TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/4 2006/18/0191

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.10.2006
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §30 Abs1;
AVG §16 Abs1;
AVG §73 Abs2;
VwGG §27;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des DO in L, geboren 1984, vertreten durch Edward W. Daigneault, Solicitor in 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4 (Einvernehmensanwalt: Dr. Herbert Kaspar, Rechtsanwalt in Wien), gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. Mai 2006, Zl. SD 422/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer den Aufwand von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 16. Mai 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer, der über keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität verfüge, sei am 16. Februar 2000 illegal in das Bundesgebiet gelangt und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt, der rechtskräftig abgewiesen worden sei. Nach Einbringung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei "das Asylverfahren letztlich am 4. 11. 2005 eingestellt" worden.

Am 6. Februar 2006 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach § 28 Abs. 2 und 3, erster Fall SMG und § 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Er habe in Wien gewerbsmäßig den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtmittel in Verkehr gesetzt, indem er in der Zeit vom 1. August 2005 bis zum 27. Oktober 2005 in mehreren Angriffen ca. 40 Gramm Kokain an einen Suchtgiftabnehmer in der Absicht verkauft habe, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Darüber hinaus habe er am 27. Oktober 2005 eine Kugel Kokain zum unmittelbaren Weiterverkauf bereit gehalten.

Dem Beschwerdeführer komme der Status eines Asylwerbers im Sinn des § 2 Abs. 1 Z. 14 Asylgesetz 2005 nicht (mehr) zu, weil sein diesbezügliches Verfahren am 4. November 2005 eingestellt worden sei. Es sei daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegeben seien.

Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Anbetracht des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität in hohem Maß, sodass sich auch die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt erweise.

Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Auf Grund seines etwa sechseinhalbjährigen inländischen Aufenthaltes sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privatleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grund des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen und im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit, dringend geboten. Der Beschwerdeführer sei offenbar nicht gewillt, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Schon in Ansehung der gewerbsmäßigen Tatbegehung und der den Suchtgiftdelikten immanenten Wiederholungsgefahr könne die Verhaltsprognose für den Beschwerdeführer nicht positiv ausfallen. Hinsichtlich der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen aus dem bisherigen Aufenthalt ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Von daher gesehen hätten die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den genannten hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten.

Angesichts des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick auf die Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftat habe von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden können.

Die Befristung des Aufenthaltsverbotes von zehn Jahren sei gerechtfertigt, habe der Beschwerdeführer doch keinerlei Skrupel gehabt, Suchtmittel aus reiner Gewinnsucht zu verkaufen. Ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, könne nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, sein Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. April 2000 abgewiesen worden. Seinem mit der dagegen erhobenen Berufung verbundenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vom 20. Juli 2000) gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung hätte gemäß § 71 Abs. 6 AVG von Amts wegen aufschiebende Wirkung gewährt werden müssen. Der Wiedereinsetzungsantrag sei vom Bundesasylamt am 7. September 2000 abgewiesen worden. Dagegen habe er (am 18. September 2000) Berufung erhoben. Der unabhängige Bundesasylsenat habe zu Unrecht "das Verfahren" bzw. "das Berufungsverfahren" gemäß § 30 Abs. 2 oder 3 Asylgesetz 1997 eingestellt. Er habe sich nämlich am 4. November 2005 bereits in Gerichtshaft in der Justizanstalt Wien-Josefstadt befunden. Der Beschwerdeführer sei daher als Asylwerber zu betrachten. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, seine "Asylwerbereigenschaft (mir zukommende aufschiebende Wirkung im Asyl-Wiedereinsetzungsverfahren, unrechtmäßige Einstellung) im Sinn des § 38 AVG als Vorfrage ... positiv zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen, bei Zweifel wäre das Verfahren bis zur Entscheidung der Asylbehörde auszusetzen gewesen". Als Asylwerber habe er ein Aufenthaltsrecht in Österreich bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens. Die belangte Behörde hätte daher kein Aufenthaltsverbot, sondern allenfalls nur ein Rückkehrverbot verhängen dürfen.

1.2. Der angefochtene Bescheid stellt fest, "das Asylverfahren" (und nicht etwa - unzulässigerweise - das Verfahren auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, in welche Richtung der erstinstanzliche Aufenthaltsverbotsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. April 2006 verstanden werden könnte) sei am 4. November 2005 eingestellt worden. Die besagte Einstellung (gemäß § 30 Abs. 1 Asylgesetz 1997, der hier gemäß § 75 Abs. 2 Asylgesetz 2005 weiter anzuwenden ist) bezieht sich somit auf das Verfahren über die vom Beschwerdeführer zugleich mit seinem Wiedereinsetzungsantrag erhobene Berufung gegen den abweisenden erstinstanzlichen Asylbescheid. Ihr käme insofern Bedeutung zu, als dem Beschwerdeführer, so lange über seine Berufung gegen den abweisenden Asylbescheid noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist, an sich die Rechtstellung eines Asylwerbers iSd § 75 Abs. 2 zweiter Satz Asylgesetz 2005 iVm § 1 Z. 3 Asylgesetz 1997 zukommen würde, es sei denn, er hätte diese Rechtstellung mit Einstellung des Asylverfahrens wieder verloren. In diesem Fall wären von der Behörde nicht mehr die Voraussetzungen für ein Rückkehrverbot (§ 62 FPG), sondern die für ein Aufenthaltsverbot (§ 60 FPG) zu prüfen.

Die Einstellung eines Asylverfahrens gemäß § 30 Abs. 1 Asylgesetz 1997 hat nicht mittels eines Bescheides, sondern mittels eines Aktenvermerkes zu erfolgen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0046, und vom 26. Juli 2001, Zl. 99/20/0360). Die genannte Gesetzesstelle sieht die Einstellung des Verfahrens zwingend vor, wenn eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wegen Abwesenheit des Asylwerbers nicht möglich ist. Die Entscheidungspflicht der Asylbehörden (und die Eigenschaft des Fremden als Asylwerber) fällt daher bereits bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens weg. Die Wirksamkeit einer Verfahrenseinstellung gemäß § 30 Abs. 1 Asylgesetz 1997 ist nicht vom Zugang einer diesbezüglichen Mitteilung an den Vertreter des Asylwerbers abhängig (vgl. das zitierte Erkenntnis Zl. 99/20/0046).

Die belangte Behörde hätte somit nur dann von einem Wegfall der Asylwerbereigenschaft des Beschwerdeführers ausgehen können, wenn sie das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für eine Einstellung festgestellt und diese zutreffend nach § 30 Abs. 1 Asylgesetz 1997 beurteilt hätte. Solche Feststellungen fehlen jedoch. Das Vorliegen eines Aktenvermerks iSd § 30 Abs. 1 leg. cit. vermag solche nicht zu ersetzen. Daher kann weder ein Wegfall der Asylwerbereigenschaft des Beschwerdeführers noch die Befugnis der Behörde zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beurteilt werden.

2. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 4. Oktober 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Verletzung der Entscheidungspflicht Diverses Zurückweisung - Einstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006180191.X00

Im RIS seit

10.11.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten