TE OGH 1992/10/15 8Ob627/92

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Veröffentlicht am 15.10.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** U*****rstraße 13, vertreten durch DDr. Hans Esterbauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei I***** U*****-Straße 10, vertreten durch Dr.Karl Friedrich Strobl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 18.November 1991, GZ 21c R 3/91-49, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 1.Februar 1992, GZ C 2/90-43, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die angefochtene Berufungsentscheidung, die in ihrem Punkt 1 und im Punkt 2 hinsichtlich des Ausspruchs der Scheidung der Ehe nach § 50 EheG mangels Anfechtung unberührt bleibt, wird im übrigen dahin abgeändert, daß der im Punkt 2 enthaltene Verschuldensausspruch zu entfallen hat.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 1752 an Barauslagen erster Instanz und die mit S 6148,80 (darin S 724,80 Umsatzsteuer und S 1800 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrensbinnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile begründeten Ende 1986 eine Lebensgemeinschaft und schlossen am 13.5.1988 die Ehe, die bis Juli 1989 unauffällig verlief: Der Kläger arbeitete auswärts und kam nur jeweils für einige Tage nach Hause; die Beklagte führte den Haushalt, betreute eine Tante des Klägers und nahm nach deren Tod verschiedene Beschäftigungen an.

Im Juli 1989 begann die Beklagte ein auffälliges Verhalten an den Tag zu legen. Sie trank Alkohol, war angespannt, gereizt und unruhig, ging mehrfach in Bars und kam nachts spät nach Hause. Sie kochte dem Kläger nicht mehr und reinigte nicht mehr seine Wäsche, in der ganzen Wohnung lagen schmutzige Gegenstände herum. Dieses Verhalten steigerte sich bis zum 9.8.1989. An diesem Tag verständigte der Kläger die Polizei telefonisch von seinem auswärtigen Arbeitsplatz aus, daß er sich nach einem Telefonat mit seiner Frau Sorge um deren Geisteszustand mache. Die Polizei fuhr daraufhin zur ehelichen Wohnung und läutete. Die Beklagte kam zur versperrten Wohnungstür und sprach durch die geschlossene Tür ständig von Magnetfeldern, die sie am Öffnen der Tür hindern würden. Nach dem gewaltsamen Öffnen der Tür stellte die Polizei fest, daß sämtliche Platten des Küchenherdes und das Backrohr voll aufgedreht waren und daß sich auf der Herdplatte glosende Speisereste und Lebensmittel befanden. Es bestand Brandgefahr. Das Wohnzimmer war völlig verwüstet. Die Frau selbst war alkoholisiert, lachte die ganze Zeit und redete wirr von magischen Zeigern und Magnetfeldern.

Draufhin wurde die Beklagte in die Landesnervenklinik eingeliefert; im Laufe der Behandlung besserte sich ihr Zustand. Es wurde festgestellt, daß sie an einer manisch-depressiven Erkrankung leidet, wobei psychopathologisch Phasen von verworrener Manie im Vordergrund stehen. Alkoholabusus tritt nur im Zusammenhang mit einer manischen Phase auf. Erstmals dürfte diese Erkrankung bereits 1983 aufgetreten sein. Zwischen diesem Zeitpunkt und der Eheschließung war die Beklagte mehrfach in Behandlung. Die Ärzte erkannten jedoch nicht die Krankheitsursache und vermuteten, daß die Auffälligkeiten auf Alkoholabusus zurückzuführen seien. Sie konnte daher selbst von ihrer Krankheit nichts wissen und nach ihrer letzten Entlassung im Jahr 1986 davon ausgehen, geheilt zu sein. Die genaue Ursache für die Erkrankung ist nicht bekannt. Wesen der Erkrankung ist, daß in nicht vorhersehbaren Abständen entweder depressive oder manische Stimmungsauslenkungen auftreten; im Fall der Beklagten bis zur verworrenen Manie. Diese Phasen klingen nach einer gewißen Dauer restfrei ab, sodaß sich in den phasenfreien Zeiten keinerlei psychische Auffälligkeiten zeigen. Das Wiederauftreten des Krankheitsbildes ist ungewiß, jedoch weist sie eine erhöhte Bereitschaft hiefür auf.

Bereits ein Monat, nachdem die Beklagte in die Landesnervenklinik eingeliefert worden war, brachte der Kläger die Scheidungsklage ein und weigerte sich, seine Gattin nach erfolgreicher Behandlung wieder in die eheliche Wohnung aufzunehmen. In der Zwischenzeit lebt er in der früheren Ehewohnung mit einer anderen Frau, welche ihm den Haushalt führt. Die Beklagte hat unter Hilfestellung sozialer Stellen eine Wohnung gefunden.

Der Kläger begehrte vorerst die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten, weil diese während der letzten Monate vor Klagseinbringung offenbar aufgrund einer geistigen Störung ein derartiges Verhalten an den Tag gelegt habe, welches die Ehe tief zerrüttet habe, daß an eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr gedacht werden könne. In der Folge erhob er auch eine Eheaufhebungsklage, die unangefochten abgewiesen wurde.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und in eventu den Ausspruch des Mitverschuldens des Klägers. Sie wandte ein, die Zerrüttung gehe auf das Alleinverschulden des Klägers zurück; sie sei aufgrund der zunehmenden Vernachlässigung in einen depressiven Zustand geraten. Der Kläger habe sie seit August 1989 nur zweimal in der Landesnervenklinik besucht und auch dies nur, um ihr seine Scheidungsabsicht mitzuteilen und die Wohnungsschlüssel wegzunehmen.

Das Erstgericht wies die Eheaufhebungsklage implizit ab und sprach die Scheidung der Ehe gemäß § 51 EheG wegen der manisch-depressiven Geisteshaltung der Beklagten aus.

Gegen dieses Urteil richtete sich die Berufung der Beklagten; sie beantragte Klagsabweisung und eventu den Ausspruch eines Verschuldens des Klägers an dem Scheitern der Ehe.

Das Berufungsgericht gab dieser Berufung teilweise Folge, schied die Ehe nach § 50 EheG und sprach aus, daß den Kläger ein Verschulden an der Ehescheidung treffe. Die Revision an den Obersten Gerichtshof ließ es nicht zu.

In seiner rechtlichen Beurteilung führt das Berufungsgericht aus, daß der Kläger weder ein Tatsachenvorbringen in Richtung einer unheilbaren Aufhebung der geistigen Gemeinschaft (§ 51 EheG) erstattet habe noch die Feststellungen des Erstgerichtes darauf schließen ließen. Die Ehe sei vielmehr nach § 50 EheG zu scheiden, weil sie wegen des der Beklagten infolge ihrer geistigen Störung nicht als Eheverfehlung anrechenbaren Verhaltens unheilbar zerrüttet sei. Für die Anwendung der Härteklausel (§ 54 EheG) lägen die Voraussetzungen nicht vor. Wohl aber sei gemäß § 61 Abs 2 EheG auszusprechen, daß den Kläger ein Verschulden treffe.

Auf Antrag der Beklagten sei im Fall der Scheidung nach den §§ 50 bis 52 EheG ein Verschulden des Klägers auszusprechen, wenn jene zur Zeit der Erhebung der Klage oder später auf Scheidung wegen Verschuldens des Klägers hätte klagen können. Diese Bestimmung solle verhindern, daß jemand, dessen Verhalten als Summe schwerer Eheverfehlungen zu beurteilen wäre, die Krankheit seines Ehepartners zum Anlaß nimmt, eine Scheidungsklage durchzusetzen, bei der sein erhebliches Verschulden nicht berücksichtigt und hiedurch der Ehepartner um ansonsten berechtigte Unterhaltsansprüche gebracht würde. Sei jedoch wesentlicher Grund für die Zerrüttung der Ehe auch das Verhalten des mit der geistigen Erkrankung oder Störung behafteten Ehepartners, so wäre es grob unbillig, dieses Verhalten völlig außer acht zu lassen und die Ehe auf eine Art zu scheiden, die den Kläger so stellte, als hätte sein Gegner mit einer auf alleiniges Verschulden des Klägers gestützten Ehescheidungsklage Erfolg gehabt. Ein Ausspruch eines Verschuldens nach § 61 Abs 2 EheG habe daher zu unterbleiben, wenn die einseitige Schuldfestsetzung gegen den Kläger der Billigkeit grob widerspreche. Das sei in der Regel dann der Fall, wenn das Verhalten des Beklagten zur Zerrüttung der Ehe ebenso oder noch schwerer beigetragen habe wie das Verhalten des Klägers.

Das Berufungsgericht meinte, die Eheverfehlungen des Klägers seien so schwerwiegend, daß die nach der Rechtsprechung bei Anwendung des § 61 Abs 2 EheG anzustellenden Billigkeitserwägungen einem Verschuldensausspruch nicht entgegenstünden. Er habe die Scheidungsklage bereits knapp ein Monat nach Einlieferung der Beklagten in die Landesnervenklinik, nachdem diese zuvor lediglich rund 1 1/2 Monate lang ihm gegenüber ein ehewidriges, ihr aber nicht zurechenbares Verhalten an den Tag gelegt habe, eingebracht und seine Frau nach dem Abklingen des Krankheitsschubes nicht mehr in die Wohnung gelassen. Dies stelle einen schweren Verstoß gegen die im Rahmen der Ehe zu erwartende Loyalität, also gegen die Beistandspflicht dar.

Der Ausspruch über die Scheidung der Ehe nach § 50 EheG blieb unangefochten. Der Kläger bekämpft in seiner außerordentlichen Revision nur den Ausspruch seines Verschuldens und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Verschuldensfeststellung unterbleibe.

Die Beklagte beantragt die außerordentliche Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger macht mit Recht geltend, daß der Verschuldensausspruch der oberstgerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere der E SZ 44/66 widerspreche und die Zulassung der Revision zur Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit geboten sei (hiezu mit ausführlicher Begründung EFSlg 46.695 ua).

Das Berufungsgericht hat zwar die oberstgerichtlichen Rechtssätze richtig wiedergegeben; vergleicht man aber die Sachverhalte, zeigt sich, daß es die einzelnen Schuldelemente abweichend von der Judikatur des Höchstgerichtes gewichtet und somit unrichtig angewandt hat. Der Oberste Gerichthshof hatte sich in den E SZ 44/66, EFSlg

54.480 und 6 Ob 741/88 mit vergleichbaren Fällen zu befassen gehabt und dort den Ausspruch eines Verschuldens des Klägers als grob unbillig abgelehnt. Wie im vorliegenden Fall wurde auch dort die Krankheit der Beklagten weder durch das Verhalten des Klägers ausgelöst noch wesentlich mitbeeinflußt und es ging die wesentliche Ursache für die Zerrüttung der Ehe von dem krankheitsbedingten Verhalten der Beklagten aus. Obwohl den Klägern in den beiden letztgenannten Fällen eindeutig ein wesentlich gröberes Fehlverhalten zur Last zu legen war als im vorliegenden Fall - sie verloren nicht nur (wie hier) sehr bald nach Ausbruch der Krankheit der Beklagten jeden Ehewillen, sondern hatten sich bereits lange vorher äußerst lieb- und verständnislos gegenüber der jeweiligen Beklagten verhalten bzw gingen nur ihren eigenen Interessen nach -, sah der Oberste Gerichtshof einen Verschuldensausspruch als unbillig an. Zur Herstellung der Einzelfallgerechtigkeit - gleiches muß gleich gemessen werden - muß er auch hier entfallen und das Berufungsurteil in diesem Sinn abgeändert werden.

Diese Änderung führt auch zu Änderungen im Kostenpunkt. Die Aufhebung der Kosten erster Instanz beruht auf § 45a Abs 1 ZPO. Dies gilt gemäß § 393 Abs 1 EO auch für die Kosten des Provisorialverfahrens (vgl EFSlg 52.460, 61.171, 64.419 ua). Da der Kläger die gesamten Barauslagen im Sinn des § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO (Pauschalgebühr S 750 und Sachverständigengebühr S 2754) getragen hat, ist ihm gemäß § 45a Abs 1 letzter Satz ZPO die Hälfte davon zu ersetzen. Gleiche Grundsätze gelten im Sinn des § 50 ZPO auch für das Berufungsverfahren, weil in diesem das Scheidungsbegehren samt Verschuldensausspruch Streitgegenstand war, letztlich aber auf Ehescheidung ohne Verschuldensausspruch erkannt wurde.

Im Revisionsverfahren war nur mehr der Verschuldensausspruch Streitgegenstand; diesbezüglich hat der Kläger vollständig obsiegt, weshalb ihm gemäß §§ 41, 50 ZPO die Kosten des Revisionsverfahrens zuzusprechen waren.

Anmerkung

E30943

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0080OB00627.92.1015.000

Dokumentnummer

JJT_19921015_OGH0002_0080OB00627_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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