TE OGH 1992/12/15 10ObS156/92

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Veröffentlicht am 15.12.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichte Dr.Barbara Hopf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Prager (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerda S*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Rudolf Gimborn und Dr.Fritz Wintersberger, Rechtsanwälte in Mödling, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung eines Überbezuges von S 663.362,2, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.Dezember 1991, GZ 32 Rs 64/91-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26.Juni 1990, GZ 16 Cgs 184/89-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung:

Die Klägerin bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten seit 11.10.1962 eine Witwenpension und seit 29.6.1980 eine Alterspension. Wegen eines aufrechten Dienstverhältnisses der Klägerin ruhte ihre Witwenpension bis 31.12.1979. Überdies war die Klägerin als Betriebsführerin einer Landwirtschaft seit 1.1.1980 nach dem BSVG pflichtversichert. Sie stellte jedoch am 17.10.1980 bei der Sozialversicherungsanstalt der Bauern den Antrag auf Befreiung von der Pflichtversicherung mit 1.1.1980, welchem Antrag bescheidmäßig stattgegeben wurde. Aufgrund der 11. BSVG-Novelle wurde die Klägerin mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 6.7.1988 ab dem 1.1.1988 der Pflichtversicherung unterworfen. Die beklagte Partei erfuhr erst am 20.4.1988 aufgrund der Versicherungsmeldungen beim Hauptverband, daß die Klägerin als Betriebsführerin der Pflichtversicherung nach dem BSVG unterliegt, was einen land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb voraussetzt. Daraufhin wurde mit zwei Bescheiden der beklagten Partei vom 29.8.1989 die bisher gewährte Alterspension und die bisher gewährte Witwenpension neu berechnet und ein Ruhen für die Zeit ab 29.6.1980 bis 31.12.1988 ausgesprochen. Weiters wurde ein Überbezug an Alterspension von S 532.885,40 und ein Überbezug an Witwenpension von S 130.476,80 festgestellt und der Klägerin zum Rückersatz vorgeschrieben. Sie wurde verpflichtet, den Überbezug binnen 14 Tagen nach Rechtskraft des Bescheides bei sonstiger Exekution zu zahlen. Ende 1988 veräußerte die Klägerin ihren land- und forstwirtschaftlichen Betrieb.

Gegen die beiden zuletzt genannten Bescheide erhob die Klägerin fristgerecht Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei sei schuldig es zu unterlassen, daß die Leistung aus der bisher gewährten Alterspension ruhend gestellt werde, es ferner zu unterlassen, festzustellen, daß für die Zeit vom 1.7.1980 bis 31.12.1983 keine Wohnungsbeihilfe gebühre, es zu unterlassen, einen Überbezug der Alterspension in der Höhe von S 532.885,40 zum Rückersatz zu begehren und es schließlich zu unterlassen, aus der bisher gewährten Witwenpension einen Überbezug von S 130.476,80 zu verlangen und die Leistung aus der Witwenpension im angeführten Ausmaß ruhend zu stellen. Die Klägerin brachte vor, daß beide Bescheide zu Unrecht erlassen worden seien und auch keine Begründung dafür enthielten, worauf sich der Rückersatzanspruch stütze. Die Klägerin sei den ihr bekannten Meldeverpflichtungen immer nachgekommen. Außerdem habe die beklagte Partei ein Recht auf Rückforderung verwirkt, weil sie die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist unterlassen habe. Die Klägerin habe die Pensionsbeträge in gutem Glauben verbraucht. Überdies wendete sie Verjährung ein und behauptete auch berücksichtigungswürdige Umstände, die die Rückforderung in diesem Ausmaß nicht gerechtfertigt erscheinen ließen. Vorsichtshalber wurde auch die Höhe des Rückforderungsanspruches und die Berechnung desselben bestritten. Im Verlauf des Verfahrens wendete die Klägerin eine Gegenforderung von S 400.000 ein, die damit begründet wurde, daß die Klägerin für den Fall, daß sie zu viel an Pension bezogen habe, auch zu viel an Lohnsteuer bezahlt habe, sodaß ihr ein Rückforderungsanspruch in dieser Höhe zustünde.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und die Verpflichtung der Klägerin zur Rückzahlung der genannten Überbezüge. Die Rückforderung der zu Unrecht ausbezahlten Pensionsbestandteile gründe sich darauf, daß die Klägerin ihrer Meldepflicht als Zahlungsempfänger nicht nachgekommen sei; sie hätte jeden für den Pensionsbezug maßgeblichen Umstand an die beklagte Partei binnen zwei Wochen melden müssen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und erkannte die Klägerin schuldig, der beklagten Partei einen Betrag von S 663.262,20 an Überbezug binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zurückzuzahlen. Es stellte fest, daß die Klägerin bereits im Antragsformularblatt zur Alterspension und Witwenpension, ebenso mit zahlreichen schriftlichen Anfragen wiederholt aufgefordert worden sei, ihre Einkommensverhältnisse darzulegen, insbesondere den Einheitswertbescheid als Nachweis allfälliger Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Sie sei den Aufforderungen nicht nachgekommen. Nachdem die beklagte Partei am 20.4.1988 erfahren habe, daß die Klägerin der Pflichtversicherung nach dem BSVG unterliegt, habe sie das vorsorgliche Ruhen nach § 94 ASVG zum 1.6.1988 ausgesprochen. Im Informationlsblatt der beklagten Partei vom 25.10.1979 sei ausdrücklich auf die Sonderregelung nach dem BSVG hingewiesen worden.

