TE OGH 1992/11/10 10ObS221/92

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Veröffentlicht am 10.11.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Köck (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Kurt Retzer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr.Friedrich R*****, Facharzt, ***** vertreten durch Dr.Friedrich Fritsch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (Landesstelle Graz), 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.Juni 1992, GZ 8 Rs 7/92-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 30. Oktober 1991, GZ 32 Cgs 98/91-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen bei Exekution S 1.757,42 an rückständiger Versehrtenrente für den Zeitraum 1. bis 14.April 1991 zu zahlen und die mit S 23.152,08 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 3.858,68 Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Das Mehrbegehren, die Versehrtenrente im bisherigen Ausmaß über den 14. April 1991 hinaus weiter und ohne Einschränkung zu gewähren, wird abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25.März 1991 hat die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die dem Kläger für die Folgen der Berufskrankheit gemäß § 177 ASVG Anlage 1 Nr. 38 in Höhe von 20 v. H. der Vollrente mit monatlich S 3.765,90 festgesetzte Versehrtenrente gemäß § 99 Abs 2 und 3 ASVG mit Ablauf des Monates März 1991 für die Dauer der Weigerung, zur angeordneten Nachuntersuchung zu erscheinen, entzogen. Begründet wurde dieser Bescheid damit, daß der Kläger der Anordnung, zur Begutachtung bei einem Facharzt für Hautkrankheiten in Graz zu erscheinen, trotz Aufforderung nicht Folge geleistet habe.

Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zu verpflichten, ihm die Versehrtenrente im bisherigen Ausmaß über den Monat März 1991 hinaus weiter und ohne Einschränkung zu gewähren. Er habe keine Aufforderung erhalten, zur Begutachtung zu erscheinen. Es habe auch keine Ursache für die Vornahme einer Nachuntersuchung bestanden, weil sich die Umstände, die zur Gewährung der Versehrtenrente geführt haben, nicht geändert hätten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Mehrfacher Aufforderungsschreiben zur Nachuntersuchung hätten dem Kläger nicht zugestellt werden können, insbesondere nicht an die von ihm bekanntgegebenen Zustelladressen. Schließlich sei ihm ein Schreiben der beklagten Partei vom 27.Februar 1991 am 4.März 1991 unter der Adresse Sch*****, Postfach 56, zugestellt worden, in dem er auf die Rechtsfolgen hingewiesen worden sei, wenn er einer Einladung zur Nachuntersuchung nicht nachkomme; er habe auch die gesetzte Frist zur Stellungnahme bis 15.März 1991 fruchtlos verstreichen lassen, weshalb die beklagte Partei nach mehrfachen Verstößen gegen die Meldevorschrift des § 40 ASVG, Nichtdurchführbarkeit einer angeordneten Nachuntersuchung und nach schriftlichem Hinweis auf die Rechtsfolgen gemäß § 99 Abs 2 ASVG die Versehrtenrente entzogen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die beklagte Partei hat für Oktober 1990 eine Nachuntersuchung des Klägers zum Zweck der Klärung der Frage, ob im Zustand der Berufskrankheit eine wesentliche Änderung eingetreten sei, vorgesehen. Sie war durch ein Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 30.Juli 1990 in Kenntnis gesetzt worden, daß der Kläger von seinem bisherigen Wohnsitz in H*****, unbekannt verzogen sei. Auf Grund der von der beklagten Partei angestellten Nachforschungen wurde die neue Zustelladresse mit ***** M*****, Postfach 43, bekanntgegeben. Rückscheinbriefe sowohl an die alte als auch an die neue Zustelladresse blieben jedoch unbehoben (richtig: konnten nicht zugestellt werden, weil der Empfänger unbekannt war; Blatt 203 und 207 des Anstaltsakts). Auch einer neuerlichen Vorladung zur Nachuntersuchung am 7.Dezember 1990 in der angiologischen Abteilung des Landeskrankenhauses Salzburg leistete der Kläger nicht Folge. Ein weiteres Schreiben an den Kläger vom 3.Dezember 1990 mit dem Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 99 Abs. 2 ASVG konnte unter der neuen Zustelladresse ***** M*****, Postfach 43, wieder nicht zugestellt werden. Mit Schreiben der Bundespolizeidirektion Graz vom 23.Jänner 1991 wurde der beklagten Partei mitgeteilt, daß der Kläger seit 6. März 1990 unter der Adresse ***** G*****, M*****straße 60/28, gemeldet ist. Der Nachuntersuchungsaufforderung vom 28.Jänner 1991, die an die neue Adresse zugestellt wurde, leistete der Kläger wiederum nicht Folge. Auch das Schreiben der beklagten Partei vom 27. Februar 1991 konnte dem Kläger nicht zugestellt werden, nachdem auch hier ein Zustellversuch an der neuen Zustelladresse in G***** erfolglos blieb. Die Zustellung des angefochtenen Bescheides erfolgte zu Handen des bevollmächtigten Klagsvertreters.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 27.August 1991 wurde dem Kläger ab dem 15.April 1991, d.i. ab dem Tag der durchgeführten Nachuntersuchung, bis auf weiteres die Versehrtenrente im früheren Ausmaß, nämlich von monatlich S 3.765,90 wieder gewährt, und zwar als Dauerrente gemäß § 209 Abs 1 ASVG.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, der Kläger habe den Meldevorschriften nach § 40 ASVG mehrfach zuwidergehandelt. Die Einstellung der Versehrtenrente durch den angefochtenen Bescheid mit Ende März 1991 sei gemäß § 99 Abs 2 und 3 ASVG zu Recht erfolgt, weil der Kläger sich als Anspruchsberechtigter nach Hinweis auf die Folgen durch den Versicherungsträger einer Nachuntersuchung entzogen habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Auszugehen sei davon, daß dem Kläger trotz mehrfacher Versuche, ihn zu einer Nachuntersuchung zu veranlassen, schließlich auch das Schreiben vom 27.Februar 1991, mit welchem er darauf hingewiesen werden sollte, daß die Leistung auf Zeit entzogen werden könne, wenn er sich einer Nachuntersuchung oder Beobachtung entziehe, nicht zugestellt werden konnte, weil der Zustellversuch auch an der neuen Adresse in G*****, M*****straße 60, erfolglos geblieben sei. Es stelle sich daher die Frage, ob die Bestimmung des § 99 Abs 2 ASVG auch dann angewendet werden könne, wenn sich der Anspruchsberechtigte durch Nichtmeldung von der Änderung seines Wohnsitzes und Nichtbehebung von Schriftstücken des Versicherungsträgers konsequent einer zumutbaren Beobachtung entziehe. Diese Frage sei zu bejahen. Um dem Versicherungsträger die Möglichkeit zu geben, mit dem Versicherten überhaupt Kontakt herzustellen, müsse der Aufenthaltsort des Versicherten bekannt sein. Daraus folge die Verpflichtung des Versicherten, zur Bekanntgabe der neuen Adresse bei Adressenänderung. Aus dem Gesamtzusammenhalt folge, daß der Kläger es geradezu darauf angelegt habe, sich der Beobachtung durch den Sozialversicherungsträger zu entziehen. Dies gehe auch daraus hervor, daß er noch im gegenständlichen Gerichtsverfahren bei Klagseinbringung vermieden habe, eine Adresse bekanntzugeben. Daraus sei der gedankliche Rückschluß möglich, daß erst der Entzug der Leistungen durch die beklagte Partei den Kläger veranlaßt habe, die Nachuntersuchung endlich durchführen zu lassen. Durch seine Pflichtverletzungen habe es der Kläger der beklagten Partei unmöglich gemacht, ihm die nötigen Belehrungen und die Androhung der Sanktion zukommen zu lassen. Die Voraussetzungen zu der im Ermessen der beklagten Partei gelegenen befristeten Entziehung der Versehrtenrente bis zur Durchführung der Nachuntersuchung durch den Kläger seien daher gegeben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Er beantragt die Abänderung im Sinne einer vollen Klagsstattgebung.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist Voraussetzung einer Entziehung der Leistung gemäß § 99 Abs 2 ASVG, daß der Anspruchsberechtigte, der sich einer Nachuntersuchung oder Beobachtung entzieht, auf die Rechtsfolge dieser Handlungsweise hingewiesen wird. Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen, die mit dem Inhalt des Anstaltsaktes übereinstimmen, sollte der Kläger lediglich in dem Schreiben der beklagten Partei vom 27.Februar 1991 auf die Folge des § 99 Abs 2 ASVG hingewiesen werden. Gerade dieses Schreiben konnte dem Kläger aber unter der Anschrift ***** G*****, M*****straße 60/28, nicht zugestellt werden. Auf Grund eines Vermerkes auf dem RSb-Brief ergibt sich, daß der Kläger einen Nachsendeauftrag an das Postfach 56 des Postamtes ***** Sch***** erteilt hatte. Von diesem Postamt wurde die Zustellung als unzulässig mit der Begründung verweigert, daß die Zustellung eines RSb-Briefes an ein Postfach nicht möglich sei. Diese Auffassung ist zutreffend, weil gemäß § 192 PO dem Empfänger ein Schließfach lediglich zur Abholung von nicht bescheinigten Briefsendungen zur Verfügung gestellt werden kann. Ein Postschließfach ist aber keine zulässige Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes (Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht, 32 mit weiteren Nachweisen). Auch Sozialversicherungsträger haben gemäß der Verweisungsnorm des § 21 AVG für Zustellungen die Vorschriften des Zustellgesetzes anzuwenden; dem Sozialversicherungsträger obliegt es, die erfolgte Zustellung nachzuweisen. Verzichtet er trotz § 22 AVG auf die Beigabe eines Zustellscheins, trägt er das Risiko einer nicht oder nicht gehörig erfolgten Zustellung. Kann etwa einem Bescheidadressaten bei fehlerhafter Zustellung nicht anderweitig bewiesen werden, daß ihm der Bescheid tatsächlich zugekommen ist, gilt der Bescheid als nicht ergangen (Oberndorfer in Tomandl SV-System 6. ErgLfg 666). Daraus folgt, daß die Nichtzustellung des RSb-Briefes vom 27.Februar 1991 nicht dem Kläger, sondern einer Mißachtung von Zustellvorschriften durch die Post anzulasten ist: Anstatt der unzulässigen Weiterleitung an ein Postfach hätte im Sinne der §§ 16 und 17 ZustG vorgegangen werden müssen. Ein anderer Hinweis auf die Rechtsfolge des § 99 Abs 2 ASVG wurde von der beklagten Partei nicht behauptet. Auch die Versuche, die Schreiben vom 4.Oktober 1990 und 3.Dezember 1990 dem Kläger mit RSb-Briefen an die Adresse ***** M*****, Postbox 43, zuzustellen, waren untauglich und im Widerspruch mit den Zustellregeln. Der Schluß des Berufungsgerichtes, daß es der Kläger geradezu darauf angelegt habe, sich der Beobachtung durch den Sozialversicherungsträger zu entziehen, ist daher nicht zwingend.

Es trifft zu, daß der Aufenthaltsort des Versicherten bekannt sein muß, um dem Versicherungsträger die Möglichkeit zu geben, mit dem Versicherten überhaupt Kontakt herzustellen. Ob die bloße Verletzung von Meldevorschriften nach § 40 ASVG bereits die Entziehung der Leistung nach § 99 Abs 2 ASVG rechtfertigt, kann jedoch im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Im Anstaltsakt befindet sich nämlich ein Schreiben des nunmehrigen Klagsvertreters vom 21.Februar 1991 (Blatt 233), mit welchem dieser der beklagten Partei anzeigte, daß ihn der Kläger mit der Vertretung seiner Interessen beauftragt habe. Mit Schreiben vom 1.März übermittelte der Klagsvertreter der beklagten Partei eine Kopie der ihm erteilten Vollmacht vom 21. Februar 1991. Diese Vollmacht ermächtigte den Klagevertreter, den Kläger u.a. in allen Angelegenheiten zu vertreten und insbesondere auch Zustellungen aller Art anzunehmen. Da nur die Zeit ab 1.4.1991 streitgegenständlich ist, die beklagte Partei aber bereits am 4.3.1991 im Besitz der genannten Vollmacht war, hätte sie die Aufforderung, sich einer Nachuntersuchung zu unterziehen, unter Hinweis auf die Rechtsfolge einer Nichtbefolgung dieser Aufforderung unverzüglich dem Klagevertreter zustellen müssen. Ab dem Zeitpunkt der Vollmachtsvorlage waren jedenfalls die früheren Verletzungen der Meldepflicht für die zum 1.4.1991 ausgesprochene Entziehung der Leistung nicht mehr kausal. Wird nämlich ein Zustellungs- oder Prozeßbevollmächtigter namhaft gemacht, kann rechtswirksam nur an den Bevollmächtigten, nicht mehr an die Partei selbst zugestellt werden (§ 9 ZustG; Oberndorfer aaO). Eine Aufforderung zur Nachuntersuchung unter Hinweis auf die Folge des § 99 Abs 2 ASVG ist aber an den Klagsvertreter nicht erfolgt, sondern die beklagte Partei erließ wenige Wochen später den angefochtenen Bescheid vom 25.März 1991. Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 99 Abs 2 ASVG war zu diesem Zeitpunkt jedenfalls die Entziehung der Leistung nicht mehr gerechtfertigt.

Die beklagte Partei hat allerdings mit Bescheid vom 27.August 1991 die Versehrtenrente ab 15.April 1991, d.i. ab dem Tag der Nachuntersuchung, im bisherigen Ausmaß wieder gewährt. Dieser Bescheid wurde dem Klagsvertreter am 28.August 1991, also rund 2 Monate vor Schluß der Verhandlung erster Instanz zugestellt (Blatt 276 des Anstaltsaktes). Durch diesen Bescheid erfolgte eine teilweise Klaglosstellung des Klägers, sodaß Gegenstand des Verfahrens eigentlich nur mehr die Nichtgewährung der Versehrtenrente für den Zeitraum vom 1. bis 14.April 1991 bildete; dies ergibt rechnerisch S 1.757,42 (14/30 von S 3.765,90). In teilweiser Stattgebung der Revision waren die Urteile der Vorinstanzen im Sinne eines Zuspruches dieses Betrages abzuändern. Da der Kläger jedoch sein auf unbestimmte Zeit lautendes Klagebegehren nicht einschränkte, war das entsprechende Mehrbegehren abzuweisen (vgl. SSV-NF 4/152).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit. a ASGG. Dringt der Versicherte mit seinem Anspruch nur zum Teil durch, hat er ebenfalls einen Anspruch nach dem Wert des Ersiegten (Kuderna, ASGG, 412 Erl 6 zu § 77). Die Kostenbemessungsgrundlage beträgt 50.000 S (§ 77 Abs 2 ASGG). Für die Klage gebührt nur der einfache Einheitssatz (SSV-NF 5/77).

Anmerkung

E30333

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00221.92.1110.000

Dokumentnummer

JJT_19921110_OGH0002_010OBS00221_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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