TE OGH 1992/9/15 10ObS58/92

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Veröffentlicht am 15.09.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Oskar Harter (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Bayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Lucia Z*****, vertreten durch Dr. Heinrich Keller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Kinderzuschlages infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Dezember 1991, GZ 32 Rs 179/91-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26. August 1991, GZ 26 Cgs 1565/91-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß :

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 10. April 1991 anerkannte die beklagte Partei den Anspruch der am 13. September 1935 geborenen Klägerin auf die am 10. April 1990 beantragte Berufsunfähigkeitspension vom 1. Mai 1990 an und stellte das Ausmaß dieser Leistung von diesem Tag an mit monatlich brutto 3.027,50 S, vom 1. Jänner 1991 an mit 3.178,90 S fest. Der Pensionsberechnung zu diesem Bescheid ist zu entnehmen, daß dabei 187 Versicherungsmonate in Österreich nach dem ASVG und eine Bemessungsgrundlage nach § 238 ASVG von 9.176,-- S sowie eine solche nach § 239 ASVG von 9.300,-- S berücksichtigt wurden. Die Pensionshöhe wurde aus einem Steigerungsbetrag von 25,492 % der Bemessungsgrundlage von 9.300,-- S für 161 Versicherungsmonate (= 2.370,80 S), aus einem Steigerungsbetrag von 4,116 % der Bemessungsgrundlage von 9.176,-- S für 26 Versicherungsmonate (= 377,70,-- S) und aus einem Kinderzuschlag für ein Kind von 3 % der Bemessungsgrundlage von 9.300,-- S (= 279,-- S) ermittelt.

Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage richtet sich auf eine (höhere) Berufsunfähigkeitspension unter Berücksichtigung eines Kinderzuschlages für insgesamt drei Kinder, nämlich auch für die am 14. Oktober 1960 in Mexiko geborene Marina Celia und die am 24. Juni 1962 in Mexiko geborene Sylvia. Die Klägerin sei zur Zeit der Geburt dieser Kinder wegen der damaligen Auslandsverwendung ihres im Dienste der Bundeswirtschaftskammer stehenden Ehegatten gezwungen gewesen, in Mexiko zu leben, doch sei der Wohnsitz in Österreich (M*****) nie aufgegeben worden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil die Klägerin zur Zeit der Geburt der beiden genannten Kinder ihren Wohnsitz in Mexiko gehabt habe, wo sie vom 1. März 1959 bis 14. Juli 1970 gelebt habe.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging dabei von folgendem Sachverhalt aus: Nach ihrer Eheschließung im Jahre 1955 lebte die Klägerin mit ihrem Ehegatten Heinrich Z***** zunächst in Kärnten, wo am 28. Jänner 1956 ihre Tochter Monika geboren wurde. Als der Ehegatte 1957 seine Tätigkeit bei der Bundeswirtschaftskammer aufnahm, übersiedelte das Ehepaar in das Haus der Eltern der Klägerin in M*****, in dem der Vater der Klägerin Haushaltsvorstand war. Die Klägerin hatte mit ihrem Ehegatten (damals) in Österreich keine gemeinsame eigene Wohnung, sondern sie bewohnte im genannten Haus ihrer Eltern einige Wohnräume mit. 1959 übersiedelte die Klägerin mit ihrem Ehegatten nach Mexiko, weil er bei der dortigen Außenhandelsstelle der Bundeswirtschaftskammer tätig war. Die Klägerin wohnte in Mexiko City, führte dort den Haushalt und erzog ihre 1960 bzw 1962 in Mexiko geborenen Kinder Marina (1962, richtig 1960) und Sylvia (1960, richtig 1962), die dort auch die Schule besuchten. Weder die Klägerin noch ihr Ehegatte standen zur Zeit der Geburt dieser beiden Kinder in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zu einer (österreichischen) Gebietskörperschaft. Die Klägerin hatte "zum Zeitpunkt ihres Auslandsaufenthaltes kein Beschäftigungsverhältnis in Österreich". Während der Tätigkeit des Ehegatten der Klägerin in Mexiko erwarben die Ehegatten 1963 anläßlich eines Heimaturlaubes ein Haus in M*****. Dieses bewohnten sie zunächst nur dann, wenn die Familie während des nicht jährlichen Heimaturlaubes mehrere Wochen in Österreich war, seit ihrer Rückkehr aus Mexiko im Jahre 1970 jedoch ständig.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes hatte die Klägerin zur Zeit der Geburt ihrer beiden Kinder Marina und Sylvia keinen Wohnsitz in Österreich, weshalb ihr für diese beiden Kinder kein Kinderzuschlag gebühre.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge.

Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig; sie ist auch berechtigt. Nach § 261a Abs 1 ASVG idgF der 41. ASVGNov BGBl 1986/111 erhöht sich der sich nach § 261 ergebende Hundertsatz bei einer weiblichen Versicherten für jedes lebendgeborene Kind, sofern die Versicherte im Zeitpunkt der Geburt ihren Wohnsitz im Inland hatte, unbeschadet Abs 2 und 3, im Ausmaß von 3 vH der Bemessungsgrundlage, wenn mehrere Bemessungsgrundlagen angewendet werden, der höchsten Bemessungsgrundlage (Kinderzuschlag) (Abs 1).

Der den Kinderzuschlag regelnde § 261a ASVG wurde durch die 40. ASVGNov BGBl 1984/484 eingeführt. Die RV zu dieser Nov. 327 BlgNR 16. GP, führte dazu ua aus (18f): "Im Zusammenhang mit der Schaffung eines neuen Pensionsbemessungssystems wurden auch Überlegungen angestellt, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um der besonderen Situation weiblicher Versicherter Rechnung zu tragen, die wegen der Geburt ihre Beschäftigung für längere Zeit unterbrechen oder die wegen ihrer Einkommensverhältnisse dazu nicht in der Lage sind. Als Ergebnis dieser Überlegungen wird vorgeschlagen, dies durch einen neuen Leistungsbestandteil, nämlich einen eigenen Kinderzuschlag zu bewirken (§§ 261a, 284a ASVG). Eine solche Maßnahme erscheint auch im Hinblick auf den vorgeschlagenen Wegfall des Grundbetrages erforderlich. Dabei wurde geprüft, ob der Kinderzuschlag nicht geschlechtsneutral wahlweise demjenigen Elternteil gebühren soll, der sich tatsächlich der Kindererziehung gewidmet hat. Eine solche Lösung schien jedoch aus mehreren Gründen nicht realisierbar. Einerseits würde die Überprüfung im Regelfall erst Jahrzehnte nach der Kindererziehung erfolgen und somit auf Beweisschwierigkeiten stoßen, andererseits wäre eine solche Überprüfung nur im Rahmen eines recht kostenaufwendigen Verfahrens möglich. Weiblichen Versicherten soll künftig zusätzlich zum Steigerungsbetrag (sowohl zu den Alterspensionen als auch zu Pensionen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit) ein Kinderzuschlag in der Höhe von 3 vH der Bemessungsgrundlage für jedes im Inland lebendgeborene Kind... gebühren. ..... Durch die vorgeschlagene Regelung wird erreicht, daß weiblichen Versicherten unter Einschluß der schon bisher vorgesehenen Ersatzzeit der unmittelbar nach der Entbindung liegenden 12 Monate für ein Kind in der Regel 2 2/3 Versicherungsjahre in der Pensionsversicherung angerechnet werden."

Im Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung 390 BlgNR 16. GP heißt es dazu ergänzend ua (5): "Ziel des Kinderzuschlages, ..., ist es, der besonderen Situation weiblicher Versicherter Rechnung zu tragen, die wegen der Geburt eines Kindes ihre Beschäftigung für längere Zeit unterbrechen. ... Die Änderung zu § 261a Abs 1 bzw zu § 284a Abs 1 ASVG trägt dem Einwand Rechnung, daß die in der RV normierte Voraussetzung für die Gewährung des Kinderzuschlages, nämlich die Geburt im Inland, zu ungewollten Härten führen kann. Das Kriterium der Geburt im Inland soll daher durch das Kriterium des inländischen Wohnsitzes der Versicherten im Zeitpunkt der Geburt des Kindes ersetzt werden. Die Voraussetzung des inländischen Wohnsitzes ist nach Auffassung des Ausschusses für soziale Verwaltung auch erfüllt, wenn die Versicherte zum Kreis der sich im Ausland aufhaltenden Personen gemäß 26 Abs 3 BAO zählt."

Der wiedergegebene Wortlaut des § 261a Abs 1 ASVG idgF der 41. ASVGNov, dessen Wortlaut - mit Ausnahme der darin bezogenen Gesetzesstelle - mit dem ebenfalls durch die 40. ASVGNov eingeführten, den Kinderzuschlag zur Knappschafts(alters)- vollpension regelnden § 284a ASVG, aber auch mit den gleichartigen, den Kinderzuschlag zur Alters(Erwerbsunfähigkeits)pension behandelnden §§ 131 Abs 1 BSVG und 140 Abs 1 GSVG übereinstimmt, unterscheidet sich vom Text der 40. ASVGNov BGBl 1984/484 nur durch eine für die Auslegung dieses Abs nicht erhebliche Änderung eines Absatzzitates.

Nach den Übergangsbestimmungen des Art IV Abs 8 der 40. ASVGNov und des Art VI Abs 11 der 41. ASVGNov ist ua § 261a ASVG idF des Art II Z 18 der erstzitierten Novelle bzw idF des Art IV Z 7 der zweitzitierten Novelle nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 31. Dezember 1984 liegt.

Der im zit Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung zur RV der

40. ASVGNov bezogene § 26 Abs 3 Bundesabgabenordnung (BAO) - hatte idF vor der BAONov 1988, BGBl 412 folgenden Wortlaut:

"In einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehende österreichische Staatsbürger, die ihren Dienstort im Ausland haben (Auslandsbeamte), werden wie Personen behandelt, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt am Ort der die Dienstbezüge anweisenden Stelle haben. Das gleiche gilt für deren Ehegatten, sofern die Eheleute in dauernder Hausgemeinschaft leben, und für deren minderjährige Kinder, die zu ihrem Haushalt gehören."

Durch Art I Z 1 BAO-Novelle 1988 BGBl 412 wurde § 26 Abs 3 erster Satz BAO dahin geändert, daß das Wort "Gebietskörperschaft" durch die Wortfolge "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" ersetzt wurde. Diese Novelle geht auf den Bericht und Antrag des Finanzausschusses 688 BlgNR 17. GP zurück, worin zur Änderung des § 26 Abs 3 BAO ausgeführt wurde:

"Der Anwendungsbereich des § 26 Abs 3, der bisher auf in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehende österreichische Staatsbürger, die ihren Dienstort im Ausland haben (Auslandsbeamte), beschränkt war, soll durch die vorgeschlagene Regelung auch auf Dienstnehmer anderer Körperschaften des öffentlichen Rechtes ausgedeht werden. Von dieser Gleichstellung wären zB die Handelsdelegierten der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft betroffen. Abgabenrechtliche Bedeutung hätte die vorgeschlagene Regelung etwa für die Frage der unbeschränkten Steuerpflicht bei der Einkommen- und Vermögenssteuer sowie für den Inländerbegriff des § 6 Abs 2 ErbStG 1955."

Nach Art II Z 1 BAO-Novelle 1988 ist deren Art I Z 1 auf Fälle anzuwenden, in denen der Abgabenanspruch nach dem 31. Dezember 1988 entsteht.

§ 26 BAO mit der Überschrift "6. Wohnsitz, Aufenthalt, Sitz" gehört zu den angabenrechtlichen Begriffsbestimmungen. Sein Abs 1 definiert den Begriff "Wohnsitz iS der Abgabenvorschriften", den jemand dort hat, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Abs 2 dieser Gesetzesstelle definiert den "gewöhnlichen Aufenthalt iS der Abgabenvorschriften", den jemand dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt... Abs 3 wurde oben wiedergegeben.

Das ASVG verwendet den Begriff "Wohnsitz" nicht nur im hier anzuwendenden § 261a, sondern zB auch in den §§ 3, 16, 19, 19a, 26, 30, 40, 129), in der letztgenannten Gesetzesstelle auch den Begriff "ordentlicher Wohnsitz", definiert diese Begriffe aber nicht.

Übereinstimmend mit dem von Teschner-Fürböck in MGA, ASVG 42. ErgLfg 207 FN 3 zu § 16 zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes 5. Dezember 1980, 3333/79 ist diesbezüglich auf § 66 Abs 1 JN zurückzugreifen, nach dessen zweitem Satz "der Wohnsitz einer Person an dem Orte begründet ist, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen".

Daß eine Person mehrere Wohnsitze haben kann, wird sowohl im § 66 JN, (Abs 3 idF BGBl 1983/135 bzw Abs 2 in der früheren Fassung) als auch im § 30 Abs 2 ASVG ausdrücklich gesagt.

Nach dem durch Art III Z 2 BGBl 1975/412 aufgehobenen § 70 JN war der allgemeine Gerichtsstand des Ehemannes auch der seiner Ehegattin ... (Abs 1). Wenn der Ehemann seinen Wohnsitz in Österreich aufgegeben, seine Gattin jedoch im Inland zurückgelassen hatte, so begründete ihr ständiger Aufenthalt für sie den allgemeinen Gerichtsstand insolange, als nicht der Ehemann wieder seinen Wohnsitz in Österreich genommen hatte (Abs 2 leg cit). Dieser abgeleitete Gerichtsstand entsprach der in der bis 31. Dezember 1975 geltenden Fassung des § 92 ABGB festgelegten Verpflichtung der Gattin, "dem Manne in seinen Wohnsitz zu folgen" (Fasching, Komm I 379).

Nach dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt lebte die Klägerin nach der Eheschließung im Jahre 1955 mit ihrem Ehemann zunächst in Kärnten, wo am 18. Jänner 1956 ihre älteste Tochter geboren wurde. Als der Ehemann 1957 eine Tätigkeit bei der Bundeswirtschaftskammer (- die ihren Sitz in Wien hat -) aufnahm, übersiedelte das Ehepaar in das Haus der Eltern der Klägerin in M*****, wo es einige Wohnräume mitbewohnte. 1959 übersiedelten sie nach Mexiko, weil der Ehemann bei der dortigen Außenhandelsstelle der Bundeswirtschaftskammer tätig war. 1963 erwarben die Ehegatten anläßlich eines Heimaturlaubes ein Haus in M*****, das sie zunächst nur dann bewohnten, wenn die Familie während des nicht jährlichen Heimaturlaubes mehrere Wochen in Österreich war, seit ihrer Rückkehr aus Mexiko 1970 jedoch ständig.

Auf Grund dieser Feststellungen läßt sich einerseits noch nicht verläßlich beurteilen, ob der Ehemann der Klägerin im Hause seiner Schwiegereltern in Mödling einen Wohnsitz begründete, sich dort also in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hatte, dort seinen bleibenden Aufenthalt zu nehmen.

Dazu müßte neben dem körperlichen Moment des tatsächlichen Aufenthaltes an diesem Ort die nach außen erkennbare Absicht bestanden haben, dort einen bleibenden, wenn auch nicht immerwährenden (JBl 1955, 407; RZ 1985/53) Aufenthalt zu nehmen (Fasching, Komm I 373f; ders, ZPR2 Rz 273; RZ 1984/17; JBl 1985, 629 = RZ 1985/53).

Anderseits kann auch noch nicht beurteilt werden, ob der Ehemann der Klägerin, als er mit dieser 1959 wegen seiner Tätigkeit bei der Außenhandelsstelle der Bundeswirtschaftskammer in Mexiko dorthin übersiedelte, seinen allenfalls in M***** begründeten Wohnsitz aufgab.

Daß jemand einen neuen Wohnsitz begründet, hebt (für sich allein) den bisherigen nicht auf (RZ 1937, 186), weil man, wie schon erwähnt, mehrere Wohnsitze haben kann, die teilweise im Inland und teilweise im Ausland gelegen sein können (Fasching, Komm I 374 unter Berufung auf OLG Wien 14. Jänner 1935 EvBl 1935/133; VerwGH 23. November 1970, 1875, 1876/69, ZVR 1971/174; RZ 1985/53).

In der zitierten Entscheidung führte der Verwaltungsgerichtshof ua aus, zur Absicht, einen Wohnsitz zu begründen, sei kein ununterbrochener Aufenthalt an einem Ort erforderlich. Der Wohnsitz werde auch nicht durch jede Unterbrechung verloren, sofern nur an dem betreffenden Ort ein Mittelpunkt des persönlichen Lebens geschaffen werde; daher sei auch ein mehrfacher Wohnsitz möglich. Eine Person könne sowohl im Inland als auch im Ausland einen ordentlichen Wohnsitz haben. Die Gründung eines solchen im Inland sei nicht zwangsläufig mit der Aufgabe des ausländischen verbunden, vielmehr könne ein inländischer Wohnsitz angenommen werden, wenn die Person im Inland auch einen Hausstand gegründet habe und dorthin alljährlich vom Ausland auf eine gewisse Zeit komme.

Selbst ein jahrelanger Aufenthalt im Ausland läßt insbesondere dann nicht zwingend auf die Aufgabe des Wohnsitzes in Österreich schließen, wenn der Auslandsaufenthalt unmittelbar durch eine berufliche Tätigkeit bedingt war (VerwGH 2. Oktober 1957 Slg. 4437/A; 30. Juni 1971 Slg 8050/A; 14. September 1973, Zl 551/73 zitiert in SozSi 1982, 535 und bei Teschner-Fürböck, ASVG 42. ErgLfg 207 FN 3a zu § 16). In der letztzitierten Entscheidung wurde auch ausgeführt, daß eine polizeiliche Abmeldung im Inland für sich allein über die Beibehaltung oder Aufgabe des Wohnsitzes nichts aussage, wenn in der bisherigen Wohnung - auch damals der Eltern - weiterhin eine Wohngelegenheit bestanden habe.

Der Wohnsitzbegriff setzt keine dauernde körperliche Anwesenheit voraus; Reisen und auch längere geschäftliche Aufenthalte an anderen Orten vermögen den einmal begründeten Wohnsitz nicht zu beenden, solange die - sich allenfalls auch aus den Umständen des Einzelfalles schlüssig ergebende - Absicht, am Ort der Niederlassung den bleibenden Aufenthalt weiter bestehen zu lassen, fortbesteht. Die Dauer des Inlandsaufenthaltes ist für sich allein nicht ausschlaggebend. Wesentlich ist vielmehr selbst bei kurzer Dauer des Aufenthaltes, ob Umstände vorliegen, die dauernde Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen (EFSlg 49.259; RZ 1990/52; zuletzt 28. November 1990, 1 Ob 682/90).

Solche Indizien liegen hier insbesondere deshalb vor, weil in einem Dienstverhältnis zur Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, einer Körperschaft öffentlichen Rechtes, stehende österreichische Staatsbürger üblicherweise sowohl während ihrer Zuteilung zu einer Außenhandelsstelle, etwa in den Urlauben, als auch nach Beendigung ihrer Zuteilung immer wieder nach Österreich zurückkommen und dann häufig wieder in ihrer trotz der vorübergehenden beruflichen Auslandsverwendung beibehaltenen Wohnung wohnen.

Daß solche Personen und ihre mit ihnen in dauernder Haushaltsgemeinschaft lebenden Ehegatten nach § 26 Abs 3 BAO idF der BAONov BGBl 1988/412 im Abgabenrecht wie Personen behandelt werden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt am Orte der die Dienstbezüge anweisenden Stelle, bei der Bundeswirtschaftskammer also in Wien haben, kann allerdings - entgegen der im bereits zitierten Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung zur RV zur 40. ASVGNov 390 BlgNR 16. GP 5 und auch in der Revision vertretenen Auffassung - die im § 261 a ASVG verlangte Voraussetzung des inländischen Wohnsitzes der Versicherten im Zeitpunkt der Geburt eines Kindes, für das ein Kinderzuschlag begehrt wird, nicht ersetzen, zumal die Auffassung des Ausschusses im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden hat.

Ob die Klägerin im Zeitpunkt der Geburt ihrer Töchter Marina Celia am 14. Oktober 1960 und Sylvia am 24. Juni 1962 (auch bzw noch) einen Wohnsitz in Österreich hatte, kann im Sinne der obigen Ausführungen erst nach Erörterung und Feststellung aller dafür maßgeblichen Umstände abschließend beurteilt werden.

Deshalb waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache war zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E30288

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00058.92.0915.000

Dokumentnummer

JJT_19920915_OGH0002_010OBS00058_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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