TE OGH 1992/11/25 2Ob54/92

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Veröffentlicht am 25.11.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber, Dr.Kropfitsch, Dr.Zehetner und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** Versicherung*****, *****, vertreten durch Dr.Bertram Grass, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Guido G*****, vertreten durch Dr.Josef Spiegel und Dr.Herwig Mayrhofer, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen S 1,213.768,50 s.A., infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 10.Juli 1992, GZ 4 R 107/92-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 20.Jänner 1992, GZ 10 Cg 200/91-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 19.366,20 (darin S 3.227,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte fuhr am 21.11.1988 mit seinem PKW von München in Richtung Schweiz. Da die Fahrbahn schneebedeckt war, kaufte er in München Schneeketten und ließ sie an den Hinterrädern seines Fahrzeuges montieren. Der Monteur sagte ihm, er könne damit bis in die Schweiz fahren. Der Beklagte hatte noch nie Schneeketten aufgezogen, er war auch zur Demontage nicht imstande. Er fuhr Richtung Bregenz, hielt die vom Monteur empfohlene Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h ein und kam nach mehreren Stunden Fahrt über weitgehend schneebedeckte Fahrbahnen zur deutsch-österreichischen Grenze. Infolge Dunkelheit und starken Schneefalles verlor er die Orientierung und gelangte auf die Rheintalautobahn (A 14). Er übersah den 100 m vor Beginn des Pfändertunnels aufgestellten Überkopfwegweiser, auf dem der Pfändertunnel angekündigt wurde und auf dem auch die Länge des Tunnels, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h und ein Überholverbot angeführt waren. Die Fahrbahn vor dem Tunnel war schneebedeckt. Der Beklagte fuhr unbeabsichtigt in den Tunnel ein und setzte dort seine Fahrt mit ca. 50 km/h fort. Bis dorthin ergaben sich keine Anzeichen, daß mit den Schneeketten etwas nicht in Ordnung ist. Der Pfändertunnel ist 6,7 km lang, die Fahrbahn ist 7,5 m breit und weist durchgehend eine doppelte Sperrlinie auf. Pannenstreifen sind nicht vorhanden. Das Tunnelinnere ist übersichtlich (Sicht auf ca. 1 km) und künstlich beleuchtet. Die Fahrbahn war trocken. Außerhalb des Tunnels war es dunkel, es herrschte Schneetreiben. In Fahrtrichtung des Beklagten befindet sich die erste Ausweichstelle nach 1800 m und die zweite nach weiteren 1700 m. Nachdem der Beklagte im Tunnel eine längere Strecke zurückgelegt hatte, verspürte er ein immer stärker werdendes Schlagen gegen die Karosserie seines Fahrzeuges. Er wußte nicht, woher dieses Geräusch stammt. Zunächst dachte er an einen Bruch der Achse oder etwas ähnliches. Schließlich kam ihm der Gedanke, daß es auch die Schneeketten sein könnten. Er befürchtete, daß sich die Ketten um die Achse wickeln, ein Rad blockieren und zu einer Drehbewegung des Fahrzeuges führen könnten. Der Beklagte beschloß deshalb, stehen zu bleiben, um Nachschau zu halten. Zunächst fuhr er ein Stück weiter und suchte eine Ausweiche, währenddessen das Geräusch immer stärker wurde. Aus der Sicht des Beklagten wurde die Situation immer bedrohlicher, sodaß er es als zu großes Risiko betrachtete, weiterzufahren. Da eine Ausweiche nicht in Sicht war, lenkte er seinen PKW gegen den rechten Fahrbahnrand und brachte ihn in der Weise zum Stillstand, daß sich das rechte Räderpaar auf dem Gehsteig zwischen Tunnelwand und Fahrbahn befand. Der Beklagte schaltete die Warnblinkanlage ein, stieg aus und begab sich zum Heck des Wagens. Er stellte fest, daß die am rechten Hinterrad aufgezogene Schneekette gerissen war. Er sah keine Möglichkeit, diese Kette selbst zu entfernen, öffnete den Kofferraum und überlegte, ob er weiterfahren oder das Pannendreieck herausnehmen soll. Die unmittelbar hinter dem Beklagten nachfahrende PKW-Lenkerin sah auf größere Entfernung die eingeschaltete Warnblinkanlage, brachte ihren PKW zunächst hinter dem Fahrzeug des Beklagten zum Stillstand und fuhr, als es der Gegenverkehr zuließ, an diesem vorbei. Der mit einem PKW nachkommende Alfred J***** sah auf eine Entfernung von 300 bis 400 m den Wagen des Beklagten bzw. die Warnblinkanlage, schaltete ebenfalls die Warnblinkanlage ein, ließ sein Fahrzeug ausrollen und brachte es hinter dem PKW des Beklagten zum Stillstand. Zu dieser Zeit überlegte der Beklagte, ob er weiterfahren oder ein Warndreieck aufstellen soll. Hinter dem von Alfred J***** gelenkten PKW lenkte Willibald P***** einen LKW-Zug, der aus einem Zugfahrzeug (Eigengewicht 8100 kg, Nutzlast 7830 kg, beladen mit 3800 kg) und einem dreiachsigen Anhänger (Eigengewicht 5500 kg, Nutzlast 16.500 kg, beladen mit 7980 kg) bestand. Die Hinterreifen des Anhängers waren teilweise abgefahren. Willibald P***** hielt eine Geschwindigkeit von 80 km/h ein, reagierte auf die stehenden Fahrzeuge des Alfred J***** und des Beklagten zu spät und mußte eine Vollbremsung einleiten. Der LKW-Zug geriet ins Schleudern, rammte den PKW des Alfred J***** und drückte ihn gegen das Heck des Fahrzeuges des Beklagten. In der Folge brach der LKW-Zug auf die Gegenfahrbahn aus und kollidierte mit einem entgegenkommenden PKW, dessen Lenker schwerste Verletzungen erlitt.

Die Klägerin als Haftpflichtversicherer des LKW-Zuges erbrachte Schadenersatzleistungen an den schwerstverletzten Lenker des entgegenkommenden Fahrzeuges, an die Vorarlberger Gebietskrankenkasse und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, außerdem leistete sie Schadenersatz für den von Alfred J***** gelenkten PKW. Insgesamt bezahlte sie S 2,427.537,--.

Die Klägerin begehrt die Bezahlung eines Betrages von S 1,213.768,50 mit der Begründung, der Beklagte habe ein Mitverschulden am Unfall im Ausmaß von 50 % zu vertreten. Er habe im Tunnel Schneeketten verwendet, ohne daß dies notwendig gewesen wäre und dadurch gegen § 102 Abs.9 KFG verstoßen, es hätte ihm auch klar sein müssen, daß er mit den Schneeketten im relativ schmalen Tunnel für die anderen Fahrzeuge ein Hindernis darstellen werde. Außerdem sei ihm ein nach § 24 Abs.1 lit.b StVO unzulässiges Halten in einem Straßentunnel zur Last zu legen. Wichtige Umstände im Sinne des § 2 Abs.1 Z 26 StVO seien nicht gegeben gewesen, der Beklagte hätte nach Auftreten des Geräusches noch mit niedriger Geschwindigkeit bis zur nächsten Ausweiche fahren müssen. Abgesehen davon wäre es ihm auch möglich gewesen, ohne Benützung des Pfändertunnels in Richtung Schweiz zu gelangen. In diesem Fall hätte er nicht über einen längeren Abschnitt auf aperer Straße fahren müssen.

Der Beklagte wendete ein, Willibald P*****, der eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und viel zu spät reagiert habe, treffe das Alleinverschulden am Unfall. Dem Beklagten sei kein Verschulden anzulasten, ein allfälliges Mitverschulden würde auch völlig in den Hintergrund treten. Ein allfälliger Verstoß gegen § 102 Abs.9 KFG stehe mit dem Verkehrsunfall in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil diese Bestimmung nur der Verhinderung von Fahrbahnschäden diene. Überdies sei der Beklagte nur aufgrund eines entschuldbaren Irrtums in den Tunnel gefahren. Es liege auch kein Verstoß gegen § 24 Abs.1 lit.b StVO vor, weil ein wichtiger Grund zum Anhalten bestanden habe. Der Beklagte hafte auch nicht nach § 9 EKHG. Es bestehe auch kein adäquater Kausalzusammenhang zwischen seinem Verhalten und den Schäden, da mit einem gehäuften Fehlverhalten, wie es dem LKW-Lenker zur Last liege, niemand rechnen müsse. Der Kausalzusammenhang sei auch unterbrochen worden. Jedenfalls bestehe aufgrund des gravierenden Verschuldens des LKW-Lenkers zu einem Ausgleich im Sinne des EKHG kein Anlaß.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Ansicht, die Bestimmung des § 102 Abs.9 KFG verpöne das Befahren eines 6,7 km langen Tunnels mit Schneeketten, es bestehe aber kein Rechtswidrigkeitszusammenhang, da Schutzzweck des Kettenverbotes die Verhinderung von Fahrbahnschäden sei. Wesentlich sei daher, ob das Stehenbleiben im Tunnel als "Anhalten" im Sinne des § 2 Abs.1 Z 26 StVO oder ein gemäß § 24 Abs.1 lit.b StVO verbotenes "Halten" gewesen sei. Ein wichtiger Grund, der das Zumstillstandbringen im Sinne des § 2 Abs.1 Z 26 StVO rechtfertige, sei ein plötzlich aufgetretener oder drohender Fahrzeugschaden. In einem solchen Fall dürfe der Lenker anhalten, um den Schaden zu besichtigen und die Möglichkeit der Weiterfahrt zu prüfen. Das vom Beklagten verspürte, immer stärker werdende Schlagen gegen die Karosserie sei ein bedenkliches Geräusch gewesen, welches auf einen unmittelbar bevorstehenden, die Sicherheit des Betriebes beeinflussenden Schaden habe hindeuten können. Der Beklagte sei daher berechtigt gewesen, nach der Ursache des Geräusches zu forschen. Nicht entscheidend sei, wie hoch rückblickend die Wahrscheinlichkeit gewesen sei, daß sich die gerissene Schneekette tatsächlich um die Achse wickle und das Rad blockiere. Es habe somit ein wichtiger Umstand vorgelegen, der das Zumstillstandbringen des Fahrzeuges gerechtfertigt habe. Selbst wenn man aber diese Ansicht nicht teilte, trete das schuldhafte Fehlverhalten des Beklagten gegenüber dem gravierenden Verschulden des LKW-Lenkers derart in den Hintergrund, daß es vernachlässigt werden könne.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß ein Betrag von S 606.884,25 samt Zinsen zugesprochen und das Mehrbegehren in gleicher Höhe abgewiesen wurde. Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, es könne dem Beklagten nicht als Verschulden angelastet werden, anstelle der durch Bregenz führenden Bundesstraße den Pfändertunnel benützt zu haben. Berücksichtige man, daß zahlreiche Vorschriften des Kraftfahrgesetzes nach der Rechtsprechung der Verkehrssicherheit dienen sollen, und daß die Verwendung von Schneeketten nicht nur im Interesse des Schutzes der Fahrbahnoberfläche, sondern auch im Interesse der Verkehrssicherheit im Hinblick auf die beim Lenken eines mit Ketten versehenen Kraftfahrzeuges (insbesondere auf nicht schneebedeckter Fahrbahn) auftretenden Probleme auf das unbedingt erforderliche Ausmaß beschränkt werden sollen, erscheine es gerechtfertigt, als Zweck der Bestimmung des § 102 Abs.9 KFG auch die Vermeidung von Verkehrsunfällen anzuerkennen. Auch bei an sich durchgehender Schneefahrbahn lasse sich allerdings nicht vermeiden, daß zwischendurch auch kurze schneefreie Strecken (wie etwa Unterführungen oder kurze Tunnels) befahren werden müssen, auf denen die Verwendung von Schneeketten nicht erforderlich wäre. Es würde nicht der Verkehrssicherheit entsprechen, bei jeder auch nur kurzen Unterbrechung der Schneefahrbahn die Schneeketten jeweils ab- und wieder aufzumontieren, zumal oft hiefür nicht genügend Platz vorhanden sei. Bei den am Unfallstag gegebenen Fahrbahnverhältnissen, die grundsätzlich eine Verwendung von Schneeketten erlaubten, wäre es dem Beklagten daher nicht zumutbar gewesen, die Ketten vor dem Pfändertunnel abzumontieren, wobei auch nicht feststehe, daß nach dem Passieren des Überkopfwegweisers überhaupt noch die Möglichkeit bestanden hätte, vor dem Tunnel erlaubterweise zu halten und die Ketten abzumontieren. Es könne von einem Kraftfahrzeuglenker auch nicht verlangt werden, nachdem er im Tunnel schon eine erhebliche Strecke zurückgelegt habe, noch in einer Ausweiche stehenzubleiben und die Ketten abzumontieren, um den restlichen Teil des Tunnels ohne Schneeketten befahren zu können. Beizupflichten sei dem Erstgericht, daß es sich beim Stehenbleiben im Tunnel um ein zulässiges Anhalten im Sinne des § 2 Abs.1 Z 26 StVO gehandelt habe, da die Befürchtung des Beklagten, daß sich die gerissene Kette um die Achse wickeln und dabei das Rad blockieren könnte, nicht von der Hand zu weisen gewesen sei. Auch bei Fortsetzung der Fahrt mit weit herabgesetzter Geschwindigkeit hätte die Gefahr eines größeren Fahrzeugschadens durch eingeklemmte Teile der gerissenen Kette bestanden, die der Beklagte nicht habe in Kauf nehmen müssen. Abgesehen davon sei fraglich, ob ein Weiterfahren mit weit herabgesetzter Geschwindigkeit gegenüber dem Anhalten eine wesentliche Verbesserung für die Sicherheit der übrigen Verkehrsteilnehmer erbracht hätte. Das Erstgericht habe somit zutreffend ein Verschulden des Beklagten verneint. Damit sei aber eine Ausgleichspflicht nach § 11 Abs.1 EKHG noch nicht ausgeschlossen. Die Haftung für gewöhnliche Betriebsgefahr trete nach ständiger Rechtsprechung zwar gegenüber einem Verschulden des Gegners zur Gänze zurück, je nach den Umständen des Falles komme aber eine Ausgleichspflicht in Betracht, wenn und soweit der Schaden auf eine von einem der beteiligten Fahrzeuge ausgehende außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen sei. Dabei komme es auf die Umstände des Einzelfalles an, wobei bei einem eindeutigen und schwerwiegenden Verschulden eines Beteiligten zu prüfen sei, ob Anlaß bestehe, auch den anderen Beteiligten zum Ausgleich heranzuziehen. Die von einem in einem Autobahntunnel von nur 7,5 m Breite mit Gegenverkehr und einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h angehaltenen PKW ausgehende Betriebsgefahr sei eine außergewöhnliche, es sei gerechtfertigt, trotz des eindeutigen und schwerwiegenden Verschuldens des Lenkers des LKW-Zuges auch den Beklagten als Fahrzeughalter zum Schadenersatz heranzuziehen. Wegen des beträchtlichen Verschuldens des Lenkers des LKW-Zuges, der nicht nur eine für die Bauart des Fahrzeuges unzulässige Geschwindigkeit von 80 km/h (anstelle der nach § 58 Abs.1 Z 2 lit.e KDV zulässigen Geschwindigkeit von 70 km/h) eingehalten, sondern viel zu spät auf die aus größerer Entfernung deutlich wahrnehmbaren stehenden Fahrzeuge reagiert habe, sei eine Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zugunsten des Beklagten angemessen. Selbst wenn dem Beklagten ein schuldhafter Verstoß gegen § 102 Abs.9 KFG oder § 24 Abs.1 lit.b angelastet werden könnte, wäre diese Schadensteilung gerechtfertigt. Am adäquaten Kausalzusammenhang könne kein Zweifel bestehen.

Beide Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revisionen, in denen der Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht wird. Die Klägerin begehrt die vollinhaltliche Stattgebung des Klagebegehrens, der Beklagte die Abweisung des gesamten Klagebegehrens. Die Parteien beantragen jeweils, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind zulässig, aber nicht berechtigt.

Zur Revision der Klägerin:

Zutreffend ist die Ansicht des Berufungsgerichtes, es sei dem Beklagten nicht als Verschulden anzulasten, den Tunnel mit Schneeketten befahren zu haben. Gemäß § 102 Abs.9 KFG dürfen Schneeketten zwar nur verwendet werden, wenn dies erforderlich ist. Dies bedeutet aber nicht, daß bei jeder Unterbrechung einer Schneefahrbahn die Ketten abmontiert werden müssen. Eine derartige Verpflichtung könnte es erforderlich machen, im Zuge einer Fahrt Schneeketten immer wieder zu montieren und abzumontieren. Dies könnte einem Kraftfahrer nicht zugemutet werden und würde auch der Verkehrssicherheit nicht dienlich sein, da am Fahrbahnrand zum Zweck der Kettenmontage zum Stillstand gebrachte Fahrzeuge bei winterlichen Verhältnissen eine Gefahrenquelle darstellen können. Im vorliegenden Fall war die Fahrbahn bis zum Beginn des Tunnels mit Schnee bedeckt, die Verwendung von Schneeketten war daher gerechtfertigt. Aufgrund der Wetterlage mußte der Beklagte damit rechnen, auch nach dem Tunnel wieder eine Schneefahrbahn vorzufinden und daher wenige Minuten nach einer Demontage der Ketten vor der Notwendigkeit zu stehen, die Ketten wieder montieren zu müssen. Überdies wäre es auch bei Richtigkeit der Behauptung der Klägerin, zur Demontage der Ketten wäre vor dem Unfall genügend Platz gewesen (das zum Beweis dafür angeführte Lichtbild auf S.99 des Strafaktes zeigt allerdings nicht einmal einen Pannenstreifen), für den Beklagten nicht erkennbar gewesen, ob nach dem Tunnel eine Fläche vorhanden ist, auf der die Ketten neuerlich gefahrlos montiert werden können. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß eine Kettenmontage auf dem Pannenstreifen einer Autobahn bei Schneefahrbahn und sichtbehinderndem Schneetreiben nicht als völlig gefahrlos bezeichnet werden kann. Aus diesen Gründen stellte das Befahren des Tunnels mit Schneeketten, obwohl dieser 6,7 km lang war, keinen Verstoß gegen § 102 Abs.9 KFG dar. Der Beklagte hat dadurch auch nicht - wie die Klägerin meint - gegen allgemeine Sorgfaltspflichten verstoßen. Er war auch nicht verpflichtet, die Ketten an einer Ausweichstelle des Tunnels abzumontieren. Da keine Verletzung des § 102 Abs.9 KFG vorlag, ist es nicht erforderlich, auf die Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhanges einzugehen. Da der Kläger mit Ketten in den Tunnel einfahren durfte, ist es auch ohne Bedeutung, ob er den Überkopfwegweiser, auf dem die Länge des Tunnels angeführt war, hätte sehen müssen. Dem Kläger kann auch nicht vorgeworfen werden, daß er nicht anstelle der Autobahn die Bundesstraße, auf der kein Tunnel zu befahren war, benützt habe.

Nicht berechtigt sind auch die Revisionsausführungen, dem Beklagten sei ein verbotenes Halten anzulasten. Gemäß § 2 Abs.1 Z 26 StVO ist Anhalten das durch die Verkehrslage oder durch sonstige wichtige Umstände erzwungene Zumstillstandbringen eines Fahrzeuges. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß ein unmittlbar drohender Fahrzeugdefekt ein wichtiger Umstand im Sinne dieser Bestimmung ist (ZVR 1973/1 und 77; ZVR 1977/185; ZVR 1980/250; ZVR 1983/169 und 210; ZVR 1984/186; ZVR 1987/48 uva). Tritt bei Verwendung von Schneeketten ein immer stärker werdendes Schlagen gegen die Karosserie auf, dann kann dem Lenker nicht zugemutet werden, noch eine längere Strecke zu fahren, und zwar auch nicht mit verminderter Geschwindigkeit. Es muß ihm zugebilligt werden, das Fahrzeug zum Stillstand zu bringen, um sich von der Ursache des ihm bedrohlich erscheinenden Geräusches zu überzeugen. Es kann von ihm nicht verlangt werden, die Fahrt fortzusetzen, ohne zu wissen, ob eine Weiterfahrt trotz des Schlagens zu einem Fahrbahndefekt oder zu einem Blockieren eines Rades führen könne. Es war daher ein wichtiger Grund vorhanden, das Fahrzeug zum Stillstand zu bringen, weshalb es sich um ein Anhalten, nicht aber um ein verbotenes Halten handelte. Für ein Verschulden des Beklagten am Kettenriß besteht kein Anhaltspunkt, zumal die eingehaltene Geschwindigkeit von etwa 50 km/h nicht zu beanstanden ist (vgl. MGA-KFG4 Anm.24 zu § 4 KDV).

Zutreffend gingen die Vorinstanzen somit davon aus, daß den Beklagten am Unfall kein Verschulden trifft. Im Hinblick auf das schwerwiegende Verschulden des Lenkers des LKW-Zuges wäre es nicht gerechtfertigt, eine aus einer Betriebsgefahr resultierende Mithaftung des Beklagten mit einem Anteil von mehr als einem Viertel festzusetzen.

Zur Revision des Beklagten:

Die gewöhnliche Betriebsgefahr wird durch das Verschulden des Schädigers in der Regel ganz zurückgedrängt, eine Ausgleichspflicht nach § 11 EKHG kommt aber dann in Betracht, wenn der Schaden auf eine außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen ist (Apathy, EKHG, Rz 28 zu § 11; Koziol2 II 564; ZVR 1974/81; ZVR 1988/64 und 121 ua). Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ist dann anzunehmen, wenn die Gefahren, die regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges verbunden sind, durch das Hinzutreten besonderer, nicht schon im normalen Betrieb gelegener Umstände vergrößert werden. Der Unterschied zwischen gewöhnlicher und außergewöhnlicher Betriebsgefahr ist funktionell darin zu erblicken, daß zur gewöhnlichen Betriebsgefahr besondere Gefahrenmomente hinzutreten, die nach dem normalen Ablauf der Dinge nicht schon dadurch gegeben waren, daß ein Kraftfahrzeug überhaupt in Betrieb gesetzt wurde (Apathy, EKHG, Rz 29 zu § 9; ZVR 1984/2; ZVR 1989/78; ZVR 1991/93 ua). Ein in einem Autobahntunnel mit Gegenverkehr, in welchem für jede Fahrtrichtung nur ein Fahrstreifen zur Verfügung steht, zum Stillstand gebrachtes mehrspuriges Fahrzeug schafft - entgegen der Ansicht des Beklagten - eine äußerst gefährliche Situation, die weit über die vom gewöhnlichen Betrieb ausgehende Gefahr hinausgeht. Der Beklagte hat daher eine außergewöhnliche Betriebsgefahr zu verantworten. Der Umstand, daß sich die Situation für den Lenker des LKW-Zuges nicht anders dargestellt hätte, wenn ein anderes Hindernis - etwa ein Tier, ein Felssturz oder das Ende eines Rückstaues - vorhanden gewesen wäre, vermag daran nichts zu ändern. Die in der Revision vertretene, nicht näher begründete Ansicht, der PKW habe sich nicht im Betrieb befunden, ist verfehlt (vgl. Apathy, EKHG, Rz 24 ff zu § 1 mwN). Dies gilt auch für die in der Revision neuerlich vertretene Meinung, der im Tunnel stehende PKW sei für den Unfall nicht kausal gewesen, weil mit einem gehäuften Fehlverhalten eines nachkommenden Verkehrsteilnehmers nicht gerechnet werden müsse, durch dieses Fehlverhalten sei der Kausalzusammenhang unterbrochen worden. Die in der Revision zur Frage der Kausalität und der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges zitierte Entscheidung ZVR 1980/150 stützt den Standpunkt des Beklagten in keiner Weise.

Zu erörtern bleibt nur, ob wegen des Grades des Verschuldens des Lenkers des LKW-Zuges die außergewöhnliche Betriebsgefahr des PKWs des Beklagten vernachlässigt werden könne. Dies ist jedoch nicht der Fall. Gewiß trifft den Lenker des LKW-Zuges ein schwerwiegendes Verschulden. Es ist ihm eine erheblich verspätete Reaktion auf das schon auf größere Entfernung sichtbare Hindernis anzulasten, weiters die Überschreitung der für sein Fahrzeug zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 10 km/h. Überdies waren die Hinterreifen des Anhängers teilweise abgefahren. Die besondere Gefährlichkeit des im Tunnel stehenden PKWs rechtfertigt es aber trotzdem, den Beklagten wegen der außergewöhnlichen Betriebsgefahr zur Haftung im Ausmaß von einem Viertel heranzuziehen.

Aus diesen Gründen war beiden Revisionen ein Erfolg zu versagen.

Bei der Kostenentscheidung war davon auszugehen, daß beide Revisionen erfolglos blieben, weshalb dafür kein Kostenersatzanspruch zusteht. Mit der Abwehr der Revision des Gegners hatten beide Parteien Erfolg, sodaß von einem Obsiegen im Sinne der §§ 41, 50 ZPO auszugehen ist. Da der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung aber keine Kosten verzeichnete, hat lediglich der Kläger Anspruch auf Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung.

Anmerkung

E30652

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00054.92.1125.000

Dokumentnummer

JJT_19921125_OGH0002_0020OB00054_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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