TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/29 2005/20/0616

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.06.2006
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde der P in W, geboren 1979, vertreten durch Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ebendorferstraße 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. September 2005, Zl. 256.320/2-II/04/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung der Beschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 27. September 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei ihrer Ersteinvernahme vor dem Bundesasylamt am 5. Oktober 2004 gab sie zu ihren Fluchtgründen an, sie habe am 11. April 2002 eine Tochter zur Welt gebracht. Vor zwei Monaten hätten Bewohner des Dorfes Ubokiobo, die dem Dorf-Juju dienen würden, das Mädchen beschneiden wollen. Die Beschwerdeführerin habe sich dagegen gewehrt, ihre Tochter nach Port Harcourt gebracht und einer ihr unbekannten Frau in Obsorge gegeben. Das Blut, das bei der Beschneidung geflossen wäre, hätte dem Juju geopfert werden sollen. Weil sich die Beschwerdeführerin geweigert habe, würden die Dorfbewohner jetzt die Beschwerdeführerin bzw. ihr Blut opfern. Ihr Vater, der in dem Dorf lebe, habe sie vor zwei Monaten veranlasst, mit dem Kind in das Dorf zu kommen. Sie habe damals noch nicht gewusst, was man mit ihrer Tochter vorhabe. Der Vater der Tochter habe die Beschwerdeführerin verlassen, als sie schwanger gewesen sei. Im Falle ihrer Rückkehr fürchte sie von den Dorfbewohnern getötet zu werden. Diese würden sie überall finden, weil sie sie mithilfe eines Orakels ausfindig machen könnten.

Das Bundesasylamt führte am 10. Dezember 2004 eine weitere Einvernahme durch und wies anschließend den Asylantrag mit Bescheid vom selben Tag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.); weiters wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria festgestellt (Spruchpunkt II.) und die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt traf Feststellungen zur allgemeinen Situation in Nigeria. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei unglaubwürdig, zumal es durchwegs pauschal und stereotyp gewesen sei und Details, Interaktionen oder glaubhafte Emotionen gefehlt hätten. Die Beschwerdeführerin habe angegeben, sie hätte ursprünglich nichts gegen eine Beschneidung ihrer Tochter einzuwenden gehabt, hätte jedoch, nachdem sie gesehen habe, welches Martyrium ein anderes Mädchen, das dieser Tortur unterzogen worden sei, erlitten hätte, ihrer Tochter dieses grausame Schicksal ersparen wollen. Dieses Vorbringen sei eine konstruierte Geschichte, da andernfalls das von der Beschwerdeführerin geschilderte Mitgefühl in krassem Widerspruch zur Behauptung stehe, dass sie ihre Tochter einer völlig fremden Frau überlassen habe; eine Mutter, der am Wohl ihres Kindes gelegen sei, würde kaum lediglich ihr eigenes Leben zu retten versuchen, noch dazu wenn sie der Überzeugung sei, dass das Orakel jederzeit den Aufenthaltsort ihrer Tochter in Erfahrung bringen und das "Blutopfer" einfordern könnte. Die "nebulosen" Ausführungen über das Orakel und dessen Wirken würden den Gesamteindruck abrunden, dass es sich beim Vorbringen der Beschwerdeführerin lediglich um ein Produkt ihrer Phantasie handle. Die Entscheidung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG begründete das Bundesasylamt damit, dass die Beschwerdeführerin keine lebensbedrohende Erkrankung oder sonstigen außergewöhnlichen Umstand behauptet habe; in Nigeria herrsche keine Bürgerkriegssituation, die Staatsgewalt sei funktionsfähig und die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln grundsätzlich gewährleistet, sodass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr dorthin in keine aussichtslose Situation geraten würde.

Gegen diese Entscheidung erhob die Beschwerdeführerin Berufung, die die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung gemäß "§§ 7, 8 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG" abwies. Die belangte Behörde schloss sich in der Begründung ihrer Entscheidung im Wesentlichen den Ausführungen des Bundesasylamtes an. Zur Begründung der Bestätigung des Spruchpunktes III. (Ausweisung der Beschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet" ohne Nennung eines Zielstaates) führte die belangte Behörde aus, dass Gegenstand einer auf § 8 Abs. 2 AsylG gestützten Entscheidung lediglich die Ausweisung sei, während deren - allfällige spätere - Durchsetzung mittels Abschiebung den Fremdenpolizeibehörden obliege. Für eine Beschränkung der Dispositionsfreiheit eines Asylwerbers dahingehend, dass er als Adressat einer "zielstaatsbezogenen Ausweisung" seiner hieraus resultierenden Verpflichtung ausschließlich durch Reise in seinen Herkunftsstaat entsprechen könnte - nicht jedoch durch freiwilliges Verlassen des österreichischen Bundesgebietes mit anderem Ziel -, bestehe nach Ansicht der belangten Behörde keine sachliche Rechtfertigung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. In der Beschwerde wird vorgebracht, das Verhalten der Beschwerdeführerin - ihre 2-jährige Tochter bei ihr nicht weiter bekannten, aber zuverlässig erscheinenden Personen in Obhut zu geben und selbst zu flüchten - stelle ein "typisches Fluchtverhalten von Müttern in besonders gefährlichen Situationen" dar, wenn Kleinstkinder involviert seien, um so für sich selbst und für ihre unter irregulären Bedingungen nicht zu transportierenden Kleinkinder wenigstens minimale Überlebenschancen zu wahren.

Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde die - von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid übernommene - Beweiswürdigung des Bundesasylamtes nicht zu erschüttern. Die Beschwerdeführerin hat weder in den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt noch in der Berufung ein diesen Beschwerdeausführungen entsprechendes Vorbringen erstattet. Sie hat lediglich ausgesagt, ihre Tochter bei einer ihr unbekannten Frau (deren Namen sie nicht angeben konnte) zurückgelassen zu haben. Auf die Frage, ob ihrer Tochter nicht die Beschneidung drohe, gab sie an, sie wisse es nicht, seit damals habe sie nichts von ihrer Tochter gehört. Es kann nicht als unschlüssig erkannt werden, wenn die belangte Behörde unter diesen Umständen das Vorbringen der Beschwerdeführerin als nicht glaubhaft qualifiziert hat.

Auch mit der Rüge, die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen, ist für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen, da sie der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in ihrem Berufungsvorbringen nicht entgegengetreten ist und kein dem Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet wurde (vgl. etwa das Erkenntnis vom 2. März 2006, Zl. 2003/20/0317). Das Berufungsvorbringen betreffend eine Schussverletzung ist auch nach dem Beschwerdevorbringen ein (offenbar aus einem anderen Schriftsatz entnommener) Textbaustein gewesen, der mit den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin nichts zu tun hat.

Soweit die Beschwerde in Bezug auf die Refoulementprüfung auf Probleme abgeschobener Frauen ohne familiäre Unterstützung in Nigeria hinweist, ist sie darauf zu verweisen, dass sie die ihr in den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt wiederholt gestellte Frage, ob sie alle Fluchtgründe und sonstigen Hindernisse, die ihrer Rückkehr ins Heimatland entgegenstehen würden, vorgebracht habe, bejahte. Die Beschwerdeführerin hat nach ihren Angaben auch bisher schon selbständig in Benin gelebt und dort als Marktverkäuferin gearbeitet. Dass im Fall der Beschwerdeführerin ausgehend von der Beweiswürdigung der belangten Behörde in Bezug auf die behaupteten Fluchtgründe ein Abschiebungshindernis bestünde, das zu einem anderen Ergebnis der Refoulementprüfung führen könnte, kann daher vom Verwaltungsgerichtshof nicht gesehen werden.

Die Beschwerde war daher, soweit sie sich gegen die Bestätigung der Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2. Bei der unveränderten Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides über die Ausweisung der Beschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet" (Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides) hat die belangte Behörde jedoch verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das - nach Erlassung des angefochtenen Bescheides ergangene - hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

3. Es war daher die Bestätigung von Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben und die Beschwerde im Übrigen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 29. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200616.X00

Im RIS seit

04.08.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten