grundstücke der Klägerin 847/4 und 849 je in der KG St. I***** (richtig in der EZ 565 Grundbuch 6000' A*****) in ihrem Bestand, in ihrer Höhenlage oder in ihrer Oberfläche nicht gefährdet werden (AS 189 in der ON 31).

Das Berufungsgericht gab keiner der von beiden Streitteilen erhobenen Berufungen Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, daß der Beklagte verpflichtet wird, auf seinen Grundstücken 847/1, 847/2, 847/3, 850 und 850/1 alle in der EZ 188 (vormals EZ 25) der KG St. I***** gelegen, jede Vertiefung des Bodens, insesondere durch Abbau von Schotter, vor allem im Bereich der Böschungen insoweit zu unterlassen, als dadurch der angrenzende Grund der Klägerin im Bereich der Waldparzellen 847/4 und 849 beide in der EZ 565 der KG A*****gelegen, seine Stütze verliert. Es wies das Mehrbegehren auf Verpflichtung des Beklagten zur Unterlassung jedweder Vertiefung und jedweden Abbaues auf den genannten Grundstücken ab. Es bewertete den Streitgegenstand als mit S 50.000,- übersteigend und erklärte die Revision für zulässig. Es bejahte aufgrund der vom Erstgericht übernommenen Feststellungen die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Unterlassunganspruches nach § 364 b ABGB. Bei einem derartig massiven und nicht behördlich bewilligten Eingriff in die Eigentumsrechte des Nachbarn könne nur ein Unterlassungsanspruch Platz greifen. Dennoch komme eine gänzliche Untersagung des Schotterabbaues durch den Beklagten in bestimmten Bereichen nicht in Betracht, weil dies einer zumindest teilweisen Betriebsstillegung gleichzusetzen wäre. Grundsätzlich könne durch einen entsprechend schonenden Schotterabbau die gesetzwidrige Beeinträchtigung des klägerischen Nachbargrundes durchaus hintangehalten werden. Dementsprechend sei der Spruch des Ersturteiles umzuformulieren gewesen.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der klagenden Partei ist berechtigt, jene des Beklagten nicht.

Rechtliche Beurteilung

Ein Begehren auf Unterlassung einer Immission - und der auf § 364 b ABGB gestützte Anspruch der klagenden Partei ist, wie im folgenden dargelegt wird, ein Sonderfall einer solchen - ist so zu fassen, daß es auf die Unterlassung und nicht auf die Verwirklichung von Schutzmaßnahmen gerichtet ist (vgl. MGA ZPO14 § 226/196 und § 405/54 a). Die Modifikation des Klagebegehrens in der Berufungsschrift verstößt allerdings gegen die zwingende Bestimmung des § 483 Abs 4 ZPO und kann daher unbeachtet bleiben. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, stellt die "Einschränkung" des Begehrens durch die klagende Partei in der Verhandlung vom 24.5.1991 (AS 155 f in ON 26) eine Klagsänderung dar, gegen die der Beklagte keinerlei Einwand erhoben und ihr somit zugestimmt hat. Beide Vorinstanzen gingen jedoch ausgehend von der Rechtsansicht, daß dem Beklagten nicht jeglicher Schotterabbau auf den nunmehr vom Klagebegehren erfaßten Grundflächen verboten werden dürfe, weil dies einer (teilweisen) Betriebseinstellung gleichkäme, davon aus, daß das Unterlassungsgebot der Klägerin auf nicht näher beschriebene Bereiche in der Nähe der Grundgrenze zu beschränken sei. Dem Urteilsspruch des Berufungsgerichtes liegt sohin eine teilweise Stattgebung des Klagebegehrens zugrunde und kein wie von der beklagten Partei gerügter Verstoß nach § 405 ZPO. Um die Bestimmbarkeit eines Anspruches zu überprüfen, ist zunächst der geltend gemachte materiellrechtliche Anspruch zu behandeln (MGA ZPO14 § 226/188 f). Die klagende Partei hat bewiesen, daß grundsätzlich jeder Schotterabbau auf den im Urteilsbegehren genannten Grundstücken mit der Gefahr einer Hangrutschung verbunden ist. Nach der Lebenserfahrung kann sowohl eine seichte Abgrabung in Hangnähe, als auch eine sehr tiefe Einschürfung in Talmitte zu einer Veränderung des statischen Verhältnisses der Talgrundstücke und damit zu einer Hangrutschung führen. Der vom Berufungsgericht gebrauchte Begriff der "Hangnähe" würde bei einer Exekutionsbewilligung nur dazu führen, daß bei einer aufgrund einer weiteren Grabung des Beklagten der klagenden Partei zu bewilligenden Exekution der Beklagte in einem allfälligen Verfahren nach § 35 EO die Prüfung herbeiführt, ob diese Grabung die beschriebene Gefahr auslösen konnte oder nicht. Da Hangrutschungen hauptsächlich bei starkem Regen bzw. bei Hochwasserführung bzw. nach der Schneeschmelze nach der Lebenserfahrung zu erwarten sind, würde in diesen Verfahren der vorliegend geführte Streit noch einmal einem Beweisverfahren unterzogen werden, was im Ergebnis einer fehlenden Vollstreckbarkeit gleichkäme (MGA ZPO14 § 226/27).

Gemäß § 364 b ABGB darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, daß der Boden oder das Gebäude des Nachbarn die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, daß der Besitzer des Grundstückes für eine genügende anderweitige Befestigung vorsorgt. Zu der im wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmung des § 909 BGB wird die Auffassung vertreten, daß eine Vertiefung keine Unterschreitung des allgemeinen Bodenniveaus voraussetze, sondern auch durch Abgraben eines Hanges erfolgen könne (vgl. Säcker in Münchener Kommentar2 § 909 BGB Rz 8). Für den Nachbarn ergebe sich bei jedem Festigkeitsverlust eines Grundstückes als Folge von bodenrelevanten Grundstücksarbeiten eine gleichartige Störungsbetroffenheit; wesentlich für die Anwendung der Bestimmung des § 909 BGB sei daher, daß das Nachbargrundstück einen Stützverlust erleidet, auf es demnach so eingewirkt wird, daß der Boden in der Senkrechten den Halt verliert oder die unteren Bodenschichten in ihrem waagrechten Verlauf beeinträchtigt werden. Auch in der österreichischen Rechtsprechung wurde die Bestimmung des § 364 b ABGB in diesem Sinne verstanden (vgl. SZ 61/61 mwN). Zweck dieser Bestimmung ist offensichtlich ganz allgemein die Sicherung der Festigkeit und Standsicherheit des Nachbargrundstückes gegen Vorkehrungen, die einen Eingriff in die natürliche bodenphysikalische Beschaffenheit des Nachbargrundstückes bewirken. Die allfällige Ortsüblichheit spielt bei Ansprüchen nach § 364 b ABGB keine Rolle (vgl. SZ 61/61 mwN). Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 364 b ABGB ist nach der bisherigen Rechtsprechung unter den Voraussetzungen des § 364 a ABGB, auf dessen Wertung abzustellen ist, verschuldensunabhängig (vgl. SZ 61/61 mwN). Die Neuregulierung des Nachbarrechtes durch die §§ 364 ff ABGB durch die III.TN bezweckte, die schon vorher strittige Kollision gleicher Rechte zu regeln, nämlich zwischen zwei Grundeigentümern, von denen jeder zwar nach § 362 ABGB berechtigt ist, frei über sein Eigentum zu verfügen und in der Regel seine Sache nach Willkür zu benützen, andererseits nach § 364 Abs.1 ABGB bei der Ausübung des Eigentumsrechtes in die Rechte eines Dritten nicht eingreifen darf. Die erklärte Absicht des Novellengesetzgebers, die Lücke durch ein richtiges Mittelmaß zwischen der Abwehr gegenseitiger Schädigungen und Belästigungen der Grundeigentümer einerseits und der Gewähr der volkswirtschaftlichen notwendigen Bewegungsfreiheit vor allem industrieller Unternehmen, andererseits in klarer Weise zu schließen (vgl. 78 BlgHH, 21.Session, 162), wurde jedoch nicht befriedigend verwirklicht (vgl. Rummel, Ersatzansprüche bei summierten Immissionen, 13; Herz in ÖJZ 1967, 7). Im besonderen läßt der dem § 909 BGB nachgebildete § 364 b ABGB, der den Fall des Eingriffs durch Vertiefung des eigenen Grundes regelt, infolge der Nennung eines bloßen Verbotes ohne Bestimmung klarer Rechtsfolgen im Gesetzeswortlaut offen, ob es sich dabei um einen Fall gleich der anerkannten Eingriffshaftung des § 364 a ABGB oder der sonst grundsätzlichen Verschuldenshaftung handelt (vgl. SZ 48/61). Nach nunmehr herrschender Rechtsprechung ist dem gefährdeten Nachbarn gegen eine unzulässige "Vertiefung" grundsätzlich auch die vorbeugende Unterlassungsklage gegen die drohende Beeinträchtigung seines Eigentums (vgl. SZ 48/45; Jabornegg-Strasser, Nachbarrechtliche Ansprüche als Instrument des Umweltschutzes, 167, 170), auch gegen einen bloß einmalig drohenden Eingriff zuzuerkennen. Die Geltendmachung des vorbeugenden Unterlassungsanspruches setzt allerdings voraus, daß die Gefahr einer unzulässigen "Vertiefung" besteht und konkret erkennbar ist. Der Kläger hat ein bestimmtes, die Festigkeit seines eigenen Grundstückes gefährdendes Verhalten des Nachbarn als materiellrechtliche Voraussetzung des Anspruches zu behaupten und zu beweisen (vgl. Säcker aaO § 909 BGB Rz 18). Im vorliegenden Fall steht nicht nur fest, daß ein Teil des Hanges bereits abgerutscht ist, sondern daß durch die weiteren Baggerungen des Beklagten noch bedeutendere Schädigungen des klägerischen Grundstückes als bisher eintreten werden. Dagegen beruft sich der Beklagte zur Abwehr des klägerischen Unterlassungsanspruches auf wasserrechtliche Bewilligungen des von ihm betriebenen Schotterabbaues, allerdings ohne diese näher zu bezeichnen. Offenbar handelt es sich um die Bescheide vom 7.2.1979 und vom 19.12.1990, deren Auflagen vom Beklagten unbestrittenermaßen nicht eingehalten worden sind. Richtig ist, daß in der Judikatur auch bloß baubehördlichen Bewilligungen die gleiche tatsächliche Wirkung, wie im § 364a ABGB einer behördlich genehmigten Anlage zuerkannt wurde, daß nämlich der Grundnachbar die scheinbar gefahrlose Vertiefung hinnehmen müsse, bis sich die allenfalls doch unvermeidliche Schädigung zeige. Da sich meist erst zu einem späten Zeitpunkt erweise, ob eine Vertiefung des Nachbargrundstückes den im § 364 b ABGB verpönten Eingriff in fremdes Eigentum bewirke und Abhilfe anders als durch Entschädigung jetzt zu spät käme, lasse der Grundgedanke des Nachbarrechtes den Schluß zu, daß jeder Bauführer ebenso wie im klar geregelten Fall des § 364 a ABGB wenigstens nicht auf Gefahr und Kosten des scheinbar ohnehin geschützten und daher zur Duldung verhaltenen Nachbarn tätig werden und in dessen Eigentum eingreifen darf (vgl. SZ 48/61, 6 Ob 795,796/83, 1 Ob 43/86). Verfehlt ist die Ansicht einer älteren Entscheidung (Rsp 1935, 234), daß die III.TN bei der Schaffung des § 364 b ABGB absichtlich von der Modellvorschrift des § 909 BGB abgehen wollte und nur im Verwaltungsweg geprüft werden dürfe, ob die Grundvertiefung durch eine behördlich genehmigte Anlage vom Verwaltungsbescheid abweiche oder nicht, weil sich, was § 364 b ABGB betrifft, genau das Gegenteil aus den Materialien ergibt (vgl 78 BlgHH, 21 Session, 164). Tatsächlich hat die deutsche Rechtsprechung zu § 909 ABGB den verwaltungsbehördlich genehmigten Vertiefungen des Nachbargrundstückes nicht die Bedeutung zugemessen, daß dadurch der Unterlassungsanspruch nach § 909 BGB verlorenginge (vgl. Säcker aaO Rz 6). Auch in der österreichischen Rechtsprechung