TE Vwgh Erkenntnis 2007/4/24 2006/11/0130

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Veröffentlicht am 24.04.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §8 Abs2;
FSG-GV 1997 §3 Abs1 Z3;
FSG-GV 1997 §6 Abs1 Z6;
FSG-GV 1997 §6;
FSG-GV 1997 §7 Abs1;
FSG-GV 1997 §7 Abs2 Z1;
FSG-GV 1997 §8 Abs1;
FSG-GV 1997 §8 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der A in N, vertreten durch Dr. Werner Stolarz, Dr. Ernst Summerer und Mag. Rainer Ebert Rechtsanwälte KEG in 2020 Hollabrunn, Hauptplatz 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 21. Juni 2006, Zl. Senat-AB-06-2025, betreffend Verlängerung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (UVS) den Antrag der Beschwerdeführerin vom 17. Februar 2006 auf Verlängerung ihrer bis 20. März 2006 befristet ausgestellt gewesenen Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Klasse F wegen gesundheitlicher Nichteignung ab.

Begründend führte der UVS nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens aus, über Ersuchen der Berufungsbehörde habe die ärztliche Amtssachverständige der Erstbehörde am 23. Mai 2006 ihr Gutachten vom 9. März 2006 ergänzt und ausgeführt, die Beschwerdeführerin weise laut Befunden der Neuroophtalmologischen Ambulanz seit 1991 eine gleich bleibende Sehleistung mit Korrektur von 0,1 auf einem und 0,1 auf dem anderen Auge auf. Am rechten Auge liege eine Maculavernarbung, am linken Auge eine Opticusatrophie vor. In der Perimetrie fänden sich beidseits relative periphere Gesichtsfeldausfälle. Die Mindestsehleistung, wie sie zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse F gefordert sei, werde damit nicht erreicht, der Gesichtsfelddefekt betreffe beide Augen, eine Gewöhnung an die hochgradige Sehbehinderung bringe keine Eignung von Kraftfahrzeugen und eine Probefahrt könne auf Grund der erheblichen Gefährdung und des hohen Risikos im Straßenverkehr durch die hochgradige Sehbehinderung nicht durchgeführt werden. Die Eignung der Beschwerdeführerin zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse F sei nicht gegeben. Diesem schlüssigen und ausführlichen amtsärztlichen Gutachten zufolge lägen bei der Beschwerdeführerin die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung der Klasse F nicht vor. Die Beschwerdeführerin verfüge nicht nur nicht über die erforderliche Sehschärfe, auch nicht annähernd, es sei darüber hinaus auch ein Gesichtsfelddefekt auf beiden Augen vorhanden. Weder sei eine Kompensation der Behinderung durch Auflagen möglich, noch führe eine Gewöhnung an diese hochgradige Sehbehinderung zu einer Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen, weil trotz der zweifellos gegebenen guten Kenntnisse der örtliche Gegebenheiten durch die Beschwerdeführerin diese auf Grund der massiven Einschränkung ihres Sehvermögens, insbesondere auch des beidseitigen Gesichtsfelddefekts, nicht im Stande sei, allfällige auftauchende Gefahren im Verkehr rechtzeitig wahrzunehmen. Die Einschränkung des Sehvermögens sei nach den gutächtlichen Ausführungen so groß, dass nicht einmal eine Probefahrt durchgeführt werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

...

Gesundheitliche Eignung

§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Klassen von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein und ist von einem im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde, die das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung durchführt, in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.

(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.

...

5) Eine Person, deren Lenkberechtigung durch den Ablauf einer Befristung erloschen ist und die den Antrag auf Verlängerung der Lenkberechtigung vor Ablauf der Befristung gestellt hat, ist berechtigt, für längstens drei weitere Monate nach Ablauf der Befristung im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge der entsprechenden Klasse oder Unterklasse zu lenken, wenn die rechtzeitige Verlängerung der Lenkberechtigung ohne Verschulden der betreffenden Person nicht möglich war. Über die rechtzeitige Einbringung des Antrages ist von der Behörde eine Bestätigung auszustellen, die der Lenker gemäß § 14 Abs. 1 mit sich zu führen hat. Auf die im ersten Satz genannte Berechtigung sind die Bestimmungen gemäß §§ 24 ff über die Entziehung der Lenkberechtigung sinngemäß anzuwenden. Die Berechtigung erlischt jedenfalls mit Erlassung eines abweisenden Bescheides über den Antrag auf Verlängerung der Lenkberechtigung.

..."

1.2. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen der FSG-GV lauten (auszugsweise):

"Begriffsbestimmungen

§ 1. (1) Im Sinne dieser Verordnung bedeutet:

...

8. Gruppe 1: Kraftfahrzeuge der Klassen A, B, B+E und F,

...

Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen

§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

...

3. ausreichend frei von Behinderungen ist und

...

Behinderungen

§ 6. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend frei von Behinderungen gilt eine Person, bei der keine der folgenden Behinderungen vorliegt:

...

6. mangelhaftes Sehvermögen oder

...

Sehvermögen

§ 7. (1) Alle Bewerber um eine Lenkberechtigung müssen sich einer Untersuchung unterziehen, um sicherzustellen, dass sie ein für das sichere Lenken von Kraftfahrzeugen ausreichendes Sehvermögen haben. In Zweifelsfällen ist der Bewerber von einem Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie zu untersuchen. Bei dieser Untersuchung ist unter anderem die Sehschärfe, das Gesichtsfeld sowie die Fähigkeit zum Dämmerungssehen zu untersuchen und auf fortschreitende Augenkrankheiten zu achten.

(2) Die im § 6 Abs. 1 Z 6 angeführte mangelhafte Sehschärfe liegt vor, wenn nicht erreicht wird eine Sehschärfe mit oder ohne Korrektur

1. für das Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 von mindestens 0,5 auf einem Auge und von mindestens 0,4 auf dem anderen Auge;

...

Mängel des Sehvermögens

§ 8. (1) Wird die in § 7 Abs. 2 erforderliche Sehschärfe nur mit Korrektur erreicht, so gilt die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen als gegeben, wenn

1. bei Lenkern der Gruppe 1

a) die Gläserstärke nicht mehr als +8 oder -10 Dioptrien sphärisch und +-2 Dioptrien zylindrisch beträgt und die Korrekturdifferenz nicht mehr als 2 Dioptrien zwischen den beiden Augen beträgt oder

b) eine entsprechende fachärztliche Stellungnahme vorliegt, die die für das Lenken von Kraftfahrzeugen notwendige Sehschärfe bestätigt oder

c) die erforderliche Sehschärfe mittels Kontaktlinsen erreicht wird, und wenn auf Grund der bisherigen Verwendung von Sehbehelfen keine Bedenken bestehen;

2. bei Lenkern der Gruppe 2 das Sehvermögen ohne Korrektur auf keinem Auge weniger als 0,05 beträgt und

a) die Gläserstärke nicht über +8 oder -8 Dioptrien sphärisch und +- 2 Dioptrien zylindrisch beträgt und die Korrekturdifferenz nicht mehr als 2 Dioptrien zwischen den beiden Augen beträgt oder

b) die erforderliche Sehschärfe mittels Kontaktlinsen erreicht wird.

(2) Wird eine fortschreitende Augenkrankheit festgestellt oder angegeben, so kann eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen erteilt oder belassen werden.

(3) Ergibt die fachärztliche Untersuchung einen Verdacht auf andere Augenerkrankungen, die das sichere Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken würden, so kann in Ausnahmefällen auf Grund einer erfolgreichen Beobachtungsfahrt eine befristete Lenkberechtigung der Gruppe 1 erteilt werden.

(4) Ergibt die fachärztliche Untersuchung ein horizontales Gesichtsfeld von weniger als 120 Grad auf einem Auge, so sind die Bestimmungen des Abs. 5 über die funktionelle Einäugigkeit anzuwenden; betrifft der Gesichtsfelddefekt beide Augen, darf eine Lenkberechtigung weder erteilt noch belassen werden.

..."

2. Die Beschwerde ist begründet:

2.1. Unstrittig ist im Beschwerdefall, dass die Beschwerdeführerin auf beiden Augen (mit Korrektur) jeweils einen Visus von 0,1 aufweist, und zwar unverändert seit 1991. Ebenso unstrittig ist, dass die Beschwerdeführerin über eine (zuletzt am 20. März 2001) bis 20. März 2006 befristet erteilte Lenkberechtigung (u.a.) für die Klasse F verfügte und bereits am 17. Februar 2006 einen Antrag auf Verlängerung gestellt hatte.

Rechtlich folgt daraus zunächst, dass die Beschwerdeführerin infolge ihres rechtzeitig vor Ablauf der Befristung der Lenkberechtigung gestellten Antrags auf Verlängerung gemäß § 8 Abs. 5 erster Satz FSG berechtigt war, für (längstens) drei weitere Monate nach Ablauf der Befristung im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge der Klasse F zu lenken.

2.2. Zutreffend gelangte die belangte Behörde zur Auffassung, dass die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihren Visus auf beiden Augen über eine mangelnde Sehschärfe gemäß § 6 Abs. 1 Z. 6 iVm § 7 Abs. 2 Z. 1 FSG-GV verfügt und eine Eignung auch im Wege des § 8 Abs. 1 FSG-GV wegen des Nichtvorliegens der geforderten Sehschärfe selbst mit Korrektur ausscheidet. Es unterliegt im Beschwerdefall keinem Zweifel, dass damit eine gravierende Behinderung der Beschwerdeführerin im Sinne des § 6 FSG-GV vorliegt.

Die Beschwerdeführerin hat freilich schon in ihrer Berufung vorgebracht, sie fahre seit 22 Jahren mit dem Traktor und mache neben der Feldarbeit auch Transporte von und zu den Feldern und Weingärten des elterlichen Betriebes. Da sie alle Wege und Straßen in ihrer näheren Umgebung sehr gut kenne, sei es ihr auch gelungen, trotz ihrer eingeschränkten Sehkraft ihre Bewirtschaftungstätigkeit erfolgreich auszuüben. Seit 22 Jahren stehe daher unter Beweis, dass ihre Sehkraft ausreichend sei, um als Ortskundige im Nahverkehr mit dem Traktor zu fahren.

Dass diese Angaben der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Lenkens von Traktoren nicht zuträfen, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Sie hat auch nicht etwa festgestellt, dass die Beschwerdeführerin in den letzten Jahren, insbesondere während der Gültigkeitsdauer der zuletzt am 20. März 2001 erteilten Lenkberechtigung, im Straßenverkehr auffällig geworden wäre.

Bei diesem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens durfte die belangte Behörde angesichts der Besonderheiten des Beschwerdefalls von der schon im § 8 Abs. 2 letzter Satz FSG vorgesehenen Anordnung einer Beobachtungsfahrt nicht absehen. Die Amtsärztin hielt in ihrer Gutachtensergänzung vom 23. Mai 2006 zwar eine Kompensation der Sehbehinderung der Beschwerdeführerin für nicht möglich, diese Einschätzung ist allerdings nicht näher begründet und enthält keine Auseinandersetzung mit dem nicht schon auf den ersten Blick unplausiblen Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe in den letzten Jahren bei unveränderter Sehbehinderung wegen ihrer Vertrautheit mit der näheren Umgebung und des landwirtschaftlichen Umfeldes erfolgreich Traktoren lenken können. Soweit die Amtsärztin sogar eine Beobachtungsfahrt für undurchführbar hielt, weil das Risiko im Hinblick auf die Sehbehinderung der Beschwerdeführerin zu hoch wäre, entbehrt auch diese Einschätzung einer ausreichenden Begründung. Sie übersieht überdies, dass jede im System des FSG vorgesehene Beobachtungsfahrt zur Feststellung, ob eine ausreichende gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen besteht, zwangsläufig gewisse Risken im Straßenverkehr mit sich bringt, die vom Gesetzgeber aber in Kauf genommen wurden. Das von der belangten Behörde verwertete Sachverständigengutachten ist daher entgegen deren Ansicht in entscheidenden Punkten nicht schlüssig.

Hätte eine Beobachtungsfahrt, wie sie schon § 8 Abs. 2 letzter Satz FSG für Zweifelsfälle vorsieht, ergeben, dass die Beschwerdeführerin ungeachtet ihrer mangelnden Sehschärfe - nicht zuletzt im Hinblick auf die mit einem Traktor üblicherweise eingehaltenen geringen Geschwindigkeiten - in der Lage ist, Traktoren sicher zu lenken, wäre die Erteilung einer Lenkberechtigung für die Klasse F, gegebenenfalls unter Einschränkungen, zulässig gewesen.

Soweit sich die belangte Behörde in ihrer abweisenden Entscheidung auch auf eine im amtsärztlichen Gutachten erwähnte Gesichtsfeldeinschränkung bezieht, bleibt schon mangels Feststellungen zu Art und Ausmaß derselben offen, inwieweit dadurch die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse F ausgeschlossen sein sollte. In Ermangelung entsprechender Feststellungen kann vom Verwaltungsgerichtshof insbesondere nicht beurteilt werden, ob im Falle der Beschwerdeführerin § 8 Abs. 4 FSG-GV einschlägig ist.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 24. April 2007

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006110130.X00

Im RIS seit

17.05.2007

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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