TE Vwgh Erkenntnis 2006/4/26 2004/08/0118

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Veröffentlicht am 26.04.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des G in L, vertreten durch Dr. Manfred Harrer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 9, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 11. Mai 2004, Zl. LGSOÖ/Abt.4/1284/0374/2004-11, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2003, Zl. 99/08/0121, verwiesen. Darin führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass als angemessene Entlohnung im Sinne des § 9 Abs. 2 AlVG das nach dem (im konkreten Fall anzuwendenden) Kollektivvertrag gebührende Entgelt für die zugewiesene Beschäftigung anzusehen sei. Ein Angebot einer unterkollektivvertraglichen Entlohnung lasse die zugewiesene Beschäftigung - trotz der rechtlichen Durchsetzbarkeit des kollektivvertraglichen Mindestlohnes - als unzumutbar erscheinen. Die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer nicht im Bereich der "Gewerbeberechtigung für den Landmaschinenmechaniker" eingesetzt worden wäre, würden nicht ausreichen, um beurteilen zu können, ob er bei der L. Genossenschaft mit einem Stundenlohn von S 90,40 brutto kollektivvertragsentsprechend entlohnt worden wäre. Gemäß § 3 Abs. 1 ArbVG könnten Bestimmungen in Kollektivverträgen, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regelten, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Gemäß § 8 Z. 1 ArbVG seien Kollektivvertragsangehörige innerhalb seines räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereiches die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, die zur Zeit des Abschlusses des Kollektivvertrages Mitglieder der am Kollektivvertrag beteiligten Parteien gewesen seien oder später werden würden. Die Rechtswirkungen des Kollektivvertrages träten gemäß § 12 Abs. 1 ArbVG auch für Arbeitnehmer eines kollektivvertragsangehörigen Arbeitgebers ein, die nicht kollektivvertragsangehörig seien (Außenseiter). Der maßgebende Kollektivvertrag sei unabhängig davon anwendbar, welche konkrete Tätigkeit der Beschwerdeführer im Betrieb des Dienstgebers ausgeübt hätte. Die belangte Behörde habe festgestellt, dass der namhaft gemachte Dienstgeber über eine "Gewerbeberichtigung für den Landmaschinenmechaniker" verfüge. Daraus könne die Geltung des Kollektivvertrages für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe abgeleitet werden. Sollte der Dienstgeber nicht über eine seinem Unternehmensgegenstand entsprechende Gewerbeberechtigung verfügt haben, so hätte die belangte Behörde nach § 2 Abs. 13 GewO - ohne Bindung an die tatsächliche Mitgliedschaft des Arbeitgebers bei einer bestimmten Wirtschaftskammerorganisation - die fachlich richtige Gewerbeberechtigung und die daraus resultierende Kollektivvertragsangehörigkeit zu ermitteln und allenfalls auch darüber zu entscheiden, ob das Unternehmen nach der Art der Ausübung seiner Tätigkeit dem Gewerbe oder der Industrie zuzuordnen ist. Bei Vorhandensein mehrerer Gewerbeberechtigungen bzw. mehrerer Betriebe wäre der anwendbare Kollektivvertrag unter Bedachtnahme auf die §§ 9 und 10 ArbVG zu ermitteln.

Mit dem angefochtenen (Ersatz-)Bescheid sprach die belangte Behörde abermals aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 Abs. 1 AlVG für die Zeit von 7. April 1999 bis 18. Mai 1999 verloren habe. Unstrittig sei, dass das vom Arbeitsmarktservice am 18. März 1999 verbindlich angebotene Dienstverhältnis als Lagerarbeiter bei der L. Genossenschaft mit einer Entlohnung von ATS 90,40 pro Stunde und einem vorgesehenen Arbeitsantritt am 7. April 1999 nicht zustande gekommen sei. Die erforderlichen Erhebungen für die Beurteilung, welcher Kollektivvertrag anzuwenden gewesen sei, seien bereits im ersten Rechtsgang vorgenommen worden. Die angebotene Entlohnung entspreche den geltenden kollektivvertraglichen Voraussetzungen. Die L. Genossenschaft weise zwar eine Gewerbeberechtigung für den Landmaschinenmechaniker auf, der Beschwerdeführer wäre jedoch nicht in diesem Bereich eingesetzt worden, sondern im Lagerbereich für Bau- und Landwirtschaftsprodukte. Daher sei der Kollektivvertrag für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe nicht anzuwenden. Die Entlohnung des Beschwerdeführers wäre nach dem Kollektivvertrag für die Arbeiter der Lagerhausgenossenschaften in Oberösterreich, Gruppe 2, erfolgt und hätte für die ersten sechs Monate pro Stunde ATS 90,40 und nach der ersten Erhöhung ATS 93,30 betragen. Nach Auskunft der L. Genossenschaft habe der Beschwerdeführer im Zuge seines Vorstellungsgespräches gesagt, die Entlohnung sei ihm zu gering. In seiner Berufung habe er geltend gemacht, ihm wäre nicht gesagt worden, für welche Tätigkeit er zuständig gewesen wäre und welche Entlohnung er erhalten hätte. In der Zuweisung vom 18. März 1999 sei jedoch unter "Stellenbeschreibung" die Tätigkeit mit "Kommissionierung und Warenausgabe" angegeben gewesen. Auch wenn die Anwendung mehrerer Kollektivverträge auf Grund verschiedener Gewerbeberechtigungen möglich sei, könne nur jener Kollektivvertrag zur Anwendung kommen, der für die konkret auszuübende Tätigkeit Gültigkeit habe. Bei dem angebotenen Dienstverhältnis habe es sich nicht um ein auf sechs Monate befristetes, sondern um ein Dauerdienstverhältnis gehandelt, bei welchem die Lohnhöhe nach den ersten sechs Monaten erhöht worden wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Beschwerde gemäß Art. 131 B-VG stattgegeben hat, sind die Verwaltungsbehörden gemäß § 63 Abs. 1 VwGG verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2005, Zl. 2003/08/0095).

Im Vorerkenntnis vom 18. Dezember 2003, Zl. 99/08/0121, wurde dargelegt, welche zusätzlichen Feststellungen zu treffen sind, um beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer dem auf ihn anwendbaren Kollektivvertrag entsprechend entlohnt worden wäre. Im nunmehr angefochtenen Ersatzbescheid findet sich statt der geforderten Feststellungen iSd § 60 AVG eine Darstellung des Verfahrensablaufs. Die belangte Behörde hat demzufolge dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 5. April 2004 ua zur Kenntnis gebracht, "im Aktenvermerk" sei festgehalten worden, dass bei der L. Genossenschaft "eine organisatorische Trennung zwischen den jeweiligen Bereich" bestehen würde und "die meisten der ca. 90 Beschäftigte ... im Lagerbereich..., etwas weniger im Bürobereich und die wenigsten im Werkstättenbereich (40:35:15)" tätig sein würden. Sodann führt sie - wie bereits in ihrem Bescheid vom 29. Juni 1999 - aus, die dem Beschwerdeführer angebotene Entlohnung hätte den geltenden kollektivvertraglichen Voraussetzungen entsprochen, weil die L. Genossenschaft zwar eine Gewerbeberechtigung für Landmaschinenmechaniker aufweise, der Beschwerdeführer jedoch nicht in diesem Bereich, sondern "im Lagerbereich für Bau- und Landwirtschaftsprodukte eingesetzt worden" wäre, "weshalb" der Kollektivvertrag für die Arbeiter der Lagerhausgenossenschaften in Oberösterreich anzuwenden gewesen wäre. Es sei "nicht richtig", dass der "KV Metall" anzuwenden sei. Dieses "Faktum" sei dem Beschwerdeführer mitgeteilt worden.

