TE OGH 1992/12/16 3Ob577/92

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Veröffentlicht am 16.12.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Klinger, Dr.Angst und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing.Gernot B*****, vertreten durch Dr.Franz Josef Salzer und Dr.Gunter Granner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei I***** Handels Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch DDr.Hubert Fuchshuber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 379.000,- sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 17.Dezember 1991, GZ 1 R 276/91-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 2.Juli 1991, GZ 40 Cg 135/89-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der zwischen dem Kläger und der beklagten Partei am 18.März 1988 geschlossene Kaufvertrag aufgehoben wird und die beklagte Partei schuldig ist, dem Kläger S 379.000,- samt 4 % Zinsen seit dem 11.Mai 1989 und die mit S 158.042,40 (darin S 20.704,30 Umsatzsteuer und S 33.709,- Barauslagen) bestimmten Kosten dieses Rechtsstreits binnen vierzehn Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Teppichhandelsgesellschaft mbH inserierte Anfang März 1988 in mehreren Tageszeitungen:

Öffentliche

Versteigerung

von Orientteppichen

Am Donnerstag, 10., Freitag 11., und

Samstag 12.März, Beginn jeweils

10 Uhr, werden im

Kongreßhaus B*****

Orientteppiche im Wert von mehreren

Millionen Schilling öffentlich versteigert.

Rufpreis bis zu 5 0 %

unter dem Listenpreis

der I***** Handelsgesellschaft (=beklagte Partei)

Besichtigung: jeweils 1 Stunde vor der

Versteigerung. Preise zuzüglich 7 % Versteigerungsabgabe

Konzessionierter beauftragter Versteigerer: G.D*****

Der Kläger las die Anzeige in der K*****zeitung vom 9.März 1988 und besuchte die Verkaufsveranstaltung im Kongreßhaus in B***** am 17. März 1988.

Die ausgestellten Orientteppiche trugen etwa 30 cm lange Aufkleber, auf denen Teppichart und Maße sowie Preise ausgezeichnet waren. Der erste höhere Preis war durchgestrichen und kleiner geschrieben, der zweite Preis war in größerer Schrift und nicht durchgestrichen auf den Aufklebern sichtbar. Der Kläger wurde von einem Verkäufer der beklagten Partei angesprochen. Der Inhalt des ersten Kontaktgespräches steht nicht fest. Man unterhielt sich über die stark reduzierten Preise und den Ablauf der Versteigerung oder des Verkaufes. Da der Kläger Interesse zeigte, einigte man sich darauf, daß der Verkäufer eine Stunde später mit einer Auswahl von Teppichen ins Haus des Klägers komme. Der Verkäufer kam mit dem Versteigerer zum Kläger und legte in dessen Haus Teppiche auf. Der Kläger besichtigte die Stücke und begann mit Kauf- und Preisverhandlungen. Der Versteigerer bestand auf der Zahlung der 7 %igen Versteigerungsgebühr; der Kläger wollte diese Gebühr nicht zahlen und wies den Versteigerer aus seinem Haus. Auch der Verkäufer ging, versprach aber, noch mit dem Geschäftsführer der beklagten Partei zu reden. Dieser rief am nächsten Tag den Kläger an, entschuldigte sich für das Verhalten seiner Mitarbeiter und fragte, ob der Kläger noch am Kauf der Teppiche interessiert sei. Es kam zu einem neuen Zusammentreffen im Haus des Klägers. Als die beklagte Partei auf Verrechnung der Versteigerungsgebühr verzichtete, entschloß sich der Kläger zum Kauf von acht Teppichen, die jeweils auf dem Klebeband mit "Listenpreisen" und dem halben Betrag als Verkaufspreis angeschrieben waren. Dieser niedrigere Preis wurde als Kaufpreis vereinbart. Daß der Vertreter der beklagten Partei erklärt hätte, es handle sich um Teppiche aus einer Konkursmasse, oder daß die "Listenpreise" Schätzwerte des Dorotheums seien, läßt sich nicht feststellen. Der Kläger übergab nach Abschluß des Kaufvertrages dem Geschäftsführer der beklagten Partei einen Scheck über den Kaufpreis aller acht Teppiche von S 379.000,-.

