TE Vwgh Erkenntnis 2006/11/29 2006/18/0374

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Veröffentlicht am 29.11.2006
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Index

E3L E02100000;
E3L E05100000;
E3L E19100000;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32004L0038 Unionsbürger-RL Art2 Z2 litc;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z2;
MRK Art8 Abs2;
StGB §84 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des R R in W, geboren 1982, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vom 1. September 2006, Zl. St 64/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 1. September 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Mazedonien, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 11. September 2001 illegal nach Österreich eingereist und habe in der Folge einen Asylantrag gestellt. Über diesen Antrag sei am 12. März 2003 nach den §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 rechtskräftig negativ entschieden worden.

Da der Vater des Beschwerdeführers österreichischer Staatsbürger sei, sei dem Beschwerdeführer am 10. November 2003 eine quotenfreie Erstniederlassungsbewilligung erteilt worden. Diese Bewilligung sei in der Folge bis 29. November 2005 verlängert worden.

Der Beschwerdeführer sei am 21. September 2005 wegen schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten rechtskräftig verurteilt worden.

Weiters sei er am 7. Februar 2006 wegen des Vergehens der schweren Köperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z. 1 StGB, des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z. 1 Waffengesetz und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten, davon acht Monate unter bedingter Strafnachsicht, rechtskräftig verurteilt worden. Der Beschwerdeführer sei vom Gericht für schuldig befunden worden, am 1. Dezember 2005 mit einer Pistole der serbischen Marke "M57", Kaliber 7,65 mm, auf K. geschossen zu haben, wodurch dieser einen Streifschuss an der Innenseite seines rechten Oberschenkels erlitten habe. Die Tat sei mit einem solchen Mittel und auf solche Weise erfolgt, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden sei. Am "1.1.2005" (offenbar gemeint: 1. Dezember 2005) habe der Beschwerdeführer, wenn auch nur fahrlässig, unbefugt eine genehmigungspflichtige Schusswaffe, nämlich die bei der oben angeführten Tat verwendete Pistole, besessen und geführt. Am 24. Jänner 2006 habe der Beschwerdeführer den K. durch Versetzen eines Schlages mit mit Handfesseln geschlossenen Händen gegen den Kopf eine Rissquetschwunde im Bereich der linken Schläfe zugefügt.

Auf Grund der Verurteilungen sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt.

Die Eltern und vier Geschwister des Beschwerdeführers seien in Österreich wohnhaft; der Vater sei bereits österreichischer Staatsangehöriger.

Auf Grund der zweimaligen Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung sei das Aufenthaltsverbot im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Als besonders schwer sei dem Beschwerdeführer die Tat vom 1. Dezember 2005 anzulasten, wo er mit einer Pistole auf eine Person geschossen und diese an der Innenseite des Oberschenkels getroffen habe.

Aus diesen Gründen sei auch von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG Gebrauch zu machen gewesen. Eine Abstandnahme von der Verhängung des Aufenthaltsverbots würde die öffentliche Ordnung insbesondere auf Grund der letztangeführten Straftat zu schwer beeinträchtigen. Gerade bei qualifizierten Delikten sei mit allen (rechtlichen) Mitteln vorzugehen. Der Beschwerdeführer habe Glück gehabt, dass bei der Schussabgabe keine schwerere Verletzung (eventuell sogar mit Todesfolge) eingetreten sei. Hätte die Kugel ein lebenswichtiges Organ oder eine Arterie getroffen, wäre die Verletzung wohl anders verlaufen.

Dem Beschwerdeführer sei eine der Dauer seines Aufenthalts entsprechende Integration zuzubilligen. Weiters sei der inländische Aufenthalt der Familienangehörigen zu beachten. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er hätte in seiner Heimat keine Angehörigen, sei hingegen zu relativieren, weil mit der Verhängung eines Aufenthaltsverbots nicht darüber abgesprochen werde, in welches Land der Beschwerdeführer auszureisen habe bzw. dass er allenfalls abgeschoben werde. Unter Abwägung aller angeführten Umstände und im Hinblick auf die für den weiteren Aufenthalt zu stellende negative Verhaltensprognose wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie. Das Aufenthaltsverbot sei daher im Grund des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.

Den Angaben des Beschwerdeführers, dass er infolge der österreichischen Staatsangehörigkeit seines Vaters als begünstigter Drittstaatsangehöriger gelte, könne schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet habe, von seinem Vater Unterhalt zu bekommen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer meint zunächst, dass er als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn von § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG anzusehen sei. Die in dieser Bestimmung enthaltene Unterscheidung zwischen Drittstaatsangehörigen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, und anderen Drittstaatsangehörigen lasse sich aus der "Unionsbürgerrichtlinie" 2004/38/EG nicht ableiten und sei daher gemeinschaftsrechtswidrig.

Dieses Vorbringen ist schon deshalb nicht zielführend, weil gemäß § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG - in Übereinstimmung mit Art. 2 Z. 2 lit. c der genannten Richtlinie - nur jene über 21-jährigen Kinder eines (u.a.) Österreichers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, als begünstigte Drittstaatsangehörige angesehen werden können, die von diesem österreichischen Elternteil Unterhalt beziehen. Der 24-jährige Beschwerdeführer bezieht jedoch unstrittig von seinem österreichischen Vater keinen Unterhalt.

Der im Zusammenhang mit dem dargestellten Beschwerdevorbringen erfolgten Anregung, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu stellen, ist daher der Boden entzogen.

Da es sich beim Beschwerdeführer um keinen begünstigten Drittstaatsangehörigen im Sinn von § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG handelt, ist die belangte Behörde entgegen der Beschwerdeansicht gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. als Berufungsbehörde zuständig.

Der Beschwerdeführer ist auch nicht als Familienangehöriger eines Österreichers im Sinn von § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG anzusehen, weil er bereits volljährig ist. Die belangte Behörde hat das Aufenthaltsverbot daher zutreffend nicht auf § 87 iVm § 86 FPG, sondern auf § 60 leg. cit. gestützt.

2. Auf Grund der unstrittig feststehenden Verurteilungen des Beschwerdeführers begegnet die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG sei erfüllt, keinen Bedenken.

3. Der Beschwerdeführer hat - trotz einer kurz zuvor, nämlich am 21. September 2005, erfolgten rechtskräftigen Verurteilung wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung - am 1. Dezember 2005 mit einer Pistole auf eine andere Person geschossen und dieser dadurch einen Streifschuss an der Innenseite des Oberschenkels zugefügt. Diese Körperverletzung erfolgte mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist (§ 84 Abs. 2 Z. 1 StGB). Nicht einmal zwei Monate danach hat er dasselbe Opfer neuerlich vorsätzlich am Körper verletzt.

Aus dem Fehlverhalten des Beschwerdeführers ist ersichtlich, dass es sich bei ihm um einen gewaltbereiten Menschen handelt, der nicht einmal vor dem Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe zurückschreckt. Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Umstand, dass ein - inzwischen geschlichteter - Streit zwischen seiner Familie und der Familie des Opfers Hintergrund seiner Gewalttaten gewesen sei, kann die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr nicht in relevantem Ausmaß schmälern, zeigt sein bisheriges Verhalten doch, dass er geneigt ist, Konfliktsituationen - die jederzeit auftreten können - durch Einsatz von Gewalt gegen andere zu lösen.

Soweit der Beschwerdeführer die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe ins Treffen führt, ist ihm zu entgegnen, dass die Fremdenpolizeibehörde die Frage des Dringend-Geboten-Seins eines Aufenthaltsverbots unabhängig von den die teilbedingte Nachsicht der Strafe begründenden Erwägungen des Gerichts und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenpolizeirechts zu beurteilen hat, wobei sich schon aus § 60 Abs. 2 Z. 1 zweiter Fall FPG ergibt, dass auch eine zum Teil bedingt nachgesehene Strafe ein Aufenthaltsverbot rechtfertigen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag Zl. 2006/18/0376).

Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer ausgehende erhebliche Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Gewaltkriminalität ist die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die Voraussetzungen dieser Bestimmung vorlägen, kann daher nicht als rechtswidrig angesehen werden.

4. Bei der Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG hat die belangte Behörde zu Gunsten des Beschwerdeführers den etwa fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet seit September 2001, den inländischen Aufenthalt seiner Eltern und von vier Geschwistern und den Umstand, dass der Vater bereits österreichischer Staatsbürger ist, zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt. Die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration wird in ihrem Gewicht durch die - eine mangelnde Verbundenheit mit den in Österreich geschützten Werten zum Ausdruck bringenden - Straftaten deutlich gemindert. Eine weitere Minderung erfährt die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration durch den Umstand, dass der Beschwerdeführer illegal eingereist ist und sein Aufenthalt bis November 2003 (Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung) - wenn überhaupt - nur bis März 2003 (auf Grund eines sich als erfolglos erwiesenen Asylantrages) berechtigt war.

Den dennoch sehr beachtlichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die - oben 3. dargestellte - aus den Straftaten des Beschwerdeführers resultierende große Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Bei gehöriger Abwägung dieser Umstände kann die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 leg. cit.), selbst dann nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn man dem Beschwerdeführer die in der Beschwerde vorgebrachten Umstände, dass er in Österreich

berufstätig sei und "sämtliche ... Verwandte" im Inland lebten,

zugute hält.

Das Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer wäre in seiner Heimat mangels Vorhandenseins eines familiären oder sozialen Netzwerkes der Ausweglosigkeit ausgesetzt, ist nicht zielführend, wird doch mit dem Aufenthaltsverbot nicht darüber abgesprochen, dass der Beschwerdeführer in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde. Abgesehen davon gewährleistet § 66 FPG nicht die Führung eines Privat- und Familienlebens außerhalb Österreichs (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. September 2006, Zl. 2006/18/0215).

5. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 29. November 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006180374.X00

Im RIS seit

08.01.2007

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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