wurde wiederholt die Auffassung vertreten, daß eine Baubewilligung im Hinblick auf einen Anspruch nach § 364 b ABGB nicht die privatrechtlichen Beziehungen der beiden Grundnachbarn beeinflussen könne und daß eine Baugenehmigung nur den hohen Anschein einer Gefahrlosigkeit und der damit die Rechtmäßigkeit der Grundstücksvertiefung schaffe, daß aber das Handeln des Bauführers in dem Augenblick wieder sorgfalts- und damit rechtswidrig wird, wenn eine Gefährdung des Nachbargrundstückes erkennbar wird (EvBl.1981/155 = JBl.1981, 534; SZ 56/158 = MietSlg.35.029). Der Beklagte gesteht selbst zu, sich beim Schotterabbau nicht an die wasserrechtlichen Auflagen gehalten und dadurch Grund der Klägerin mitabgebaut zu haben. In Übergehung der festgestellten eminenten Gefahr weiterer Hangrutschungen vermeint er, die Klägerin müsse "ortsübliche" Grundverluste hinnehmen. Er übersieht aber dabei, daß der Umstand, daß er aus einer rechtswidrigen Handlung wirtschaftliche Vorteile zieht, wohl nie als Rechtfertigungsgrund in Anspruch genommen werden darf. Besteht wie im vorliegenden Fall die akute Gefahr, daß der weitere Schotterabbau des Beklagten zu weiteren möglicherweise umfangreichen Hangrutschungen führt, erschiene es unbillig, die klagende Partei nur auf einen Ausgleichsanspruch zu verweisen und von ihr zu verlangen, zuzusehen, wie der Beklagte unter Hinweis auf eine diese Maßnahmen nicht deckende wasserbehördliche Bewilligung Stück und Stück des klägerischen Grundstückes gewinnbringend abgrabt. Vielmehr darf der in seinem Eigentumsrecht beeinträchtigte Grundnachbar erst dann auf einen Ausgleichsanspruch verwiesen werden, wenn der Schaden bereits eingetreten und keine weitere Schädigung mehr zu befürchten ist. Da wie bereits dargelegt, auch sehr tiefe Grabungen des Beklagten auch in größerer Entfernung von der Grundstücksgrenze zur Klägerin die Gefahr einer Hangrutschung nach sich ziehen können, hat die Klägerin die Voraussetzungen für ihren Unterlassungsanspruch nach § 364 b ABGB damit hinlänglich unter Beweis gestellt. Bei einer solchen Situation wäre es Sache des Beklagten gewesen, zu beweisen, welche Art des Abbaues für die klägerischen Hanggrundstücke völlig ungefährlich ist. Einen solchen Beweis hat er jedoch nicht erbracht. Es war daher dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Während das Erstgericht der Klägerin wegen des seiner Ansicht nach geringfügigen Unterliegens nach § 43 Abs 2 ZPO noch den vollen Kostenersatz zuerkannte, erachtete das Berufungsgericht die von ihm ausgesprochene Teilabweisung als kostenmindernd. Da aber weder durch das Erst- noch durch das Berufungsurteil dem berechtigten Rechtsschutzantrag der Klägerin Rechnung getragen worden ist, waren ihr auch für das Berufungsverfahren die vollen Kosten allerdings teilweise nur auf Basis des von ihr nur mit S 60.000,- angegebenen Interesses zuzuerkennen.

Anmerkung

E33207

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00573.92.0730.000

Dokumentnummer

JJT_19920730_OGH0002_0070OB00573_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten