TE OGH 1993/3/17 9ObA6/93

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Veröffentlicht am 17.03.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof. Dr. Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Othmar Roniger und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagende Partei M*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei R*****, Förderketten, Rollen- und Büchsenketten, ***** vertreten durch Dr.Otto Pichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 72.158,62 S brutto sA, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Juni 1992, GZ 32 Ra 71/92-22, womit infolge Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10.Dezember 1991, GZ 14 Cga 1532/90-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 4.468,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 724,80 S Umsatzsteuer und 120 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe

Der Kläger war vom 13.12.1982 bis 11.10.1990 als Schweißer beim Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Entlassung, nachdem der Kläger eine vom Beklagten wiederholte Weisung des Y***** S*****, anstelle einer ihm vom Beklagen aufgetragenen Arbeit eine andere Arbeit sofort in Angriff zu nehmen, nicht befolgt hatte.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 72.158,62 S brutto sA an entlassungsabhängigen Ansprüchen und brachte vor, daß die Entlassung zu Unrecht erfolgt sei; er habe unterschiedliche Anweisungen des Beklagten und des Vorarbeiters erhalten und die ihm vom Beklagten aufgetragene Arbeit verrichtet.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe die Verrichtung von Überstunden wiederholt verweigert; deshalb sei ihm bereits mit Verwarnung vom 21.4.1989 die Entlassung angedroht worden. Am 11.10.1990 habe sich der Kläger geweigert, eine ihm innerhalb der Arbeitszeit aufgetragene Arbeit zu verrichten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, daß Y***** S***** vom Beklagten und dessen Vater zu Weihnachten 1989 zum Vorarbeiter bestellt worden sei; hingegen könne nicht festgestellt werden, daß es eine allgemeine Besprechung im Betrieb gegeben habe, in der dies bekanntgemacht worden sei. Im Betrieb seien sowohl Anordnungen des Klägers als auch des Y***** S***** befolgt worden; dies sei von der Geschäftsleitung akzeptiert worden.

Das Erstgericht erachtete die Entlassung als nicht gerechtfertigt, weil die Vorarbeiterrolle des Y***** S***** gegenüber dem Kläger nicht völlig klar gewesen sei und das Verhalten des Klägers keine wesentlichen Folgen nach sich gezogen habe.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil in eine Abweisung des Klagebegehrens ab. Es wiederholte die Beweise durch Verlesung der Aussagen der vom Erstgericht vernommenen Zeugen und Parteien und stellte fest, daß die Bestellung des Y***** S***** zum Vorarbeiter dem Kläger und den übrigen Arbeitnehmern des Beklagten bekannt gewesen sei. Schon früher habe es mit dem Kläger ähnliche Schwierigkeiten gegeben; er sei damals verwarnt worden, daß es das letzte Mal sei, daß die Geschäftsleitung hinnehme, daß er die Anordnungen des Vorarbeiters nicht ausführe. Durch die wiederholte, ungeachtet der mehrmaligen Ermahnungen fortgesetzte Weigerung, die Anordnungen des Vorarbeiters zu befolgen, sei das Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit nach § 82 lit f GewO 1859 erfüllt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionswerber macht als Verfahrensmangel geltend, daß das Berufungsgericht die Beweise lediglich durch Verlesung der vom Erstgericht aufgenommenen Protokolle wiederholt und sich nicht nach Fassung eines Beweisbeschlusses einen unmittelbaren Eindruck von den vernommenen Zeugen verschafft habe.

Das Berufungsgericht hat zwar gegen § 488 Abs 4 ZPO verstoßen, doch ist dieser Mangel nicht entscheidungswesentlich.

Im Protokoll über die öffentliche mündliche Berufungsverhandlung vom 12.6.1992 heißt es "Einverständlich verlesen werden (gemäß) § 281a ZPO die Aussage der Zeugen C***** C*****, I***** T***** Y***** S*****, J***** und der Parteien".

Nach § 488 Abs 4 ZPO (eingeführt durch die WGN 1989) darf das Berufungsgericht, wenn es erwägt, von den Feststellungen des Erstgerichts abzuweichen, nur dann von der neuerlichen Aufnahme eines in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweises Abstand nehmen und sich mit der Verlesung der Protokollierung hierüber begnügen, wenn es vorher den Parteien bekanntgegeben hat, daß es gegen die Würdigung dieses Beweises durch das Erstgericht Bedenken habe und ihnen Gelegenheit gegeben hat, die neuerliche Aufnahme dieses Beweises durch das Berufungsgericht zu beantragen.

Das Berufungsgericht darf sich daher mit der Verlesung der Beweisaufnahmeprotokolle des Erstgerichtes nur dann begnügen, wenn es den Parteien mitgeteilt hat, daß es erwägt, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzugehen, und ihnen Gelegenheit zu rechtzeitiger Antragstellung gegeben hat, die Parteien aber trotzdem nicht ausdrücklich die unmittelbare Beweisaufnahme beantragen. Unterläßt das Gericht eine solche vorherige Bekanntgabe und führt es, ohne den Parteien Gelegenheit zu geben, sich dagegen auszusprechen, dennoch die Beweisaufnahme nur gemäß § 281a ZPO mittelbar durch, dann hat dies einen Mangel des Berufungsverfahrens zur Folge (siehe Fasching ZPR2 Rz 1807; 7 Ob 656/90).

Der Vorwurf des Revisionswerbers, daß das Berufungsgericht durch bloßes Verlesen der Aussagen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt habe, umfaßt auch den Verstoß gegen § 488 Abs 4 ZPO.

Im vorliegenden Fall wirkt sich jedoch dieser Verstoß auf die Entscheidung nicht aus.

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen - und daher vom Verfahrensmangel nicht betroffenen - Feststellungen des Erstgerichtes hat der Kläger die Befolgung der Anweisung des Vorarbeiters auch noch verweigert, als der von diesem herbeigeholte Beklagte diese bestätigte. Da der Kläger spätestens zu diesem Zeitpunkt erkennen mußte, daß die Anordnung des Y***** S***** durch eine Weisung des Beklagten gedeckt war, ist das Verhalten des Klägers - unabhängig davon, ob ihm die Bestellung des Y***** S***** zum Vorarbeiter bekannt war - als beharrliche Pflichtenverweigerung im Sinne des § 82 lit f GewO 1859 zu werten.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E32349

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:009OBA00006.93.0317.000

Dokumentnummer

JJT_19930317_OGH0002_009OBA00006_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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