In rechtlicher Hinsicht legte das Erstgericht zunächst die Voraussetzungen des Ruhens nach § 94 ASVG dar. Gemäß § 40 ASVG seien die Zahlungsempfänger verpflichtet, jede Änderung in den für den Fortbestand der Bezugsberechtigung maßgebenden Verhältnisse binnen zwei Wochen dem zuständigen Versicherungsträger anzuzeigen. Zu einer Änderung dieser Verhältnisse gehöre auch das Zusammentreffen eines Pensionsanspruches aus der Pensionsversicherung mit einem Erwerbseinkommen, wenn die im § 94 ASVG angeführten Beträge überschritten würden. Der Rückforderungsanspruch gründe sich auf § 107 ASVG, wonach der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern habe, wenn der Zahlungs- bzw Leistungsempfänger den Bezug durch eine Verletzung der Meldevorschrift herbeigeführt habe. Darunter sei auch eine leicht fahrlässige Verletzung zu verstehen. Es genüge auch, wenn ein Leistungsempfänger entgegen einer ausdrücklichen Belehrung gehandelt habe. Es stehe außer Zweifel, daß sich die Klägerin ihrer Meldepflicht durchaus bewußt gewesen sei. Auch die Rechtskenntnis sei ihr durchaus zuzumuten gewesen; sie hätte sich über die Sonderregelungen des BSVG allenfalls durch eine Anfrage bei der Pensionsversicherungsanstalt informieren müssen. Selbst ein gutgläubiger Verbrauch könne den Rückforderungsanspruch nicht ausschließen, da die Klägerin Kenntnis von ihrer Meldepflicht gehabt habe. Da die beklagte Partei erst am 20.4.1988 von den den Rückforderungsanspruch begründenden Voraussetzungen Kenntnis erlangt habe, sei die dreijährige Verjährungsfrist des § 107 Abs 2 lit b ASVG noch nicht abgelaufen. Auch der Verfristungseinwand der Klägerin sei unberechtigt. Die Berechnung des Überbezuges an Alterspension von S 532.885,40 und an Witwenpension von S 130.476,80 sei auch rechnerisch richtig. Die Entscheidung darüber, ob bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände auf die Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Leistungen verzichtet werden kann bzw ob die Rückerstattung in Teilbeträgen zugelassen werde, falle in die ausschließliche Kompetenz des Versicherungsträgers. Die Einwendung der Gegenforderung der Klägerin von S 400.000 sei jedenfalls unzulässig. Einen allfälligen Rückforderungsanspruch habe sie gegen das zuständige Finanzamt geltend zu machen. Auf die Rechtsgrundlage der Gegenforderung sei daher nicht näher eingezugehen. Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin fristgerecht Berufung. Das Berufungsgericht stellte am 14.12.1990 beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 94 ASVG wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben. Der Verfassungsgerichtshof wies diesen Antrag mit Beschluß vom 26.2.1991, G 85/91-3 mit der Begründung zurück, daß mit Erkenntnis vom 15. Dezember 1990, G 33, 34/89 ua § 94 ASVG idF der 49.Novelle als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen wurde, daß die Aufhebung mit Ablauf des 31.März 1991 in Wirksamkeit tritt, und darüber hinaus ausgesprochen wurde, daß § 94 ASVG in den Fassungen von der 31. bis zur 48.Novelle verfassungswidrig war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes könne ein bereits aufgehobenes oder als verfassungswidrig festgestelltes Gesetz nicht neuerlich Gegenstand eines entsprechenden Aufhebungs- oder Feststellungsbegehrens sein. Aufgrund des oben zit Erkenntnisses sei § 94 ASVG idF der 49.Novelle bis zum Ablauf der gesetzten Frist für das Wirksamwerden der Aufhebung verfassungsgerechtlich unangreifbar. Der Antrag des Berufungsgerichtes sei daher mangels eines tauglichen Prüfungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen. Die Berufung der Klägerin wurde daraufhin, soweit darin Nichtigkeit geltend gemacht wurde, verworfen; im übrigen wurde ihr nicht Folge gegeben. Eine Rückforderung könne im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 3/9) ohne vorausgehende Wiederaufnahme des die Leistung begründenden Titels erfolgen. Die geltend gemachte Nichtigkeit liege daher nicht vor. Das Berufungsgericht verneinte auch die gerügten Verfahrensmängel. Hinsichtlich des vom Finanzamt zurückzufordernden Betrages an zu viel entrichteter Lohnsteuer habe das Erstgericht zu Recht kein weiteres Beweisverfahren durchgeführt. Nicht nur daß diese Rückforderung keine Sozialrechtssache im Sinn des § 65 ASGG sei, werde die Klägerin allenfalls gemäß § 240 Abs 3 BAO einen Erstattungsantrag zu stellen haben. Das Berufungsgericht trat auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei, daß die Klägerin zumindest leicht fahrlässig ihre Meldepflicht verletzt habe. Sie habe etwa am 8.7.1980 die Frage nach einem Einkommen aus der Bewirtschaftung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes verneint und auch keinen Einheitswertbescheid vorgelegt, obwohl in dem Formblatt der beklagten Partei ua die Frage nach land(forst)wirtschaftlichem Besitz verbunden mit der Aufforderung zur Vorlage des Einheitswertbescheides enthalten war. Aus dem Vorhandensein von land(forst)wirtschaftlichen Vermögen beim verstorbenen Ehegatten der Klägerin könne keineswegs automatisch auf einen Rechtsübergang auf die Klägerin geschlossen werden. Vielmehr wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, über Aufforderung diesbezügliche Mitteilungen an die beklagte Partei zu machen, losgelöst von der Frage einer Versicherungspflicht nach dem BSVG. Das Vertrauen der Klägerin auf die Rechtskenntnisse ihres Schwagers bzw die Unzumutbarkeit der Rechtskenntnis nach Änderung der Versicherungspflicht nach dem BSVG würden für die Rückforderung nicht maßgebliche Umstände betreffen. Die Anrechnungsbestimmung des § 292 ASVG gelte unabhängig von der ansonsten bestehenden zusätzlichen Versicherungspflicht. Auch geringfügige nicht eine Versicherungspflicht bewirkende Einkommen seien anzurechnen. Es hätte daher genügt, wenn die Klägerin den Einheitswert ihres land(forst)wirtschaftlichen Vermögens bekanntgegeben hätte. Der Klägerin sei zwar beizupflichten, daß das Gericht gemäß § 89 Abs 4 ASVG keinen Verzicht, wohl aber nach Billigkeit die Leistungsfrist bzw die Zahlung in Raten bestimmen könne. Die Klägerin habe hingegen lediglich ihre Rückzahlungspflicht zur Gänze bestritten, ohne Billigkeitsgründe anzuführen. Nach den im Akt angedeuteten Größenordnungen des Vermögens sei eine Zahlung ohne weitere Raten nicht unbillig, zumal die Klägerin die ihr zu Unrecht zugekommenen Leistungen über mehrere Jahre hindurch zinsenfrei habe nutzen können. Ein Rückforderungsausschluß gutgläubig empfangenen und verbrauchten Entgelts werde lediglich im Arbeitsrecht vertreten; für eine analoge Anwendung dieser Überlegungen sei im Sozialversicherungsrecht zufolge § 107 ASVG kein Raum. Die beklagte Partei habe erst am 20.4.1988 aufgrund einer Versicherungsmeldung des Hauptverbandes von der Versicherungspflicht der Klägerin nach dem BSVG erfahren, sodaß die zeitlichen Voraussetzungen für einen Rückforderungsausschluß gemäß § 107 Abs 2 ASVG nicht vorliegen würden. Die unverzügliche Reaktion der beklagten Partei sei jedenfalls durch die vorläufige Ruhendstellung ihrer Leistungen erfolgt. Auf die verfassungsrechtlichen Bedenken sei nach der Zurückweisung des Gesetzesprüfungsantrages durch den Verfassungsgerichtshof nicht mehr einzugehen. Da die Rechtsmittelentscheidung das Urteil aufgrund der Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu überprüfen habe, seien die bis 31.3.1991 geltenden Ruhensbestimmungen noch anzuwenden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die fristgerechte Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer gänzliche Klagsstattgebung. Hilfsweise wird die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Erstgericht, ferner hilfsweise die Gewährung der Rückzahlung in Raten von jährlich S 100.000 beantragt.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne ihres Aufhebungsantrages berechtigt. Die Revisionswerberin führt zunächst aus, daß die gegentändlichen Rückforderungsbescheide ohne Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG zwecks Beseitigung der rechtskräftigen, aber unrichtigen Gewährungsbescheide erlassen worden seien. § 107 Abs 1 ASVG erteile keine Ermächtigung, rechtskräftige Bescheide der Versicherungsträger oder gerichtliche Urteile bei Vorliegen eines Rückforderungstatbestandes inhaltlich abzuändern. Eine Rückforderung setze voraus, daß der unrichtige Gewährungsbescheid im Wege der gesetzlichen Möglichkeiten, also Wiederaufnahme des Verfahrens bzw Wiederaufnahmsklage, beseitigt und durch die materiell richtige Entscheidung ersetzt werde.

Soweit nun die Revisionswerberin darin - ebenso wie bereits in ihrer Berufung - eine Nichtigkeit des Verfahrens erblickt, ist ihr zu erwidern, daß das Berufungsgericht die Berufung, soweit darin Nichtigkeit geltend gemacht wurde, verworfen hat und daß dieser Beschluß des Berufungsgerichtes nicht bekämpft werden kann (Fasching ZPR2 Rz 1905 mit Judikaturhinweisen, ferner Rz 1979). Auf die geltend gemachte Nichtigkeit ist daher nicht mehr einzugehen. Soweit aber mit diesen Ausführungen bloß der (materielle) Verstoß gegen die Bindung an rechtskräftige Bescheide über die Beurteilung einer Vorfrage und insofern eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend gemacht wird (§ 84 Abs 2 Satz 2 ZPO), ist der Revision folgendes entgegenzuhalten: Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung SSV-NF 3/9 = SZ 62/12 = ZAS 1990/10 ausführlich begründet, daß die Rückforderung einer zu Unrecht erbrachten Leistung nicht von der Beseitigung der über die Leistung ergangenen Entscheidung oder des hierüber abgeschlossenen Vergleiches abhängt. Danach kann die Leistung auch für die Zukunft ohne Rücksicht auf eine frühere Entscheidung oder einen früheren Vergleich und ohne eine Änderung der Verhältnisse neu festgesetzt werden, wenn die Voraussetzungen für die Rückforderung erfüllt sind. Diese Auffassung wurde insbesondere von Schrammel (Rückforderung und Entziehung von zu Unrecht erbrachten Sozialversicherungsleistungen, ZAS 1990, 73 ff) kritisert. Er gelangt zu dem Ergebnis, daß § 107 Abs 1 ASVG keine Ermächtigung erteilt, rechtskräftige Bescheide der Versicherungsträger oder gerichtliche Urteile bei Vorliegen eines Rückforderungstatbestandes inhaltlich abzuändern (aaO 80). Ein Konflikt mit den Rechtskraftwirkungen der Gewährungsentscheidung trete allerdings nur dann auf, wenn sich die Sach- und Rechtslage seit dem Eintritt der Rechtskraftwirkungen nicht verändert habe. Die Rechtskraft einer Entscheidung wirke nur so lange, als der ihr zugrunde gelegte relevante Tatbestand unverändert bleibe. Nachträglich Änderungen des rechtserzeugenden Sachverhaltes würden von der Rechtskraft nicht erfaßt, sondern ermöglichten ein neues Anbringen bzw eine neue Klage. Dies gelte auch für Entscheidungen, die zu künftigen Leistungen verpflichteten. Betrachte man unter diesem Aspekt die Rückforderungstatbestände des § 107 Abs 1 ASVG, so zeige sich folgendes Bild: Habe der Zahlungs- bzw Leistungsempfänger den Bezug der Leistung durch bewußt unwahre Angaben oder durch bewußte Verschweigung maßgeblicher Tatsachen veranlaßt, sei der Konflikt mit den Rechtskraftwirkungen des Gewährungsbescheides bzw des Gewährungsurteils evident. Der Rückforderungstatbestand sei erfüllt, wenn der Versicherungsträger durch die unwahren Angaben oder durch die Verschweigung maßgebender Tatsachen mit dem Ziel irregeführt wurde, die unrichtigen Angaben zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen. Der Rückforderungstatbestand unterstelle, daß bei einem "richtigen" Verhalten eine andere Entscheidung getroffen worden wäre. Bei den bewußt unwahren Angaben bzw den verschwiegenen Tatsachen handle es sich stets um Umstände, die im Entscheidungszeitpunkt vorhanden waren, aber von der entscheidenden Instanz nicht aufgegriffen wurden. Das den Tatbestand des "Erschleichens" erfüllende Verhalten müsse denknotwendig der Erlassung der Entscheidung vorangehen. Werde nach Eintritt der Rechtskraft zurückgefordert, stehe dem Rückforderungsbescheid eine unveränderte Sachlage und damit die Bindungswirkung des Gewährungsbescheides entgegen. Habe der Zahlungs- bzw Leistungsempfänger den Bezug der Leistung durch Verletzung von Meldevorschriften veranlaßt, sei ein Konflikt mit den Rechtskraftwirkungen des Gewährungsbescheides in der Regel nicht gegeben. Die Meldevorschriften verpflichteten den Zahlungsempfänger, jede Änderung in den für den Fortbestand der Bezugsberechtigung maßgebenden Verhältnissen dem Versicherungsträger anzuzeigen. Der Rückforderungstatbestand unterstelle, daß bei einer Änderung der Verhältnisse auch die (rechtskräftig) zuerkannte Leistung eine Veränderung erfahre. Die Unrechtmäßigkeit ergebe sich daher aus Umständen, die nach dem Gewährungsbescheid bzw dem Gewährungsurteil eingetreten seien. Die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung stehe der Rückforderung insoweit nicht entgegen, als sich durch die Änderung der Verhältnisse auch eine Änderung der Bezugsberechtigung ergebe, weil in diesem Rahmen eine Neufeststellung der Leistung möglich sei. Ein Konflikt mit der Rechtskraft des Gewährungsbescheides könne allerdings dann eintreten, wenn der Versicherungsträger wegen einer geänderten Sach- oder Rechtslage einen neuen Gewährungsbescheid erlasse, ohne daß ihm eine für den Fortbestand der Bezugsberechtigung maßgebende Änderung der Verhältnisse bekanntgegeben worden sei. Der dritte Rückforderungstatbestand des Erkennenmüssens der Unrechtmäßigkeit lasse zwei Möglichkeiten offen, je nachdem, ob sich die vom Leistungsempfänger erkannte Unrechtmäßigkeit erst nach der Gewährungsentscheidung eingestellt habe (Schrammel aaO 75 f). Einer Auseinandersetzung mit der an der Entscheidung SSV-NF 3/9 geübten Kritik bedarf es im vorliegenden Fall aber gar nicht. Die Rückforderung der Pensionsleistungen nach § 107 Abs 1 ASVG beruht hier nämlich nicht auf einer allfälligen Unrechtmäßigkeit der die Witwen- und die Alterspension gewährenden Bescheide, sondern auf der behaupteten Verwirklichung von Ruhenstatbeständen im Sinne des § 94 ASVG aF, wonach Ruhen eines Pensionsanspruches aus der Pensionsversicherung bei Zusammentreffen mit Erwerbseinkommen eintrat. Grundsätzlich besteht das Ziel der meisten Ruhensbestimmungen darin, Leistungen dann nicht zu erbringen, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist. Der Grund für den Wegfall des Sicherungsbedürfnisses kann im Bezug einer anderen funktionsgleichen Leistung oder in der Lösung von der österreichischen Versichertengemeinschaft liegen. Den Zielsetzungen entsprechend bleibt trotz Ruhensbestimmungen der Anspruch auf die ruhende Leistung gewahrt, es wird lediglich die Leistungspflicht des Versicherungsträgers sistiert, solange der Ruhensgrund andauert. Im Umfang der Bescheiderlassungspflicht des § 367 Abs 2 ASVG wird das Ruhe nicht ex lege, sondern erst mit der Erlassung des Bescheides über die Feststellung des Ruhens wirksam (Schrammel in Tomandl. SV-System 5.ErgLfg 169 mwN; 10 Ob S 235/92). Daraus folgt, daß mit der Feststellung des Ruhens von Pensionsleistungen gemäß § 94 ASVG aF die rechtskräftigen Bescheide über die Gewährung dieser Leistungen nicht abgeändert werden, sodaß ein Konflikt mit den Rechtskraftwirkungen der Gewährungsentscheidung gar nicht auftreten kann.

Für die Berechtigung des von der beklagten Partei erhobenen Rückforderungsbegehrens ist also entscheidend, ob die der Klägerin rechtskräftig zuerkannten Pensionsleistungen infolge Verwirklichung eines Ruhenstatbestandes ruhten und ob die Klägerin den geltend gemachten Rückforderungstatbestand verwirklicht hat. Im vorliegenden Fall wurde von der beklagten Partei im gerichtlichen Verfahren als Rückforderungsgrund im Sinne des § 107 Abs 1 ASVG lediglich die Verletzung der Meldevorschriften des § 40 ASVG geltend gemacht. Andere Rückforderungsgründe brauchten daher nicht untersucht zu werden (SSV-NF 4/37). Rechtsstreitigkeiten über die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung sind Sozialrechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG. Wird in einer solchen Rechtsstreitigkeit die Klage abgewiesen, weil eine Rückersatzpflicht des Klägers besteht, so ist ihm nach § 89 Abs 4 Satz 1 ASGG unter einem der Rückersatz an die beklagte Partei aufzuerlegen. In einer solchen Rechtsstreitigkeit darf nach § 87 Abs 4 ASGG eine Klage wegen des Bestehens einer Rückersatzpflicht des Klägers nur abgewiesen werden, wenn die beklagten Partei das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Pflicht beweist. Hier tritt gewissermaßen eine Umkehr der Parteirollen ein: Obwohl der Rückzahlungspflichtige im Prozeß vor dem Sozialgericht formell als Kläger aufzutreten und ein negatives Feststellungsbegehren zu stellen hat, etwa dahin, daß die von der beklagten Partei behauptete Rückersatzpflicht nicht zu Recht bestehe (vgl SSV-NF 4/37), kommt in einem solchen Verfahren die materielle Klägerrolle dem beklagten Versicherungsträger zu, der bereits erbrachte Versicherungsleistungen zurückfordert (vgl Fasching in Tomandl, SV-System 6.ErgLfg 750 ff). Wird dieses Rückforderungsbegehren ausdrücklich auf einen bestimmten Rechtsgrund gestützt, so ist das Gericht daran gebunden und darf dem Begehren nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben (vgl die Judikaturnachweise in MGA-ZPO14 § 226 E 161). Dieser Grundsatz ergibt sich auch aus § 82 Abs 1 ASGG, wonach die Klage ein unter Bedachtnahme auf die Art des erhobenen Anspruchs hinreichend bestimmtes Begehren zu enthalten hat. Die in § 82 Abs 2 bis 5 ASGG enthaltenen Auflockerungen dieses Bestimmtheitsgebotes gelten nur für Klagen, die von einem Versicherten erhoben werden (Kuderna ASGG 422 Erl 3).

