TE Vfgh Beschluss 2002/3/15 G31/02

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Veröffentlicht am 15.03.2002
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/01 Strafprozeß

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StPO §48 ff

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der Strafprozeßordnung betreffend den Privatbeteiligten wegen zumutbaren Umwegs über das gerichtliche Verfahren

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Der Antragsteller, Dr. Wolfgang St, ist emeritierter Rechtsanwalt. Nachdem er gegen Dr. Herbert G, einen Richter des Landesgerichts Eisenstadt, Straf- und Disziplinaranzeige erstattet hatte, wurde er von diesem wegen des Verdachts des Verbrechens der Verleumdung (§297 Abs1 StGB) angezeigt.

Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Eisenstadt vom 28.7.1999 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, daß die gegen ihn erstattete Anzeige gemäß §90 Abs1 StPO zurückgelegt worden sei.

Dr. G stellte sodann mit Schreiben vom 23.5.2000 bei der Ratskammer des Landesgerichts für Strafsachen Wien einen Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung wegen §297 StGB. Am 18.10.2000 beschloß die Ratskammer, das Verfahren gemäß §58 StPO an das Landesgericht Eisenstadt abzugeben.

Mit Beschluß vom 30.1.2001 verfügte das Oberlandesgericht Wien auf Antrag des Dr. G die Delegierung des Verfahrens an das Landesgericht für Strafsachen Wien; dieser Beschluß wurde jedoch vom Antragsteller mit Beschwerde an den Obersten Gerichtshof bekämpft und von diesem mit Beschluß vom 27.11.2001 aufgehoben.

2. Gestützt auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG, beantragt Dr. St, der Verfassungsgerichtshof möge näher bezeichnete Teile der StPO - es sind dies im wesentlichen jene, die das subsidiäre Anklagerecht des Privatbeteiligten regeln, insbesondere die §§48 und 49 sowie die damit in Zusammenhang stehenden Vorschriften - als verfassungswidrig aufheben.

3. §48 StPO bestimmt, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen der Privatbeteiligte - di. jede durch ein Verbrechen oder durch ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen in ihren Rechten verletzte Person (§47 Abs1 StPO) - statt des Staatsanwaltes die öffentliche Anklage zu erheben und durchzuführen berechtigt ist. Die öffentliche Anklage wird diesfalls vom Privatbeteiligten übernommen (vgl. §2 Abs3 letzter Satz StPO).

Gemäß §49 Abs1 StPO steht es dem Staatsanwalt offen, sich auch in jenen Fällen, in denen die öffentliche Anklage vom Privatbeteiligten übernommen wurde, vom Gang des Strafverfahrens Kenntnis zu verschaffen; er ist jederzeit berechtigt, die gerichtliche Verfolgung wieder zu übernehmen. §49 Abs2 StPO normiert, inwieweit dem Privatbeteiligten jene prozessualen Befugnisse zukommen, die das Gesetz dem Staatsanwalt zuerkennt.

4. Der Antrag ist unzulässig.

4.1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der Betroffenen unmittelbar eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt diese Antragsbefugnis zu. Es ist (wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 ausgeführt und in seiner Rechtsprechung mehrfach, zB in VfSlg. 8148/1977, 8241/1978, 8276/1978 und 8485/1979, bekräftigt hat) für die Antragslegitimation darüber hinaus auch erforderlich, daß dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihm behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht zur Verfügung steht.

4.2. Der Antragsteller begründet die Zulässigkeit seines Antrags ua. wie folgt:

"Zwar judiziert der Verfassungsgerichtshof regelmäßig, dass in Gerichtsverfahren zumutbarer Weise Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzesbestimmungen angebracht werden können und die Instanzgerichte gemäß Art89 Abs2 B-VG ohnedies einen Aufhebungsantrag zu stellen verpflichtet sind, falls sie diese verfassungsrechtlichen Bedenken teilen. Jedoch ist hier die Sache wesentlich anders gelagert, sodass es mir nicht zumutbar ist, verfassungsrechtliche Bedenken im weiteren Gang des Strafverfahrens anzubringen. Und zwar aus folgenden Gründen:

Bereits in meiner an den OGH gerichteten Beschwerdeschrift vom 31.8.2001 habe ich sehr ausführlich und umfangreich Bedenken 'Zur Verfassungsmäßigkeit der Subsidiaranklage an sich' angebracht. Es handelt sich um exakt dieselben Bedenken, die ich auch im nunmehrigen Individualantrag vorbringe.

In seinem Beschluss vom 27.11.2001 hat der OGH diese Bedenken kurz und bündig damit abgetan, er habe die (Subsidiaranklage)Bestimmungen §§48 ff StPO weder anzuwenden (Art89 Abs2 B-VG) noch teile er die geäußerten Bedenken.

Damit hat der OGH die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken vom Tisch gefegt, ohne dieser Vorgangsweise auch nur ein einziges Wort einer inhaltlichen Begründung zu widmen. Es bleibt im Verborgenen, warum der OGH vermeint, die §§48 ff StPO nicht anzuwenden zu haben (obwohl es sich um ein Subsidiaranklageverfahren handelt), und es bleibt noch mehr im Verborgenen, aus welchen Erwägungen der OGH die Verfassungskonformität von Subsidiaranklagen befürwortet. ...

Ohne dies gehörig zu begründen, hat der OGH mit seinem Beschluss dennoch eine Bindungs- bzw. Präzedenzwirkung für den weiteren Verlauf des Strafverfahrens geschaffen. Angenommen, es erfolgt in erster Instanz gegen mich ein Schuldspruch und ich erhebe dagegen Berufung an das OLG Wien, in der ich abermals die verfassungsrechtlichen Bedenken aufzeige, so kann das OLG Wien diese Bedenken einfach damit abtun, dass in dieser Rechtssache bereits der OGH seine Rechtsansicht vorgegeben hat und keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit hegt.

Da ich somit meine verfassungsrechtlichen Bedenken bereits an den OGH herangetragen habe und dieser meine Bedenken ohne Begründung abgetan hat, ist es mir auch nicht zumutbar, auch noch im weiteren Verlauf des Strafverfahrens bei Unterinstanzen (LG, OLG) diese Bedenken zu wiederholen, weil die Wiederholung meiner Bedenken bei den Unterinstanzen von vorn herein aussichtslos wäre."

4.3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich ungeachtet dieses Vorbringens nicht veranlaßt, von seinem in ständiger Judikatur bezogenen Standpunkt abzugehen, wonach in Fällen wie dem vorliegenden, in denen gegen den Antragsteller (nach Festlegung des zuständigen Gerichtes durch den OGH) bereits ein Strafverfahren läuft, das Gelegenheit bietet, allfällige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vom Gericht anzuwendenden Gesetzesbestimmungen in diesem Strafverfahren vorzutragen und das - antragslegitimierte (Art140 Abs1 iVm Art89 Abs2 B-VG) - Gericht zweiter Instanz zu veranlassen, einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen (zB VfSlg. 14.458/1996, 14.752/1997), ein - dem Antragsteller auch zumutbarer - Weg eröffnet ist, die Bedenken gegen diese Gesetzesbestimmungen anders als im Wege eines Antrags iS des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Es fehlt somit hier jedenfalls an der für einen Antrag iS des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG zwingend geforderten Voraussetzung, daß das - anzufechtende - Gesetz für den Antragsteller ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung wirksam geworden sei (s. dazu zB VfSlg. 8554/1979, 9276/1981). Die Tatsache, daß der Oberste Gerichtshof im Rahmen des gegen den Antragsteller angestrengten Verfahrens in der Begründung seines - zur Frage der Delegierung des Verfahrens an ein anderes Gericht ergangenen - Beschlusses vom 27.11.2001 ausgeführt hat, er teile die vom Antragsteller geäußerten Bedenken gegen die Verfassungskonformität der §§48 ff StPO nicht, vermag daran nichts zu ändern:

Es kann dahinstehen, ob diese in der Begründung geäußerte Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofs für dessen Beschluß (mit dem - wie dargelegt - der Delegierungsbeschluß des Oberlandesgerichts Wien vom 30.1.2001 aufgehoben wurde) überhaupt tragend war, wovon der Oberste Gerichtshof - der auch bemerkt, daß er die strittigen Bestimmungen in dem Verfahren über den Delegierungsantrag nicht anzuwenden habe - nicht auszugehen scheint, und ob die vom Antragsteller angenommene "Bindung" anderer Gerichte überhaupt eintreten konnte.

Aber auch dann, wenn der OGH oder ein anderes Rechtsmittelgericht zu der Auffassung gelangen sollte, die vom Antragsteller erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht zu teilen, ergäbe sich daraus nicht etwa - wie dies dem Antragsteller vorzuschweben scheint - eine gleichsam subsidiäre Antragslegitimation (vgl. VfSlg. 9220/1981, 9788/1983).

5. Der Antrag war daher mangels Legitimation des Antragstellers als unzulässig zurückzuweisen, ohne daß es einer Prüfung aller Prozeßvoraussetzungen bedurft hätte.

Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs3 Z2 lite VfGG).

Schlagworte

Strafprozeßrecht, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G31.2002

Dokumentnummer

JFT_09979685_02G00031_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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