TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/23 2005/20/0563

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Veröffentlicht am 23.11.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des H in W, geboren 1980, vertreten durch Dr. Matthias Göschke, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. August 2005, Zl. 258.133/1-XIV/39/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein chinesischer Staatsangehöriger, reiste am 2. Juli 2003 in das Bundesgebiet ein und stellte am 15. Juli 2003 einen schriftlichen Asylantrag. Diesen begründete er durch handschriftliche Ergänzung eines Formulars damit, dass seine Familie "ausgestorben" sei. Wegen des Glaubens an Falun Gong seien seine Eltern von der Polizei in China verfolgt worden und die Polizei suche überall auch nach dem Beschwerdeführer, sie verfolge ihn. Abschließend äußerte der Beschwerdeführer die Bitte, "helfen Sie uns, weil wir aus unserem eigenen Glauben Falun Gong praktiziert haben."

Bei der Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 15. Jänner 2004 gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund im Wesentlichen an, er habe von 1999 bis Ende 2002 in Jiujiang ein Geschäft (Großhandel für Bekleidung und Schuhe) betrieben und sei Schutzgelderpressungen durch die Mafia ausgesetzt gewesen. Im Zuge von tätlichen Auseinandersetzungen sei der Beschwerdeführer mehrfach mit einem Messer bedroht und auch verletzt worden. Schließlich habe er sein Geschäft verkaufen und (Ende Mai 2003) ausreisen müssen, weil die Mafia nach ihm suche. Einmal habe er Leute angeheuert, welche die Mafia-Mitglieder mit Messer attackiert hätten und bei einem Vorfall habe der Beschwerdeführer einen Kontrahenten bei Abwehr eines Angriffs mit einem Messer verletzt. Deshalb suche auch die Polizei, die mit diesen Leuten "unter einer Decke steckt", nach dem Beschwerdeführer, den sie in der Vergangenheit - 2001, 2002, genauer könne er das nicht sagen, "denn es passierte oft" - bereits misshandelt habe.

Der Beschwerdeführer wurde auch zur Geschäftsgebarung näher befragt, wobei er den monatlichen Umsatz in einem Rahmen zwischen 10.000 Yuan und 80.000 Yuan und den Gewinn mit 50 Prozent des Umsatzes bezifferte, während er einleitend seinen Verdienst mit nur 2.500 Yuan angegeben hatte. Auf diesbezüglichen Vorhalt erklärte der Beschwerdeführer, man müsse noch die Schutzgeldzahlungen (zuvor mit 500 bis 1.000 Yuan angegeben) abziehen und er habe monatlich 2.500 Yuan gespart. Er habe einen Angestellten gehabt, der 1.000 Yuan im Monat verdient habe.

Erst auf Vorhalt seiner schriftlichen Angaben im Asylantrag erwähnte der Beschwerdeführer auch, seine Eltern seien wegen Falun Gong verfolgt worden und der Vater am 23. August 1999 und die Mutter einen Monat später gestorben. Die Polizei habe die "Rache" des Beschwerdeführers gefürchtet und im März/April 2000 versucht, ihn in ein psychiatrisches Krankenhaus einzuweisen und einer "Gehirnwäsche" zu unterziehen. Das habe er durch Zahlung von Schmiergeld abwenden können. Seither habe der Beschwerdeführer, der Falun Gong nicht praktiziert habe und dazu gestellte Fragen auch nicht (richtig) beantworten konnte, "wegen Falun Gong" bis zur Ausreise keine Probleme mehr gehabt.

Nach Aufhebung eines am 31. Jänner 2005 erlassenen abweisenden Bescheides durch die Berufungsbehörde wurde der Beschwerdeführer am 15. Juni 2005 vom Bundesasylamt ergänzend vernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt brachte der Beschwerdeführer vor, seine Eltern, die - wie der Beschwerdeführer später angab - 1998 verstorben seien, hätten Falun Gong praktiziert. Er habe deren Geschäft übernommen und sei "von Leuten der Mafia geschlagen" worden. Deshalb habe er China verlassen. Weitere Gründe habe er nicht. Auf die Frage, ob er China wegen Falun Gong oder wegen der Mafia verlassen habe, antwortete der Beschwerdeführer "wegen beiden Umständen; hauptsächlich bin ich wegen der Mafia aus China weg." Der Beschwerdeführer wurde dann - wie schon bei der ersten Vernehmung - zum monatlichen Geschäftsumsatz und zum Gewinn befragt. Abweichend zu den ersten Angaben bezifferte er den durchschnittlichen Umsatz mit 4.000 bis 5.000 Yuan und den Gewinn mit 10.000 Yuan. Er habe drei Angestellte gehabt.

Mit Bescheid vom 15. Juni 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 - AsylG ab (Spruchpunkt I.). Weiters stellte es gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach VR - China" fest (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.).

Das Bundesasylamt gelangte aufgrund seiner Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig sei. Diese Einschätzung gründete es zunächst darauf, dass der Beschwerdeführer bei der Asylantragstellung im Formblatt Schwierigkeiten mit den chinesischen Behörden wegen eines Naheverhältnisses zu Falun Gong behauptet habe, während er bei der Vernehmung geltend gemacht habe, als Geschäftsmann von Angehörigen der Mafia bedroht worden zu sein. Weiters stützte sich das Bundesasylamt beweiswürdigend im Wesentlichen noch auf die unterschiedlichen Angaben des Beschwerdeführers zu den Geschäftsumsätzen und zum angeblich erzielten Gewinn sowie zur Zahl der Angestellten. Derart widersprüchliche Angaben ließen sich "im Hinblick auf die Persönlichkeitsstruktur (langjähriger Schulbesuch/behaupteter Geschäftsmann)" des Beschwerdeführers nicht nachvollziehen. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer einerseits niemals ein Geschäft betrieben habe und andererseits nicht von der Mafia bedroht worden sei.

In Bezug auf Falun Gong verwies das Bundesasylamt darauf, dass der Beschwerdeführer "keine Ahnung von Falun Gong" habe, und darauf, dass er nach dem Vorbringen im Antrag Falun Gong praktiziert habe, während er dies in der Folge ausgeschlossen habe. Es sei daher dem Beschwerdeführer auch in Bezug auf sein im Zusammenhang mit Falun Gong stehendes Vorbringen die Glaubwürdigkeit zu versagen.

Demzufolge kam das Bundesasylamt rechtlich zur Abweisung des Asylantrages und zur Versagung von Refoulement-Schutz. Da der Beschwerdeführer "über keinen familiären Bezug in Österreich" verfüge, hielt das Bundesasylamt schließlich auch seine Ausweisung für gerechtfertigt.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen - angefochtenen Bescheid vom 10. August 2005 "gemäß § 7, § 8 Abs. 1 und § 8 Abs. 2 AsylG" ab. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die für zutreffend erachteten - in Bezug auf den beweiswürdigenden Teil, soweit er übernommen wurde, wörtlich wiedergegebenen - (oben dargestellten) Ausführungen des Bundesasylamtes und ging auch kurz auf den Berufungsinhalt ein. Dabei vertrat die belangte Behörde (zusammenfassend) die Auffassung, der Beschwerdeführer hätte in der Lage sein müssen, "zumindest annähernd einhellig und widerspruchsfrei Details zu privaten Gegebenheiten, wie insbesondere Sterbedaten der Eltern, Anzahl der Angestellten und Gewinn/Umsatz im eigenen Geschäft vorzubringen". Aufgrund der unterschiedlichen Darstellung "der wesentlichen Grundelemente des Vorbringens" müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer lediglich "ein konstruiertes Vorbringen" erstattet habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde wendet sich gegen die (von der belangten Behörde übernommene) Beweiswürdigung des Bundesasylamtes, vermag jedoch eine - für die dem Verwaltungsgerichtshof insoweit zukommende Prüfungsbefugnis maßgebliche - Unschlüssigkeit oder mangelnde Nachvollziehbarkeit nicht aufzuzeigen. Entgegen der Beschwerdemeinung ließen sich die gravierend widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers zu den von der belangten Behörde erwähnten Umständen auch nicht bei Bedachtnahme auf "die kulturell unterschiedliche Situation in China" und die nicht näher beschriebene "individuelle Ausnahmesituation" des Beschwerdeführers plausibel erklären. Die belangte Behörde durfte aber auch den Umstand zu Lasten des Beschwerdeführers einbeziehen, dass er die von ihm handschriftlich formulierte, im Zusammenhang mit der Praktizierung von Falun Gong geltend gemachte Verfolgungsgefahr bei der Vernehmung vor dem Bundesasylamt von sich aus nicht erwähnt hatte. Vor dem Hintergrund, dass es diesbezüglich schon im Frühjahr 2000 zu einem Anstaltseinweisungsversuch gekommen sein soll und der Beschwerdeführer danach bis zu seiner Ausreise wegen Falun Gong keine Probleme mehr gehabt habe, ist es nicht nachvollziehbar, dass der schriftliche Asylantrag nur auf diese gar nicht mehr aktuellen Gründe gestützt wurde. Entsprächen die - behauptetermaßen - unmittelbar fluchtauslösenden Nachstellungen durch Angehörige der Mafia als "hauptsächlicher" Fluchtgrund der Wahrheit, wäre doch zu erwarten gewesen, dass sie der Beschwerdeführer sofort geltend macht. Wenn die Beschwerde auch in diesem Zusammenhang den "gänzlich anderen Kulturkreis" und die mit der Erfahrung in China erklärte Unsicherheit des Beschwerdeführers und eine Vorsicht im Umgang mit den österreichischen Behörden ins Treffen führt, so vermag das nicht zu überzeugen. Mit der diesbezüglichen Rechtfertigung des Beschwerdeführers, er sei "sehr nervös" gewesen, habe sich "nicht ausgekannt" und sei "gerade" nach Österreich gekommen, wird nämlich nicht plausibel erklärt, weshalb der Beschwerdeführer in dem erst zwei Wochen nach der Einreise gestellten Asylantrag eine untergeordnete und nicht aktuelle Verfolgungsgefahr erwähnen und den eigentlichen Fluchtgrund verschweigen sollte.

