TE OGH 1992/11/24 4Ob551/92

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Veröffentlicht am 24.11.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Redl und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerald K*****, vertreten durch Dr.Tassilo Neuwirth und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Kurt W*****,

2. Brigitte W*****, beide vertreten durch Dr.Josef Sailer, Rechtsanwalt in Bruck an der Leitha, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert S 110.000) infolge Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 27.Mai 1992, GZ 13 R 41/92-19, womit das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 25.November 1991, GZ 8 Cg 254/90-15, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Klagebegehren des Inhalts

1. die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger S 80.000 samt 4 % Zinsen seit dem Klagetag binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu zahlen

2. es werde festgestellt, daß die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schadenersatzansprüche des Klägers aus dem Unfall vom 27.2.1990 unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers im Ausmaß von 50 % haften

mit Endurteil abgewiesen wird.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten zur ungeteilten Hand die mit S 60.751,09 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (davon S 8.335,48 Umsatzsteuer und S 10.800,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger feierte am 26.Februar 1990 mit anderen Bundesheersoldaten in Bruck an der Leitha seine Abrüstung. Gegen Mitternacht verlor er nach mehreren Gasthausbesuchen in schwer alkoholisiertem Zustand die Orientierung und geriet in die H*****gasse. Er betrat die den Beklagten je zur Hälfte gehörende Liegenschaft Nr 15, welche nicht eingezäunt aber mit einem Einfriedungssockel abgegrenzt war, überstieg den Einfriedungssockel im rechten Teil des Grundstücks und ging entlang des Hauses nach hinten um das (damals nicht gefüllte) Schwimmbecken herum und wieder zur Vorderseite des Hauses zurück. Dann ging er auf der 2 m breiten, aus zwölf Stufen bestehenden Stiege bis zur Eingangstür des Einfamilienhauses. Diese Stiege war damals nicht mit einem Stiegengeländer oder einer sonstigen Abgrenzung abgesichert. Vorher war bereits ein Stiegengeländer angebracht gewesen, von den Beklagten aber einige Tage vor dem 26.Februar 1990 abmontiert worden, weil es verzinkt werden sollte. Als der Kläger über die Stiege wieder herunterging, verlor er infolge seiner Alkoholisierung im oberen Bereich das Gleichgewicht und stürzte über die Stiege und die neben dem Stiegenabgang befindliche Stützmauer zur Garageneinfahrt etwa 2,5 m tief ab; hiebei zog er sich schwere Kopfverletzungen zu.

Der Kläger begehrt von den Beklagten unter Berücksichtigung eines eigenen Mitverschuldens von 50 % ein Schmerzengeld von S 80.000 und die Feststellung, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schadenersatzansprüche aus diesem Unfall zur Hälfte hafteten, weil sie den Stiegenaufgang nicht ordnungsgemäß mit einem Geländer abgesichert hätten.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei nicht wegen Fehlens eines Geländers, sondern infolge seiner schweren Alkoholsierung gestürzt; er habe das Grundstück der Beklagten, das nicht für den öffentlichen Verkehr bestimmt gewesen sei, widerrechtlich betreten.

Das Erstgericht stellte mit Teil- und Zwischenurteil fest, daß der Schadenersatzanspruch des Klägers dem Grunde nach zu einem Drittel (= 2/3 des Klagebegehrens) zu Recht bestehe und die Beklagten für alle künftigen Schäden des Klägers aus diesem Unfall zu einem Drittel zu haften hätten.

Gemäß § 41 nöBauO seien an allen absturzgefährlichen Stellen, zu denen der Zutritt möglich ist, Geländer und Brüstungen so auszuführen, daß auch Kinder ausreichend geschützt sind. Diese Bestimmung sei ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB; sie umschreibe genau das Verhalten, das eine abstrakte Gefährdung von Rechtsgütern verhindern soll. Dieses Schutzgesetz hätten die Beklagten durch das Unterlassen der Sicherung des Stiegenaufganges verletzt. Während einer Reparatur oder Umgestaltung des Geländers hätten sie eine provisorische Sicherung anbringen müssen. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang liege vor, da diese Bestimmung der nöBauO den Schutz der körperlichen Sicherheit bezwecke. Der Schutzzweck dieser Norm sei nicht auf die Familie und deren Besucher eingeschränkt; der geschützte Personenkreis umfasse vielmehr auch Personen, die das Grundstück unbefugt betreten. Wegen der groben Sorglosigkeit des Klägers in eigenen Angelegenheiten sei eine Schadensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu seinen Lasten gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nur teilweise Folge. Es stellte - ausgehend von einer Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Klägers - fest, daß das Zahlungsbegehren zur Hälfte zu Recht bestehe und die Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden des Klägers aus dem Unfall zu einem Viertel zu haften hätten; das Mehrbegehren wies es ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die ausdrückliche Einbeziehung von Kindern in den Schutzbereich des § 41 nöBauO bedeute eine Erweiterung des Schutzes der körperlichen Sicherheit. Der geschützte Personenkreis umfasse nicht nur jene Personen die das Grundstück befugt betreten. Zur Unfallszeit sei weder ein Zaun noch ein Gartentor vorhanden gewesen; jedermann habe daher ungehindert unter Benützung der Stiege zur Hauseingangstür gelangen können. Der Sturz des Klägers sei eine adäquate Folge der mangelnden Sicherung der Stiege. Die Adäquanz fehle nur dann, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig ist und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen Bedingung für den Schadenseintritt war. Es komme aber nicht darauf an, ob der Schädiger den Schaden vorhersehen konnte. Da die Beklagten gegen § 41 nöBauO verstoßen hätten, hafteten sie gemäß § 1311 ABGB auch dann, wenn der Eintritt des Schadens im Einzelfall nicht vorhersehbar gewesen wäre.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ 43/132, in welcher der Schutzzweck der Norm auf Personen beschränkt wurde, die befugterweise in den Gefahrenbereich gelangen, habe einen anderen Sachverhalt betroffen. Der aus der mangelnden Absicherung des Stiegenaufganges resultierende Schaden sei vom Schutzzweck der Norm umfaßt.

Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit außerordentlicher Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragen, die Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Den Beklagten fällt zwar eine Verletzung der Schutznorm (§ 1311 ABGB) des § 41 nöBauO zur Last, weil sie an einer absturzgefährdenden Stelle, zu welcher der Zutritt möglich war, (vorübergehend) kein Geländer angebracht haben. Der Kläger kann sich aber auf die Verletzung dieser Schutznorm durch die Beklagten nicht erfolgreich berufen, weil er widerrechtlich ein fremdes Grundstück betreten und sich dadurch einem erkennbaren Risiko, das ein anderer geschaffen hat, ausgesetzt hat. Er hat damit auf eigene Gefahr gehandelt (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht**2 I 96, 254; Stoll, Das Handeln auf eigene Gefahr 264 ff). Daß das Grundstück der Beklagten noch nicht eingezäunt war, ändert an diesem Charakter der Handlungsweise des Klägers nichts, war doch nach dem gesamten Eindruck des verbauten Grundstückes (beinahe fertiggestelltes Einfamilienhaus mit Stützmauern, Garageneinfahrt und Begrenzungssockel) bei gehöriger Aufmerksamkeit leicht erkennbar, daß es sich um eine der Allgemeinheit nicht zugängliche private Liegenschaft handelte; außerdem hatte der Kläger diese Liegenschaft durch Übersteigen eines Begrenzungssockels betreten. Wenn auch auf Privatgrundstücken nach herrschender Meinung nicht nur Personen gegenüber, die das Grundstück betreten müssen, sondern auch gegenüber Personen, die aus erlaubtem Eigeninteresse das Grundstück betreten - zB um sich nach der Adresse eines Dritten zu erkundigen - (Geigel, Haftpflichtprozeß20, 334 mwN) und wohl auch gegenüber Kindern, von denen das Respektieren fremder Grundstücke und das Erkennen der mit dem Betreten verbundenen Gefahr vielfach nicht erwartet werden darf (vgl. Koziol Haftpflichtrecht aaO 96 FN 34), für die Verkehrssicherheit gehaftet wird, so gilt dies doch jedenfalls nicht für widerrechtliches Betreten fremder Anlagen durch Erwachsene (Stoll aaO 264 ff; 270).

Ähnlich wie bei der - nach den äußeren Umständen erkennbar - unerlaubten Benützung eines Weges (§ 1319a Abs 1 ABGB) kann sich der geschädigte Kläger auch hier auf den mangelhaften Zustand der Stiege, die er widerrechtlich und zudem ohne jedes vernünftige Eigeninteresse nur infolge seiner starken Alkoholisierung betreten hatte, nicht berufen, hat er doch damit nichts anderes als unerlaubte Wege im Bereich eines fremden Privatgrundstückes begangen. Daß die Selbstgefährdung des Geschädigten unter solchen Umständen zur Aufhebung der Schutzpflicht der Schädiger führen kann, hat der Oberste Gerichtshof auch in der Entscheidung SZ 43/132 anerkannt, in welcher er ausgesprochen hat, daß der Zweck einer Schutznorm auf den Schutz solcher Personen beschränkt ist, die befugterweise in den Gefahrenbereich gelangen. Der Kläger hat daher die Folgen seiner Verletzung, die auf das Betreten eines fremden Grundstücks im Zustand starker Alkoholisierung zurückzuführen ist, selbst zu tragen.

Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben und das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E33149

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0040OB00551.92.1124.000

Dokumentnummer

JJT_19921124_OGH0002_0040OB00551_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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