TE Vwgh Erkenntnis 2006/4/20 2005/18/0623

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Veröffentlicht am 20.04.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §10 Abs1;
AsylG 1997 §10 Abs2;
AsylG 1997 §11 Abs1;
AsylG 1997 §3;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §75 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2005/18/0624

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerden

1. des B, geboren 2002, und 2. des G, geboren 2001, beide vertreten durch Dr. Manfred Lirk, Rechtsanwalt in 5280 Braunau am Inn, Stadtplatz 50/2, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 5. Juli 2005, Zl. St 160/05 (betreffend den Erstbeschwerdeführer, hg. Zl. 2005/18/0623), und vom 6. Juli 2005, Zl. St 159/05 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer, hg. Zl. 2005/18/0624), jeweils betreffend Zurückweisung eines Feststellungsantrages gemäß § 75 Abs. 1 Fremdengesetz 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit den - inhaltsgleichen - im Instanzenzug ergangenen Bescheiden vom 5. Juli 2005 und 6. Juli 2005 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) die Anträge der Beschwerdeführer vom 31. Jänner 2005 auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo, gemäß § 75 Abs. 1 iVm § 57 Abs. 1 und Abs. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführer sind Brüder und Staatsangehörige von Serbien und Montenegro. Sie stammen aus dem Kosovo und gehören der albanischen Ethnie an.

Die belangte Behörde führte in den angefochtenen Bescheiden aus, dass der Asylantrag des Vaters der Beschwerdeführer am 9. April 2004 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Gleichzeitig sei gemäß § 8 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, festgestellt worden, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Vaters der Beschwerdeführer in die Provinz Kosovo zulässig sei. Mit den Bescheiden des Bundesasylsenats vom 7. April 2004 seien die Anträge der Beschwerdeführer auf Erstreckung des ihrem Vater zu gewährenden Asyls gemäß § 11 AsylG rechtskräftig abgewiesen worden. Gleichzeitig sei festgestellt worden, dass die Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinn der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge seien. Da es sich hiebei um eine Entscheidung gemäß § 11 AsylG handle, gelte die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung auch für die Beschwerdeführer. Somit stehe auch hinsichtlich der Beschwerdeführer rechtskräftig fest, dass ihre Abschiebung nach Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo, zulässig sei.

Die Erstbehörde habe die Ansicht vertreten, dass die Beschwerdeführer keinen wesentlichen neuen Sachverhalt geltend gemacht hätten und die gegenständliche Anträge daher zurückgewiesen.

In den dagegen gerichteten Berufungen hätten die Beschwerdeführer insbesondere geltend gemacht, dass in der Familie am 13. April 2005 ein weiterer Bruder geboren worden wäre, dessen rechte Hand in ihrer Beweglichkeit stark eingeschränkt wäre. Die dafür erforderliche Therapie könnte im Kosovo nicht durchgeführt werden.

Im Fall der Zurückweisung eines Antrages sei Sache des Berufungsverfahrens nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Der Berufungsbehörde sei es verwehrt, den unterinstanzlichen Bescheid in eine Sachentscheidung abzuändern.

Die verbindliche Wirkung eines Bescheides gemäß § 8 AsylG sei nur soweit gegeben, als sich die für die Erlassung eines solchen Bescheides maßgebliche Sach- oder Rechtslage nicht geändert habe.

Unter Berücksichtigung umfangreicher Feststellungen über die Lage im Kosovo gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass sich die Sach- und Rechtslage seit der rechtskräftigen Entscheidung gemäß § 8 AsylG nicht derart geändert habe, dass eine meritorische Entscheidung durch die Fremdenpolizeibehörde zu ergehen habe. Die gegenständlichen Anträge seien daher zurückzuweisen gewesen.

2. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden - inhaltsgleichen - Beschwerden mit den Anträgen, den jeweils angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften oder Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren - im hg. Verfahren, Zl. 2005/18/0560, über die Beschwerde des Vaters der Beschwerdeführer gegen seine Ausweisung - vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des FrG haben folgenden Wortlaut:

"§ 75. (1) Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 bedroht ist. Dies gilt nicht, insoweit über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat die Entscheidung einer Asylbehörde vorliegt oder diese festgestellt hat, dass für den Fremden in einem Drittstaat Schutz vor Verfolgung besteht.

...

(5) Der Bescheid, mit dem über einen Antrag gemäß Abs. 1 rechtskräftig entschieden wurde, ist auf Antrag oder von Amts wegen abzuändern, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt wesentlich geändert hat, sodass die Entscheidung hinsichtlich dieses Landes anders zu lauten hat. ..."

Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG in der im Zeitpunkt der Erlassung der die Beschwerdeführer und deren Vater betreffenden asylrechtlichen Bescheide geltenden Fassung vor der am 1. Mai 2004 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 101/2003, lauten:

"§ 8. Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

...

§ 10. (1) Fremde begehren mit einem Asylerstreckungsantrag die Erstreckung des einem Angehörigen auf Grund eines Asylantrages oder von Amts wegen gewährten Asyl.

(2) Asylerstreckungsanträge können frühestens zur selben Zeit wie der der Sache nach damit verbundene Asylantrag eingebracht werden. Sie sind nur für Eltern eines Minderjährigen oder für Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder zulässig; ...

§ 11. (1) Die Behörde hat auf Grund eines zulässigen Antrages durch Erstreckung Asyl zu gewähren, wenn dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK, BGBl. Nr. 210/1958, mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

..."

2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist § 75 Abs. 5 FrG auch auf den Fall anzuwenden, dass eine rechtskräftige Refoulement-Entscheidung gemäß § 8 AsylG vorliegt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 15. März 2006, Zl. 2004/18/0406).

Unstrittig wurde der Asylantrag des Vaters der Beschwerdeführer abgewiesen und mit dem seit 9. April 2004 rechtskräftigen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Vaters der Beschwerdeführer nach Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo, zulässig sei. Ebenso unstrittig wurden die Asylerstreckungsanträge der Beschwerdeführer gemäß § 11 AsylG rechtskräftig abgewiesen.

Die belangte Behörde vertrat die - in der Beschwerde nicht bekämpfte - Ansicht, damit stehe rechtskräftig fest, dass auch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer nach Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo, zulässig sei.

Für eine derartige Erstreckung der Rechtskraftwirkung des den Vater der Beschwerdeführer betreffenden Bescheides bietet das Gesetz jedoch keine Grundlage (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0219).

Da somit die Abweisung eines Asylerstreckungsantrages keinen Rückschluss darauf zulässt, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Antragstellers zulässig ist, beruht die Ansicht der belangten Behörde, die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer in den Kosovo sei auf Grund der den Vater der Beschwerdeführer betreffenden diesbezüglichen Feststellung und der Abweisung der Asylerstreckungsanträge der Beschwerdeführer rechtskräftig festgestellt, auf einer Verkennung der Rechtslage. Auf Grundlage dieser Verkennung der Rechtslage kam die belangte Behörde zum Ergebnis, die Anträge der Beschwerdeführer seien mangels wesentlicher Änderung der Sach- und Rechtslage seit der rechtskräftigen Refoulement-Entscheidung der Asylbehörden zurückzuweisen.

3. Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufzuheben.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 20. April 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005180623.X00

Im RIS seit

08.06.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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