Angesichts des Aussageverhaltens des Beschwerdeführers bestehen gegen die Beweiswürdigung des Bundesaylamtes, der die - überwiegend aus ungeordnet in den Schriftsatz "hineinkopierten" Berichtsteilen bestehende, 114 Seiten umfassende und kaum einen konkreten Fallbezug aufweisende - Berufung argumentativ nicht entgegen getreten war, somit keine Bedenken. Demnach ist es auch nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde diese Beweiswürdigung ohne Weiteres übernommen hat. Dabei begründete die von der belangten Behörde unterlassene (amtswegige) Prüfung, ob Narben des Beschwerdeführers von durch Fremdeinwirkung zugefügten Verletzungen stammen, mangels Relevanz dieses Beweisthemas infolge fehlender Aussagekraft über den tatsächlichen Verursacher - entgegen der Beschwerdemeinung - keinen entscheidungswesentlichen Verfahrensmangel.

Unter dem Gesichtspunkt des Abschiebungsschutzes spricht die Beschwerde die im Erstbescheid festgestellten allfälligen Folgen wegen illegaler Ausreise an, ohne zu beachten, dass der Beschwerdeführer aus China mit seinem eigenen, im Jahr 2000 "problemlos" ausgestellten Reisepass ausgereist ist. Dass der Beschwerdeführer entgegen den diesbezüglichen Feststellungen im Erstbescheid allein wegen der Asylantragstellung im Ausland bei einer Rückkehr nach China mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit - wie die Beschwerde meint - mit Inhaftierung unter Folter zu rechnen hätte, wird nicht nachvollziehbar dargestellt. Angesichts der angenommenen Unglaubwürdigkeit der Fluchtgründe können in diese Überlegungen die behaupteten Gefahren durch die chinesische Mafia und durch die Polizei nicht "miteinfließen". Gleiches gilt für die von der Beschwerde auch erwähnten Maßnahmen gegen "Falun-Gung-Praktizierende". Im Übrigen hat der Beschwerdeführer bei seinen Vernehmungen ausdrücklich in Abrede gestellt, Falun Gong "praktiziert" zu haben.

Da der Beschwerde schließlich auch keine ausreichende Relevanzdarstellung zu dem Vorwurf, die Erstbehörde habe dem Beschwerdeführer das verwertete Dokumentationsmaterial nicht vorgehalten, zu entnehmen ist, vermag die Beschwerde insoweit, als sie sich gegen die Bestätigung der ersten beiden Spruchpunkte des Bescheides des Bundesasylamtes richtet, keine Rechtswidrigkeit aufzuzeigen und kann somit in Bezug auf die Asyl- und Refoulement-Entscheidung nicht erfolgreich sein.

Mit Rechtswidrigkeit belastet ist hingegen der im Bescheid des Bundesasylamtes vorgenommene Ausspruch nach § 8 Abs. 2 AsylG über die Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet". Diesbezüglich wurde nämlich verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

Es war daher die unveränderte Bestätigung von Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben, während die Beschwerde im Übrigen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere unter Bedachtnahme auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. November 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200563.X00

Im RIS seit

29.01.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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