TE Vwgh Erkenntnis 2006/9/20 2003/08/0184

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Veröffentlicht am 20.09.2006
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §90;
AlVG 1977 §36 Abs2;
AVG §37;
NotstandshilfeV §2 Abs1 idF 1989/388;
NotstandshilfeV §2 Abs2 idF 1989/388;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des M in S, vertreten durch Dr. Johann Kölly, Rechtsanwalt in 7350 Oberpullendorf, Rosengasse 55, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Burgenland vom 14. April 2003, Zl. LGS-Bgld/IV/1241-2/2003, betreffend Notstandshilfe (Pensionsvorschuss), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20. September 2006 mit Anhörung des Vortrages des Berichters, sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Dr. Herbert Pochieser, und des Vertreters der belangten Behörde, Mag. Josef Mali, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.230,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war 23 Jahre lang als Hausbesorger bei der Gemeinde Wien tätig. Seit 6. September 1999 bezieht er mit Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer ab dem 5. Februar 2003 Notstandshilfe in Form eines Pensionsvorschusses in der Höhe von täglich EUR 23,87 gebühre.

Die Höchstbemessungsgrundlage für den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe betrage im Jahr 1999 S 39.000,- (EUR 2.834,24) und stelle mangels Erfüllung einer neuerlichen Anwartschaft auch die Grundlage für den Notstandshilfebezug bzw. Pensionsvorschuss ab dem 5. Februar 2003 dar. Mit 4. Februar 2003 habe der Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld als Pensionsvorschuss geendet. Anlässlich des Antrags des Beschwerdeführers auf Gewährung von Notstandshilfe als Pensionsvorschuss sei eine Neuberechnung durchzuführen gewesen. Das festgestellte monatliche Bruttoeinkommen in der Höhe von S 39.000,- sei um die sozialen Abgaben und die Einkommenssteuer zu vermindern und sodann mit zwölf zu vervielfachen und durch 365 zu teilen. Durch diesen Rechenvorgang ergebe sich ein tägliches Nettoeinkommen des Beschwerdeführers in der Höhe von EUR 61,99. Von diesem täglichen Nettoeinkommen gebührten täglich 55 Prozent als Grundbetrag des Arbeitslosengeldes. Der Anspruch auf Notstandshilfe betrage 92 Prozent des täglichen Grundbetrages an Arbeitslosengeld. Der dem Beschwerdeführer täglich fiktiv zustehende Notstandshilfeanspruch belaufe sich somit auf EUR 31,36. Im Zuge seiner Meldung als arbeitslos habe der Beschwerdeführer der regionalen Geschäftsstelle des AMS mitgeteilt, am 4. Mai 2001 geheiratet zu haben und am 2. Mai 2001 von W nach S übersiedelt zu sein. Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Meldezettel ergebe sich, dass dieser in das Haus seiner Frau eingezogen sei. In diesem Zusammenhang habe der Beschwerdeführer erklärt, er und seine Frau hätten zwar geheiratet, zwischen ihnen wäre jedoch niemals ein gemeinsamer Haushalt begründet worden. Er selbst würde in S leben, seine Frau wäre als Hausbesorgerin in W tätig und wohnhaft. Seine Frau besäße eine Dienstwohnung und wäre durch ihren Dienstvertrag zum Verbleib in W verpflichtet, da Hausbesorger zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr eine Aufsperrpflicht träfe. Würde seine Frau ihren Hauptwohnsitz nach S verlegen, so würde sie ihre Anstellung als Hausbesorgerin verlieren. Die räumliche Trennung zwischen ihm und seiner Frau wäre berufsbedingt, und seine Frau käme regelmäßig an den Wochenenden nach S.

Bei der Beurteilung der für den Anspruch auf Notstandshilfe erforderlichen Notlage sei - so die belangte Behörde weiter - das Einkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners in Abrechnung zu bringen. Wesentlich sei daher, ob zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau eine gemeinsame Haushaltsführung vorliege. Aus den Angaben des Beschwerdeführers selbst könne geschlossen werden, dass die eheliche Gemeinschaft mit seiner Ehefrau nach wie vor aufrecht und intakt und die räumliche Trennung aus beruflichen Gründen notwendig sei. Zwar könne vordergründig aus der getrennten Haushaltsführung während der Woche keine wirtschaftliche Interessengemeinschaft zum Zwecke der Verminderung der Lebenserhaltungskosten erkannt werden. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer in das Haus seiner Ehefrau gezogen sei, lasse jedoch den Schluss zu, dass die Übersiedelung erfolgt sei, damit das Haus seiner Ehefrau auch an den Wochentagen bewohnt werde. Da die Hauptwohnsitzmeldung der Ehefrau des Beschwerdeführers in S lediglich berufsbedingt nicht möglich sei, sei davon auszugehen, dass diese als Wochenpendlerin in Wien ihrem Beruf nachgehe. Auch bei Wochenpendlern sei jedoch vom Vorliegen einer ehelichen Gemeinschaft und eines gemeinsamen Haushalts auszugehen. Die Voraussetzungen für die Anrechenbarkeit des Einkommens der Ehefrau des Beschwerdeführers auf dessen Notstandshilfeanspruch lägen somit vor.

Als Grundlage für die Anrechnung diene das durchschnittliche Nettoeinkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers für die Monate November 2002 bis Jänner 2003 in der Höhe von EUR 1.094,54. Auf Grund der unselbständigen Beschäftigung der Ehefrau des Beschwerdeführers sei von diesem Betrag zunächst das Werbekostenpauschale in der Höhe von EUR 11,- abzuziehen. Ferner sei der für die Ehefrau des Beschwerdeführers zu gewährende Freibetrag in der Höhe von EUR 437,- zu verdoppeln und in Abzug zu bringen. Dies ergebe einen täglichen Anrechnungsbetrag in der Höhe von EUR 6,90 und einen täglichen Anspruch des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe in der Höhe von EUR 24,46. Die Auszahlung eines beantragten Pensionsvorschusses auf Basis der Notstandshilfe sei mit einem täglichen Höchstbetrag in der Höhe von EUR 23,87 begrenzt. Der dem Beschwerdeführer ab 5. Februar 2003 täglich zustehende Pensionsvorschuss betrage somit EUR 23,87.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach durchgeführter mündlicher Verhandlung erwogen:

Gemäß § 33 Abs. 2 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 103/2001 ist Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe u.a., dass sich der Arbeitslose in einer Notlage im Sinne des § 33 Abs. 3 AlVG befindet.

Gemäß § 2 Abs. 1 der auf Grund des § 36 Abs. 1 AlVG ergangenen Notstandshilfeverordnung (NH-VO), BGBl. Nr. 352/1973, in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 388/1989, liegt Notlage vor, wenn das Einkommen des Arbeitslosen (§ 36a Abs. 1 AlVG) und das seines Ehepartners (Lebensgefährten bzw. seiner Lebensgefährtin) zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitslosen nicht ausreicht. Bei der Beurteilung der Notlage sind gemäß § 36 Abs. 2 AlVG bzw. § 2 Abs. 2 NH-VO die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort uä.) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst. Gleiches gilt, wenn der (die) Arbeitslose die Hausgemeinschaft mit dem Ehepartner (Lebensgefährte bzw. der Lebensgefährtin) nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der Anrechnung des Einkommens zu entgehen.

