TE OGH 1990/9/27 7Ob656/90

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.1990
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***-BAU AG, Wien 1., Renngasse 6, vertreten durch Dr.Erich Hermann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Franz K*** Gesellschaft mbH, Maria-Lanzendorf, Nußbaumgasse 7-9, vertreten durch Dr.Dieter H.Gradwohl, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 548.146,66 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 3.Mai 1990, GZ 2 R 61/90-40, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 14.Dezember 1989, GZ 14 Cg 73/87-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens gleich weiteren Kosten des Berufungsverfahrens Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Die klagende Partei begehrt den Zuspruch von S 548.146,66 sA. Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Die zweite Instanz gab der Berufung der klagenden Partei "teilweise" Folge. Sie erkannte, daß die Klageforderung mit S 548.146,66 sA zu Recht, eine von der beklagten Partei eingewendete Gegenforderung aber nicht zu Recht bestehe, so daß die beklagte Partei schuldig sei, den Klagebetrag zu zahlen. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig ist. Die beklagte Partei bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit ao Revision und beantragt, es im klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die klagende Partei, der die Beantwortung der Revision freigestellt wurde (§ 508 a Abs 2 ZPO), hat eine Revisionsbeantwortung erstattet. Sie beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben. Die beklagte Partei macht in der Revision geltend, das Berufungsgericht habe entgegen der Bestimmung des § 488 Abs 4 ZPO (angefügt durch die WGN 1989) den Beschluß auf Beweiswiederholung gefaßt, ohne den Parteien bekanntzugeben, daß es gegen die Würdigung der Beweise durch das Erstgericht Bedenken habe, und ohne ihnen Gelegenheit zu geben, die neuerliche Aufnahme der Beweise durch die zweite Instanz zu beantragen. Es habe nach Verlesung von Zeugenaussagen, eines Sachverständigengutachtens und von Urkunden die Beweise ungewürdigt und sei so zur Klagestattgebung gekommen. Zur Bestimmung des § 488 Abs 4 ZPO fehle jegliche Judikatur. Die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO idF der WGN 1989 seien daher gegeben.

Im Protokoll über die öffentliche mündliche Berufungsverhandlung vom 3.5.1990, ON 39, heißt es auszugsweise:

"Der Berichterstatter....legt den Sachverhalt....dar und bezeichnet die sich für das Berufungsverfahren ergebenden Streitpunkte. Er verliest de Anträge der Parteien, die durch die Berufung getroffenen Teile des erstrichterlichen Urteils samt den Entscheidungsgründen. Der Klagevertreter führt seine Berufung wie in der Berufungsschrift aus und stellt die darin enthaltenen Anträge. Der Beklagtenvertreter bekämpft die Berufungsausführungen..... Nach Umfrage verkündet der Vorsitzende den Beschluß auf Beweisergänzung durch Verlesung der Aussagen der Zeugen Erich V***, Wilhelm V***, Franz N***, des Geschäftsführers der beklagten Partei Franz K*** sowie der Beilagen F, G und des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.Ing.Dr.N***.

Die Urkunden, das Gutachten und die Aussagen werden verlesen."

Nach § 488 Abs 4 ZPO (angefügt durch die WGN 1989) darf das Berufungsgericht, wenn es erwägt, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzuweichen, nur dann von der neuerlichen Aufnahme eines in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweises Abstand nehmen und sich mit der Verlesung der Protokolle hierüber begnügen, wenn es vorher den Parteien bekanntgegeben hat, daß es gegen die Würdigung dieses Beweises durch das Erstgericht Bedenken habe und ihnen Gelegenheit gegeben hat, die neuerliche Aufnahme dieses Beweises durch das Berufungsgericht zu beantragen.

Es reicht daher keineswegs hin - wie die klagende Partei in der Revisionsbeantwortung vermeint - daß die beklagte Partei den Beschluß "auf Beweisergänzung" "nur in der Richtung habe verstehen können, daß seitens des Berufungsgerichtes ernsthafte Bedenken gegen die Beweiswürdigung durch das Erstgericht" bestehen, und daß ihr "jederzeit offengestanden" wäre, die neuerliche Beweisaufnahme vor der zweiten Instanz zu beantragen. Das Berufungsgericht darf sich vielmehr mit der Verlesung der Beweisaufnahmeprotokolle des Erstgerichtes (unmittelbar aufgenommener Beweise) nur dann begnügen, wenn es den Parteien noch vor Fassung des Beweisbeschlusses mitgeteilt hat, daß es erwägt, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzugehen, und ihnen Gelegenheit zu rechtzeitiger Antragstellung gegeben hat, und die Parteien trotzdem nicht ausdrücklich die unmittelbare Beweisaufnahme beantragen. Unterläßt das Gericht eine solche vorherige Bekanntgabe und führt es, ohne den Parteien Gelegenheit zu geben, sich dagegen auszusprechen, trotzdem die Beweisaufnahme nur gemäß § 281 a ZPO mittelbar durch, dann verursacht es einen Verfahrensmangel, der eine erhebliche Verletzung des Prozeßrechtes iS des § 502 Abs 1 ZPO darstellt (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1807). Nur schon vom Erstgericht mittelbar aufgenommene Beweise können jedenfalls durch Verlesung der Beweisaufnahmeprotokolle wiederholt werden und ebenso auch Beweismittel, die nicht mehr zur Verfügung stehen (Fasching aaO). Es ist zwar richtig, daß der Sachverständige Dipl.Ing. Dr.N*** nur ein schriftliches Gutachten erstattet hat, so daß eine unmittelbare Beweisaufnahme hier nicht vorliegt (vgl Fasching Komm III 490), und daß auch die Verlesung von Urkunden durch das Berufungsgericht nicht gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen kann. Die Vernehmung der im Beweisbeschluß der zweiten Instanz genannten Zeugen und des als Partei vernommenen Geschäftsführers der beklagten Partei aber erfolgte durch das Erstgericht unmittelbar, so daß das Berufungsgericht ihre Aussagen nur unter den in § 488 Abs 4 ZPO bestimmten Voraussetzungen hätte verlesen dürfen. Gerade auch auf Grund einer anderen Würdigung dieser in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweise ist das Berufungsgericht zum Teil zu anderen Feststellungen als das Erstgericht und zur Stattgebung des Klagebegehrens gekommen (S 14 ff des angefochtenen Urteils). Die Revision der beklagten Partei erweist sich zufolge des Verstoßes des Berufungsgerichtes gegen die Bestimmungen des § 488 Abs 4 ZPO im Sinne der vorstehenden Ausführungen als zulässig und berechtigt.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Berufungsgericht unter Beachtung der genannten Bestimmung vorzugehen haben. Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

Anmerkung

E21951

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00656.9.0927.000

Dokumentnummer

JJT_19900927_OGH0002_0070OB00656_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten