TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/17 2005/20/0012

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.10.2006
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §32 Abs2;
AsylG 1997 §32a Abs2 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylGNov 2003;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des M (zuletzt) in W, geboren 1980, vertreten durch Solicitor Edward W. Daigneault in 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Dezember 2004, Zl. 253.152/0-XI/33/04, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides (Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria) bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen (hinsichtlich der im Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vorgenommenen Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 12. August 2004 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag, wobei er in dem formularmäßigen Vordruck seine Staatsangehörigkeit mit "Tanzania" angab.

Auch bei der Aufnahme seiner Personaldaten am 19. August 2004 wurde festgehalten "geboren am 02.02.1980 in Pemba TANSANIA" und "Staatsangeh. TANSANIA". Dem entsprechend gab der Beschwerdeführer bei der anschließenden Einvernahme auf die Frage nach seiner Staatsangehörigkeit "von Tansania" an. Danach gestellte einfache länderkundliche Fragen zu Tansania (z.B. nach dem Nationalfeiertag, dem Aussehen der Flagge, der Nationalhymne, der Währung, nach typischen Speisen und zur Bedeutung der Abkürzungen CUF und CCM sowie zu seinem angeblichen "Heimatort" Pemba) konnte der Beschwerdeführer nicht beantworten und auch sonst nichts Konkretes über Tansania angeben. Er war auch nicht imstande, in der Amtssprache Kisuaheli von eins bis zehn zu zählen. Auf die Frage, wie lange er in Tansania gelebt habe, gab der Beschwerdeführer an: "Ich wurde dort geboren und lebte dort bis 2001. Also zwanzig Jahre." Als Fluchtgrund behauptete der Beschwerdeführer, sein Vater habe der CUF angehört und sei bei "Kämpfen" mit der CCM von eingreifenden Polizisten erschossen worden. Der Beschwerdeführer sei wie viele andere verhaftet worden und vom 27. Jänner 2001 bis 4. Februar 2001 im Gefängnis gewesen. Als er wegen einer Verletzung ins Spital von Pemba gebracht worden sei, habe ihm der behandelnde Arzt aus Mitleid zur Flucht nach Kenia, wohin er mit dem Auto gelangt sei, verholfen. Der Beschwerdeführer habe sich in Nairobi im Haus einer namentlich genannten Person versteckt, das er am 22. Juli 2004 aus Furcht vor der Polizei verlassen habe, nachdem man seinen Aufenthaltsort herausgefunden habe.

Bei der zweiten Einvernahme am 23. August 2004 behauptete der Beschwerdeführer weiterhin aus Tansania zu stammen und bezog sich auf seine bisherigen Angaben, die der Wahrheit entsprächen. Er räumte aber unmittelbar anschließend ein, er habe sich "nicht sehr lange in Tansania aufgehalten". In der Folge gab der Beschwerdeführer dazu näher befragt an, er sei in Aba in Nigeria geboren und habe 21 Jahre in dieser Stadt gelebt. Nigeria habe er im November 2000 wegen Auseinandersetzungen zwischen seinen Eltern verlassen. Seine Mutter sei "das Problem", sie sei "nicht gut" zum Vater des Beschwerdeführers gewesen. Die Mutter sei mit anderen Männern nach Hause gekommen und dann hätten seine Eltern gestritten. Der Vater, der aus Tansania stamme, habe darauf bestanden, dass der Beschwerdeführer zu ihm nach Tansania komme. Dem anschließenden Vorhalt, wie es bei einem angeblichen Aufenthalt in Tansania sein könne, dass der Beschwerdeführer die Insel Pemba als eine Ortschaft bzw. eine Stadt bezeichnet habe, erwiderte der Beschwerdeführer nur, er sei "nicht lange dort" gewesen.

Mit Bescheid vom 30. August 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) idF der Novelle 2003 als offensichtlich unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Weiters stellte es gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria fest (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 6 Abs. 3 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.).

Das Bundesasylamt stellte fest, der Beschwerdeführer sei nigerianischer Staatsbürger. Davon sei "zwingend" auszugehen, weil der Beschwerdeführer nach seinen Angaben "am 02.02.1980 in Aba/Nigeria geboren ist und bis zur Vollendung der Volljährigkeit in Nigeria gelebt hat". Das auf Tansania bezogene Vorbringen des Beschwerdeführers bei seiner ersten Vernehmung beurteilte das Bundesasylamt mit näher begründeter, vor allem auf die mangelnden Kenntnisse über die dort gegebenen Verhältnisse gestützter Beweiswürdigung zusammenfassend dahin, dass es "eingelernt und schlecht wiedergegeben" worden sei. (Das ist vor dem Hintergrund der aktenkundigen Ermittlungen des Bundesasylamtes (AS 161), wonach die oppositionelle Civic United Front (CUF) am 27. Jänner 2001 tatsächlich in Pemba und Sansibar Demonstrationen organisierte, die einen gewaltsamen Verlauf nahmen und zur Flucht von zahlreichen Personen nach Kenia führten, dahin zu verstehen, dass sich der Beschwerdeführer auf diese bekannten Geschehnisse gestützt habe, ohne daran in Wahrheit selbst beteiligt gewesen zu sein.) In Bezug auf Nigeria - so begründete das Bundesasylamt noch - habe der Beschwerdeführer weder Fluchtgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention noch subsidiäre Schutzgründe vorgebracht.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine - im Begründungsteil handschriftlich verfasste - Berufung. Darin machte er mit näheren Ausführungen geltend, ihm drohe wegen der unbeabsichtigten Tötung seiner Mutter durch Übergießen mit einer säurehältigen Flüssigkeit - insofern sei er von seinem Vater und dessen Freund getäuscht worden - Verfolgung durch die Verwandten der Mutter und die nigerianische Polizei. Das habe er bisher nicht gesagt, weil er sich vor der österreichischen Polizei gefürchtet habe, dass sie ihn "ins Gefängnis stecken und später töten könnte." In den weiteren Ausführungen bestritt der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Herkunft seines Vaters aus Tansania auch die Annahme, er sei nigerianischer Staatsangehöriger. In Afrika bestimme sich die Staatsangehörigkeit nach der Staatsbürgerschaft des Vaters. Er habe zu seiner Staatsangehörigkeit daher korrekte Angaben gemacht.

In einem vom anwaltlichen Vertreter des Beschwerdeführers verfassten ergänzenden Schriftsatz wurde das auf Nigeria bezogene Berufungsvorbringen - einzelne Punkte verdeutlichend - wiederholt und präzisiert. Der Beschwerdeführer knüpfte aber auch an die sich auf Tansania beziehenden, bei der Erstbefragung vor dem Bundesasylamt behaupteten Geschehnisse betreffend die Ermordung seines Vaters bei einer Demonstration am 27. Jänner 2001, die anschließende Verhaftung des Beschwerdeführers und seine Flucht nach Kenia an. Sein Herkunftsstaat sei nicht Nigeria, sondern Tansania, wobei der Beschwerdeführer (offenbar auch) in diesem Zusammenhang erwähnte, sein Vater stamme aus Tansania und seine Mutter sei Nigerianerin.

Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde in Erledigung der Berufung Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides "insofern" ab, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen wurde (Spruchpunkt I.). Im Übrigen wurde die Berufung hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. des erstinstanzlichen Bescheides "gemäß § 8 AsylG" abgewiesen.

Die belangte Behörde stellte fest, der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger von Nigeria. Das ergebe sich einerseits aus seinen Angaben, wonach er in Nigeria geboren sei und dort gelebt habe, und andererseits aus dem Umstand, dass der nigerianische Konsul in Österreich der Fremdenpolizeibehörde die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer "unter dem Namen M.D., Staatsangehöriger von Nigeria, in Aussicht gestellt" habe.

In Bezug auf die Gründe für die Ausreise aus Nigeria enthalte das Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren, dessen Glaubwürdigkeit dahingestellt bleiben könne, "weder Verfolgung, noch Fluchtgründe oder subsidiäre Schutzgründe." Da die Neuerungen in der Berufung und in deren Ergänzung - wie die belangte Behörde im Rahmen der rechtlichen Beurteilung unter Erörterung der im § 32 Abs. 1 AsylG normierten, hier ihrer Ansicht aber nicht vorliegenden Ausnahmefälle näher begründete - nicht zuzulassen seien, könnten "auch im Berufungsvorbringen keine Flucht- oder subsidiären Schutzgründe" des Beschwerdeführers in Nigeria "festgestellt" werden. Die in Bezug auf Tansania behaupteten Fluchtgründe des Beschwerdeführers hätten nicht festgestellt werden können, wobei die belangte Behörde dazu - unter deren wörtlicher Wiedergabe im angefochtenen Bescheid - auf die für zutreffend erachtete Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid verwies.

Rechtlich vertrat die belangte Behörde die Auffassung, entgegen der Meinung der Erstbehörde liege kein Anwendungsfall des § 6 AsylG vor. Da der Sachverhalt von der Erstbehörde jedoch "hinreichend festgestellt" worden sei, habe die belangte Behörde gemäß § 32a Abs. 2 zweiter Satz AsylG inhaltlich zu entscheiden und § 7 AsylG anzuwenden. Daran anknüpfend wiederholte die belangte Behörde zur Begründung von Spruchpunkt I.

zusammenfassend, das Tansania betreffende Vorbringen sei nicht glaubwürdig, das erstinstanzliche Vorbringen zu Nigeria enthalte keine asylrelevante Verfolgungsgefahr und das "gesteigerte Fluchtvorbringen" zu Nigeria im Berufungsverfahren sei aufgrund des Neuerungsverbotes unbeachtlich. Daraus sei auch der Schluss zu ziehen, "dass die Abschiebung des Berufungswerbers gemäß § 8 AsylG 1997 iVm § 57 Abs. 1 und Abs. 2 FrG nach Nigeria zulässig ist". Zur Ausweisung wurde "der Vollständigkeit halber" nur auf ein von der Behörde erster Insatnz durchgeführtes Ermittlungsverfahren verwiesen und abschließend noch begründet, dass am Maßstab der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG iVm § 67d AVG und im Hinblick auf die präkludierten Neuerungen von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung Abstand genommen werden konnte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

1.1. In Bezug auf Spruchpunkt I. rügt die Beschwerde, die belangte Behörde hätte "die Umstellung der Entscheidung von § 6 auf § 7 AsylG überhaupt nicht, zumindest aber nicht ohne vorausgehende mündliche Verhandlung vornehmen dürfen."

1.2.1. Damit verkennt der Beschwerdeführer den Inhalt des durch die AsylG-Novelle 2003 eingefügten § 32a Abs. 2 AsylG, auf dessen zweiten Satz sich die belangte Behörde bei ihrer Vorgangsweise gestützt hat. Die genannte Bestimmung lautet:

"(2) Der Berufung ist stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet (§ 6) nicht zutrifft. In diesen Fällen hat die Berufungsbehörde über den Antrag inhaltlich zu entscheiden, wenn der Sachverhalt hinreichend festgestellt wurde. Wurde der Sachverhalt nicht hinreichend festgestellt, hat die Berufungsbehörde die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und zur Erlassung eines Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Feststellungen gemäß § 8 gelten jedenfalls als aufgehoben. Wird ein Bescheid, mit dem der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde von der Berufungsbehörde bestätigt, so hat sie ihrerseits jedenfalls eine Entscheidung gemäß § 8 zu treffen."

Im Ausschussbericht (253 BlgNR 22.GP 3) wurde die Einfügung dieser in der Regierungsvorlage noch nicht enthaltenen Bestimmung (auszugsweise) wie folgt begründet:

"Die Einfügung des § 32a ist erforderlich, um dem unabhängigen Bundesasylsenat im Verfahren gemäß der §§ 4 bis 6 die größtmögliche Entscheidungsingerenz zu geben. Nachstehende Fälle sind denkbar:

Zu Abs. 1: ...

Zu Abs. 2: Der Berufung wird stattgegeben, wenn der unabhängige Bundesasylsenat feststellt, dass der Bescheid des Bundesasylamtes, dass der Asylantrag offensichtlich unbegründet ist und deshalb abgewiesen wurde, nicht zutrifft. Zwei Entscheidungsstränge sind möglich:

UBAS entscheidet materiell inhaltlich, wenn der Sachverhalt hinreichend festgestellt wurde, andernfalls behebt der unabhängige Bundesasylsenat die Entscheidung des Bundesasylamtes und verweist

zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens zurück. ... "

1.2.2. Anders als nach der davor geltenden Rechtslage (vgl. dazu grundlegend das zu § 32 Abs. 2 erster und zweiter Satz AsylG idF vor der Novelle 2003 ergangene Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175) hat der Gesetzgeber mit dem zweiten Satz der zitierten Bestimmung der Berufungsbehörde für den Fall, dass das Bundesasylamt ihrer Ansicht nach zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 6 AsylG für die Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet angenommen hat, die Möglichkeit eingeräumt, "über den Antrag inhaltlich zu entscheiden", also gemäß § 7 AsylG entweder Asyl zu gewähren und die Flüchtlingseigenschaft festzustellen (§ 12 AsylG) oder den Antrag als (einfach) unbegründet abzuweisen. Diese Entscheidungsbefugnis ist aber an die Voraussetzung geknüpft, dass "der Sachverhalt hinreichend festgestellt wurde". Ist das nicht der Fall, so hat die Berufungsbehörde - wie das schon nach § 32 Abs. 2 zweiter Satz AsylG vor der Novelle 2003 als einzige Möglichkeit vorgesehen war - die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und zur Erlassung eines Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Aus dem Zusammenhang dieser beiden Bestimmungen folgt, dass sich die Wendung, "wenn der Sachverhalt hinreichend festgestellt wurde" auf die Feststellungen im Bescheid des Bundesasylamtes bezieht, und die genannte Voraussetzung nur dann vorliegt, wenn es insoweit keiner Ergänzungen oder Abänderungen im Berufungsverfahren bedarf. In diesem Sinn vertreten auch Feßl/Holzschuster (Asylgesetz 1997, 3. Ergänzung, Juni 2004, Seite 354l) die Auffassung, "eine derartige hinreichende Sachverhaltsfeststellung wird nur dann vorliegen, wenn die inhaltliche Entscheidung auf Grundlage der vom Bundesasylamt getroffenen Feststellungen (d.h. ohne zusätzliche oder abweichende Feststellungen) erlassen werden kann."

Die Annahme eines "hinreichend festgestellten Sachverhaltes" ist demnach jedenfalls ausgeschlossen, wenn sich aus der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides in Verbindung mit der Berufung die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ergibt. Mit anderen Worten, von einem "hinreichend festgestellten Sachverhalt" im Sinne des § 32a Abs. 2 zweiter Satz kann jedenfalls nur dann die Rede sein, wenn auch im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG "der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint". Das ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nämlich dann der Fall, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung - in zulässiger Weise - kein dem Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender Sachverhalt in konkreter Weise behauptet wird. Die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes im Sinne der genannten Bestimmung ist auch dann nicht erfüllt, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substanziiert bekämpft wird (vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2005/20/0198, mit weiteren Nachweisen).

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung setzt ein Vorgehen nach § 32a Abs. 2 zweiter Satz AsylG somit nicht die Durchführung einer Berufungsverhandlung voraus, sondern ist vielmehr nur dann zulässig, wenn deren Durchführung am Maßstab der zitierten Rechtsprechung nicht geboten ist.

1.2.3. Die Beschwerde unternimmt nicht den Versuch, die der rechtlichen Beurteilung im angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Annahmen der belangten Behörde, der Sachverhalt sei im Sinne der erwähnten Bestimmungen "aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt" und "hinreichend festgestellt", in Frage zu stellen. Es wird weder eine Unschlüssigkeit der (in der Berufung nicht substanziell bekämpften und von der belangten Behörde übernommenen) Beweiswürdigung des Bundesasylamtes in Bezug auf das Vorbringen zu einer Verfolgungsgefahr wegen einer angeblichen Teilnahme an gewaltsamen politischen Demonstrationen auf Seiten der (oppositionellen) CUF am 27. Jänner 2001 in Pemba aufgezeigt, noch ein diesbezüglicher Verfahrensmangel geltend gemacht. Auch der Begründung der belangten Behörde, das Berufungsvorbringen verstoße gegen das Neuerungsverbot und es sei keiner der Ausnahmefälle des § 32 Abs. 1 AsylG - in Betracht gekommen wäre nur die Z 4 in der durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2004, G 237/03 u.a., bereinigten Fassung (zur Auslegung dieser Bestimmung siehe das hg. Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2005/01/0313) - gegeben, tritt die Beschwerde mit keinem Wort entgegen. Mit dem in dem erwähnten Erkenntnis angesprochenen "Missbrauch" als Voraussetzung für das Neuerungsverbot hat sich die belangte Behörde in ihrem (schon davor ergangenen) Bescheid zwar nicht auseinandergesetzt. Doch kann diese Frage - ungeachtet der dafür nach dem Berufungsvorbringen bestehenden Anhaltspunkte - im vorliegenden Fall auf sich beruhen, weil auch in Bezug auf das im Berufungsverfahren erstattete Vorbringen ein Zusammenhang mit einem Konventionsgrund nicht zu erkennen ist. Gegen die zutreffende Auffassung, dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beschwerdeführers zu Nigeria lasse sich keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention entnehmen, wird im Übrigen in der Beschwerde auch nichts ins Treffen geführt.