Das Sozialgericht hat sich also auf die Rückforderungsgründe zu beschränken, die vom Versicherungsträger geltend gemacht wurden. Im vorliegenden Fall ist dies der Rückforderungsgrund der Verletzung von Meldepflichten. Nach § 40 ASGG in der hier anzuwendenden Fassung waren die Zahlungsempfänger verpflichtet, jede Änderung in den für den Fortbestand der Bezugsberechtigung maßgebenden Verhältnissen ... binnen zwei Wochen dem zuständigen Versicherungsträger anzuzeigen. Grundsätzlich hätte die Klägerin den Erwerb von Liegenschaftsbesitz als Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Sinn des § 40 ASVG melden müssen. Auch Erhöhungen des Einheitswertes würden eine solche Änderung darstellen. Diesbezüglich reichen aber die erstgerichtlichen und vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen jedoch nicht aus, um die für ein Ruhen der Pensionsleistungen maßgeblichen Meldepflichtverletzungen zu beurteilen. Zur Beurteilung der Meldepflichtverletzungen bedarf es im aufgezeigten Sinn detaillierter Feststellungen, zu deren Gewinnung offenbar eine Verhandlung in erster Instanz erforderlich ist.

Der Einwand der Verjährung ist allerdings nicht berechtigt. Gemäß § 107 Abs 2 lit b ASVG verjährt das Recht auf Rückforderung binnen drei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden ist, daß die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist. Nach dem klaren Wortlaut dieser Gesetzesstelle verjähren also nicht die einzelnen monatlich erbrachten Pensionsleistungen, sondern das Rückforderungsrecht in seiner Gesamtheit. Nach den Feststellungen erfuhr die beklagte Partei erst am 20.4.1988, daß die Klägerin einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb führte. Eine Verjährung des Rückforderungsrechtes wäre daher erst mit 20.4.1991 eingetreten; daß diese Frist noch nicht abgelaufen war, bedarf keiner näheren Begründung.

