TE Vfgh Erkenntnis 2002/2/26 V59/01

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Veröffentlicht am 26.02.2002
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
KurzparkzonenV Korneuburg vom 03.03.95 idF vom 14.07.00
KurzparkzonenV Korneuburg vom 15.01.81 idF vom 23.11.93
StVO 1960 §94f
VfGG §57 ff

Leitsatz

Keine gesetzwidrige Erlassung einer Kurzparkzonenverordnung in einem Ortszentrum mangels Anhörung der Berufsgruppe der Rechtsanwälte; keine Verpflichtung zur Anhörung mangels Vorliegen einer spezifischen Interessenbetroffenheit

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit den Verordnungen der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vom 15. Jänner 1981, Z10-D-8064, vom 19. Juni 1981, Z10-D-8064/1, vom 13. Jänner 1984, Z10-D-844, und vom 23. November 1993, Zlen. 10-D-9117/5, 10-D-9024 und 10-D-844, wurde für näher bezeichnete Straßenzüge in Korneuburg (darunter auch für die Wiener Straße im Bereich des Gerichtsgebäudes) eine Kurzparkzonenregelung erlassen bzw. diese novelliert.

Die entsprechenden Verbots- und Beschränkungszeichen gemäß §52 lita Z13d und 13e StVO 1960 wurden kundgemacht.

2.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden: UVS) ist ein Verwaltungsstrafverfahren anhängig, in welchem dem Beschuldigten vorgeworfen wird, ein mehrspuriges Kraftfahrzeug am 14. November 2000 um 10.13 Uhr in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone in Korneuburg (Wiener Straße gegenüber Nr. 4, vor dem Gerichtsgebäude) ohne Entrichtung der Kurzparkzonenabgabe zum Parken abgestellt und dadurch die Abgabe zumindest fahrlässig verkürzt zu haben.

2.2. Aus Anlaß dieses Verfahrens entstanden beim UVS Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der angewendeten Kurzparkzonenverordnung.

Gestützt auf Art139 Abs1 B-VG iVm. Art129a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG stellt der UVS daher den beim Verfassungsgerichtshof am 8. Juni 2001 eingelangten und zu V59/01 protokollierten Antrag,

"die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vom 15.1.1981, Zl. 10-D-8064, i.d.F. der Verordnungen vom 19.6.1981, Zl. 10-D-8064/1, vom 13.1.1984, Zl. 10-D-844, und vom 23.11.1993, Zlen. 10-D-9117/5, 10-D-9024 und 10-D-844 als gesetzwidrig aufzuheben".

2.3. Der UVS hegt gegen die angeführte Verordnung Bedenken dahingehend, daß vor ihrer Erlassung die gesetzliche Interessenvertretung der Berufsgruppe der Rechtsanwälte nicht gehört worden sei. Da sich im Bereich der Kurzparkzonenverordnung das Landesgericht Korneuburg mit der Staatsanwaltschaft und der Justizanstalt, das Bezirksgericht Korneuburg sowie das Rathaus der Stadt Korneuburg befänden, könnten die Interessen von Rechtsanwälten in spezifischer Weise betroffen sein. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §94f Abs1 StVO 1960 erscheine ein gesetzwidriges Zustandekommen der Verordnung daher zumindest nicht unwahrscheinlich. Ausdrücklich räumt der UVS aber ein, daß die Parkplatzsuche durch die Verfügung der - noch dazu gebührenpflichtigen - Kurzparkzone mit einer zulässigen Abstelldauer von drei Stunden erheblich erleichtert worden sei. In unmittelbarer Nähe zum Verordnungsbereich gebe es nämlich noch weitere 300 gebührenpflichtige Abstellplätze, wo ebenfalls Parken in der Dauer von drei Stunden erlaubt sei. Er ziehe daher selbst in Betracht, daß die Ausübung des Anwaltsberufes durch die angefochtene Kurzparkzonenregelung nicht erschwert und schon gar nicht unterbunden werde.

3. Die im Anlaßverfahren berufungswerbende und im verfassungsgerichtlichen Verfahren mitbeteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie den Bedenken des antragstellenden UVS beitritt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof erkennt gemäß Art139 Abs1 B-VG über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag eines Unabhängigen Verwaltungssenates, sofern der Unabhängige Verwaltungssenat gemäß Art129a Abs3 B-VG iVm. Art89 Abs2 B-VG aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken gegen die Anwendung der Verordnung hat. Da der antragstellende UVS bei seiner Entscheidung über die bei ihm anhängige Berufung der mitbeteiligten Partei auch die eingangs angeführte Verordnung anzuwenden hat, ist sein Antrag gemäß Art139 Abs1 B-VG zulässig.

2. Die vom UVS geäußerten Bedenken ob des gesetzmäßigen Zustandekommens der Verordnung treffen jedoch nicht zu:

2.1. Festzuhalten ist zunächst, daß sich der Verfassungsgerichtshof in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren auf Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken hat (vgl. VfSlg. 9089/1981, 10640/1985, 10811/1986, 11580/1987, 14044/1995, 15644/1999). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist.

2.2. Gemäß §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 ist - außer bei Gefahr im Verzuge - vor Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung die gesetzliche Interessenvertretung einer Berufsgruppe anzuhören, "wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden".

In VfSlg. 5784/1968 hat der Verfassungsgerichtshof (zur seinerzeitigen, beinahe gleichlautenden Vorschrift des §43 Abs8 StVO 1960) angenommen, daß "das Interesse einer Berufsgruppe jedenfalls dann berührt wird, wenn durch eine Verkehrsbeschränkung die Ausübung des betreffenden Gewerbes ... erschwert oder gar unterbunden wird".

Jedoch begründen nur Umstände, welche die Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe "in spezifischer Weise" durch eine straßenpolizeiliche Verordnung berührt erscheinen lassen, die Anhörungspflicht gemäß §94f Abs1 StVO 1960 (vgl. VfSlg. 14051/1995, 14439/1996).

       Eine solche "spezifische Interessenbetroffenheit" der

Berufsgruppe der Rechtsanwälte etwa, welche die Anhörung der

zuständigen Rechtsanwaltskammer vor Verordnungserlassung erforderlich

machte, nahm der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 9818/1983 im

Hinblick auf eine Halteverbotsverordnung vor dem Wiener Justizpalast

"mit Rücksicht auf den Bestimmungszweck des Justizpalastes und

angesichts der dort gegebenen örtlichen Verhältnisse" an. Ebenso sah

er die Interessen der Rechtsanwälte durch eine Kurzparkzone in

Innsbruck "vor einem ... zahlreiche Justizbehörden beherbergenden

(zentralgelegenen) Gebäude" in spezifischer Weise berührt, "weil

angesichts der ... gegebenen örtlichen Verhältnisse die beruflichen

Interessen der Rechtsanwälte im allgemeinen berührt" waren .

Sind hingegen Mitglieder einer Berufsgruppe "ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer" durch eine straßenpolizeiliche Verordnung betroffen, wird nicht bewirkt, daß ihre Interessen "im Sinne des §94f Abs1 StVO 1960 spezifisch berührt werden". Der Verfassungsgerichtshof begründete diese Auffassung in den Erkenntnissen VfSlg. 14051/1995 und 14439/1996 wie folgt:

"Wollte man das Gesetz anders auslegen, wäre schlechthin jedwede verkehrsbeschränkende Verordnung gemäß §43 StVO 1960 erst nach vorhergehender Anhörung aller gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen zu erlassen, weil jede Verkehrsbeschränkung auch beliebige Angehörige gesetzlicher beruflicher Vertretungen (wie etwa auch Ärzte und Rechtsanwälte) betreffen kann, wenn diese als Kraftfahrer die verordneten Verkehrsbeschränkungen zu beachten haben. Hätte der Gesetzgeber eine derart weitreichende Beteiligung gesetzlicher Interessenvertretungen am Verfahren zur Erlassung verkehrsbeschränkender Verordnungen gewünscht, so hätte er dies durch Verzicht auf die Einschränkung zum Ausdruck gebracht, daß Voraussetzung des Anhörungsrechtes gesetzlicher Interessenvertretungen ist, daß Interessen von Mitgliedern der betreffenden Berufsgruppe 'berührt werden'."

2.3. Im Lichte seiner Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 5784/1968, 9818/1983, 11920/1988, 13783/1994, 14053/1995, 14439/1996 uva.) erachtet der Verfassungsgerichtshof die vorliegende Verkehrs- und Parkplatzsituation bzw. die örtlichen Verhältnisse als nicht mit jenen in den Erkenntnissen VfSlg. 9818/1993, 13783/1994 und 15470/1999 (Halte- und Parkverbot in Wien 8., Florianigasse 1) zu beurteilenden vergleichbar; insbesondere auch im Hinblick auf das Vorbringen des UVS, daß in unmittelbarer Umgebung des Verordnungsbereiches Parkplätze in ausreichendem Ausmaß zur Verfügung stünden.

Der Verfassungsgerichtshof ist daher zur Auffassung gelangt, daß durch die vorliegende Kurzparkzonenverordnung die Interessen der Berufsgruppe der Rechtsanwälte nicht in einer Weise berührt sind, daß die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes "erschwert oder gar unterbunden" würde. Die Berufsgruppe der Rechtsanwälte erscheint vielmehr "ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer" durch die Verordnung betroffen, weshalb nicht von einer spezifischen Interessenbetroffenheit der Mitglieder der Berufsgruppe der Rechtsanwälte im Sinne des §94f Abs1 StVO 1960 die Rede sein kann.

Die verordnungserlassende Bezirkshauptmannschaft war daher gemäß §94f Abs1 StVO 1960 nicht verpflichtet, vor Erlassung der Verordnung bzw. ihrer Novellen die Interessenvertretung der Berufsgruppe der Rechtsanwälte anzuhören. Sie hat ein dieser Bestimmung entsprechendes Verfahren durchgeführt.

Der Antrag war daher abzuweisen.

3. Kosten waren - soweit sie von der mitbeteiligten Partei für die erstattete Äußerung begehrt wurden - nicht zuzusprechen, weil im Verfahren nach den §§57 bis 61 VfGG ein Kostenersatz nicht vorgesehen ist und bei Antragstellung durch einen Unabhängigen Verwaltungssenat es Aufgabe dieser Behörde ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für ihr Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (vgl. VfSlg. 14631/1996, 15469/1999).

4. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG vom Verfassungsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Kurzparkzone, Verordnungserlassung, Anhörungsrecht, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:V59.2001

Dokumentnummer

JFT_09979774_01V00059_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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