TE OGH 1993/1/28 10ObS339/92

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Veröffentlicht am 28.01.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Martin Duhan (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Norbert Kunc (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl P***** Pensionist, , vertreten durch Dr.Reiner Weber, Rechtsanwalt in Hollabrunn, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1090 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Juni 1992, GZ 32 Rs 80/92-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 25.November 1991, GZ 15 Cgs 94/91-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am 19.6.1933 geborene Kläger bezieht seit 1.7.1988 von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eine Invaliditätspension. Mit Bescheid vom 3.4.1991 wurde sein Antrag vom 22.11.1990 auf Zuerkennung eines Hilflosenzuschusses gemäß § 105a ASVG mit der Begründung abgewiesen, daß er nicht ständig der Wartung und Hilfe bedürfe.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß ab 22.11.1990 zu gewähren und eine vorläufige Zahlung von S 2.776,-- monatlich zu erbringen. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger wohnt in einem Einfamilienhaus ebenerdig; Kalt- und Warmwasser, Bad und WC sind vorhanden. Geheizt wird fossil, gekocht mit Gas. An Haushaltsgeräten gibt es einen Eiskasten (gemeint offenbar Kühlschrank) und eine Waschmaschine. Die nächste Einkaufsmöglichkeit ist vis-a-vis, der Arzt ist 500 m entfernt. Der Kläger ist verheiratet und lebt zusammen mit seiner Frau. Eine Diät hält er nicht ein. Er kann sich alleine an- und ausziehen und sich waschen, er kann den Wohnraum oberflächlich instandhalten und einen Ofen warten, sofern das feste Brennmaterial neben dem Ofen gelagert ist. Zu sämtlichen schwierigeren Verrichtungen wie Großreinemachen und Fensterputzen benötigt er fremder Hilfe. Das Einholen von Nahrungsmitteln ist generell ausgeschlossen. Der Kläger könnte auch andere Dinge nicht mehr einkaufen. In der Wohnung könnte er zwar kurzfristig gehen, jedoch keinesfalls länger als 10 Minuten stehen; er kann deshalb nur einfache Speisen kochen, die keine längere Zeit in Anspruch nehmen. Das Bücken ist ihm noch zumutbar.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Kläger könne vor allem nicht mehr selbst einkaufen gehen und bedürfe auch für das Zubereiten einer ordentlich gekochten Mahlzeit täglich fremder Hilfe. Die monatsmäßigen Kosten für die Fremdhilfe seien überschlagsmäßig unter Anwendung des § 273 ZPO festzustellen. Demnach ergebe sich, daß der Kläger täglich durch etwa 2 Stunden auf die Hilfe anderer angewiesen sei, da er Anspruch auf eine anständig gekochte Mahlzeit täglich habe und die erforderlichen Lebensmittel weder kaufen noch selbst zubereiten könne. Die Kosten für eine Fremdhilfe mit einem Stundensatz von 70 S würden daher die Höhe des Hilflosenzuschusses übersteigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Zu Recht rüge die beklagte Partei die aus der Feststellung, der Kläger könne nicht länger als 10 Minuten stehen, gezogene Schlußfolgerung, er könne sich nicht einmal mehr einfachere Speisen selbst zubereiten. Beim Kochen könnten auch zahlreiche Verrichtungen im Sitzen ausgeübt werden, überdies sei das Angebot an Tiefkühl- und Konservenkost zu berücksichtigen. Der vom Erstgericht als erforderlich angesehene Betreuungsaufwand sei weit überhöht und nach Auffassung des Berufungsgerichtes annähernd zu halbieren. Für ein mit etwa 30 Stunden monatlich zu veranschlagendes Betreuungsbedürfnis bestehe noch kein Anspruch auf einen Hilflosenzuschuß.

Die Revision des Klägers ist im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs macht das Erfordernis fremder Hilfe für die gründliche Reinigung der Wohnung samt Fensterputzen, die Besorgung der großen Wäsche und das Einkaufen von Lebensmitteln und sonstigen Gegenständen wie auch Heizmaterial nicht hilflos im Sinne des § 105a ASVG (vgl SSV-NF 2/12, 3/15, 32, 114, 4/12 uva). Entscheidend ist daher im vorliegenden Fall, ob der Kläger Hilfe beim Zubereiten von Mahlzeiten bedarf. Die Judikatur geht davon aus, daß für eine dem allgemeinen Standard angemessene menschengerechte Lebensführung mindestens einmal täglich die Einnahme einer ordentlichen Mahlzeit erforderlich ist, deren Zubereitung nicht nur eine ganz kurze Zeitspanne in Anspruch nimmt (SSV-NF 2/86) und daß es einem Rentner oder Pensionisten nicht zumutbar sei, sich ausschließlich von aufgewärmten Speisen zu ernähren (SSV-NF 4/125), daß aber bei Prüfung des für die Speisenzubereitung notwendigen Aufwandes das handelsübliche Angebot an Tiefkühlkost und Fertiggerichten zu berücksichtigen sei (SSV-NF 2/126 ua). Es ist immer auf den Einzelfall abzustellen und zu beurteilen, ob die Speisen, die ein Pensionist selbst zuzubereiten in der Lage ist, für seine Versorgung als ausreichend angesehen werden können oder für eine entsprechende Versorgung mit Nahrung Hilfe von dritter Seite erforderlich ist. Mit der Feststellung, daß der Kläger nur einfache Speisen kochen kann, die keine längere Zeit in Anspruch nehmen, ist keine ausreichende Aussage getroffen (SSV-NF 5/46). Dies zeigt auch die unterschiedliche Beurteilung durch die Vorinstanzen: Während das Erstgericht die genannte Feststellung dahin interpretierte, daß der Kläger täglich Hilfe beim Kochen einer Mahlzeit benötige, verwies das Berufungsgericht allein auf die Möglichkeit, zahlreiche Verrichtungen im Sitzen vorzunehmen. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes lassen allerdings nicht erkennen, in welchem Umfang es überhaupt Hilfe bei der Zubereitung von Mahlzeiten als erforderlich ansieht. Es wird festzustellen sein, welche Art von Speisen der Kläger selbst bereiten kann und für welche Speisenzubereitung er fremder Hilfe bedarf. Es kann nämlich keinesfalls als offenkundig angesehen werden, welche Speisen ein Pensionist, der keinesfalls länger als 10 Minuten stehen kann, selbst zubereiten kann. In der Entscheidung SSV-NF 5/90 wurde einer Pensionistin, die sich kleinere Speisen wie Suppen, Eierspeise, Tiefkühlkost udgl bereiten oder aufwärmen konnte, nicht aber Kartoffeln, Gemüse, Fleisch oder komplette Mahlzeiten, weil sie ununterbrochen nur 5 Minuten stehen konnte und dann 5 Minuten sitzen mußte, bevor sie wieder stehen konnte, tägliche Hilfe bei der Zubereitung von Mahlzeiten zugebilligt. Erst wenn zur Frage der notwendigen Hilfe zum Kochen ausreichende Feststellungen vorliegen, wird beurteilt werden können, ob der Kläger insgesamt die Voraussetzungen für die Leistung des Hilflosenzuschusses erfüllt (vgl. SSV-NF 5/46). Da es zur Gewinnung der erforderlichen Feststellungen offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.1 ZPO iVm § 2 Abs.1 ASGG.

Anmerkung

E32342

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00339.92.0128.000

Dokumentnummer

JJT_19930128_OGH0002_010OBS00339_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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