1.2.4. Ausgehend von diesen Prämissen erfolgte die gemäß § 7 AsylG vorgenommene Abweisung des Asylantrages - unabhängig von der Frage, ob Nigeria oder Tansania als Herkunftsstaat im Sinne des § 1 Z 4 AsylG anzusehen ist (dazu unten Punkt 2.) - mangels asylrelevanten bzw. glaubwürdigen Vorbringens des Beschwerdeführers somit zu Recht.

2.1. Der Beschwerdeführer führt in Bezug auf die Bestätigung des Spruchpunktes II. des erstinstanzlichen Bescheides ins Treffen, "wenn überhaupt", dürfte er nur nach Tansania abgeschoben werden. Die "diesbezüglich" von der belangten Behörde "aufrecht erhaltene" Entscheidung des Bundesasylamtes entspreche nicht "dem Staatsbürgerschaftsrecht Nigerias".

2.2.1. Damit knüpft der Beschwerdeführer an sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren an, wonach sich seine Staatsangehörigkeit - trotz seiner Geburt in Nigeria und seiner nigerianischen Mutter - nach der Staatsangehörigkeit seines Vaters richte und er somit Staatsbürger von Tansania sei.

Nach § 8 Abs. 1 AsylG sind die Voraussetzungen für die Feststellung, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers zulässig ist, auf seinen Herkunftsstaat bezogen zu prüfen. Der Herkunftsstaat ist nach § 1 Z 4 AsylG jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitzt oder in dem er, falls er staatenlos ist, seinen früheren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Auf welchen Staat diese Voraussetzungen im Einzelfall zutreffen, ist von den Asylbehörden in der Regel zu ermitteln und festzustellen. Kommen - wie im vorliegenden Fall - nach den Parteibehauptungen zwei mögliche Herkunftsstaaten in Betracht, so bedarf es daher nachvollziehbar begründeter Feststellungen über die Voraussetzungen des § 1 Z 4 AsylG (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 30. September 2004, Zl. 2001/20/0410, mit weiteren Nachweisen; siehe auch das Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0159).

2.2.2. Die belangte Behörde hat die Behauptung des Beschwerdeführers, sein Vater sei Staatsangehöriger von Tansania, nicht als unglaubwürdig beurteilt und sich trotzdem nicht mit dem Vorbringen, demzufolge auch der Beschwerdeführer ein Staatsangehöriger von Tansania sei, auseinandergesetzt. Das bemängelt die Beschwerde mit dem Hinweis auf das nigerianische Staatsbürgerschaftsrecht deshalb zu Recht, weil für die auch schon vom Bundesasylamt vertretene Auffassung, wegen der Geburt des Beschwerdeführers in Nigeria und wegen seines dortigen Aufenthaltes bis zum 21. Lebensjahr sei der Beschwerdeführer nigerianischer Staatsbürger, von den Asylbehörden keine nachvollziehbaren Grundlagen dargetan wurden. Gleiches gilt für die von der belangten Behörde erwähnte - aber aus den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten nicht ersichtliche - bloße Ankündigung des nigerianischen Konsuls über die voraussichtliche Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer. Mangels schlüssig begründeter Klarstellung, welche Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer besitzt, leidet somit der von der belangten Behörde bestätigte Ausspruch nach § 8 Abs. 1 AsylG an einem relevanten Begründungsmangel (vgl. demgegenüber die insoweit anders gelagerten Fälle, die den Erkenntnissen vom 2. März 2006, Zl. 2004/20/0240, und Zl. 2004/20/0415, zugrunde lagen).

3. Hinsichtlich der Bestätigung von Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausspruch über die Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") hat die belangte Behörde überdies rechtlich verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

Die Beschwerde war daher insoweit, als mit dem angefochtenen Bescheid Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurde, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, während der angefochtene Bescheid insoweit, als damit Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war. Soweit mit dem angefochtenen Bescheid auch Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurde, war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG eine Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes vorzunehmen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere unter Bedachtnahme auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. Oktober 2006

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBegründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200012.X00

Im RIS seit

22.11.2006

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten