TE Vwgh Erkenntnis 2006/4/20 2005/01/0556

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Veröffentlicht am 20.04.2006
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8 Abs1;
MRK Art3;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2005/01/0557 2005/01/0560 2005/01/0559 2005/01/0558

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerden 1. des AS, geboren 1991, 2. des BS, geboren 1961, 3. der DS, geboren 1967,

4. des NS, geboren 1997, und 5. des QS, geboren 1996, alle in R, alle vertreten durch Dr. Heimo Berger, Rechtsanwalt in 9500 Villach, 10.-Oktober-Straße 8, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates je vom 22. Juni 2005, Zlen. 259.356/0-III/09/05 (ad 1.), 259.353/0-III/09/05 (ad 2.), 259.354/0-III/09/05 (ad 3.), 259.358/0-III/09/05 (ad 4.) und 259.357/0-III/09/05 (ad 5.), jeweils betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide, die in ihren Spruchpunkten 1. (Abweisung des Asylantrages) unbekämpft geblieben sind, werden in ihren Spruchpunkten 2. und 3. (Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 und Abs. 2 Asylgesetz 1997) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (der die erstbeschwerdeführende Partei betreffende Bescheid) bzw. wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes (die die zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien betreffenden Bescheide) aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20 (insgesamt EUR 4.956,--) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin sind die Eltern der drei anderen Beschwerdeführer. Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, stammen aus dem Kosovo und gehören der albanischen Volksgruppe an. Sie reisten mit dem Flugzeug aus Sarajevo kommend am 20. Juli 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragten in der Folge die Gewährung von Asyl. Dazu gaben der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin noch vor der Bundespolizeidirektion Schwechat am 21. Juli 2004 an, dass ihr ältester Sohn, der damals 12-jährige Erstbeschwerdeführer, an Epilepsie erkrankt sei und dass sie sich eine Behandlung im Kosovo nicht hätten leisten können.

Auch bei den folgenden Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 26. Juli 2004 und am 16. März 2005 machten der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin die Erkrankung ihres Sohnes als Grund für ihre Ausreise aus dem Kosovo geltend. Im Einzelnen gaben sie (ihr Vorbringen ist im Wesentlichen gleich lautend protokolliert) dabei an, dass die Ärzte im Kosovo gesagt hätten, keine Zeit zu haben, den Erstbeschwerdeführer zu behandeln, bzw. - bei der zweiten Einvernahme -, dass zwar bereits im Kosovo eine Behandlung durchgeführt worden sei, man jedoch eine Behandlung "im Ausland" empfohlen habe und dass "ohne Geld" eine (weitere) Behandlung nicht erfolgen könne.

Mit Bescheiden je vom 18. März 2005 wies das Bundesasylamt die Asylanträge der Beschwerdeführer gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer nach Serbien und Montenegro gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei und wies die Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Es traf umfangreiche Feststellungen zur Situation im Kosovo (ua. zum Thema "Gesundheitsversorgung") und hielt in den die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien betreffenden Bescheiden fest, dass keine Hinweise vorliegen würden, wonach die Behandlung einer Epilepsie im Kosovo nicht möglich wäre. Die Beschwerdeführer hätten sogar ausgeführt, dass eine Behandlung erfolgt wäre und lediglich Wartezeiten zur Nachkontrolle in Kauf zu nehmen gewesen wären. Es liege - so das Bundesasylamt rechtlich - gegenständlich ein Familienverfahren nach § 10 AsylG vor und es sei das Vorbringen aller Familienmitglieder überprüft worden. Daraus habe sich jedoch weder ein Asylgrund noch ein Grund zur Einräumung von Refoulement-Schutz ergeben. Die Ausweisung sei gemäß § 8 Abs. 2 AsylG vorzunehmen gewesen, weil sie keinen "Eingriff in Art. 8 EMRK" darstelle.

Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wies die belangte Behörde mit den nunmehr bekämpften Bescheiden "gemäß § 7 AsylG" ab (Spruchpunkt 1.). Außerdem stellte sie gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer "in den Kosovo (Serbien und Montenegro/vormals Bundesrepublik Jugoslawien)" zulässig sei (Spruchpunkt 2.) und wies sie die Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt 3.). Dabei verwies die belangte Behörde auf die Bescheide des Bundesasylamtes, denen sie sich anschloss und die sie zum Inhalt ihrer Bescheide erklärte. Bezüglich der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien führte sie zur Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG ergänzend an, es liege vor dem Hintergrund, dass die medizinische Grundversorgung im Kosovo gesichert sei, hinsichtlich dieser beschwerdeführenden Parteien keine Verletzung des Art. 3 EMRK vor, selbst wenn der Erstbeschwerdeführer unter medizinischen Gesichtspunkten im Kosovo schwierigere Verhältnisse vorfinden würde als in Österreich.

Über die ausdrücklich nur gegen die Spruchpunkte 2. und 3. dieser Bescheide erhobenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Verbindung der Beschwerdesachen wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung - erwogen:

Der Erstbeschwerdeführer leidet unbestritten an Epilepsie, nach dem Akteninhalt überdies an einer Entwicklungsstörung.

Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, dass einer gemessen an den Verhältnissen in Österreich schwierigeren Behandlungssituation des Erstbeschwerdeführers im Kosovo unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK und damit bei Beurteilung der Frage, ob die Abschiebung des Erstbeschwerdeführers in den Kosovo zulässig ist, keine entscheidende Bedeutung zukommt (vgl. das auch in den bekämpften Bescheiden zitierte hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2003, Zl. 2002/01/0379). Im vorliegenden Fall ist allerdings nicht ausreichend geklärt, ob der Erstbeschwerdeführer im Kosovo bloß "schwierigere Verhältnisse" vorfinden würde.

Die belangte Behörde ging bei ihren Erwägungen - den diesbezüglichen Feststellungen des Bundesasylamtes folgend - davon aus, dass die medizinische Grundversorgung im Kosovo gesichert sei. Das Bundesasylamt hat zum Thema "Gesundheitsversorgung im Kosovo" allerdings auch ausgeführt, dass kompliziertere Behandlungen nur eingeschränkt möglich und dass bestimmte teure Medikamente für viele nicht erschwinglich seien. In seiner Beschwerde verweist der Erstbeschwerdeführer überdies zu Recht auf die "UNHCR-Position zur fortdauernden internationalen Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo" aus dem August 2004, wonach bei Personen in einer besonders verwundbaren Situation (genannt werden ua. chronisch Kranke oder andere schwerkranke Personen, deren Zustand eine spezialisierte medizinische Versorgung erfordert, die im Kosovo derzeit noch nicht verfügbar ist) "im Zusammenhang mit einer Rückführung" der unzureichende Stand der Gesundheitsversorgung und der Sozialhilfeeinrichtungen beachtet werden sollte (zur Indizwirkung entsprechender Empfehlungen internationaler Organisationen vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2003/01/0059). Jedenfalls vor diesem Hintergrund greifen die schlichte Bezugnahme auf die gesicherte medizinische Grundversorgung im Kosovo sowie die - von der belangten Behörde übernommene - Einschätzung des Bundesasylamtes, es lägen keinerlei Hinweise vor, wonach die Behandlung einer Epilepsie im Kosovo nicht möglich wäre, zu kurz. Die belangte Behörde wäre vielmehr verpflichtet gewesen, nähere Ermittlungen über die konkrete Behandlungsbedürftigkeit des Erstbeschwerdeführers, über die Folgen eines Abbruchs seiner Behandlung in Österreich unter dem Kalkül des "real risk" bzw. über die tatsächlichen Möglichkeiten einer medizinisch notwendigen Behandlung im Kosovo unter Berücksichtigung der spezifischen Verhältnisse des Erstbeschwerdeführers - im Hinblick auf die ursprünglichen Angaben seiner Eltern vor der Bundespolizeidirektion Schwechat, mangels Einkommens habe man sich eine ärztliche Behandlung "nicht leisten" können, auch in finanzieller Hinsicht - anzustellen (vgl. sinngemäß das hg. Erkenntnis vom 23. September 2004, Zl. 2001/21/0137). Daran vermögen auch die Angaben der Eltern des Erstbeschwerdeführers über bereits erfolgte Behandlungsschritte im Kosovo nichts zu ändern, zumal entgegen der Darstellung des Bundesasylamtes nicht davon die Rede sein kann, aus diesen Angaben wäre abzuleiten, es hätten lediglich Wartezeiten zur Nachkontrolle in Kauf genommen werden müssen.

Nach dem Gesagten ist der den Erstbeschwerdeführer betreffende Bescheid in seinem Spruchpunkt 2. mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Damit kann auch Spruchpunkt 3. des besagten Bescheides keinen Bestand haben, weil eine Ausweisung nach § 8 Abs. 2 AsylG eine "negative" Refoulement-Entscheidung voraussetzt. Hinzu kommt, dass die belangte Behörde verkannt hat, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerber ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625). Der den Erstbeschwerdeführer betreffende Bescheid war daher in den bekämpften Spruchpunkten 2. und 3. gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Gemäß § 10 Abs. 5 AsylG hat die Behörde Asylanträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers (zwar) gesondert zu prüfen; die Verfahren sind (aber) unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang (vgl. dazu auch die ErläutRV, 120 BlgNR 22. GP 10: "Liegt die Familieneigenschaft in Bezug auf einen anderen Asylwerber vor, werden die Verfahren 'verbunden'. Zweck dieses Vorschlages ist es, über die Anträge aller Familienangehörigen die gleiche Entscheidung zum gleichen Zeitpunkt zu erlassen. ...").

In Anbetracht der teilweisen Aufhebung des den Erstbeschwerdeführer betreffenden Bescheides und infolge der dieser Aufhebung innewohnenden ex tunc-Wirkung (§ 42 Abs. 3 VwGG) erweisen sich nunmehr auch die die anderen Beschwerdeführer betreffenden Bescheide - weil ohne Berücksichtigung der Ergebnisse des Verfahrens des Erstbeschwerdeführers ergangen - in den bekämpften Spruchpunkten als verfehlt. Sie waren daher in diesem Umfang (Spruchpunkte 2. und 3.) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. April 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005010556.X00

Im RIS seit

26.05.2006

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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