TE Vwgh Erkenntnis 2006/9/7 2006/16/0044

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Veröffentlicht am 07.09.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verfassungsgerichtshof;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §7;
AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §70 Abs1;
ASVG §110 Abs1 Z2 lita;
VerfGG 1953 §17a;
VwGG §24 Abs3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Esteplatz 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 7. März 2006, Zl. RV/0742-W/03, betreffend Rückerstattung einer Gebühr, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte mit der Eingabe vom 6. Dezember 2001 beim Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien den Antrag auf Rückzahlung einer rechtsgrundlos entrichteten Gebühr mit der Begründung, er habe gegen einen Bescheid des Arbeitsmarktservices Wien vom 14. September 2001 am 29. Oktober 2001 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben und dabei eine Gebühr in Bundesstempelmarken von S 2.500,-- entrichtet. Es habe jedoch die sachliche Abgabenfreiheit des § 110 Abs. 1 Z 2 lit. a ASVG gegolten. Aus diesem Grund werde der Antrag auf Rückerstattung der Gebühr gestellt.

Mit Bescheid vom 6. September 2002 wies das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern Wien den Antrag auf Rückerstattung der gemäß § 24 Abs. 3 VwGG entstandenen Gebühr ab. In der Begründung heißt es, bei der Entscheidung komme nicht die Bestimmung des § 110 Abs. 1 Z 2 lit. a ASVG, sondern die speziellere Norm des § 70 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) zur Anwendung. Der Erstattungsantrag sei daher abzuweisen gewesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vertrat der Beschwerdeführer die Ansicht, zum einen sei die zitierte Norm des ASVG und jene des § 46 GSVG dergestalt analogiefähig, dass daraus die Wertung des Gesetzgebers abzuleiten sei, grundsätzlich sozialversicherungsrechtliche Verfahren von Abgaben wie der gegenständlichen zu befreien. Zum anderen ergebe sich auch aus § 70 Abs. 1 AlVG die Abgabenfreiheit verwaltungsgerichtlicher Verfahren, da es sich bei der Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde um eine "im Verfahren nach diesem Bundesgesetz (= AlVG) erforderliche Eingabe gehandelt" habe, die gebührenbefreit sei.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab; dies im Wesentlichen mit der Begründung, in dem mit der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof vom 29. Oktober 2001 angefochtenen Bescheid habe es sich nicht um Streitigkeiten über die Arbeitslosenversicherungspflicht bzw. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gehandelt. Mit dem damals angefochtenen Bescheid sei der Notstandshilfebezug des Beschwerdeführers widerrufen worden. Bei diesen Leistungen handle es sich nicht um solche, welche im ASVG geregelt seien. Regelungen über das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe seien nur im AlVG zu finden und deshalb könne § 101 Abs. 1 Z 2 lit. a ASVG nicht zum Zug kommen. Nach der Bestimmung des § 70 Abs. 1 AlVG seien u.a. Eingaben, welche nach dem AlVG erforderlich seien, von den Stempel- und Rechtsgebühren befreit. Diese Befreiung beziehe sich nur auf das Verfahren nach dem AlVG und nicht über dieses Verwaltungsverfahren hinaus. Durch die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof werde nicht das Verwaltungsverfahren fortgesetzt, sondern ein neues und zwar ein gerichtliches Verfahren, eben das vor dem Verwaltungsgerichtshof eingeleitet. Die Befreiungsbestimmung beziehe sich nicht auf das neue gerichtliche Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Rückzahlung einer rechtsgrundlos entrichteten Gebühr gemäß § 241 BAO verletzt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof vom 29. Oktober 2001 hat der Beschwerdeführer einen Bescheid des Arbeitsmarktservices Wien vom 14. September 2001 angefochten, mit dem die belangte Behörde den Notstandshilfebezug des Beschwerdeführers für die Zeit vom 10. Mai 1998 bis 21. November 1999 widerrufen hatte. Gegenstand dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war somit eine Angelegenheit der Notstandshilfe nach dem AlVG.

Gemäß § 70 Abs. 1 AlVG sind die im Verfahren nach diesem Bundesgesetz erforderlichen Eingaben und deren Beilagen, Ausfertigungen, Niederschriften, Entscheidungen, Vollmachten und Zeugnisse von den Stempel- und Rechtsgebühren befreit.

Mit dieser Befreiungsbestimmung werden die im Verwaltungsverfahren nach dem AlVG (arg.: Verfahren nach diesem Bundesgesetz) erforderlichen Eingaben und deren Beilagen, Ausfertigungen, Niederschriften, Entscheidungen, Vollmachten und Zeugnisse von den Stempel- und Rechtsgebühren, nicht aber Beschwerden an die Höchstgerichte befreit, über die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach dem VwGG oder im verfassungsgerichtlichen Verfahren nach dem VfGG zu entscheiden ist.

Nach § 110 Abs. 1 Z 2 lit. a ASVG sind von der Entrichtung der bundesrechtlich geregelten öffentlichen Abgaben und der Bundesverwaltungsabgaben - unbeschadet des § 6 des Umsatzsteuergesetzes 1994 - Rechtsgeschäfte, Rechtsurkunden, sonstige Schriften und die im Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, Verwaltungsbehörden, Einigungskommissionen, nach sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften errichteten Kommissionen, Ausschüssen und Schiedsgerichten durchgeführten Amtshandlungen, befreit, wenn sie Rechtsverhältnisse betreffen, die begründet oder abgewickelt werden, in Durchführung der in diesem Bundesgesetz geregelten Versicherungen zwischen den Versicherungsträgern und dem Hauptverband einerseits und den Versicherten, deren Dienstgebern, den Anspruchswerbern und Anspruchsberechtigten auf Leistungen der Versicherung, den Vertragspartnern oder Versicherung sowie den Trägern der Sozialhilfe andererseits.

Das Verfahren über den Widerruf der Notstandshilfe ist kein sozialversicherungsrechtliches Verfahren nach dem ASVG und das AlVG enthält betreffend Verfahren über die Notstandshilfe keine Verweisung auf § 110 Abs. 1 Z 2 lit. a ASVG.

Die Beschwerde vertritt die Ansicht, die zitierte Norm des ASVG (und jene des § 46 GSVG) sei insofern analogiefähig, als daraus die Grundwertung des Gesetzgebers abzuleiten sei, grundsätzlich sozialversicherungsrechtliche Verfahren von einer Abgabe, wie der gegenständlichen, zu befreien.

Gesetzesanalogie hat zur Voraussetzung, dass ein zu beurteilender Sachverhalt nicht ausdrücklich von einem bestimmten Tatbestand erfasst wird, auf Grund der weitgehenden Ähnlichkeit mit dem unter den gesetzlichen Tatbestand fallenden Sachverhalt und im Hinblick auf die ratio legis aber von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes innerhalb des positiven Rechts gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung ausgegangen werden muss. Eine Lücke ist demnach nur dort anzunehmen, wo das Gesetz gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2005, Zl. 2004/14/0106).

Voraussetzung für die analoge Anwendung verwandter Rechtsvorschriften ist somit das Bestehen einer echten Rechtslücke; im Zweifel ist eine auftretende Rechtslücke als beabsichtigt anzusehen. Wo die gesetzlichen Bestimmungen eindeutig sind, das heißt keine planwidrige Unvollständigkeit erkennen lassen, ist für die Anwendung der Gesetzesanalogie kein Raum (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1990, Zl. 88/17/0182).

Die Beschwerde übersieht, dass es sich in der Angelegenheit der Notstandshilfe nicht um ein sozialversicherungsrechtliches Verfahren nach dem ASVG handelt, sondern um die Gewährung bzw. die Versagung von Leistungen an den Beschwerdeführer nach den Bestimmungen des AlVG.

Die gesetzlichen Bestimmungen des AlVG und des ASVG unterscheiden sich eindeutig in der Organisation, im Verfahren und im Leistungsrecht (Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechts3, 192). Es kann somit auf Grund der bestehenden Unterschiede entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht nicht davon ausgegangen werden, dass das AlVG eine planwidrige Unvollständigkeit der Regelung aufweist, die durch Analogie zu schließen wäre, wenn in Verfahren über die Notstandshilfe, in denen das AlVG anzuwenden ist, anders als in bestimmten Verfahren nach dem ASVG keine Befreiung von der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG normiert ist. Auch die in der Beschwerde behauptete gleichheitswidrige Auslegung ist schon auf Grund der unterschiedlichen Regelungsinhalte der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften und der Leistungen nach dem AlVG nicht gegeben.

Die Beschwerde war daher aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 7. September 2006

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006160044.X00

Im RIS seit

02.10.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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