TE OGH 1993/3/11 2Ob9/93

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Veröffentlicht am 11.03.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut K*****, vertreten durch Dr.Thomas Watzenböck, Rechtsanwalt in Kremsmünster, wider die beklagten Parteien 1. Dr.Alois August D*****, 2. V*****, vertreten durch Dr.Robert Eichmann, Dr.Helmut Valenta und Dr.Gerhard Gfrerer, Rechtsanwälte in Linz, wegen Zahlung einer Rente, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 2.November 1992, GZ 5 R 37/92-43, womit infolge Berufung der Streitteile das Urteil des Bezirksgerichtes Kirchdorf an der Krems vom 11.März 1992, GZ 2 C 1129/89w-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und die Urteile der Vorinstanzen dahin abgeändert, daß die Entscheidung über den noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Teil des Eventualbegehrens zu lauten hat:

"Das Begehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger eine monatliche Rente von derzeit S 1.600,00 ab 6. Februar 1992 bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, also bis zum 26.März 2017, zu bezahlen, wird abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen an Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz den Betrag von S 64.110,99 (darin S 15.261 an Barauslagen und S 8.141,65 an Umsatzsteuer) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von S 10.783,68 (darin S 6.000 an Barauslagen und S 797,28 an Umsatzsteuer) zu ersetzen."

Text

Entscheidungsgründe:

Als Folge eines Verkehrsunfalles vom 16.7.1987, für welchen die Beklagten - die Zweitbeklagte nur bis zur Höhe der Versicherungssumme - haften, erlitt der Kläger einen Bruch des linken Speichengriffels mit Verrenkung der Hand zur Speichenseite, einen Abbruch des linken Ellengriffels sowie einen Bruch der Basis des fünften Mittelhandknochens, des Ellengriffels und des Handkahnbeines jeweils rechts. Als Folge verblieb eine deutliche Bewegungseinschränkung beider Handgelenke, und zwar links stärker als rechts. Im linken Handgelenk besteht auch eine etwas verminderte Grobkraft gegenüber dem rechten. In beiden Handgelenksbereichen liegen degenerative Veränderungen vor, und zwar links bereits eine schwere Handgelenksarthrose mit Falschgelenksbildung des Ellengriffelfortsatzes. Ein Fortschreiten der Arthrose ist anzunehmen, weitere Operationen sind nicht ausschließbar. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist insgesamt um 20 % gemindert.

Der Kläger begehrt die Zuerkennung einer abstrakten Rente von 10 % des jeweiligen Nettoeinkommens, in eventu von S 1.628,70 vom 18.Mai 1990 bis zum 26.März 2017 (Vollendung seines 65. Lebensjahres). Er führte zur Begründung seines Anspruches unter detaillierter Angabe der von ihm verrichteten Tätigkeit aus, diese nur mehr unter größeren Anstrengungen, als sie ein Gesunder zu erbringen habe, verrichten zu können. Die vor dem Unfall vom Kläger ausgeführte Arbeit sei zwar die gleiche wie jetzt; der Unterschied liege darin, daß der Kläger bedingt durch den langen Krankenstand auf einem älteren Modell arbeiten müsse, was ein Indiz dafür darstelle, daß er bei Verschärfungen auf dem Arbeitsmarkt - auf aufgrund seines Alters - der Erste sei, der von einer Kündigung betroffen sein werde. Ihm sei auch im Gegensatz zu den anderen Arbeitskollegen eine Gehaltserhöhung nicht zugestanden worden, woraus erhelle, daß seine Stellung im Betrieb schlechter geworden sei. Die vermehrten Anstrengungen und Abnützungen in der Hand führten auch zu einem rascheren Verbrauch der Arbeitskraft. Es sei auch nicht davon auszugehen, daß er zu den qualifizierten Facharbeitern gehöre, denen es möglich sein werde, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens; die Voraussetzungen zur Zuerkennung einer abstrakten Rente lägen nicht vor.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren (Zahlung einer monatlichen Rente in Höhe von 10 % des klägerischen Nettoeinkommens ab und sprach dem Kläger ab dem 6.Februar 1992 (Schluß der Verhandlung erster Instanz) eine monatliche Rente von S 1.600 bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres zu.

Es traf dazu noch nachstehende Feststellungen:

Der Kläger ist seit 1973 als Facharbeiter - Werkzeugmacher bei der Firma M*****beschäftigt. Vor dem Unfall arbeitete er an einer Außen- und Innenrundschleifmaschine moderner Bauart, nach dem Unfall an einem älteren Modell. Ursache hiefür waren ua der Unfall, das dadurch bedingte lange Fernbleiben des Klägers, dessen Einstellung und Verhalten sowie die soziale und kommunikative Interaktion zwischen dem Vorgesetzten und dem Kläger. Der Arbeitsplatz des Klägers ist ausgehend von der derzeitigen wirtschaftlichen Situation der Firma M*****und auch davon, daß er imstande ist, die von ihm verrichtete Arbeit im gleichen Ausmaß zu leisten, nicht gefährdet. Eine Kündigungsgefahr besteht nicht. Entscheidend für eine Kündigungsgefährdung des Klägers ist insbesondere die kaum vorhersehbare wirtschaftliche Entwicklung bzw Auftragslage. Bei wesentlichen wirtschaftlichen Einbrüchen kann eine Gefährdung des Arbeitsplatzes des Klägers auftreten. Derzeit kann nicht beurteilt werden, welche Facharbeiter in diesem Fall von einer allfälligen Kündigung betroffen wären, weil dabei auch soziale Motive des Dienstgebers mitspielen. Für den Fall, daß der Kläger die Arbeit nicht mehr verrichten kann, ist dessen Arbeitsplatz hochgradig gefährdet. Es hängt dann von derzeit nicht voraussehbaren Faktoren ab, ob der Kläger andere Arbeiten verrichten kann.

Das Erstgericht hielt schließlich noch fest, daß die vom Kläger derzeit ausgeübte Tätigkeit zu einem rascheren Verbrauch seiner Arbeitskraft führt, sodaß er zu einem derzeit noch nicht abschätzbaren Zeitpunkt unfähig sein wird, seine derzeitige Tätigkeit durchzuführen.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß sowohl die für die Zuerkennung einer abstrakten Rente geforderte Sicherungsfunktion (Schaffung eines Deckungsfonds) als auch die Ausgleichsfunktion (Abgeltung der Mehranstrengung) vorlägen.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien in der Hauptsache nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit außerordentlicher Revision und beantragen, die angefochtenen Entscheidungen dahin abzuändern, daß das Begehren auf Zuspruch einer abstrakten Rente abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen, weil der Streitwert S 60.000 nicht übersteige; in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, daß Ansprüche auf Unterhalts- oder Versorgungsbeträge und auf Zahlung von Renten wegen Körperbeschädigung oder Tötung eines Menschen immer mit dem Dreifachen der Jahresleistung zu bewerten sind (RZ 1990/13). Der Entscheidungsgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, betrug daher S 57.600. Dem Umstand, daß das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichtes bei einem Streitwert unter S 60.000 bestätigte, kommt sei der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989 keine Bedeutung zu. Die Revision ist daher gemäß § 500 Abs 2 Z 2 ZPO entgegen der Meinung des Klägers nicht jedenfalls unzulässig. Sie ist auch berechtigt.

Rechtsprechung und Lehre anerkennen den Zuspruch einer Rente gemäß § 1325 ABGB auch dann, wenn der Verletzte, der einen Dauerschaden erlitten hat (ZVR 1969/298; ZVR 1976/266; JBl 1965, 208) zwar derzeit noch keinen Verdienstentgang erleidet, ein solcher aber nach den konkreten Umständen des Falles zu erwarten oder doch wahrscheinlich ist (ZVR 1984/325; RZ 1982/9 uva; Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 30 und 32 zu § 1325). Für den Anspruch auf eine abstrakte Rente genügt nicht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin oder eine bloße Erschwernis der Arbeit, es muß vielmehr eine Einkommensminderung wegen der unfallbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch wahrscheinlich sein (SZ 41/157). Der Anspruch ist erst dann begründet, wenn die Erschwernis der Arbeit größere Anstrengungen zur Erzielung des Arbeitserfolges, wie er ohne die Unfallsfolgen erreichbar wäre, notwendig macht und damit die Möglichkeit einer früheren Erschöpfung der Arbeitskraft des Verletzten gegeben ist (Ausgleichsfunktion) und der Geschädigte der Gefahr einer Benachteiligung im Wettbewerb mit gesunden Menschen ausgesetzt ist (Sicherungsfunktion). Die abstrakte Rente gebührt nicht, wenn sie im Einzelfall nur eine dieser Aufgaben erfüllt, sondern erst dann, wenn beide Voraussetzungen bejaht werden können (ZVR 1984/325; ZVR 1982/270; ZVR 1985/48; ZVR 1989/133; Reischauer aaO Rz 30 und 34). Im allgemeinen steht daher eine abstrakte Rente nur dann zu, wenn ein so enger Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verdienstausfall infolge konkret und absehbar drohenden Verlustes der gegenwärtigen Erwerbsgelegenheit geknüpft ist, daß es schon jetzt geboten ist, durch Rücklagen einen Fonds zwecks Deckung des Ausfalls zu schaffen (ZVR 1983/84).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt an, dann kann von der konkreten Gefahr eines drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes des Klägers nicht gesprochen werden. Dieser ist nämlich bereits seit dem Jahre 1973 beim selben Dienstgeber beschäftigt und übt - wenn auch unter vermehrten Anstrengungen - seine bisherige Tätigkeit weiterhin aus. Maßgebend für einen möglichen Verlust des vom Kläger eingenommenen Arbeitsplatzes ist aber nach den Feststellungen die derzeit nicht voraussehbare wirtschaftliche Entwicklung. Selbst bei einem nicht auszuschließenden Rückgang der Wirtschaftskonjunktur ist nicht erwiesen, daß der Kläger am ehesten von einer Kündigung betroffen wäre, weil dabei ebenfalls derzeit nicht voraussehbare Umstände und Erwägungen zu beachten sind. Die rein theoretisch-abstrakte Möglichkeit der Kündigung des Klägers in nicht absehbarer Zeit reicht daher für die Gewährung der abstrakten Rente nicht aus.

Die für die Zuerkennung einer abstrakten Rente erforderliche Wahrscheinlichkeit der künftigen unfallskausalen Einkommenseinbuße ist somit nicht dargetan. Damit liegen nur die Voraussetzungen zur Annahme der Ausgleichsfunktion, nicht aber auch der Sicherungsfunktion einer solchen Rente vor. Berücksichtigt man überdies, daß bei der Frage, ob eine abstrakte Rente zuzusprechen ist, eine eher restriktive Handhabung angezeigt ist (ZVR 1989/133), dann konnte eine solche nicht zuerkannt werden.

Aus diesen Gründen waren die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß das Begehren auf Zuerkennung einer abstrakten Rente abgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E30710

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0020OB00009.93.0311.000

Dokumentnummer

JJT_19930311_OGH0002_0020OB00009_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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