TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/22 2006/19/0885

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Veröffentlicht am 22.06.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §12;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2006/19/0883 E 22. Juni 2006 2006/19/0888 E 22. Juni 2006 2006/19/0887 E 22. Juni 2006 2006/19/0886 E 22. Juni 2006 2006/19/0884 E 22. Juni 2006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres gegen den am 9. März 2006 verkündeten und am 14. März 2006 ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 261.339/0- VIII/23/05, betreffend §§ 7, 12 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Partei: D in S, geboren 1972, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, seine Ehegattin und die gemeinsamen Kinder, alle armenische Staatsangehörige kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit und yezidischen Glaubens, reisten am 9. Dezember 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragten Asyl.

Bei Einvernahmen am 15. Dezember 2004 und 8. April 2005 vor dem Bundesasylamt führte der Mitbeteiligte zu seinen Fluchtgründen - zusammengefasst - aus, der neu gewählte "Bürgermeister" (bzw. "Bezirksvorsteher") seiner Heimatstadt Siglian habe von ihm gefordert, er solle an ihn - neben den Steuern - monatlich 100 US-Dollar zahlen, widrigenfalls ihm "was passieren würde". Da er diese Zahlungen abgelehnt habe, sei er in der Folge mehrfach von der Polizei bedroht und aufgefordert worden, sein Geschäft (eine Fleischerei) zu schließen. Am 25. Oktober 2004 seien "die Leute vom Bezirksvorsteher" zu ihm nach Hause gekommen, hätten - da sie den Mitbeteiligten selbst nicht antrafen - seine Frau geschlagen und das Haus anschließend niedergebrannt. Der Mitbeteiligte habe versucht, gegen diese Vorgänge Hilfe durch das "Ministerium" (bzw. die "Generalstaatsanwaltschaft") in Erewan zu erlangen; er sei jedoch nicht zum Staatsanwalt vorgelassen worden. Wenn er Armenier wäre, dann hätte man sich seine Beschwerden angehört und ihn nicht weggeschickt. Weil er aber Yezide sei, unterstütze ihn die "Regierung" nicht.

Mit Bescheid vom 23. Mai 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten primär wegen mangelnder Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens, hilfsweise aber auch wegen einer angenommenen Schutzfähigkeit und -willigkeit der armenischen Behörden und einer inländischen Fluchtalternative gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies den Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

Im Wesentlichen gleichlautende Entscheidungen ergingen auch hinsichtlich der Familienangehörigen des Mitbeteiligten, die sich zur Begründung ihrer Asylanträge auf dessen Fluchtgründe bezogen hatten.

Über die gegen diese Bescheide gemeinsam erhobene Berufung des Mitbeteiligten und seiner Familienangehörigen führte die belangte Behörde am 9. März 2006 eine Berufungsverhandlung durch.

Nach Verlesung des erstinstanzlichen Aktes und der Berufungsschrift wurden der Mitbeteiligte und seine Ehegattin neuerlich vernommen, wobei sich ihre Aussagen - der aufgenommenen Niederschrift zufolge - darauf beschränkten, ihre "bisherigen Angaben im gesamten Verfahren" als richtig und der Wahrheit entsprechend zu bezeichnen, weshalb diese "auch zur Aussage in der Berufungsverhandlung erhoben" würden. Im Anschluss daran verlas der Verhandlungsleiter der belangten Behörde diverse Länderberichte zur Lage in Armenien und verkündete dann (u. a.) den angefochtenen Bescheid, mit dem der Berufung des Mitbeteiligten stattgegeben, ihm gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG seine Flüchtlingseigenschaft festgestellt wurde.

Diese Entscheidung begründete die belangte Behörde in der schriftlichen Bescheidausfertigung - nach stark gekürzter Darstellung des Verfahrensverlaufes (Punkt 1. der Begründung) und ohne eigene Feststellungen zur Lage in Armenien zu treffen - mit folgendem Wortlaut:

"Über die Berufung hat der unabhängige Bundesasylsenat erwogen:

2. Nachstehender Sachverhalt ist glaubhaft und wird festgestellt:

Die Feststellungen zur Person der - persönlich glaubwürdig wirkenden - berufenden Partei ergeben sich aus ihren Angaben. Es war ihr die Glaubwürdigkeit nicht abzusprechen. Die Angaben fanden auch Deckung im verwerteten Länderdokumentationsmaterial.

Zur Situation der berufenden Partei im Herkunftsland wird auf das im Berufungsverfahren verwertete Länderdokumentationsmaterial verwiesen. Die Quellen stimmen in den hier entscheidungswesentlichen Belangen inhaltlich überein."

Anschließend machte die belangte Behörde unter der Überschrift "3. Rechtliche Beurteilung" allgemeine Rechtsausführungen zum Flüchtlingsbegriff und hielt schließlich fallbezogen Folgendes fest:

"...Vorliegend bedeutet dies, dass unter Hinweis auf die oben getroffenen - unbestritten gebliebenen - Sachverhaltsfeststellungen der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt ist. Das Vorbringen wird der Entscheidung zugrunde gelegt und zum festgestellten Sachverhalt erhoben. Die anders lautende Beweiswürdigung der Erstbehörde erfüllt nicht ein mal einfachste Schlüssigkeitskriterien und legt teilweise aktenwidrige Sachverhalte zu Grunde (siehe AS 1, welche falsch ausgelegt wird). Jedenfalls werden die Feststellungen der Erstbehörde zur Situation der Jesiden zum festgestellten Sachverhalt erhoben. In diesen Feststellungen geht die Erstbehörde zu Recht davon aus, dass es offenbar Probleme in Form gesellschaftlicher Benachteiligungen gibt und belegt die Erstbehörde dies mit (zumindest angedeuteten) Einzelfällen. Die Berufungsbehörde kann nicht erkennen, dass diese Einzelfälle der Diskriminierung lediglich eine geringe Intensität aufweisen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass im konkreten Fall regelmäßige schwere Eingriffe gegen die BW stattgefunden haben. Vor diesen war die Staatsgewalt nicht gewillt, die Betroffenen zu schützen. Daraus ergibt sich aber die Konventionsrelevanz des Vorbringens und ist daher mit Asylgewährung bzw. Asylerstreckung vorzugehen. ..."

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch den Mitbeteiligten erwogen hat:

Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung - anders als das Bundesasylamt in seiner primären Begründung - das Vorbringen des Mitbeteiligten zu seinen Fluchtgründen als wahr zu Grunde gelegt und diesem Asylrelevanz zuerkannt. Dabei hat sie die Hilfsbegründung des Bundesasylamtes, die armenischen Behörden wären willens gewesen, den Mitbeteiligten und seine Familie vor Übergriffen zu schützen, ausdrücklich verneint.

Die Begründung der belangten Behörde für die Umwürdigung der Beweisergebnisse lässt eine nachprüfende Kontrolle aber nicht zu. So wird weder ihre Einschätzung, der Mitbeteiligte habe "persönlich glaubwürdig" gewirkt, zu den Ergebnissen der Berufungsverhandlung (in der sich die Einvernahme des Mitbeteiligten auf einen bloßen Verweis auf dessen erstinstanzliche Aussage beschränkte) in Beziehung gesetzt, noch ist aus der Bescheidbegründung nachzuvollziehen, welche seiner Angaben in welchem von der belangten Behörde verwerteten Länderdokumentationsmaterial Deckung finden sollen. Auch die Kritik der belangten Behörde an der erstinstanzlichen Beweiswürdigung entzieht sich einer Überprüfung, weil nicht dargelegt wird, aus welchen Gründen die belangte Behörde die "einfachsten Schlüssigkeitskriterien" nicht erfüllt sieht und welche für die Entscheidung relevanten "aktenwidrigen Sachverhalte" das Bundesasylamt zu Grunde gelegt haben soll. Es ist aber nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, sich an Stelle der belangten Behörde mit Schwächen des erstinstanzlichen Bescheides erstmals und in nachvollziehbarer Art und Weise auseinander zu setzen.

Unzutreffend ist im Übrigen die Annahme der belangten Behörde, das Bundesasylamt sei in seinen Feststellungen zur Situation der Yeziden in Armenien davon ausgegangen, dass es "offenbar Probleme in Form gesellschaftlicher Benachteiligungen" gebe, beschränkten sich diese doch im Wesentlichen auf die auszugsweise Wiedergabe eines Lageberichtes des deutschen Auswärtigen Amtes vom 25. März 2004, wonach keine Hinweise dafür vorlägen, dass Yeziden das Ziel systematischer staatlicher Repressalien oder in erhöhtem Maße Verbrechen ausgesetzt seien und die armenischen Behörden auch im Falle von Straftaten gegen Yeziden schutzbereit wären (vgl. Seiten 23f des erstinstanzlichen Bescheides). Indem die belangte Behörde "die Feststellungen der Erstbehörde zur Situation der Jesiden" auch zum festgestellten Sachverhalt ihres Bescheides erhob, lässt sich daher auch nicht ersehen, welche Schlüsse daraus für die Asylgewährung im vorliegenden Fall gezogen werden können sollen.

Zu Recht verweist die Amtsbeschwerde daher auf gravierende Mängel der über weite Strecken textbausteinartig abgefassten Bescheidbegründung, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Wien, am 22. Juni 2006

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190885.X00

Im RIS seit

28.07.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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