TE Vfgh Beschluss 2002/1/6 DV1/01

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Veröffentlicht am 06.01.2002
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art20 Abs3
DSG 2000 §1 Abs1
RDG §127
VfGG §10

Leitsatz

Keine Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsident Adamovich; Veröffentlichung des Beschlusses zulässig und geboten

Spruch

Ein Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten Dr. Ludwig Adamovich wird nicht eingeleitet.

Begründung

Begründung:

1. Nach mehrfach im Zusammenhang mit der Erlassung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 2001, G213/01, V62, 63/01, betreffend die Ortstafelregelung im Volksgruppengesetz und zweier Verordnungsstellen, gegen den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Dr. Ludwig Adamovich in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfen des Landeshauptmannes von Kärnten Dr. Jörg Haider und Erwiderungen des Präsidenten auf diese Vorwürfe erschien am 19. Dezember 2001 eine Aussendung der Austria Presseagentur (APA) 0313 3 II 0128, gemäß welcher der Landeshauptmann dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes "unwürdiges Verhalten" vorwarf.

Da der Landeshauptmann von Kärnten ähnliche Behauptungen bereits in der Öffentlichkeit erhoben, und der Präsident des Verfassungsgerichtshofes diesen nachhaltig widersprochen hatte und selbst die Klärung in einem Verfahren nach §10 VfGG forderte, lag es im rechtsstaatlichen Interesse, zur Wahrung des Ansehens des Verfassungsgerichtshofes und seiner Mitglieder den Sachverhalt zu klären und allfällige Folgen aus dem Ergebnis dieser Klärung zu ziehen.

Der Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes ersuchte daher den Landeshauptmann von Kärnten mit Schreiben vom 19. Dezember 2001, diesen Vorwurf innerhalb einer Woche (beim Gerichtshof spätestens am Donnerstag, dem 27. Dezember d.J., einlangend) zu präzisieren, um eine allfällige Befassung des Gerichtshofes auf einer rechtsstaatlich einwandfreien Grundlage und mit der in dieser Sache zweifellos gebotenen Raschheit vornehmen zu können.

2. Am 27. Dezember 2001 langte beim Verfassungsgerichtshof ein Schreiben des Landeshauptmannes von Kärnten vom 21. Dezember 2001 samt 13 Beilagen ein. Die Beilagen sind Kopien von Presseaussendungen und Zeitungsartikeln. Nach Erläuterung dieser Aussendungen und Zeitungsartikel fasst der Landeshauptmann seine Vorwürfe wie folgt zusammen:

"Ich komme daher nicht umhin, meinen Vorwurf, der Präsident des Verfassungsgerichtshofes habe den Tatbestand der 'Unwürdigkeit' erfüllt, aufrechtzuerhalten:

1. Im Zusammenhang mit dem mit mir geführten Gespräch zur Ortstafelfrage hat er in der Öffentlichkeit nachweislich die Unwahrheit gesagt.

2. Um die Objektivität des Verfassungsgerichtshofes nicht zu gefährden, wird ein Gespräch mit der Kärntner Landesregierung abgelehnt, jedoch mit dem Präsidenten einer fremden Staatsmacht im Vorfeld des Erkenntnisses geführt.

3. Die Behauptung, mit Präsident Kucan nicht über die Ortstafelfrage gesprochen zu haben, ist falsch. Das unterstreichen alle Veröffentlichungen in der slowenischen Presse und in den österreichischen Medien. Anderenfalls müßten alle slowenischen und österreichischen Medien ihre Berichte geradezu frei erfunden haben.

4. Unbestritten (Kucan) wurde offenbar zwischen dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes und Präsident Kucan über die Exekution der Verfassungsgerichtshofserkenntnisse zur Amtssprachen- und Ortstafelfrage gesprochen. Das stellt eine besondere Instinktlosigkeit dar, zumal sich ein ausländischer Präsident nicht einzumischen hat, wie höchstgerichtliche Erkenntnisse in Österreich umzusetzen sind.

5. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes ist Mitverfasser und Autor der nunmehr aufgehobenen Volksgruppengesetze. Das ist ein weiteres Beispiel für eine völlig uneinschätzbare und sprunghafte Judikatur des Höchstgerichts in politisch sensiblen Fragen, wie dem Artikel 7 Staatsvertrag von Wien, dessen historische Auslegung wohl auch schon 1976 im Zuge der Abfassung der Volksgruppengesetze 1976 ausreichend festgestanden haben müßte."

3. Nach Vorliegen dieses Schreibens hat der Vizepräsident am 27. Dezember 2001 das Mitglied des Verfassungsgerichtshofes Dr. Kurt Heller damit betraut, den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes einzuvernehmen. Diese Einvernahme fand am 28. Dezember 2001 statt. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes bestritt die Richtigkeit der Behauptungen des Landeshauptmannes von Kärnten und nahm im Detail zu den einzelnen Vorwürfen Stellung. Ferner legte er 14 Anlagen zur Untermauerung seiner Ausführungen vor, die dem Protokoll der Einvernahme angeschlossen wurden.

4. In der nichtöffentlichen Sitzung vom 5. Jänner 2002 wurde gemäß §10 Abs2 VfGG der Generalprokurator Dr. Friedrich Hauptmann - dem zur Vorbereitung sämtliche Unterlagen übermittelt worden waren - angehört und sodann dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Präsident Dr. Adamovich legte dabei weitere Unterlagen vor, insbesondere Dokumente, aus denen sich seine Bestellung zum Ordentlichen Universitätsprofessor an der Universität Graz mit 1. Oktober 1974 sowie seine Ernennung zum interimistischen Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes mit 11. Oktober 1976 ergibt.

Aus dem Akt G213/01, V62, 63/01 (betreffend die Prüfung des Volksgruppengesetzes sowie zweier Verordnungsstellen) wurde festgestellt, dass der Referent in jenem Verfahren den ersten Beratungsentwurf am 17. November 2001 fertiggestellt und anschließend an die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes verteilt hatte.

Nachdem sich der Präsident und der Generalprokurator entfernt hatten, setzte der Verfassungsgerichtshof die nichtöffentliche Sitzung fort. Er beschloss, gegen den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes kein Verfahren wegen des Verdachtes der Erfüllung des Tatbestandes nach §10 Abs1 litc VfGG einzuleiten.

5. Diese Entscheidung gründet sich auf folgende Erwägungen:

5.1 Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes sind - wie andere Richter - unabhängig. Die Unabhängigkeit von Richtern ist ein wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips, das zu den Grundprinzipien der Verfassung Österreichs als demokratischer Rechtsstaat zählt. Ein wesentliches Element der Unabhängigkeit des Richters ist dessen Unabsetzbarkeit.

Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes können - wie andere Richter - nur in den im Gesetz vorgeschriebenen Fällen und Formen und auf Grund eines richterlichen Erkenntnisses ihres Amtes entsetzt werden (Art147 Abs6 B-VG iVm. Art87 Abs1 und 2 und Art88 Abs2 B-VG). Die Enthebungsgründe und das Verfahren werden durch Bundesgesetz geregelt.

5.2 Das Verfahren zur Enthebung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes regelt §10 VfGG. Die hier maßgebenden Teile dieses Paragraphen lauten:

"(1) Ein Mitglied oder Ersatzmitglied ist durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom Amt zu entheben:

a) ...

b) ...

c) wenn sich das Mitglied (Ersatzmitglied) durch sein Verhalten in oder außer dem Amte der Achtung und des Vertrauens, die sein Amt erfordert, unwürdig gezeigt oder die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit gröblich verletzt hat, oder

d) ...

