TE Vwgh Erkenntnis 2007/1/30 2005/21/0323

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Veröffentlicht am 30.01.2007
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §75;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/21/0313 2006/21/0314

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerden 1.) der G, und

2.) des U, beide vertreten durch die WEH Rechtsanwalt GmbH, Dr. Wilfried Ludwig Weh, 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1,

I. gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 6. Juli 2005, Zl. Fr-4250b-69/05, betreffend Ausweisung beider Beschwerdeführer gemäß § 33 Abs. 1 FrG (hg. Zl. 2005/21/0323), und II. gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres jeweils vom 19. Mai 2006, Zl. 143.475/2-III/4/05 (gegenüber der Erstbeschwerdeführerin, hg. Zl. 2006/21/0313), und Zl. 143.475/3-III/4/05 (gegenüber dem Zweitbeschwerdeführer, hg. Zl. 2006/21/0314),

jeweils betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Bund jeweils zur Hälfte Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Tochter, der Zweitbeschwerdeführer der Enkelsohn eines seit 1989 in Österreich lebenden und jedenfalls seit 1990 hier arbeitenden türkischen Staatsangehörigen. Auch die Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige. Sie sind am 22. September 2004 unter Verwendung eines Besuchervisums für die Schweiz (gültig innerhalb bestimmter Zeiten vom 14. September bis zum 26. November 2004) nach Österreich eingereist und haben am 21. Oktober 2004 im Inland einen "Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, allenfalls nach § 19 Abs. 2 Ziffer 6 FrG" gestellt.

Mit dem erstangefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 6. Juli 2005 wies die belangte Behörde (Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg) die beiden Beschwerdeführer gemäß § 33 Abs. 1 des (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, aus dem Bundesgebiet aus.

In ihrer Begründung führte sie - auf das Wesentlichste zusammengefasst - aus, der Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 (ARB) komme nur auf jene türkischen Staatsangehörigen zur Anwendung, die nach seinem Art. 7 die Genehmigung erhalten haben, zu ihren in Österreich lebenden Angehörigen zu ziehen. Eine derartige Bewilligung sei den Beschwerdeführern jedoch nicht erteilt worden. Auf die Richtlinie 64/221/EWG könnten sich die Beschwerdeführer deshalb nicht erfolgreich berufen. Somit sei auch keine Entscheidung durch eine in dieser Richtlinie angeführte unabhängige Stelle erforderlich.

Ein aus Art. 8 EMRK ableitbares individuelles Zuwanderungsrecht (im Sinn des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2003, G 119/03 u.a.) liege nicht vor: Der Familiennachzug sei nicht das einzige adäquate Mittel für die Etablierung eines gemeinsamen Familienlebens. Auch handle es sich nicht um einen Nachzug zum Ehegatten, sondern zum Vater bzw. Großvater. Die (1981 geborene) Erstbeschwerdeführerin befinde sich in einem Alter, in dem sie nicht wie ein Jugendlicher auf den dauernden Kontakt zu einer Bezugsperson angewiesen sei. Auch habe sie bis zu ihrer Einreise am 22. September 2004, der Zweitbeschwerdeführer seit seiner Geburt, getrennt von ihrem Vater (bzw. Großvater) bei den Brüdern und der Mutter der Erstbeschwerdeführerin in der Türkei gewohnt. Beide Beschwerdeführer könnten mit ihrem Vater (bzw. Großvater) auch zusammen leben, wenn dieser in die Türkei ziehe. Dort könnte auch die Familieneinheit gewahrt werden, zumal die gesamte Familie in der Türkei geboren und dort aufgewachsen sei.

Dem Vorbringen, der geschiedene Ehemann der Erstbeschwerdeführerin (Vater des Zweitbeschwerdeführers) werde ihnen bei einer Rückkehr in die Türkei "wehtun", sei zu entgegnen, dass mit der Erlassung einer Ausweisung nicht das Gebot verbunden sei, in ein bestimmtes Land auszureisen. Die Erstbeschwerdeführerin sei bereits seit 2002 geschieden und habe bis zu ihrer Einreise nach Österreich mit dem Zweitbeschwerdeführer in der Türkei gelebt. Zudem verfüge die Türkei über ein rechtsstaatliches System, sodass Drohungen durch Anzeigen und darauf folgende Maßnahmen des Staates begegnet werden könne.

Die Fremden verfügten - so die belangte Behörde weiter in ihrer Begründung - über keine gültige Aufenthaltsberechtigung für Österreich, sodass die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 FrG erfüllt seien.

Auf Grund der dargestellten Lebensverhältnisse (der Vater bzw. Großvater der Beschwerdeführer sei bereits 1989 nach Österreich gezogen, in der Türkei seien die Brüder und die Mutter der Erstbeschwerdeführerin zurückgeblieben; sie verfüge über keine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung und sei in den österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert) sei nur von einem geringfügigen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Fremden auszugehen. Ein solcher sei auf Grund des eminenten Interesses an einem geordneten Fremdenwesen zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

Mit den zweit- und drittangefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden (jeweils) vom 19. Mai 2006 wies die belangte Behörde (Bundesministerin für Inneres) die Anträge der Beschwerdeführer vom 21. Oktober 2004 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß den §§ 21 Abs. 1, 72, 73 und 74 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG ab.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde (zusammengefasst) aus, gemäß § 81 Abs. 1 NAG seien Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei Inkrafttreten des NAG (am 1. Jänner 2006) anhängig seien, nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu Ende zu führen. Die Anträge vom 21. Oktober 2004 seien als solche auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, allenfalls nach § 73 NAG, zu werten. Da die Beschwerdeführer noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich gewesen seien, seien ihre Anträge als Erstanträge zu werten. Diese hätten gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland gestellt werden müssen, die Entscheidung wäre im Ausland abzuwarten gewesen. Die Voraussetzungen für eine Inlandsantragstellung (insbesondere nach § 21 Abs. 2 NAG) seien nicht erfüllt. Ebenso lägen keine besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründe vor. Die (eingangs wiedergegebenen) familiären Verhältnisse reichten dafür nicht aus, ebenso wenig der eigenmächtige Umzug zur "Ankerperson" in Österreich.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobenen, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Beschwerden nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift (betreffend den zweit- und drittangefochtenen Bescheid) durch die belangten Behörden erwogen:

I. Zur Ausweisung:

Aus dem Fehlen einer den Beschwerdeführern erteilten Genehmigung, zu ihrer in Österreich lebenden "Ankerperson" (Vater bzw. Großvater) zu ziehen, wofür ein bloßes Reise- oder Aufenthaltsvisum nicht ausreicht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2005, Zl. 2005/18/0041), folgt, dass die Voraussetzungen des Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 (ARB) nicht erfüllt sind, sodass für die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet aus diesem Abkommen nichts zu gewinnen ist. Von daher gehen die Ausführungen der Beschwerde zu den aus der Richtlinie 64/221/EWG resultierenden Anforderungen an ein Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen ins Leere (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2005, Zl. 2004/21/0178). Der belangten Behörde ist somit zuzustimmen, wenn sie den Tatbestand des § 33 Abs. 1 FrG als verwirklicht ansah.

Nach § 37 Abs. 1 FrG ist (u.a.) eine Ausweisung, durch die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, dass mit einer durch die Ausweisung der Beschwerdeführer bewirkten Trennung von ihrem Vater bzw. Großvater ein Eingriff in das Familienleben verbunden wäre; sie hat diesen jedoch im öffentlichen Interesse für gerechtfertigt erachtet.

Dazu ist auszuführen, dass im Verwaltungsverfahren kein Vorbringen erstattet wurde, nach dem für den Vater bzw. Großvater der Beschwerdeführer - auch wenn er seit 1990 ständig in Österreich niedergelassen und beruflich integriert ist - eine Rückkehr in sein Heimatland unzumutbar wäre. Von daher spricht somit nichts gegen die Führung eines gemeinsamen Familienlebens im Herkunftsstaat (Türkei). Gegenteilige Umstände werden auch in der Beschwerde nicht konkret aufgezeigt.

Will die Ankerperson trotzdem in Österreich bleiben, so ist die Trennung im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Zu Recht ist die belangte Behörde nämlich im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften, welche die Einreise und den Aufenthalt regeln, unter dem Gesichtspunkt eines geordneten Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. August 2006, Zl. 2004/21/0140).

Auch aus der Verweisung auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2003, G 119, 120/03 (= VfSlg. 17.013), können die Beschwerdeführer im vorliegenden Zusammenhang nichts gewinnen, weil keine Gründe ersichtlich sind, die ausnahmsweise eine "Familienzusammenführung" - zwischen dem Vater bzw. Großvater und der erwachsenen Tochter bzw. dem Enkelkind - im Licht des Art. 8 EMRK geboten erscheinen ließen (vgl. neuerlich etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2005, Zl. 2004/21/0178, mwN).

Da im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Inlandsantragstellung bzw. eine Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen nicht gegeben sind, ist es den Beschwerdeführern zuzumuten, einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung von ihrem Heimatland aus zu stellen und dessen Erledigung dort abzuwarten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 2006, Zl. 2004/21/0140, mwN).

Die behaupteten Gefahren im Herkunftsstaat (Gewalttätigkeit und Bedrohung durch den früheren Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater des Zweitbeschwerdeführers, wogegen behördliche Abhilfe in der Türkei nicht zur Verfügung stünde und der sich die Beschwerdeführer auch innerhalb der Türkei nicht entziehen könnten) sind nicht im Ausweisungsverfahren zu prüfen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 22. März 2002, Zl. 99/21/0082, und vom 5. September 2006, Zl. 2006/18/0226).

Es kann der belangten Behörde somit nicht entgegengetreten werden, dass sie in Ansehung der noch nicht lange in Österreich befindlichen Beschwerdeführer, die außer der familiären Bindung zum Vater bzw. Großvater sonst keine besonderen integrationsbegründenden Umstände konkret geltend gemacht haben, die Voraussetzungen nach § 37 Abs. 1 FrG für erfüllt erachtete und keinen Anlass für eine Ermessensübung zu Gunsten der Beschwerdeführer finden konnte.

II. Zu den Niederlassungsbewilligungen:

Vorauszuschicken ist, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" aus humanitären Gründen gemäß § 73 Abs. 4 NAG schon deshalb nicht vorliegen, weil es an Familienangehörigen des Drittstaatsangehörigen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG (Ehegatte oder unverheiratete minderjährige Kinder) und damit an einer Familienzusammenführung (im vorliegenden Zusammenhang: nach § 46 Abs. 4 NAG) fehlt.

Die Beschwerdeführer wenden sich nicht gegen die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich vorliegend um Erstanträge im Sinn des § 2 Abs. 1 Z. 13 NAG handelt. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG wären diese vor der Einreise in das Bundesgebiet im Ausland einzubringen und die Entscheidung darüber im Ausland abzuwarten gewesen. Dass einer der Fälle des § 21 Abs. 2 NAG vorliegen würde, in denen es zulässig wäre, einen Erstantrag im Inland zu stellen, wird in der Beschwerde nicht konkret behauptet. Auch aus dem angefochtenen Bescheid ergeben sich dafür keine Hinweise.

Ein Recht, den Antrag vom Inland aus zu stellen und die Entscheidung hierüber im Inland abzuwarten, käme sachverhaltsbezogen (bei Vorliegen humanitärer Gründe gemäß § 72 NAG) nur gemäß § 74 NAG in Betracht. § 74 NAG räumt dem Fremden jedoch kein durchsetzbares - und vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend zu machendes - Recht auf Inlandsantragstellung ein (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0153, sowie das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/21/0156, mwN). Die abweisende Entscheidung wurde somit zutreffend auf § 21 Abs. 1 NAG gestützt.

Nach dem Gesagten erweisen sich die Beschwerden als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen waren.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. Jänner 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005210323.X00

Im RIS seit

05.03.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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