Der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung des Einkommens des Ehepartners (des Lebensgefährten) liegt offenkundig die Annahme zu Grunde, dass dieser wegen der Lebens- (Wohn-)Gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil (etwa durch Mitfinanzierung der Miete oder der Ernährung) beiträgt. Das ununterbrochene gemeinsame Wohnen der Lebenspartner ist allerdings lediglich ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts, jedoch für sein Vorliegen weder unter allen Umständen notwendig noch unter allen Umständen ausreichend. Es ist vielmehr jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich der Gesichtspunkt gemeinsamen Wirtschaftens, unverzichtbar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2001, Zl. 2001/08/0101, mwN). Ein getrennter Haushalt des Arbeitslosen ist dann anzunehmen, wenn dieser die Kosten seiner Lebensführung (Wohnungs-, Nahrungs- und Bekleidungsaufwand) ausschließlich aus eigenen Mitteln deckt und selbständig über die Art der Deckung dieser Bedürfnisse entscheidet.

Bei aufrechter Ehe eines Arbeitslosen kann die Behörde grundsätzlich vom Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes iSd § 90 ABGB ausgehen, solange nicht die Parteien eine davon abweichende Lebensführung behaupten und die erforderlichen Beweismittel benennen oder beibringen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. August 2002, Zl. 2002/08/0010). Auch im Hinblick auf das nicht durchgehende gemeinsame Wohnen der Eheleute ist im vorliegenden Fall das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts der Eheleute iSd § 36 Abs. 2 AlVG zu bejahen, weil die Abwesenheiten der Ehefrau des Beschwerdeführers auf - im § 36 Abs. 2 AlVG ausdrücklich genannte -

berufliche Gründe zurückzuführen sind und insoweit das gemeinsame Wohnen im Rahmen der ehelichen Gemeinschaft nur aus beruflichen Gründen unterbleibt, und zwar nicht dauernd, sondern immer nur vorübergehend (sog. "Pendlerehe"). Auf eine nur berufsbedingte Häufigkeit der Trennung der Ehepartner kommt es dabei nicht an. Ein gemeinsamer Haushalt des Beschwerdeführers mit seiner Ehegattin liegt daher vor. Dass mit der Berufsausübung der Ehegattin des Beschwerdeführers Aufwendungen für ihren Aufenthalt am Arbeitsort erforderlich sind, ändert an dieser Beurteilung nichts. Soweit es im Ergebnis überhaupt darauf ankommen sollte, wäre es Sache des Beschwerdeführers, für diese Mehraufwendungen erhöhte Freibeträge für die Anrechnung des Partnereinkommens gegenüber dem AMS geltend zu machen.

Soweit der Beschwerdeführer verfassungsrechtliche Bedenken gegen die von der belangten Behörde angewendeten Gesetzesbestimmungen äußert, genügt der Hinweis, dass der Verfassungsgerichtshof in dem vorangegangenen Ablehnungsbeschluss vom 23. September 2003, B 822/03, die vom Beschwerdeführer in seiner Parallelbeschwerde vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken unter Hinweis auf seine Rechtsprechung für nicht stichhältig erachtet. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher nicht veranlasst, den Verfassungsgerichthof damit zu befassen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2004, Zl. 2002/08/0038).

Die belangte Behörde hat daher den täglichen Notstandshilfeanspruch des Beschwerdeführers zutreffend mit EUR 24,46 ermittelt. In einem weiteren Schritt hat die belangte Behörde diesen täglichen Anspruch auf EUR 23,87 reduziert und dies nach Wiedergabe des § 23 AlVG wie folgt begründet:

"Gemäß der gesetzlichen Bestimmungen ist der Höchstbetrag bei der Auszahlung des Pensionsvorschusses bei Beantragung der Invaliditätspension mit einem täglichen Auszahlungsbetrag von EUR 23,87 begrenzt."

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Diesen Anforderungen wird die oben wiedergegebene Begründung nicht gerecht, zumal nicht ersichtlich ist, ob die in § 23 Abs. 4 AlVG genannte Obergrenze auf Grund der durchschnittlichen Höhe der Leistungen oder auf Grund einer schriftlichen Mitteilung des Sozialversicherungsträgers ermittelt worden ist bzw. wie sich der Betrag errechnet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 20. September 2006

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003080184.X00

Im RIS seit

05.12.2006

Zuletzt aktualisiert am

29.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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