Soweit die Klägerin in ihrer Revision neuerlich Mängel des Verfahrens erster Instanz geltend macht, nämlich die Unterlassung der Einvernahme von Zeugen, der Klägerin und eines Sachverständigen, ist darauf zu verweisen, daß diese Mängel bereits vom Berufungsgericht verneint wurden und daher nicht mehr den Gegenstand der Revision bilden können (SSV-NF 1/32 uva). Daß der beklagten Partei die Einkommensverhältnisse der Klägerin nicht schon aus dem Pensionsakt des verstorbenen Gatten der Klägerin bekannt sein mußten, hat schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt (§ 48 ASGG). Daß der beklagten Partei eine Beschlußausfertigung von der Einantwortung zugestellt worden sei, ist nicht festgestellt.

Nicht zielführend sind auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Revisionswerberin. Sie räumt ein, daß ihre Rechtssache im Gesetzesprüfungsverfahren kein "Anlaßfall" war, was auch zutrifft, weil der Gesetzesprüfungsantrag des Berufungsgerichtes erst am 4. Februar 1991 beim Verfassungsgerichtshof einlangte, der bereits mit Erkenntnis vom 15.Dezember 1990 § 94 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben hatte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl VfSlg 8277/1978, 9748/1983) kann ein bereits aufgehobenes oder als verfassungswidrig festgestelltes Gesetz nicht neuerlich Gegenstand eines entsprechenden Aufhebungs- oder Feststellungsbegehrens sein. Auch die von der Revisionswerberin angeregte Anfechtung der in BGBl 1991/15 erfolgten Kundmachung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ist nicht in Betracht zu ziehen, allein schon deshalb, weil es sich dabei weder um ein Gesetz noch um eine Verordnung handelt, die auf Verfassungs- bzw Gesetzmäßigkeit geprüft werden könnte. Es mag der Klägerin durchaus unbillig erscheinen, daß sie allein deshalb des Genusses einer Aufhebung des § 94 ASVG verlustig ging, weil der Gesetzesprüfungsantrag in ihrem Fall nicht rechtzeitig eingebracht werden konnte, doch liegt darin schon deshalb keine Verfassungswidrigkeit, weil § 140 Abs 7 B-VG ausdrücklich vorsieht, daß auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles das Gesetz weiterhin anzuwenden ist, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht anderes ausgesprochen hat. Bei der neuerlichen Entscheidung wird das Erstgericht auch die Voraussetzungen für eine Ratenzahlung zu überprüfen haben. Gemäß § 89 Abs 4 Satz 2 ASGG ist bei einer Rückersatzpflicht des Versicherten die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach Billigkeit zu bestimmen; insoweit kann das Gericht die Zahlung auch in Raten anordnen. Die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Rückerstattung in Teilbeträgen in die ausschließliche Kompetenz des Versicherungsträgers falle, ist daher nicht zutreffend (vgl SSV-NF 5/64). Es ist aber auch dem Berufungsgericht nicht zu folgen, daß eine Ratenzahlung deshalb entfallen müsse, weil die Klägerin lediglich ihre Rückzahlungspflicht zur Gänze bestritten und in erster Instanz keine Billigkeitsgründe (für eine Ratenzahlung) angeführt habe. Bestreitet ein Kläger in einer Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG die Pflicht zum Rückersatz einer Versicherungsleistung überhaupt, ist von ihm nicht zu verlangen, daß er für den Fall, daß die Gerichte ihm eine solche Rückersatzpflicht auferlegen, ein Eventualvorbringen dahin erstattet, daß seine Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine Ratenzahlung erfordern würden. Ungeachtet des Wortlautes der zuletzt

genannten Bestimmung ("ist die Leistungsfrist ... zu bestimmen;

insoweit kann das Gericht ... anordnen") sind bei Auferlegung des Rückersatzes sowohl Leistungsfrist wie Ratenzahlung von Amts wegen zu prüfen, zumal bei Rückforderungsbegehren größeren Ausmaßes, bei denen nicht von vornherein angenommen werden kann, daß der Ersatzpflichtige über entsprechende Mittel verfügt. Die Feststellungen geben keinen Hinweis darauf, aus welchem vorhandenen Vermögen die Klägerin die Rückzahlung des Überbezuges finanzieren könnte.

Die vorliegende Sozialrechtssache ist daher nicht spruchreif. In Stattgebung der Revision waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

Anmerkung

E32274 10ObS156.92

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00156.92.1215.000

Dokumentnummer

JJT_19921215_OGH0002_010OBS00156_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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