TE Vfgh Beschluss 2002/10/7 G213/02

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Veröffentlicht am 07.10.2002
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ASVG §73 Abs1a idF BudgetbegleitG 2001
ASVG §589 Abs2
ASVG §460c

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des ASVG betreffend den Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen von Zusatzpensionen aus öffentlichen Mitteln infolge rechtskräftig entschiedener Sache bzw betreffend die Verpflichtung zur Leistung von Sicherungsbeiträgen von Dienstordnungspensionen der Bediensteten der Sozialversicherungsträger infolge zumutbaren Umwegs über eine Rückforderung entrichteter Beiträge im Wege der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes 2001, BGBl. I Nr. 142/2000, wurde ua. in den §73 ASVG ein neuer Abs1a eingefügt, worin bestimmt wird, daß Personen, die Zusatzpensionsleistungen von regelmäßig aus öffentlichen Mitteln finanzierten Rechtsträgern beziehen, von diesen Leistungen Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 3,75 vH des Bezugs zu entrichten haben. (Für Vertragsbedienstete, deren Dienstverhältnis nach dem 31. Dezember 1998 begründet worden ist, gilt ein besonderer Beitragssatz in Höhe von 3,95 vH.)

Diese Bestimmung steht seit dem 1. Jänner 2001 in Kraft (§589 Abs1 ASVG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 142/2000).

Darüber hinaus wurde in §460c ASVG vorgesehen, daß Bezieher von Leistungen auf Grund des Pensionsrechts nach den Dienstordnungen der Bediensteten der Sozialversicherungsträger von diesen Leistungen einen (Sicherungs-)Beitrag in Höhe von 2,3 vH zu leisten haben.

Das Inkrafttreten dieser Bestimmung wird in §589 Abs2 ASVG (idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 142/2000) wie folgt geregelt (der zur Prüfung gestellte Ausdruck ist unterstrichen):

"Die §§... 460c samt Überschrift, ... in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 142/2000 treten mit 1. März 2001 in Kraft, es sei denn, dass bis zu diesem Zeitpunkt in den Dienstordnungen (§31 Abs3 Z9) den §§460b und 460c in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 142/2000 gleichwertige Regelungen getroffen werden. Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen hat durch Verordnung festzustellen, ob eine derartige Gleichwertigkeit vorliegt, wenn diesbezügliche Änderungen der Dienstordnungen bis zum Ablauf des 28. Februar 2001 nach §31 Abs8 vorgelegt werden."

2. Die Antragstellerin war bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten beschäftigt und wurde zum 1. November 1993 wegen Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension in den Ruhestand versetzt. Sie bezieht seitdem - neben ihrer gesetzlichen Pension - die sog. "Dienstordnungspension", also eine Zusatzpension nach der Dienstordnung A (Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern).

Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2002 beantragt die Antragstellerin - gestützt auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG -, der Verfassungsgerichtshof möge §73 Abs1a, §460c sowie den Ausdruck "460c samt Überschrift" in §589 Abs2 ASVG idF des Budgetbegleitgesetzes 2001 als verfassungswidrig aufheben. Inhaltlich wendet sie sich dagegen, daß von ihrer "Dienstordnungspension" seit dem 1. Jänner 2001 Krankenversicherungsbeiträge (§73 Abs1a ASVG) sowie Sicherungsbeiträge (§460c ASVG) abgezogen würden; diese Abzüge hätten nämlich zur Folge, daß sich ihre Nettopension monatlich um 3,17 vH bzw. um € 53,43 vermindert habe.

3. Der Antrag ist unzulässig:

3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (zB VfSlg. 9735/1983, 10.394/1985, 12.633/1991, 12.778/1991, 12.813/1991) kann ein bereits aufgehobenes oder als verfassungswidrig festgestelltes Gesetz nicht neuerlich Gegenstand eines entsprechenden Aufhebungs- oder Feststellungsbegehrens sein.

Da der vom Verfassungsgerichtshof von Amts wegen in Prüfung gezogene §73 Abs1a ASVG idF des Budgetbegleitgesetzes 2001 mit hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2002, G8/02, als verfassungswidrig aufgehoben worden ist (s. die Kundmachung BGBl. I Nr. 151/2002; die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2002 in Kraft), ist der beim Verfassungsgerichtshof am 26. Juni 2002 eingelangte Antrag nunmehr insoweit, als er (auch) gegen diese Bestimmung gerichtet ist, schon wegen des Prozeßhindernisses der rechtskräftig entschiedenen Sache unzulässig und aus diesem Grund zurückzuweisen.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, daß die Antragstellerin durch die in §460c ASVG getroffene Regelung unmittelbar in ihrer Rechtssphäre berührt wird. Dennoch ist der Antrag (auch) insoweit als unzulässig zu qualifizieren:

3.2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof seit seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung ausführt, setzt die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen, und daß die durch Art140 Abs1 bzw. Art139 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumten Rechtsbehelfe dazu bestimmt sind, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10.481/1985, 11.684/1988).