(2) Das Verfahren zur Enthebung eines Mitgliedes (Ersatzmitgliedes) vom Amte kann in den im Abs1 unter lita bis c angeführten Fällen nur auf Grund eines nach Vernehmung dieses Mitgliedes (Ersatzmitgliedes) durch den Präsidenten oder das vom Präsidenten damit betraute Mitglied des Verfassungsgerichtshofes gefaßten Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingeleitet werden. Der Beschluß wird in nichtöffentlicher Sitzung nach Anhörung des Generalprokurators gefaßt und hat die Anschuldigungspunkte bestimmt zu bezeichnen ... Auf das weitere Verfahren finden die Vorschriften der §§15, 16, 18 bis 23 des Richterdisziplinargesetzes vom 21. Mai 1868, RGBl. Nr. 46, sinngemäß Anwendung ...

(3) ...

(4) Ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nach Abs1 kann nur mit einer Mehrheit von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder beschlossen werden und hat auf Enthebung des Mitgliedes (Ersatzmitgliedes) vom Amte zu lauten ..."

5.3 Die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens hat durch Beschluss des Verfassungsgerichtshofes zu erfolgen, der mit einfacher Mehrheit der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes in nichtöffentlicher Sitzung zu fassen ist (§10 Abs2 VfGG). Die qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln ist nur für das Erkenntnis auf Amtsenthebung (§10 Abs4 VfGG) vorgesehen, wie schon der Hinweis auf Absatz 1 des §10 und die Verwendung des Wortes Erkenntnis zeigen, während für den Einleitungsbeschluss bzw. einen Beschluss auf Nichteinleitung die allgemeine Bestimmung des §31 VfGG anzuwenden ist, in dem die einfache Mehrheit vorgesehen ist.

5.4 Ein Einleitungsbeschluss ist dann zu fassen, wenn sich ausreichende Verdachtsmomente ergeben, dass das betroffene Mitglied eine Verfehlung im Sinne des §10 Abs1 litc VfGG begangen haben könnte. Für die Fassung des Einleitungsbeschlusses sowie im Falle der Durchführung eines Amtsenthebungsverfahrens des Erkenntnisses sind die (übrigen) Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes zuständig (§10 Abs4 VfGG), also wie bei den beiden anderen Höchstgerichten, Richter jenes Gerichtes, dem der Betroffene angehört (für die Richter des Verwaltungsgerichtshofes §7 Abs2 VwGG; für Richter des OGH §111 Z5

RDG).

6.1 Der Generalprokurator gab in der nichtöffentlichen Sitzung folgende Stellungnahme ab:

"Nach der hier allein aktuellen Bestimmung des §10 Abs1 litc (erster Fall) VfGG ist ein Mitglied oder Ersatzmitglied durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom Amt zu entheben, wenn es sich durch sein Verhalten im oder außer dem Amte der Achtung und des Vertrauens, die sein Amt erfordert, unwürdig gezeigt hat. Hiefür bietet das den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes betreffende Schreiben des Landeshauptmannes von Kärnten vom 21. Dezember 2001 keinen Anhaltspunkt. Die darin enthaltenen Vorwürfe haben weder das Gewicht, das für einen Amtsenthebungsgrund vorauszusetzen ist, noch eine hinreichende faktische Untermauerung:

Der erste dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes gemachte Vorwurf geht dahin, er habe im Zusammenhang mit einem mit dem Landeshauptmann von Kärnten geführten Gespräch zur Ortstafelfrage die Unwahrheit gesagt. Dieser Vorwurf bezieht sich auf ein Interview des Präsidenten Adamovich im ORF-Mittagsjournal vom 17. Dezember 2001. Die betreffende Passage lautete: 'Ich habe auch mit dem slowenischen Präsidenten gesprochen, aber gerade weil ich vorher mit dem Landeshauptmann geredet habe. Der hat alle möglichen interessanten Rechtsfragen angesprochen, aber mit keinem Wort diese Ortstafelgeschichte.' Präsident Adamovich hat sich - auch in einer durch die APA verbreiteten Berichtigung - darauf berufen, mit letzterem Satz nicht Landeshauptmann Haider, sondern den slowenischen Präsidenten Kucan gemeint zu haben (Blg./F). Dies steht durchaus im Einklang mit dem Interview von Präsident Adamovich, welches in der Kleinen Zeitung vom 16. Dezember 2001 erschien (Blg./B). Diesem zufolge war Landeshauptmann Haider am 27. August (2001) um 15 Uhr bei ihm (und hat ihn solcherart 'im Vorfeld' der Ortstafelentscheidung gesprochen).

[Die vom Generalprokurator erwähnte Beilage B betrifft ein in der Kleinen Zeitung vom 16. Dezember 2001 wiedergegebenes Interview mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, in dem es u.a. wörtlich heißt:

"Haider war am 27. August um 15 Uhr bei mir. Ich habe mitnichten das Gespräch verweigert, das würde ich bei keinem Landeshauptmann tun. Und was den Präsidenten Kucan betrifft, so ist es richtig, dass er mit mir sprechen wollte. Bei diesem Gespräch ist das Wort Ortstafel mit keiner Silbe erwähnt worden."

Die Beilage F ist eine APA-Aussendung vom 17. Dezember 2001, in der das Missverständnis eines APA-Redakteurs über eine Aussage des Präsidenten korrigiert und klargestellt wurde, dass der Präsident (nicht mit dem slowenischen Staatspräsidenten Kucan) wohl aber mit Dr. Haider über die Ortstafelfrage gesprochen hat.]

Es wäre auch nicht einzusehen, welchen Zweck der Präsident des Verfassungsgerichtshofes mit einer bewusst tatsachenwidrigen Leugnung eines diesbezüglichen Gesprächs mit Landeshauptmann Haider verfolgt haben sollte. Eine solche tatsachenwidrige Behauptung hätte ja gerade den Vorwurf gestützt, wonach Repräsentanten des Landes Kärnten nicht ausreichend Gelegenheit zur Ausführung ihres Standpunktes erhalten hätten.

Da die Vorwürfe 2 bis 4 im Schreiben des Landeshauptmannes Haider jeweils in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gespräch zwischen dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes und dem slowenischen Staatspräsidenten Kucan anlässlich des Staatsbesuches des Letzteren stehen, sei vorerst erörtert, von welchen Inhalten des Gespräches auszugehen ist; insbesondere, ob auch der Ortstafelstreit selbst Gesprächsgegenstand war. Landeshauptmann Haider meint, dies auf Grund von Pressemeldungen unter Beweis stellen zu können. Bei genauerem Hinblick sind diese Meldungen jedoch eher als Ausdruck einer Erwartungshaltung oder eines Wunschdenkens aufzufassen denn als Tatsachenmitteilungen. Bezeichnend ist, dass ein von Präsident Adamovich konkret vertretener Standpunkt in keiner der Meldungen wiedergegeben ist. Soweit es sich nicht überhaupt nur um Vorankündigungen handelt, begnügen sich die Verfasser mit nichtssagenden Phrasen (siehe Blg./8: 'So konnte sich zwischen ihm - gemeint ist Staatspräsident Kucan - und dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes ein Gespräch auf allerhöchster Ebene entfalten ...'). Es muss daher den Angaben der beiden Gesprächspartner selbst folgend davon ausgegangen werden, dass - dem zentralen Vorwurf 3 zuwider - die Ortstafelfrage nicht zur Sprache gelangte und die Frage nach der Exekution von Verfassungsgerichtshofserkenntnissen völlig abstrakt, also nicht an Hand konkreter Fälle erörtert wurde.

