TE OGH 1993/1/27 7Ob653/92

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Veröffentlicht am 27.01.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Ebner und Dr. I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Leopoldine S*****, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei K***** Gesellschaft mbH, *****vertreten durch DDr. Horst Spuller, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 161.503,60 sA und Feststellung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 26. Mai 1992, GZ 5 R 9/92-57, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 23.9.1991, GZ 8 Cg 70/89-49, idF des Berichtigungsbeschlusses vom 20.12.1991, GZ 8 Cg 70/89, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Rekursverfahrens beim Obersten Gerichtshof als weitere Kosten des Berufungsverfahrens Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Die Klägerin kaufte im August 1988 einen von einem der Vorbesitzer zu einem Campingbus umgebauten Kastenwagen Mazda E 2000. Sie begehrt die Verurteilung der beklagten GesmbH zur Zahlung von S 161.503,60 sA Zug um Zug gegen Rückstellung dieses Fahrzeuges sowie die Feststellung, daß die Beklagte für jeden weiteren Schaden, der aus der schuldhaften Nichtwandlung des Vertrages entstehen werde, hafte. Die Klägerin habe das Fahrzeug von der beklagten Partei über Vermittlung des Robert K***** gekauft. Obwohl ihr ausdrücklich Vorschadensfreiheit zugesichert worden sei, habe sich herausgestellt, daß das Fahrzeug einen gravierenden, nicht ordnungsgemäß reparierten Unfallsschaden aufgewiesen habe, der am 27.10.1988 zum Ausfall der Lenkung geführt habe. Außerdem sei entgegen den Behauptungen der Verkäuferin die Erstzulassung nicht 1987, sondern am 5.12.1984 erfolgt und sei die Klägerin nicht Zweit-, sondern Drittbesitzer geworden. Die Klägerin hätte das Fahrzeug bei Kenntnis dieser Tatsachen nicht gekauft. Der beklagten Partei seien sämtliche Umstände bekannt gewesen. Der Kaufvertrag werde daher wegen Arglist, die die beklagte Partei zu vertreten habe, zumindest aber wegen Irrtums angefochten. Weiters werde das Klagebegehren auf den Titel der Gewährleistung gestützt, weil das Fahrzeug an wesentlichen Mängeln leide und die beklagte Partei die Behebung dieser Mängel abgelehnt habe, sowie auf Verkürzung über die Hälfte, weil das Fahrzeug mit Rücksicht auf den schweren Vorschaden beim Ankauf nur maximal S 15.000,-- wert gewesen sei. Zudem habe es einen wesentlich höheren Kilometerstand als 30.000 aufgewiesen.

Der Klagsbetrag setze sich wie folgt zusammen:

Kaufpreis                   S 120.000,--;

An- und Abmeldespesen       S     1.200,--;

Spesen im Zusammenhang mit der zur

Finanzierung des Ankaufes notwendigen

Kreditaufnahme              S  10.020,--;

Aufwendungen der Klägerin für Fahrtkosten,

Telefongebühren und Porti   S    1.000,--;

weitere Fahrtkosten der Klägerin, die im Zu-

sammenhang mit Fahrten zur Beklagten zwecks

Mängelbehebung aufgelaufen seien,

     S     4.800,--;

Standkosten für 110 Tage    S    13.200,--;

Kfz-Versicherung für 1 1/2 Jahre

     S     5.780,--;

Kosten der Einzelgenehmigung

                            S       190,--;

weitere Telefonkosten       S     1.200,--;

Kfz-Steuer                  S     3.600,--;

Kosten eines Vorzeltes      S     1.713,60.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Nicht sie, sondern Veronika K***** (die Ehefrau des Robert K*****), die das Fahrzeug ihrerseits von der beklagten Partei gekauft habe, sei Verkäuferin gewesen. Der Vorschaden sei vom Vorbesitzer Herbert K***** ordnungsgemäß repariert worden. Wegen eines von diesem durchgeführten Umbaues zum Wohnwagen sei eine Neutypisierung erforderlich gewesen, bei der das Fahrzeug vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung untersucht und als verkehrs- und betriebssicher bezeichnet worden sei. Dasselbe sei anläßlich der Ausstellung der Prüfplakette im August 1988 und bei weiteren Überprüfungen durch den ARBÖ und die Bundesprüfanstalt für Kraftfahrzeuge festgestellt worden. Der beklagten Partei hätten daher allfällige Restmängel weder auffallen können noch auffallen müssen noch habe sie überhaupt von einem Vorschaden gewußt. Ein allfälliger Havarieschaden müsse erst nach dem Kauf eingetreten sei. Der Klägerin sei weder Vorschadensfreiheit zugesichert, noch seien Angaben über die Erstzulassung und die Anzahl der Vorbesitzer gemacht worden. Das Fahrzeug habe im Zeitpunkt des Verkaufes an die Klägerin einen Kilometerstand von 29.520 aufgewiesen.

Die beklagte Partei wendete hilfsweise Gegenforderungen von insgesamt S 67.791,80 ein, die sie wie folgt aufschlüsselte:

Benützungsentgelt a S 4,-- pro km

für 4.732,80 km einschließlich USt            S  28.396,80;

Entwertung des Fahrzeuges durch die seit

Übernahme durch die Klägerin einge-

tretenen Beschädigungen                       S  32.395,--;

fehlende Gegenstände (Campingbatterie,

Vorzelt, Kindersitz)                          S    7.000,--.

Die Klägerin bestritt diese Forderungen. Das Benützungsentgelt sei mangels Eigenersparnis unberechtigt; das Vorzelt und sonstiges Zubehör sei von der Klägerin gesondert bezahlt worden.

Die beklagte Partei bestritt auch das Feststellungsbegehren, weil der Klägerin das Rechtsschutzinteresse fehle.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt - und zwar teils auch im Rahmen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung - fest:

Der Originaltypenschein des Fahrzeuges wurde am 25.3.1985 von der M***** GesmbH ausgestellt, wobei der erste Zulassungsbesitzer die C***** war. 1987 erwarb das Fahrzeug Herbert K*****, nachdem es in einen Unfall verwickelt worden war, von R***** in beschädigtem Zustand um S 30.000,--. Er setzte es mit Ersatzteilen, die er als Neuteile zum größten Teil bei der beklagten Partei erwarb, instand, baute eine Campingeinrichtung samt Hochdach ein und ließ es neu lackieren. Bei der Reparatur der Lenkung verwendete er eine nicht originale Schraube.

Durch den Umbau wurde die Ausstellung einer Einzelgenehmigung erforderlich. Bei der dieser vorangehenden technischen Überprüfung, die keine Beanstandung ergab, wies Herbert K***** auf den Vorschaden hin. Der Einzelgenehmigungsbescheid weist zwar mehrfach auf das Baujahr 1985 hin, enthält aber auch folgenden Satz: "Das Fahrzeug war zugelassen für: Firma C*****, 5.12.1984 (27.3.1985) bis 18.7.1986". Im März 1988 tauschte Herbert K***** das bis dahin problemlos funktionierende Fahrzeug bei der Beklagten gegen einen anderen Pkw ein, wobei hiefür ein Betrag von S 103.000,-- in Anrechnung gebracht wurde.

Die Beklagte verkaufte das Fahrzeug nicht zuerst an Veronika K*****, sondern direkt an die Klägerin, wobei die Verkaufsverhandlungen von Robert K***** geführt wurden und in den schriftlichen Kaufverträgen die Firma Veronika K***** als "Kaufverhandlungsvermittler" bezeichnet wurde.

Robert K***** machte der Klägerin gegenüber keine Angaben über Vorschadensfreiheit und Anzahl der Vorbesitzer, sondern gab ihr gegenüber lediglich an, daß der Wagen seines Wissens ca 2 Jahre alt sei. Die Klägerin ließ das Fahrzeug vor dem Ankauf im ARBÖ-Stützpunkt N***** untersuchen. Die Überprüfung wurde gewissenhaft vorgenommen. Es wurden keinerlei Vorschäden festgestellt, sondern lediglich die Vergasereinstellung bemängelt. Das Fahrzeug wurde als betriebs- und verkehrssicher bezeichnet und der verlangte Preis als gerechtfertigt angesehen. Der Kilometerstand betrug zu diesem Zeitpunkt 29.520. In einem Telefonat des Robert K***** mit dem Geschäftsführer der beklagten Partei deponierte letzterer, er wolle für das Fahrzeug S 112.000,-- zuzüglich der Kosten für die von der Klägerin verlangten Standheizung in Höhe von S 3.000,--; der darüberhinaus bezahlte Betrag sollte der Firma K***** als Vermittlungsprovision zukommen. Robert K***** handelte daraufhin mit der Klägerin einen Kaufpreis von S 120.000,-- aus. Robert K***** und die Klägerin unterfertigten am 12.8.1988 einen handschriftlichen Kaufvertrag, der einige Tage später in Maschinschrift abgefaßt und abermals unterschrieben wurde. Das Baujahr des Fahrzeuges wurde jeweils mit 1985 angegeben.

Nach vollständiger Zahlung des Kaufpreises am 18.8.1988 übergab der Geschäftsführer der beklagten Partei Veronika K***** die Fahrzeugpapiere, in die die Klägerin bereits zuvor Einsicht genommen hatte. Die Klägerin meldete das Fahrzeug an und holte es von seinem Standort bei der Firma K***** in W***** ab. In der Folge urgierte sie bei der beklagten Partei mehrere angebliche Mängel am Fahrzeug und an der Campingausstattung und ersuchte um den Eintausch der Standheizung gegen ein Vorzelt, weshalb sie mehrmals zur beklagten Partei nach Graz fuhr. Der Umtausch der Standheizung gegen ein Vorzelt wurde von dieser gegen Aufzahlung von S 1.500,-- gewährt. Die beklagte Partei führte am 22.8.1988 auch die jährliche Überprüfung gemäß § 57a Abs 4 KfG durch und stellte keinerlei Mängel fest.

Am 6.9.1988 wurde das Fahrzeug durch die Bundesprüfanstalt für Kraftfahrzeuge überprüft. Diese beanstandete lediglich die Auspuffanlage, wobei als Prüfungsergebnis die Rubrik "leichte Mängel" angekreuzt wurde. Schwere bzw nicht ordnungsgemäß reparierte Vorschäden am Fahrzeug wurden anläßlich dieser Überprüfung nicht festgestellt.

In der Folge hatte die Klägerin das Fahrzeug weiterhin in Betrieb. Am 6.12.1988 stellte sie wegen eines angeblichen Defektes der Lenkung beim Bezirksgericht Favoriten den Antrag auf Beweissicherung. Am 3.1.1989 erfolgte die Befundaufnahme durch den im Beweissicherungsverfahren bestellten Sachverständigen, der kleinere Schäden an der Verbundwindschutzscheibe, der Außenbeplankung des Vorderwandbleches, der linken rückwärtigen Stoßstangenhälfte, der Heckklappe, der linken Türtapezierung, des Fahrersitzes, des Armaturenbrettes und der Auspuffanlage feststellte (Punkte a) bis h) des Befundes des Sachverständigen Stefan F***** im Beweissicherungsverfahren). Diese Mängel hätten einem Fachmann bei Überprüfung auffallen müssen.

Die einzige Beschädigung nach der Instandsetzung des Fahrzeuges durch Herbert K***** war ein Riß im Armaturenbrett. Außer diesem Mangel und der mangelhaften Vergasereinstellung hatte kein Mangel beim Ankauf festgestellt werden können.

Die beklagte Partei hatte vom Vorschaden, der von Herbert K***** repariert worden war, keine Kenntnis. Weder sie noch Robert K***** haben der Klägerin zugesichert, daß das Fahrzeug unfallfrei sei und nur einen Vorbesitzer habe. Es kann nicht festgestellt werden, daß die Klägerin auf Grund eines Lenkungsdefektes, hervorgerufen durch bereits im Zeitpunkt der Übergabe an sie vorhandene Mängel, einen Unfall erlitten hat.

Das Fahrzeug wurde erstmals 1984 zugelassen. Die beklagte Partei war jedoch auf Grund der mißverständlichen Eintragungen im Einzelgenehmigungsbescheid selbst der Meinung, daß die Erstzulassung am 27.3.1985 erfolgt sei. Das Fahrzeug hatte im Zeitpunkt des Ankaufes durch die Klägerin unter Berücksichtigung des Vorschadens einen Zeitwert von S 105.000,--. Zum Zeitpunkt der Stillegung des Fahrzeuges Ende 1988 betrug sein Wert S 100.000,--.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß zwar der Einwand der mangelnden Passivlegitimation unberechtigt sei, doch lägen die von der Klägerin geltend gemachten Anfechtungs- und Wandlungstatbestände nicht vor. Der Klägerin sei es - abgesehen vom Riß im Armaturenbrett und der mangelhaften Vergasereinstellung - nicht gelungen, das Vorhandensein der von ihr behaupteten Mängel schon im Zeitpunkt des Fahrzeugkaufes und dessen Übergabe zu beweisen. Die Zusicherung, daß das Baujahr des Fahrzeuges 1985 sei, sei zwar objektiv unrichtig gewesen, sodaß sich die Klägerin in einem wesentlichen Geschäftsirrtum befunden habe. Es liege jedoch keine adäquate Veranlassung dieses Irrtums durch die beklagte Partei vor, weil sie bzw ihr Geschäftsführer selbst die mißverständlich formulierte Eintragung in der Einzelgenehmigung falsch interpretiert habe und der Meinung gewesen sei, daß die Erstzulassung am 27.3.1985 erfolgt sei. Überdies habe die Klägerin in den Einzelgenehmigungsbescheid Einsicht nehmen können. Ein Wandlungsanspruch nach § 932 ABGB bestehe deshalb nicht, weil das ältere Baujahr den ordnungsgemäßen Gebrauch der Sache nicht hindere. Der Irrtum der Klägerin über die Vorschadensfreiheit berechtige nicht zur Anfechtung, weil das Vorhandensein von unreparierten Schäden im Zeitpunkt des Ankaufes mit Ausnahme des Risses im Armaturenbrett nicht erwiesen sei, der Riß der Klägerin bekannt gewesen sei und die beklagte Partei selbst keine Kenntnis von den von Herbert K***** instandgesetzten Vorschäden gehabt habe. Es bestehe daher auch kein Gewährleistungsanspruch. Eine Verkürzung über die Hälfte sei auf Grund des festgestellten Fahrzeugwertes im Ankaufszeitpunkt zu verneinen.