Es ist nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (s. zuletzt zB VfSlg. 14.310/1995, 15.030/1997, 15.217/1998, 15.343/1998) weiters prinzipiell zumutbar, den Klagsweg zu beschreiten, im folgenden gerichtlichen Rechtsstreit Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften vorzubringen und vor dem in zweiter Instanz zur Entscheidung berufenen Gericht die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl. zB VfSlg. 8979/1980, 9394/1982, 9695/1983, 9926/1984, 10.445/1985, 10.785/1986, 11.551/1987, 11.759/1988, 12.046/1989). Wollte man wegen des Prozeßrisikos und der damit verbundenen Kostenfolgen oder wegen der damit verbundenen Zeitdauer grundsätzlich davon ausgehen, daß die Beschreitung des Gerichtsweges unzumutbar sei, so verlöre die in Art140 Abs1 letzter Satz B-VG enthaltene Einschränkung "sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung ... für diese Person wirksam geworden ist" ihren hauptsächlichen Anwendungsbereich (vgl. VfSlg. 10.785/1986, 11.759/1988, 11.889/1988 ua.).

Nur in besonderen Fällen ist es dem Antragsteller nicht zumutbar, die ordentlichen Gerichte anzurufen, so etwa dann, wenn von ihm ein verbotenes Handeln gesetzt werden müßte, um ein gerichtliches Verfahren zu provozieren (zB VfSlg. 13.659/1993 mwN). Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Antragstellerin ins Treffen geführten Erkenntnis VfSlg. 13.880/1994, das die Gesetzmäßigkeit der Satzung eines Mantelkollektivvertrags zum Gegenstand hatte; in diesem Erkenntnis wurde ausgesprochen, daß es dem antragstellenden Arbeitgeber ua. "angesichts der arbeitsrechtlichen Folgen einer auch nur teilweisen (rechtswidrigen) Nichtleistung des Entgelts" nicht zumutbar sei, seine rechtlichen Bedenken gegen die betreffende Satzungserklärung über die ordentlichen Gerichte an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, weshalb sein Verordnungsprüfungsantrag zulässig sei. Davon kann hier aber nicht die Rede sein.

Angesichts der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers, die Initiative zur Prüfung genereller Normen - vom Standpunkt des Betroffenen aus - zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet, kommt es dagegen nicht auf die Erfolgschancen der Antragstellerin im Gerichtsverfahren, sondern bloß darauf an, daß sich im Zuge eines derartigen Verfahrens Gelegenheit bietet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften über die ordentlichen Gerichte an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (vgl. VfSlg. 9170/1981, 9285/1981, 10.592/1985, 11.889/1988). Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter eines Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. zB VfSlg. 9939/1984, 11.454/1987). Ob und inwieweit allerdings das Gericht auf die Kritik der Partei des Gerichtsverfahrens an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzesbestimmungen eingeht, ist hiebei nicht ausschlaggebend (vgl. VfSlg. 11.890/1988, 12.046/1989, 13.659/1993).

3.2.2. Der Antragstellerin ist darin zuzustimmen, daß die von ihr bezogene "Dienstordnungspension" aus einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis zur Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten erfließt (s. ausdrücklich §460 Abs1 ASVG). Die den Dienstverträgen zugrunde liegenden Dienstordnungen, die auch die pensionsrechtlichen Verhältnisse der Bediensteten der Sozialversicherungsträger zu regeln haben (§§31 Abs3 Z9, 460 Abs1 ASVG), haben die Rechtsqualität eines Kollektivvertrags (zB OGH Arb 8913, 9581, 9200, 10.241, 10.945, 11.476; jüngst VwGH 30. April 2002, Zl. 2001/08/0143).

Streitigkeiten aus dem Einzeldienstvertrag bzw. aus der diesem zugrunde liegenden Dienstordnung gehören vor die ordentlichen Gerichte als Arbeits- und Sozialgerichte (s. zB OGH 14. Februar 1996, 9 Ob A7/96, und 16. Oktober 1996, 9 Ob A2182/96i; in beiden Fällen war über die Höhe der "Dienstordnungspension" zu entscheiden).

Daraus ergibt sich jedoch, daß die Antragstellerin über einen - ihr auch zumutbaren - Weg verfügt, ihre Bedenken gegen §460c ASVG (sowie gegen den damit zusammenhängenden §589 Abs2 ASVG) anders als im Wege eines Gesetzesprüfungsantrags an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen: Es steht ihr nämlich offen, die von der ihr gebührenden "Dienstordnungspension" - ihres Erachtens:

verfassungswidriger Weise - in Abzug gebrachten Sicherungsbeiträge beim zuständigen ordentlichen Gericht (als Arbeits- und Sozialgericht) einzuklagen und im Verfahren vor dem in zweiter Instanz einschreitenden Gericht - Bezug nehmend auf ihre Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §460c ASVG - anzuregen, daß dieses Gericht einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof richten möge. Falls das zweitinstanzliche Gericht die von der Antragstellerin vorgebrachten Bedenken teilt oder aus eigenem Bedenken gegen §460c ASVG (sowie gegen §589 Abs2 ASVG) hegt, wäre es verpflichtet, einen derartigen Antrag zu stellen (Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG).

Der Antrag war somit (auch) insoweit mangels Legitimation der Antragstellerin als unzulässig zurückzuweisen.

4. Dies konnte ohne weiteres Verfahren und vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs3 Z2 litd bzw. lite VfGG).

Schlagworte

Sozialversicherung, Krankenversicherung, Beitragspflicht, Rechtskraft, VfGH / Individualantrag, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G213.2002

Dokumentnummer

JFT_09978993_02G00213_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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