Er meinte, die Teppiche zu dem besonders günstigen Preis um die Hälfte des tatsächlichen Marktwertes erworben zu haben, kam aber, als er später die Teppiche schätzen ließ darauf, daß sich die Schätzwerte der Teppiche etwa um den bezahlten Kaufpreis bewegten. Die um S 379.000,- gekauften Teppiche hatten nach dem Gutachten des im Prozeß beigezogenen Sachverständigen zur Zeit des Kaufes einen Marktwert von S 470.000,-.

Der Geschäftsführer der beklagten Teppichhandels GmbH ist auch Gesellschafter einer zweiten Gesellschaft mbH. Zwischen den beiden Gesellschaften bestehen organisatorische Zusammenhänge, und es kommt immer wieder zu eine Warenaustausch. Die beklagte Gesellschaft hat kein eigenes Verkaufslokal. Mitunter bietet sie Teppiche der anderen Gesellschaft bei ihren "Versteigerungsverkaufsveranstaltungen" an. Es ist eine Feststellung nicht möglich, daß die dem Kläger veräußerten Teppiche eine Zeit im Verkaufsraum der anderen Gesellschaft zum Verkauf angeboten wurden oder aber daß die bei der "Versteigerung" in B***** angeschriebenen durchgestrichenen "Listenpreise" keine ernsthaften und längere Zeit geforderten Preise waren.

Der Kläger erhob am 28.April 1989 die Klage mit dem Begehren,  den

Kaufvertrag vom 18.März 1988 aufzuheben und die beklagte Partei zur

Rückzahlung des Kaufpreises zu verhalten.  Die beklagte

Teppichhandelsgesellschaft betreibe gar kein Geschäftslokal, in dem

sie "Listenpreise"  fordere.  Sie habe beim Kläger den Eindruck

erweckt,  der Wert der verkauften Teppiche liege um 100 % über dem

ihm verrechneten Kaufpreis.  Er habe den Kauf nur getätigt, weil er

die günstige Gelegenheit nutzen wollte.  Der Irrtum des Klägers sei

von den Leuten der beklagten Partei geradezu listig herbeigeführt

worden.  Zum Marktpreis hätte der Kläger nie gekauft.  Es sei bei den

Verkaufsgesprächen immer davon die Rede gewesen,  daß die Teppiche

zum halben Schätzpreis verkauft werden.

Die beklagte Partei beantragte,  das Klagebegehren abzuweisen,  weil

sie nie auf Markt- oder Schätzpreise,  sondern auf die "Listenpreise"

hingewiesen habe,  zu denen die Teppiche geraume Zeit vorher

angeboten worden seien.

Das  Erstgericht  wies das Klagebegehren ab, ging vom eingangs

dargestellten Sachverhalt aus und meinte, es fehle an einer listigen

Irreführung.  Der Kläger habe nicht beweisen können,  daß die

Ankündigung "bis zu 50 % unter dem Listenpreis"  falsche Tatsachen

vorspiegelte.  Wenn der Kläger meinte,  er kaufe besonders günstig,

handle es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum.

Das  Berufungsgericht  bestätigte und sprach aus, daß die ordentliche

Revision nicht zulässig sei.  Es hielt die Beweisrüge für

unberechtigt und teilte auch die Ansicht,  daß aus rechtlichen

Erwägungen die Anfechtung des Kaufvertrages scheitern müsse.  Der

Kläger habe sich im klaren sein müssen,  daß er nicht im Zuge einer

Versteigerung kaufe,  weil nach der Zeitungsankündigung die letzte

Versteigerung am 12.März 1988 stattfinden sollte.  Auch wenn sich

keine Ladenpreise der beklagten Partei bilden konnten,  weil sie gar

kein Verkaufslokal besaß,  habe es dem Kläger nicht darum gehen

können,  daß es sich bei den durchgestrichenen  Preisen um

Listenpreise gerade der beklagten Partei handelte.  Die Beweislast

treffe den Irrenden.  Der Kläger habe nicht beweisen können,  daß die

"Listenpreise",  auf welche die beklagte Partei in ihren

Zeitungsankündigungen und auf der Beschilderung der Teppiche hinwies,

keine ernsthaft durch längere Zeit verlangten Preise waren.  Dies

falle dem Kläger zur Last.  Der Irrtum des Klägers sei zutreffend als

Motivirrtum angesehen worden.  Der Irrtum,  um die Hälfte des

Marktwertes kaufen zu können, möge zum Kaufentschluß des Klägers

geführt haben.  Ein Motivirrtum sei aber nur bei arglistiger

Täuschung zu beachten,  die nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen liegt eine arglistige Täuschung

des Klägers vor,  wenn die beklagte Teppichhandelsgesellschaft nicht

nur  in den Zeitungsankündigungen den wahrheitswidrigen Eindruck zu

erwecken versuchte,  bei der beklagten Partei käme es  zur

Versteigerung von Teppichen,  deren Rufpreis  "bis zu 50 % unter dem

Listenpreis" liege,  sondern vor allem durch die auf den einzelnen

Teppichen angebrachte Beschilderung vortäuschte,  die Teppiche

könnten um den halben Preis gekauft werden.  Nicht anders  können die

durchgestrichenen 100 %  über dem gleichfalls angegebenen aktuellen

Preis verstanden werden.  Eine wahrheitsgemäße Anpreisung wäre nur

dann erfolgt,  wenn die durchgestrichenen Preise ernsthaft und

längere Zeit hindurch  verlangte (Listen-)Preise gewesen wären,  die

dann bei der Verkaufsveranstaltung auf 50 % gesenkt wurden.  Der

Ansicht des Berufungsgerichtes,  den Kläger treffe die Beweislast für

die Widerlegung der Behauptung der beklagten Partei,  bei den

"Listenpreisen" habe sich,  wenn schon nicht um eigene,  so doch um

tatsächlich im Geschäft der anderen Teppichhandels-GmbH verlangte

Preise der Teppiche gehandelt,  kann nicht beigepflichtet werden.

Wenn die beklagte Partei in ihren Zeitungsankündigungen von

"Listenpreisen"  sprach,  obwohl von den interessierten

Verkehrskreisen nicht angenommen wird,  daß es vom Hersteller (oder

Importeur)  unverbindlich empfohlene Richt- oder Listenpreise für

Orientteppiche gebe (OGH 13.Juni 1989,  4 Ob 75/89 =  MuR 1989,

181),  und durch die an den Teppichen angebrachten Aufschriften

vortäuscht,  die Teppiche würden nun zum halben Preis angeboten,  so

kann bei redlicher Verkehrsauffassung bei dem angesprochenen

Interessenten nur der Eindruck entstehen,  die Teppiche seien zuvor

um einen doppelt so hohen Preis wirklich und ernsthaft  angeboten

worden.   Dem Kläger fehlt jede Nähe zum Beweis einer solchen

Tatsache.  Die Beweislast dafür trägt die beklagte Partei,  der es

zumutbar ist nachzuweisen,  daß es sich bei den doppelt so hohen

durchgestrichenen Preisen um die  eigenen oder zumindest aber im

Geschäft der personell verbundenen anderen GmbH vorher verlangten

(Normal-)Preise  handelte. Daß dieser Beweis nicht gelungen ist,

schlägt daher nicht zum Nachteil des Klägers,  sondern der beklagten

Partei aus.

Bei dem auch auf dem inländischen Markt für Orientteppiche

bestehenden Wettbewerb konnte der Kläger, auch wenn er  als Architekt

über höhere Bildung verfügt, nicht annehmen, die beklagte Partei oder

sonst eine Teppichhandelsgesellschaft habe zuvor einen den Marktwert

oder den im Durchschnitt üblicherweise verlangten Kaufpreis um etwa

100 % überschritten und erst jetzt ihre Verkaufspreise dem Marktwert

angepaßt.  Der Kläger wurde bewußt darüber irregeführt,  daß die

Teppiche nun zum halben Preis zu erwerben sind,  wenn auf den

Preisschildern  der doppelt so hohe Preis durchgestrichen war.  Mit

der Ankündigung  der Teppichversteigerung besteht insoweit ein

Zusammenhang,  als auch dort ein  "Listenpreis"  erwähnt wird,

während der  "Rufpreis"  bis zu 50 % darunter liegen sollte.  Nach §

276 Abs 1 EO sind in der gerichtlichen Versteigerung Fahrnisse unter

Angabe des Schätzungswertes (Ausrufpreises) auszubieten und nach §

277 Abs 1 EO Anbote,  die nicht wenigstens die Hälfte des

Ausrufpreises erreichen,  nicht zu berücksichtigen.

Auch dadurch wird vorgespiegelt, der "Listenpreis" etwa dem Schätzungswert, wenn die Ausbietung bis zu 50 % unter dem "Listenpreis" stattfindet.

Die der beklagten Partei zuzurechnende Verhaltensweise bei der

Abwicklung des Verkaufes an den Kläger  ist daher durchaus als dessen

listige Irreführung anzusehen,  handelt es sich doch nicht bloß um

eine rein marktschreierische Ankündigung eines besonders günstigen

Angebotes,  sondern um eine rechtswidrige,  vorsätzliche Täuschung.

Eine weitere Voraussetzung für die Anfechtung nach § 870 ABGB liegt

im Erfordernis,  daß das Verhalten des Täuschenden und damit der

Irrtum für den Vertragsabschluß kausal war (JBl 1990,  175),  was der

Anfechtende zu beweisen hat.  Dieser Beweis ist aber dem Kläger

gelungen,  denn es ergibt sich klar,  daß er sich nur durch die in

ihm erweckte Vorstellung,  die Teppiche um einen etwa bei der Hälfte

des Wertes liegenden Preis kaufen zu können,  zum Vertragsabschluß

verstand.  Abnehmern wird durch signifikante Nachlässe auf nicht

marktgerechte  "Listenpreise" ein in Wahrheit nicht vorliegendes

besonders günstiges Angebot vorgespiegelt (SZ 60/44 ua).

Es spielt  daher keine Rolle,  daß der Wert der Teppiche über dem

bezahlten Kaufpreis lag, weil es entscheidend darauf ankommt,  daß

der Kläger durch die listige Irreführung über das Bestehen echter

"Listenpreise", zumindest aber von der beklagten Partei geforderter

marktgerechter Verkaufspreise nur dadurch  zum Kauf verleitet wurde,

daß in ihm die nicht berechtigte Vorstellung erweckt wurde,  der

"Listenpreis"  oder Wert der Ware liege erheblich über dem von ihm

begehrten Kaufpreis,  ja übersteige diesen um fast 100 %.  Bei der

Anfechtung wegen List erfolgt dann aber  keine Unterscheidung nach

der Art des Irrtums.  Auch der Motivirrtum rechtfertigt die

Vertragsanfechtung,  wenn ihn der Erklärungsempfänger arglistig

herbeigeführt oder ausgenutzt hat (Schuhmacher, Verbraucherschutz und

Vertragsanbahnung,  177 ff FN 4; Koziol-Welser9  I 128;  Rummel in

Rummel,  ABGB,  Rz 3 zu § 870;  SZ 23/272;  SZ 27/63;  EvBl 1967/437

uva).  Dabei ist das Verhalten der von der beklagten Partei

beauftragten Personen ihr voll zuzurechnen,  also nicht etwa nur die

Einwirkung Dritter anzunehmen  (vgl  dazu Iro, JBl 1974, 225 ff und

236).  Es erübrigt sich daher eine Auseinandersetzung mit dem

Problem,  ob nicht ohnedies auch schon ein nach § 871 ABGB

beachtlicher Geschäftsirrtum vorliegt (vgl  Rummel in Rummel,  ABGB2

Rz 9  zu § 871)  und  ob ein Irrtum über den Wert einer Sache

grundsätzlich unbeachtlich ist  (Rummel in Rummel,  ABGB2 Rz 11  zu §

871).

Da der Kläger schon in der Klage alle Tatsachen angab, die die

Vertragsanfechtung nach § 870 ABGB rechtfertigten,  und sich auch auf

listige Herbeiführung des Irrtums berief, kommt es nicht mehr darauf

an,  ob auch § 871 ABGB die Vertragsaufhebung rechtfertigen könnte.

Der Kläger,  der von der beklagten Partei durch List zu dem Vertrag

veranlaßt wurde,  ist ihn zu halten nicht verbunden (§ 870 ABGB). Es

hat deshalb die Rückabwicklung stattzufinden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO (Schriftsatz vom 31.7.1990 nach TP 2)

Anmerkung

E33171

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0030OB00577.92.1216.000

Dokumentnummer

JJT_19921216_OGH0002_0030OB00577_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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