Die Begründung des angefochtenen Ersatzbescheides reicht wieder nicht aus, den auf das zugewiesene Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrag zu ermitteln und die Angemessenheit des angebotenen Entlohnung iSd § 9 Abs. 2 AlVG zu beurteilen. Vor allem übersieht die belangte Behörde, dass ihre Behauptung einer "organisatorischen Trennung" von Betrieben oder Betriebsabteilungen eines Sachverhaltssubstrats bedarf, wie das Unternehmen organisiert ist und woraus die Schlussfolgerung "organisatorische Bereiche" abgeleitet werden kann. Die Vorgangsweise der belangten Behörde, nach Aufhebung des ersten Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes einen mit demselben Fehler behafteten Bescheid zu erlassen, verstößt gegen § 63 Abs. 1 VwGG und belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zu folgenden Hinweisen veranlasst: Der von der belangten Behörde ihrer Beurteilung zu Grunde gelegte Kollektivvertrag findet sich nicht im Verwaltungsakt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Grundsatz "iura novit curia" auf Kollektivverträge nicht anwendbar (vgl. das Erkenntnis vom 3. Dezember 1986, Zl. 85/11/0279, mwN). Sollte es sich bei dem von der belangten Behörde in Betracht gezogenen Kollektivvertrag um einen im Sinne des 3. Abschnitts des Art. I des Landarbeitsgesetzes, BGBl. Nr. 287/1984, handeln, so wären auch die zur Beurteilung seiner Anwendbarkeit nach dem genannten Gesetz erforderlichen Feststellungen zu treffen: In einem ersten Schritt wäre zu klären, ob und inwieweit es sich bei der L. Genossenschaft - nach ihrem Tätigkeitsbereich - um eine bestimmte Type einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft (vgl. § 1 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz), nämlich um eine land- und forstwirtschaftliche Ein- oder Verkaufsgenossenschaft handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2000, Zl. 2000/04/0182). In einem zweiten Schritt wäre zu ermitteln, ob die L. Genossenschaft über einen oder mehrere Betriebe verfügt (vgl. zum Betriebsbegriff § 139 Landarbeitsgesetz und § 34 ArbVG; zur Trennbarkeit von Betrieben einer Genossenschaft vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Jänner 1995, Zl. 94/11/0167), und für den Fall des Vorliegens mehrerer Betriebe wäre klarzustellen, ob es sich um Betriebe der Land- und Forstwirtschaft oder um andere handelt bzw. in welchem Betrieb der Beschwerdeführer hätte tätig werden sollen. Sollte der für den Einsatz des Beschwerdeführers vorgesehene Betrieb der L. Genossenschaft überwiegend mit dem Einkauf land- und forstwirtschaftlicher Betriebserfordernisse und dem Lagern und dem Verkauf unverarbeiteter land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse befasst gewesen sein (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2000/04/0182) - was in einem dritten Schritt zu klären wäre -, so wäre dieser als Betrieb der Land- und Forstwirtschaft iSd Art. I § 5 Abs. 4 Landarbeitsgesetz, BGBl. Nr. 287/1984 (§ 5 Abs. 4 OÖ Landarbeitsordnung 1989) zu klassifizieren (zur Abgrenzung von land- und forstwirtschaftlichen Genossenschaften von anderen vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 8539/1979). Der in einem solchen Betrieb als Arbeiter überwiegend mit Tätigkeiten iSd Abs. 4 leg. cit. befasste Beschwerdeführer (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 17. Jänner 1995, Zl. 94/11/0167) wäre dann nach Art. I § 1 Abs. 2 Landarbeitsgesetz, BGBl. Nr. 287/1984, (§ 1 Abs. 2 OÖ Landarbeitsordnung 1989) als Land- und Forstarbeiter im Sinne des genannten Gesetzes anzusehen gewesen. Auf sein Arbeitsverhältnis wäre der Abschnitt 3. des Art. I des Landarbeitsgesetz, BGBl. Nr. 287/1984 (§§ 40 bis 55 leg. cit.), anzuwenden gewesen. Dies hätte zur Folge, dass das potentielle Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Abs. 2 Z. 1 ArbVG von den Bestimmungen des 1. bis 4. Hauptstückes des I. Teils des ArbVG (§§ 2 bis 28 ArbVG) ausgenommen wäre. Die Kollektivvertragsangehörigkeit der L. Genossenschaft würde gemäß § 44 Z. 1 leg. cit. davon abhängen, ob sie Mitglied der am Kollektivvertrag beteiligten Körperschaften gewesen oder später geworden ist. Daher müsste die belangte Behörde in einem vierten Schritt feststellen, wer die am Kollektivvertrag im Sinne des 3. Abschnitts des Art. I des Landarbeitsgesetzes, BGBl. Nr. 287/1984, beteiligten Körperschaften sind und ob die L. Genossenschaft als potentielle Dienstgeberin des Beschwerdeführers Mitglied einer dieser Körperschaften ist. Die Rechtwirkungen des genannten Kollektivvertrages würden für den Beschwerdeführer gemäß § 47 Abs. 3 leg. cit. auch dann eintreten, wenn er nicht kollektivvertragsangehöriger Dienstnehmer (§ 44 Z. 1 leg. cit.) eines kollektivvertragsangehörigen Dienstgebers geworden wäre.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 26. April 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2004080118.X00

Im RIS seit

31.05.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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