Die zweite Instanz gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Sie bestätigte die Abweisung des Feststellungsbegehrens, hob aber die Abweisung des Leistungsbegehrens und die Kostenentscheidung auf und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof, nicht auch die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO, zulässig sei. Das Erstgericht habe die Veranlassung des Irrtums der Klägerin über das Baujahr des Fahrzeuges durch die Beklagte zu Unrecht verneint. Als eine Veranlassung, für die ein Verschulden des Geschäftspartners nicht erforderlich sei, sei die Eintragung eines falschen Baujahres in den schriftlichen Kaufverträgen anzusehen; damit sei eine unrichtige Beschreibung des Kaufgegenstandes erfolgt. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß der Klägerin die Einsichtnahme in den Einzelgenehmigungsbescheid ermöglicht worden sei, weil dies nach dem chronologischen Ablauf der Ereignisse erst nach Abschluß des Kaufvertrages gewesen sein könne. Andererseits habe sich die Klägerin auf die erteilte Zusage bzw auf die im Kaufvertrag vorgenommene Beschreibung verlassen können. Es sei Sache der beklagten Partei, wenn ihre Organe oder die für sie Handelnden ohne genügende Prüfung dem Kaufgegenstand eine bestimmte Eigenschaft beilegten. Da nach der Rechtsprechung ein Irrtum über das Baujahr eines Gebrauchtfahrzeuges immer wesentlich sei, könne die Klägerin ihr Rückabwicklungsbegehren erfolgreich auf Irrtum über das Baujahr stützen. Aus diesem Grund könne es auf sich beruhen, welchen Wert das von ihr gekaufte Fahrzeug zum Zeitpunkt des Ankaufes gehabt habe, wie weit der Vorschaden ordnungsgemäß behoben worden sei, welchen Aufwand die ordnungsgemäße Behebung allenfalls noch erfordern würde und ob die vom Sachverständigen im Beweissicherungsverfahren festgestellten Mängel auf eine mangelhafte Reparatur eines weiteren schweren Schadens nach Übergabe des Fahrzeuges an die Klägerin zurückzuführen sei, was allenfalls dazu führte, daß die Klägerin ihr Begehren auch noch auf weitere Rechtsgründe stützen könnte. Die Sache sei aber noch nicht spruchreif, weil Feststellungen zu den einzelnen Positionen, aus denen sich der Klagsanspruch zusammensetze, fehlten und auch Feststellungen zu den von der Beklagten geltend gemachten Gegenforderungen zu treffen seien. Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses gegen den aufhebenden Teil der Entscheidung begründete das Berufungsgericht damit, daß die Frage, ob ein Irrtum über das Baujahr immer als wesentlich anzusehen sei, eine solche im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.

Für die Beurteilung der Wesentlichkeit des Irrtums ist der

hypothetische Parteiwille entscheidend (JBl 1976, 646 = EvBl

1976/125, EvBl 1989/118 = VersRdSch 1989, 249, JBl 1990, 321).

Maßgebender Zeitpunkt ist jener des Vertragsabschlusses. Bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte aus dem Verhalten der Parteien ist die Verkehrsauffassung nach objektivem Maßstab ausschlaggebend; es ist zu fragen, wie redliche Parteien handeln würden (EvBl 1971/117 = ZVR 1971/153; SZ 53/108; SZ 55/2; ImmZ 1987, 216; JBl 1990,321; Koziol-Welser9 I, 127).

Der Ansicht, daß ein Irrtum über das Baujahr jedenfalls ein wesentlicher sei, wie dies nach der Entscheidung SZ 39/131 angenommen werden könnte, von der das Berufungsgericht ausgegangen ist, kann in dieser Allgemeinheit nicht beigepflichtet werden.

Der Preis am Gebrauchtwagenmarkt richtet sich nicht primär nach dem Baujahr, sondern nach dem Tag der Erstzulassung des fabriksneuen Fahrzeuges. Dementsprechend geht die sogenannte "Eurotax-Liste" von diesem Stichtag und nicht vom Baujahr (Produktionsjahr) aus. Auf ersteres Kriterium und nicht sosehr auf das Baujahr stellen mangels irgendwelcher Besonderheiten des Einzelfalles auch die Fahrzeugschätzungen ab.

Abgesehen davon, daß verschiedene Einzelteile oft in verschiedenen

Ländern produziert und den Autoherstellern zugeliefert werden, sodaß

schon deshalb ein Fahrzeug aus unterschiedlich "alten" Teilen

besteht, kann es auf den Zeitpunkt der Fertigstellung des Fahrzeuges

auch deshalb nicht primär ankommen, weil sowohl Erzeuger als auch

Importeure und Händler - wie bei vielen anderen Produkten auch - eine

Vorratshaltung bewerkstelligen müssen und zudem die oft sehr weiten

Transportwege vom Erzeuger zum Händler zu berücksichtigen sind. Es

kann daher ein Kunde, der in den ersten Monaten eines neuen Jahres ein Kraftfahrzeug bei einem Händler kauft, nicht ernsthaft erwarten, daß dieses schon im neuen Jahr produziert wurde.

Auf das Produktionsjahr wird es daher nur in Ausnahmefällen ankommen,

etwa dann wenn ungewöhnlich lange Zeit zwischen der

Fahrzeugherstellung und der Erstzulassung verstrichen ist oder (und) bereits Umwelteinflüsse dem Fahrzeug zugesetzt haben oder auch, wenn zwischenzeitig eine Modelländerung vorgenommen wurde, wovon aber im vorliegenden Fall keine Rede ist.

Daß im allgemeinen primär nicht dem Produktionsjahr, sondern anderen

Kriterien entscheidendes Gewicht zukommt, ergibt sich nicht zuletzt

daraus, daß das Baujahr in den Fahrzeugpapieren nicht vermerkt wird

(vgl die gem § 41 KfG einzutragenden Daten im Zulassungsschein).

Zutreffend meldet daher die Entscheidung SZ 45/38 Zweifel daran an,

daß der Irrtum über das Baujahr eines Kraftfahrzeuges schlechthin und

ausnahmslos als wesentlicher zu gelten hat, und zwar insbesondere

dann, wenn das Fahrzeug bis zur Erstzulassung fabriksneu war.

Auch in der Entscheidung SZ 53/37 wird die Zusage eines bestimmten

Baujahres als eine der wesentlichen Eigenschaften des Kaufgegenstandes bezeichnet, doch war hier maßgebend, daß bei dem Kfz eine weit höhere Kilometerleistung bestand als jene, die dem Käufer zugesichert worden war.

Daß der Irrtum über das Baujahr eines Kraftfahrzeuges schlechthin ein

wesentlicher sei, wird auch von Rummel in Rummel2 I § 872 ABGB in Frage gestellt.

Bemerkt sei, daß auch die Klägerin selbst nicht konkret behauptete,

über das Baujahr in Irrtum geführt worden zu sein, sondern in ihrer Klage auf das Datum der Erstzulassung abstellte.

Hinsichtlich der Erstzulassung sind die Feststellungen der Untergerichte nicht ganz klar. Die Klägerin ging von einer Erstzulassung im Jahr 1985 aus. Ob die Erstzulassung aber tatsächlich am 27.3.1985 oder schon am 5.12.1984 erfolgte, ist deshalb fraglich, weil die Feststellung des Erstgerichtes, der Originaltypenschein sei am 25.3.1985 ausgestellt worden, mit der weiteren Feststellung nicht in Einklang zu bringen ist, daß die Erstzulassung schon am 5.12.1984 erfolgte.

Diese Unklarheit kann allerdings deshalb auf sich beruhen, weil die Klägerin selbst nicht behauptet hat, die Differenz von wenigen Monaten sei für sie von ausschlaggebender Bedeutung gewesen, und weil auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie sich dann, wenn das erstere Datum richtig sein sollte, nicht zum Kauf entschlossen hätte. Zu berücksichtigen ist aber insbesondere, daß das Fahrzeug nach seiner Erstzulassung ganz erheblich umgestaltet wurde und eine Neutypisierung erfolgte, sodaß, wie im Rekurs zutreffend ausgeführt wird, kein vernünftiger Grund die Annahme rechtfertigt, die Klägerin hätte entscheidenden Wert darauf gelegt, daß das ursprüngliche, in dieser Form gar nicht mehr vorhandene Fahrzeug einige Monate später zum Verkehr zugelassen wurde. Selbst der zwischen den beiden genannten Erstzulassungszeitpunkten liegende Jahreswechsel kann daher im vorliegenden Fall nicht als wesentlich angesehen werden.

Das Berufungsgericht hat sich, ausgehend von einer vom erkennenden

Senat nicht geteilten Rechtsansicht, mit wesentlichen Teilen der

Berufung der Klägerin bisher nicht befaßt. So ließ es die Richtigkeit

der - bekämpften - Feststellungen des Erstgerichtes über den Wert des

Fahrzeuges zum Zeitpunkt des Kaufvertrages dahingestellt. Da aber

nunmehr der schon in erster Instanz erhobene Anfechtungstatbestand

der laesio enormis zu prüfen sein wird, wird sich das

Berufungsgericht mit dieser Feststellung wie auch mit den anderen

Punkten der Berufung, die sich mit der Wertermittlung befassen und

insoweit teils eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, teils eine unrichtige Beweiswürdigung und teils sekundäre Feststellungsmängel geltend machen, auseinanderzusetzen haben.

Das Berufungsgericht übernahm zwar die Feststellung, daß die anläßlich der Beweissicherung vom Sachverständigen aufgelisteten Mängel des Fahrzeuges a)-h) mit Ausnahme des Sprunges im Armaturenbrett bei Übergabe an die Klägerin nicht vorhanden waren.

Ob aber die vom Sachverständigen darüber hinaus festgestellten erheblichen, mangelhaft behobenen Havarieschäden im linken Frontbereich (Rahmenlängsträger, Bodenblech, Lenkungsaufnahme usw) zum Ankaufszeitpunkt schon vorhanden waren wie die Berufung im Rahmen ihrer Mängel- und Beweisrüge darzulegen versucht, oder ob sie auf ein Schadensereignis nach dem Ankauf durch die Klägerin zurückzuführen sind, ließ das Berufungsgericht dahingestellt. Es wird sich nunmehr mit den diesbezüglichen Berufungsausführungen zu befassen haben, weil diese Fragen wesentlichen Einfluß auf die Wertermittlung des Fahrzeuges im Ankaufszeitpunkt der Klägerin haben.

Ob insbesondere der Ausfall der Lenkung auf einen - mangelhaft reparierten - Schaden vor dem Ankauf durch die Klägerin oder auf danach eingetretene Umstände zurückzuführen ist, ist auch wegen des in erster Instanz erhobenen und im Berufungs- sowie im Rekursverfahren aufrecht erhaltenen Wandlungsanspruches aus dem Titel der Gewährleistung zu prüfen, der für den Fall zu behandeln sein wird, daß der Rückabwicklungsanspruch aus dem Titel der Verkürzung über die Hälfte zu verneinen wäre. In diesem Fall hätte das Berufungsgericht auch auf die in der Berufung als Verfahrens- und Feststellungsmangel erhobene Rüge einzugehen, das Erstgericht habe das Vorbringen der Klägerin, sie habe die Beklagte vergeblich zur Behebung des Lenkungsschadens aufgefordert, nicht behandelt.

Die Feststellung, daß die beklagte Partei bzw deren Geschäftsführer selbst keine Kenntnis vom Vorschaden hatte und daß der Klägerin niemals Vorschadensfreiheit (dasselbe gilt auch für die Anzahl der Vorbesitzer) zugesichert wurde, wurde vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommen.

Wie weit der beklagten Partei die Kenntnis des Vorschadens aus dem Ersatzteilverkauf zugerechnet werden muß, bildet, worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat, eine Rechtsfrage.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 letzter Satz ZPO.

Anmerkung

E33249

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0070OB00653.92.0127.000

Dokumentnummer

JJT_19930127_OGH0002_0070OB00653_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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