TE Vwgh Erkenntnis 2006/9/26 2004/21/0217

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Veröffentlicht am 26.09.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §21 Abs2;
ABGB §21;
AsylG 1997 §21 Abs1;
AsylG 1997 §25 Abs1;
AsylG 1997 §25 Abs2;
AVG §11;
AVG §9;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §66 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr. Andreas Nödl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Salztorgasse 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 24. Mai 2004, Zl. UVS-01/50/4242/2004/6, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der nach eigenen Angaben am 15. März 1987 geborene Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 7. November 2003 von Amsterdam über den Flughafen Wien/Schwechat in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Eine Legitimation (Reisepass) oder einen anderen Nachweis seiner Identität konnte er nicht vorlegen. Mit Bescheid vom 23. Jänner 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer, der durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger vertreten angesehen wurde, durch Übergabe an einen Postbevollmächtigten des Magistrates der Stadt Graz, Amt für Jugend und Familie, am 29. Jänner 2004 zugestellt. Innerhalb der Berufungsfrist wurde dagegen kein Rechtsmittel erhoben.

Mit Bescheid vom 13. April 2004 ordnete die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung (§§ 33, 34 FrG) bzw. des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (§ 36 FrG), der Zurückschiebung (§ 55 FrG) und der Abschiebung (§ 56 FrG) an. Hiefür sei maßgebend, dass der Beschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrolle und ohne Beachtung der Bestimmungen des 2. Hauptstückes des FrG eingereist sei, keine Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG besitze und ohne Nachweis ausreichender Mittel für seinen Unterhalt angetroffen worden sei. Die Abstandnahme von der Anwendung gelinderer Mittel sei notwendig, weil der Beschwerdeführer über keinerlei Dokumente verfüge, obdachlos gemeldet und mittellos sei. Weiters sei er am 20. März 2004 "wegen § 28 Suchtmittelgesetz zur Anzeige gebracht" worden. Es bestehe die Gefahr, dass er sich fremdenpolizeilichen Maßnahmen entziehen und den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet durch Schwarzarbeit oder gerichtlich strafbare Handlungen finanzieren werde. Die Verhängung der Schubhaft sei im Hinblick auf das zu erreichende Ziel angemessen und verhältnismäßig.

Gegen den eben dargestellten Schubhaftbescheid, der am 13. April 2004 in Vollzug gesetzt wurde, erhob der Beschwerdeführer, über den mit weiterem Bescheid vom 15. April 2004 ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden war, am 18. Mai 2004 Beschwerde an die belangte Behörde. Darin machte er v.a. die Unwirksamkeit des Zustellvorganges vom 29. Jänner 2004 geltend, sodass sein Asylverfahren noch anhängig, die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 19 AsylG noch immer aufrecht und die Schubhaft daher unzulässig sei. Im Übrigen kritisierte der Beschwerdeführer, dass ihn die Erstbehörde - anders als etwa das Bundesasylamt - für volljährig gehalten habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 2004 wies die belangte Behörde die Beschwerde des "vermutlich minderjährigen" Beschwerdeführers - unter Kostenzuspruch an den Bund - gemäß § 73 Abs. 1, 2 und 4 FrG iVm § 67c Abs. 3 AVG als unbegründet ab und stellte fest, dass im Zeitpunkt ihrer Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde nach auszugsweiser Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung und auf das Wesentlichste zusammengefasst - aus, es sei von der Wirksamkeit der Zustellung am 29. Jänner 2004 (und somit von einem Entfall seiner vorläufigen asylrechtlichen Aufenthaltsberechtigung) auszugehen, weil sich der Beschwerdeführer damals noch in Graz aufgehalten habe. Der Beschwerdeführer behaupte, nigerianischer Staatsangehöriger und am 15. März 1987 geboren zu sein. Seine "Angaben über die mangelnde Existenz von entsprechenden Dokumenten" seien jedoch "besonders unglaubwürdig, weil sie darauf ausgerichtet scheinen, der Behörde die wahre Identität des Beschwerdeführers zu verschleiern". Nach Durchführung einer amtsärztlichen Untersuchung (am 13. April 2004) sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer "auf Grund verschiedener körperlicher Merkmale vermutlich 19 Jahre mit einer Toleranz von plus/minus einem Jahr alt ist". Dieses von der Erstbehörde eingeholte Gutachten des Amtssachverständigen sei jedoch mangelhaft und unschlüssig, sodass es im Verfahren nicht verwendet werden könne (wird näher ausgeführt).

Ob der Beschwerdeführer, der am 12. April 2004 in Wien festgenommen worden sei und der sich davor (nach eigenen Angaben) im Flüchtlingslager Traiskirchen aufgehalten habe, minderjährig (gewesen) sei, könne im vorliegenden Fall jedoch dahingestellt bleiben, weil die Voraussetzungen für die Anwendung gelinderer Mittel im Sinne des § 66 Abs. 2 FrG jedenfalls nicht vorlägen: Der Beschwerdeführer habe ein massives Interesse daran, "sich dem Zugriff der Behörden durch Untertauchen und Aufhalten im Verborgenen zu entziehen und ... dieses Verhalten durch ohne Verständigung seines Wohnheimes erfolgte Abreise aus Graz dokumentiert". Ein Jugendlicher ohne Pass würde mit hoher Wahrscheinlichkeit in Wien untertauchen und wäre dem weiteren Zugriff der Behörde entzogen.

Auch sei der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, sodass eine mündliche Verhandlung habe unterbleiben können. Insgesamt erweise sich "die Inschubhaftnahme und die fortdauernde Anhaltung des Beschwerdeführers selbst unter der Annahme, dass dieser minderjährig ist, im Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung als gerechtfertigt".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass nach § 19 Abs. 1 AsylG (idF vor der AsylG-Novelle 2003) Asylwerber, die sich - sei es auch im Rahmen einer Vorführung nach Anreise über einen Flugplatz oder nach direkter Anreise aus dem Herkunftsstaat - im Bundesgebiet befinden, vorläufig zum Aufenthalt berechtigt sind, es sei denn, ihr Antrag wäre wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG haben Asylwerber, die unter Umgehung der Grenzkontrolle oder entgegen den Bestimmungen des 2. Hauptstückes des Fremdengesetzes eingereist sind, die vorläufige Aufenthaltsberechtigung erst, wenn sie von der Behörde zuerkannt wird. Die Behörde hat solchen Asylwerbern, deren Antrag zulässig, aber nicht offensichtlich unbegründet ist, unverzüglich die vorläufige Aufenthaltsberechtigung durch Aushändigung der Bescheinigung zuzuerkennen. Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung endet gemäß § 19 Abs. 4 AsylG, wenn das Asylverfahren eingestellt oder rechtskräftig abgeschlossen ist.

Gemäß § 21 Abs. 1 AsylG findet auf Asylwerber das Fremdengesetz insgesamt Anwendung, u.a. die §§ 61 bis 63 FrG jedoch nicht auf Asylwerber mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung, sofern sie 1. den Antrag außerhalb einer Vorführung persönlich beim Bundesasylamt eingebracht haben (oder)

2. den Antrag anlässlich der Grenzkontrolle oder anlässlich eines von ihnen sonst mit einer Sicherheitsbehörde oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgenommenen Kontaktes gestellt haben.

Nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten scheint in der Fremdeninformationsdatei des Bundesministeriums für Inneres mit Stichtag 29. Jänner 2004 den Beschwerdeführer betreffend die Eintragung "vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß AsylG" mit dem weiteren Hinweis "gültig von: 20.01.2004" auf. Dies hat zur Feststellung durch die belangte Behörde geführt, dass dem Beschwerdeführer "mit Datum vom 20. Jänner 2004 eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zuerkannt" worden sei. Weiters hat die belangte Behörde festgestellt, dass der Beschwerdeführer seinen Asylantrag beim Bundesasylamt "persönlich" gestellt habe. Es lag daher jedenfalls bis zum noch zu behandelnden Zustellvorgang am 29. Jänner 2004 eine aufrechte vorläufige Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers im Sinne des § 21 Abs. 1 Z. 1 AsylG vor, welche die oben dargestellten Rechtsfolgen (v.a. Unzulässigkeit der Schubhaft) nach sich gezogen hatte.

Die belangte Behörde geht davon aus, dass sich der Beschwerdeführer zum fallbezogen maßgeblichen Zeitpunkt (des Zustellvorganges am 29. Jänner 2004) noch in Graz aufgehalten habe. Diese Feststellung ist jedoch unschlüssig: Die belangte Behörde hat nämlich keine Ermittlungen - etwa durch Einholung einer Meldeauskunft oder Befragung von Mitbewohnern - zum von ihm behaupteten zeitnahen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Traiskirchen gepflogen, obgleich dieser bei einer Einvernahme am 27. Februar 2004 gestanden hatte, am 28. Jänner und am 27. Februar 2004 in Traiskirchen Suchtmitteldelikte begangen zu haben.

Auch hätte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang die Frage der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nicht "dahingestellt" lassen dürfen: Gemäß § 25 Abs. 1 AsylG sind volljährige Fremde im Verfahren nach diesem Bundesgesetz handlungsfähig. Für den Eintritt der Volljährigkeit nach diesem Bundesgesetz ist ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich (§ 21 ABGB). Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 AsylG wird gesetzlicher Vertreter eines unbegleiteten minderjährigen Asylwerbers mit Einleitung eines Verfahrens der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger. Eine rechtswirksame Zustellung an einen Jugendwohlfahrtsträger (am 29. Jänner 2004) käme demnach nur im Fall der damaligen Minderjährigkeit des Beschwerdeführers in Betracht. Hätte der Beschwerdeführer also am 29. Jänner 2004 bereits das 18. Lebensjahr vollendet, wäre ihm gemäß § 25 Abs. 1 AsylG selbst (oder an einen privatautonom bestellten Vertreter) zuzustellen gewesen; für eine gesetzliche Vertretung durch (irgendeinen) Jugendwohlfahrtsträger hätte dann die Grundlage gefehlt (vgl. dazu allgemein den hg. Beschluss vom 14. Mai 2002, Zl. 2001/01/0542, sowie das hg. Erkenntnis vom 6. Mai 2004, Zl. 2001/20/0622, mwN).

Im Fall der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers am 29. Jänner 2004 hätte sein tatsächlicher gewöhnlicher (in Ermangelung eines solchen: schlichter) Aufenthalt noch in der Steiermark liegen müssen, um eine Zuständigkeit des Landes Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger zu begründen. Im Einzelnen wird hiezu gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGG auf die hg. Erkenntnisse vom 12. September 2002, Zl. 2001/20/0245, und vom 17. Oktober 2002, Zl. 2002/20/0383, verwiesen.

Die Möglichkeit einer Rechtskraft des den Asylantrag abweisenden Bescheides vom 23. Jänner 2004 besteht somit nur dann, wenn der Beschwerdeführer am 29. Jänner 2004 das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und sein (gewöhnlicher) Aufenthalt damals noch in Graz (nicht also etwa bereits in Traiskirchen oder in Wien) gelegen war. Beides wurde von der belangten Behörde jedoch nicht ausreichend geprüft bzw. nicht schlüssig festgestellt. Da die genannten Umstände bereits für die Zulässigkeit der Schubhaft nach § 21 Abs. 1 AsylG iVm § 61 Abs. 1 FrG - und nicht nur für die Beurteilung der Anwendbarkeit eines gelinderen Mittels nach § 66 Abs. 1 FrG - von Bedeutung waren, hätten sie von der belangten Behörde abgeklärt werden müssen.

Indem sie dies unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. September 2006

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1Besondere RechtsgebieteHandlungsfähigkeit Prozeßfähigkeit natürliche Person Öffentliches Recht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2004210217.X00

Im RIS seit

23.10.2006

Zuletzt aktualisiert am

31.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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