Unter Bedachtnahme auf dieses Ergebnis bleibt zu den einzelnen Vorwürfen (Punkte 2 bis 4) zu bemerken: Der Vorwurf Punkt 2, im Vorfeld des Ortstafelerkenntnisses ein Gespräch mit der Kärntner Landesregierung abgelehnt, mit dem Präsidenten einer fremden Staatsmacht aber geführt zu haben, ist nicht nur im Hinblick auf die obigen Ausführungen, sondern auch deshalb unhaltbar, weil die von Präsident Adamovich abgelehnte Einladung die Teilnahme an einer Enquete betraf, welche keineswegs der Information der Landesregierung über die Spruchpraxis in der Minderheitenfrage dienen sollte, sondern als vom Institut CIFEM (Carinthian Institute for Ethnic Minorities) organisierte Veranstaltung eines 'Runden Tisches' zwischen den drei Landtagsparteien und den Zentralorganisationen der Slowenischen Volksgruppe zur Erarbeitung und Umsetzung konkreter Maßnahmen zum Zwecke der Verbesserung der Situation der Volksgruppe bezeichnet war (Blg./G). Dass Präsident Adamovich die Einladung auch keineswegs mit der von Landeshauptmann Haider behaupteten Begründung ablehnte, nach Verfassungsgerichtshofspraxis führe er weder vor noch nach einem Urteilsspruch Gespräche mit politischen Repräsentanten, ergibt sich gleichfalls aus der bezüglichen Korrespondenz (Blg./H); Präsident Adamovich wies vielmehr auf die klare Formulierung des Erkenntnisses hin, welches im Zusammenhang mit der einschlägigen Vorjudikatur gesehen werden müsse, und erachtete sich zu darüber hinausgehenden Interpretationen (unter Berufung auf einen vom Gerichtshof stets vertretenen Grundsatz) nicht befugt.

[Die Beilage G ist ein Schreiben des Kärntner Landesamtsdirektor-Stellvertreters vom 8. Jänner 2001 mit folgendem Wortlaut:

"Als stellvertretender Landesamtsdirektor bin ich für die Angelegenheiten der Volksgruppe der Kärntner Slowenen verantwortlich. Ich bin aber auch Vorsitzender des im Vorjahr gegründeten 'Carinthian Institute for Ethnic Minorities - CIFEM' mit Sitz in Ossiach, welches sich besonders mit den Problemen europäischer Minderheiten beschäftigt.

Erlauben Sie mir daher, sehr verehrter Herr Präsident, dass ich in dieser zweifachen Funktion an Sie die folgende Bitte richte:

In Kärnten ist zur Zeit eine sehr positive Diskussion zwischen den drei Landtagsparteien einerseits und den Zentralorganisationen der slowenischen Volksgruppe andererseits im Gange. Im Rahmen eines 'Runden Tisches' werden konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Volksgruppe erarbeitet und auch umgesetzt.

Der letzte 'Runde Tisch' am 4.12.2000 hat sich besonders mit den Auswirkungen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 4.10., Zahl: V91/91-11 (gemeint wohl: vom 4.10.2000, V91/99), befasst. Es wurde vereinbart, hierüber eine Enquete zu veranstalten, die vom Institut CIFEM für die Teilnehmer am 'Runden Tisch' organisiert werden soll.

Sowohl die Vertreter der Parteien als auch die Funktionäre der slowenischen Volksgruppe haben dazu ausdrücklich den Wunsch artikuliert, Sie, sehr verehrter Herr Präsident, zu dieser Veranstaltung einzuladen."

Sodann wurden in diesem Schreiben Terminvorschläge erstattet und der Name weiterer Experten aus dem Bundeskanzleramt, von Universitäten und dem Wissenschaftsministerium, die am Gespräch ebenfalls teilnehmen sollten, genannt.

Im Antwortschreiben, Beilage H, vom 12. Jänner 2001 bedankte sich Präsident Dr. Adamovich zunächst für die Einladung und schrieb dann:

"Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich der freundlichen Einladung nicht Folge leisten möchte.

Das Erkenntnis ist klar formuliert und muß natürlich im Zusammenhang mit der einschlägigen Vorjudikatur gesehen werden. Darüber hinausgehende Interpretationen bin ich nicht befugt zu geben. Es ist dies ein Grundsatz, der im Gerichtshof stets vertreten worden ist.

Ich bin davon überzeugt, daß die von Ihnen sonst ins Auge gefaßten Experten hinlänglich gut informiert sind, um zu einem geeigneten Ergebnis zu kommen."]

Dem Vorwurf Punkt 4 zuwider kann ein Ersuchen eines Staatsgastes um abstrakte Information (hinsichtlich der Exekution von Verfassungsgerichtshoferkenntnissen) nicht als Einmischung in österreichische Verhältnisse angesehen werden. Dem Wunsch des Gastes nach einem Gespräch mit dieser Thematik nachzukommen, ist ein Gebot internationaler Höflichkeit und keineswegs als 'Instinktlosigkeit'" anzusehen. Dass 'Instinktlosigkeit' zudem nicht einen der im §10 Abs1 VfGG erwähnten Enthebungsgründe darstellt, sei nur zusätzlich bemerkt.

Im Übrigen wäre ein anlässlich des Höflichkeitsbesuches vom Staatsgast unternommener Interventionsversuch an sich noch kein Grund, Präsident Adamovich das Vertrauen in seine Amtsführung zu versagen; handelt es sich doch um eine Situation, der sich auch Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit immer wieder ausgesetzt sehen und nicht entziehen können, ohne dass sich hieraus allein bereits der Verdacht ergäbe, sie würden sich in der Ausübung ihres Amtes von unsachlichen Erwägungen leiten lassen.

Der 5. und letzte von Landeshauptmann Haider erhobene Vorwurf, der Präsident des Verfassungsgerichtshofes sei 'Mitverfasser und Autor der nunmehr aufgehobenen Volksgruppengesetze', beruht auf ungeprüfter Übernahme der Behauptung des Altlandeshauptmannes Wagner, Präsident Adamovich sei 1976 als Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt mit der Vorbereitung des Volksgruppengesetzes betraut gewesen (Blg./13). Präsident Adamovich hat dies dahin richtiggestellt, er sei erst an der Vorbereitung der Durchführungsverordnung betreffend die zweisprachigen topographischen Aufschriften und Bezeichnungen beteiligt gewesen, nicht aber an der entscheidenden juristischen Weichenstellung des §2 Abs1 Z2 Volksgruppengesetz (25 %-Klausel). Schon aus diesem Grund geht der Vorwurf der völligen Uneinschätzbarkeit und Sprunghaftigkeit - den der Landeshauptmann im Grunde auch nicht gegen den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, sondern gegen dieses Gericht in seiner Gesamtheit erhebt - ins Leere. Hinzugefügt sei aber, dass ein Rechtswissenschafter, der eine 25 Jahre vorher vertretene Ansicht nicht mehr aufrecht erhalten zu können vermeint, kein Verhalten setzt, welches nach allgemeiner Auffassung als sprunghaft bezeichnet und zum Anlass genommen werden könnte, ihm die Achtung und das Vertrauen zu entziehen.

Zusammenfassend muss das Schreiben des Landeshauptmannes von Kärnten vom 21. Dezember 2001 als ein auch im Bereiche der ordentlichen Gerichtsbarkeit gelegentlich vorkommender Versuch angesehen werden, nach Fällung eines nicht genehmen Erkenntnisses unsachliche Einflussnahmen von außen auf die Entscheidungsfindung und eine Verstrickung des Präsidenten des Gerichtshofes in diese angeblich dubiosen Vorgänge anzudeuten, ohne die betreffenden Spekulationen verifizieren zu können.

Auf Grund dieser Erwägungen gelange ich zur Auffassung, dass zur Einleitung eines Verfahrens zur Enthebung des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes von seinem Amte kein Anlass vorliegt."

6.2 Der Verfassungsgerichtshof schließt sich dieser Beurteilung des Generalprokurators vorbehaltlos an.

Die Vorwürfe des Landeshauptmannes sind sohin zu einem Teil durch Urkunden widerlegt, zum anderen Teil hat der Landeshauptmann aber Schlüsse aus den von ihm vorgelegten Urkunden gezogen, die durch deren Inhalt nicht gedeckt sind. Insgesamt können daher diese Vorwürfe keinen Anlass dafür bieten, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Angesichts dessen braucht sich der Verfassungsgerichtshof auch nicht mit der Frage zu befassen, ob das vorgeworfene Verhalten überhaupt geeignet gewesen wäre, den Tatbestand des §10 Abs1 litc VfGG zu erfüllen.

6.3 Dieser Beschluss war nach Durchführung einer nichtöffentlichen Sitzung (§10 Abs2 VfGG) zu fassen.

6.4 Zu klären war noch, ob diese Entscheidung zu veröffentlichen ist. In dieser Frage hat sich der Gerichtshof von folgenden Überlegungen leiten lassen:

§10 Abs2 VfGG regelt zunächst das Verfahren bis zur Erlassung des Einleitungsbeschlusses. Sodann heißt es im vierten Satz dieser Gesetzesstelle:

"Auf das weitere Verfahren finden die Vorschriften der §§15, 16, 18 bis 23 des Richterdisziplinargesetzes vom 21. Mai 1868, RGBl. Nr. 46, sinngemäß Anwendung."

Gemäß §172 des Richterdienstgesetzes - RDG, BGBl. Nr. 305/1961, treten, soweit in anderen gesetzlichen Vorschriften auf Vorschriften des Richterdisziplinargesetzes 1868 verwiesen wird, "an deren Stelle die entsprechenden Vorschriften dieses Bundesgesetzes". Nach §127 RDG sind "Mitteilungen an die Öffentlichkeit über den Verlauf und das Ergebnis der Vorerhebungen und der Disziplinaruntersuchung sowie über den Inhalt der Disziplinarakten" untersagt.

Es kann nun auf sich beruhen, ob §127 RDG eine den §§15, 16, 18 bis 23 des Richterdisziplinargesetzes vom 21. Mai 1868, RGBl. Nr. 46, welche eine Regelung über Mitteilungen an die Öffentlichkeit in solchen Verfahren nicht enthalten, "entsprechende Bestimmung" ist. Denn schon nach der wiedergegebenen gesetzlichen Anordnung sind Vorschriften des RDG nur auf das "weitere", d.h. einem allfälligen Einleitungsbeschluss nach §10 Abs2 zweiter Satz VfGG folgende Verfahren anzuwenden. Sind daher solche Bestimmungen auf die Verfahrensschritte bis einschließlich der Beschlussfassung nach der erwähnten Gesetzesstelle nicht anzuwenden, stellt sich die Frage der "Entsprechung" des §127 RDG in diesem Verfahrensabschnitt von vornherein nicht.

Da keine Anhaltspunkte erkennbar sind, die eine Geheimhaltung von Spruch und Begründung der vorliegenden Entscheidung gemäß Art20 Abs3 B-VG oder im Hinblick auf das Grundrecht auf Datenschutz im Sinne des §1 Abs1 DSG 2000 gebieten würden, ist es dem Verfassungsgerichtshof durch keine gesetzliche Bestimmung verwehrt, diesen Beschluss der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im vorliegenden Fall hält der Verfassungsgerichtshof eine solche Bekanntmachung angesichts der vorangegangenen öffentlichen Diskussion auch im Interesse der Abwehr von Angriffen auf die Unabhängigkeit seiner Rechtsprechung für geboten.

Schlagworte

Amtsverschwiegenheit, Datenschutz, VfGH / Amtsenthebung, VfGH / Amtsverschwiegenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:DV1.2001

Dokumentnummer

JFT_09979894_01DV0001_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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