TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/26 2006/19/0561

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Veröffentlicht am 26.09.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Raoul Troll, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Schmiedgasse 34/3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Juni 2005, Zl. 244.195/0-VIII/22/03, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe in Tschetschenien, gelangte im Februar 2003 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Zu den Fluchtgründen wurde er - nach Zurückweisung des Antrages gemäß § 4 Asylgesetz 1997 (AsylG), Abschiebung in die Slowakische Republik, Rückkehr nach Österreich und Stellung eines Folgeantrages - am 28. Oktober 2003 vor dem Bundesasylamt vernommen. Er gab an, aus Gudermes zu stammen und geflohen zu sein, um dem Militärdienst zu entgehen. Im Zeitpunkt seiner Ausreise nach Erhalt eines Passes am 29. Jänner 2003 sei seine Einberufung bevorgestanden. Im Jahr 2001 sei er unter dem Vorwurf, gegen sie gekämpft zu haben, "von den Russen verhaftet" worden. Sein Vater habe ihn freikaufen können, er habe sich von da an aber regelmäßig melden müssen und sei bei einer Gerichtsverhandlung im März 2002 wegen des Vorwurfes, er hätte ein Militärfahrzeug zu sprengen versucht, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedingt verurteilt worden. Auch danach habe er sich regelmäßig melden müssen. Würde er jetzt zurückkehren, so würde er auch Schwierigkeiten bekommen, weil er vor Ablauf der Probezeit das Land verlassen habe.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 29. Oktober 2003 gemäß § 7 AsylG ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach "Russland" aber gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Es erachtete das Vorbringen als glaubwürdig, aber nicht asylrelevant.

In seiner Berufung gegen die Abweisung des Asylantrages führte der Beschwerdeführer aus, die vom Bundesasylamt angenommenen Möglichkeiten, sich dem Wehrdienst zu entziehen, gebe es nicht und ihm drohe im Militärdienst die Gefahr, von russischen Angehörigen des Militärs schikaniert, misshandelt oder sogar getötet zu werden. Dieses Vorbringen untermauerte er mit Berichtsmaterial über die systematische Misshandlung von Rekruten in der russischen Armee ("Dedowschtschina"), wozu er ausführte, wenn es schon russisch stämmigen Rekruten so ergehe, so könne man sich "leicht ausrechnen, wie viel schlimmer die Situation für Tschetschenen" sei. Ihm sei ein Vorfall bekannt, bei dem 250 tschetschenische Rekruten "von russischen Angehörigen des Militärs erschossen" worden seien. Außerdem wäre er unter Umständen vor die Wahl gestellt, entweder gegen sein eigenes Volk zu kämpfen oder dem Befehl nicht Folge zu leisten und deshalb misshandelt oder getötet zu werden. Schließlich verwies der Beschwerdeführer auch noch einmal auf die Gefahr, die ihm wegen der Verurteilung und seiner Flucht während der Probezeit drohe. Er würde sofort ins Gefängnis kommen und "auf jeden Fall misshandelt, gefoltert oder sogar getötet werden".

In der Berufungsverhandlung am 29. März 2004 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Vorbringen ergänzend einvernommen, wobei er angab, er habe das versuchte Attentat auf ein Militärfahrzeug wahrheitswidrig gestanden und das ganze Verfahren habe nur der Erpressung von Geld von ihm und seiner Familie gedient. Nach seiner Ausreise sei die von ihm vorgelegte Vorladung für den 21. Mai 2003 gekommen und es sei bei seiner Mutter nach ihm gefragt worden. In Rostow, wo er sich als Kind einige Jahre lang aufgehalten habe, lebten Verwandte von ihm, es sei dort aber "dasselbe wie in Tschetschenien", man müsse sich registrieren und mit seiner bedingten Strafe hätte er sich dort nicht aufhalten können. In Österreich lebten zwei Schwestern, ein Bruder und zwei Cousins des Beschwerdeführers, die alle schon Asyl bekommen hätten.

Mit dem angefochtenen - fünfzehn Monate später erlassenen - Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Sie traf umfangreiche Feststellungen zur Lage in Tschetschenien (nach dem Stand von März 2004) und stellte in Bezug auf den Beschwerdeführer im Wesentlichen fest:

"Im Oktober/November 2001 soll der Berufungswerber drei Tage lang in Haft gewesen sein, ehe ihn sein Vater mit der Auflage, Tschetschenien nicht verlassen zu dürfen, freigekauft hatte. In der Folgezeit soll er immer wieder zu polizeilichen Einvernahmen vorgeladen worden sein.

Am 04. März 2002 hat der Berufungswerber in einer Gerichtsverhandlung eine Haftstrafe von einem Jahr bedingt für ein geplantes Attentat auf ein Militärfahrzeug und den Besitz einer Handgranate erhalten. Obwohl der Berufungswerber diese Straftat nicht begangen haben will, bekannte er sich schuldig. Die geringe Haftstrafe resultierte aus Schmiergeldzahlungen an den Richter durch den Vater des Asylwerbers.

Im Januar 2003 soll dem Berufungswerber im Zuge der Abholung seines umgeschriebenen russischen Passes am Passamt die Einberufung zum Militär eröffnet worden sein. Wegen der in der russischen Föderation üblichen Schikanen in der Armee ('Dedowschtschina') wollte der Berufungswerber seinen Militärdienst nicht ableisten. Während des zweiten Tschetschenienkrieges hat der Berufungswerber nicht aktiv an den Kampfhandlungen teilgenommen.

Der Asylwerber verließ dann zwei Tage später die Heimat. Seiner Mutter wurde dann eine Ladung für den 21. Mai 2003 zugestellt. Der Asylwerber vermutet den Grund dieser in der Verletzung der Auflage, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden."

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde zu diesen Feststellungen im Wesentlichen aus, es sei "jedenfalls" glaubwürdig, "dass der Asylwerber den Militärdienst nicht ableisten möchte". Hinsichtlich der näheren Umstände der bevorstehenden Einberufung hätten seine Angaben näher dargestellte Widersprüche enthalten. Das "Vorbringen zum Vorwurf der geplanten Sprengung eines Militärfahrzeuges" sei auf Grund der - näher dargestellten - Widersprüche in den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers eine "unglaubwürdige Fluchtgeschichte". "Zusammenfassend" sei "festzuhalten, dass die Berufungsbehörde hinsichtlich jener Fakten, die nicht mit Widersprüchen im Zusammenhang stehen, dem Vorbringen des Berufungswerbers durchaus folgt und ihm Glaubwürdigkeit zubilligt. Wo jedoch Widersprüche bestehen, nämlich hinsichtlich der Sprengung eines Militärfahrzeuges und dem Grund der Vorladungen ist nach Auffassung der Berufungsbehörde keine Glaubwürdigkeit gegeben".

In rechtlicher Hinsicht prüfte die belangte Behörde zunächst, ob der Beschwerdeführer mit verschiedenen in Österreich gesetzten Straftaten einen Asylausschlussgrund im Sinne des § 13 Abs. 2 AsylG verwirklicht habe, was die belangte Behörde unter Zugrundelegung der hg. Rechtsprechung verneinte. Die Bestätigung der Abweisung des Asylantrages begründete sie zunächst mit folgenden Ausführungen zur Wehrdienstverweigerung als Fluchtgrund:

"Die Weigerung der Ableistung des Militärdienstes begründet keine Flüchtlingseigenschaft, da es sich beim Militärdienst um eine von jedem Staat seinen männlichen Bürgern in gleicher Weise auferlegte Pflicht handelt und sich somit nicht als individuelle, konkret gegen den Asylwerber gerichtete Verfolgungshandlung darstellt. Abgesehen hiervon sind auch in Kasernen westlicher Länder Schikanen durch Vorgesetzte aber auch unter den Kameraden im Alltag an der Tagesordnung. Des Weiteren ist bei Befolgung des Einberufungsbefehles die Gefahr des Erzwingens von konventionswidrigen Handlungen laut den vorliegenden Berichten nicht erkennbar."

Daran anschließend führte die belangte Behörde zum "Vorbringen hinsichtlich der versuchten Sprengung eines Militärfahrzeuges und dem Grund der Vorladungen" aus, diesem Vorbringen fehle "selbst unter der Prämisse", dass ihm "Glaubwürdigkeit zukäme", die Asylrelevanz, weil die "Motive dieser Gegebenheiten offensichtlich ihren Ursprung in der Erlangung eines monetären Vorteiles haben" würden. Dass der Beschwerdeführer nicht gesucht worden sei, ergebe sich daraus, dass man ihn bei Abholung des Passes nicht festgenommen habe. Schließlich stehe ihm auch bei seinen Verwandten in Rostow eine inländische Fluchtalternative offen. Dem stehe "auch die nach seiner Ausreise erfolgte Vorladung vor die Polizei (zu ergänzen: in Gudermes) nicht entgegen, weil diese nach dem inhaltlichen Grund - wie in der Beweiswürdigung ausgeführt - unglaubwürdig erscheint".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Begründung eines Bescheides hat gemäß § 60 AVG die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde dem jedenfalls insofern nicht entsprochen, als in ihren Feststellungen ausdrücklich und eindeutig - nämlich nicht nur in der Form von Äußerungen darüber, was stattgefunden haben "solle" - festgestellt wird, der Beschwerdeführer sei "für ein geplantes Attentat auf ein Militärfahrzeug und den Besitz einer Handgranate" verurteilt worden, während die belangte Behörde dies in ihren Ausführungen zur Beweiswürdigung offenbar nicht glauben will und auch der rechtlichen Beurteilung nicht erkennbar zugrunde legt. Damit ist jedenfalls die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer hätte sich ungeachtet des auf seine Verurteilung bezogenen Einwandes bei seinen Verwandten in Rostow niederlassen können, nicht schlüssig begründet. Ob es auf den Grund der Vorladungen in diesem Zusammenhang überhaupt ankommt, kann dabei dahinstehen. Dass der Beschwerdeführer bei der Abholung des Passes - bevor er sich der Melde- und in weiterer Folge der Wehrpflicht entzog - nicht festgenommen wurde, lässt sich seinem Vorbringen ebenfalls nicht schlüssig entgegenhalten.

In Bezug auf die Entziehung vom Wehrdienst, von der die belangte Behörde in sachverhaltsmäßiger Hinsicht offenbar ausgehen wollte, wenngleich ihr die Darstellung im Einzelnen widersprüchlich erschien, hätte sie sich angesichts des Berufungsvorbringens nicht auf Bemerkungen zur "Dedowschtschina" im allgemeinen beschränken dürfen, wobei der Vergleich mit den Verhältnissen "auch in Kasernen westlicher Länder" aber auch diesfalls wohl nicht sachgerecht wäre. Zu prüfen wäre vielmehr gewesen, ob und in welchem Ausmaß tschetschenische Rekruten einer diskriminierenden Behandlung unterworfen würden, wobei im Fall des Beschwerdeführers auch die von der belangten Behörde ausdrücklich festgestellte Verurteilung "für ein geplantes Attentat auf ein Militärfahrzeug" in die Betrachtung einzubeziehen gewesen wäre.

Schließlich ist auch anzumerken, dass sich die belangte Behörde bei der Beurteilung der möglichen Asylrelevanz der Verweigerung des Militärdienstes in Tschetschenien nicht mit der hg. Judikatur zu diesem Thema auseinandergesetzt hat, wozu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das - einen möglichen Militäreinsatz in Tschetschenien betreffende - hg. Erkenntnis vom 21. April 2005, Zl. 2004/20/0315, verwiesen werden kann. Die grundsätzlich zutreffende Bedachtnahme der belangten Behörde auf die asylrechtliche Relevanz der Art des zu erwartenden Militäreinsatzes beschränkt sich im angefochtenen Bescheid auf die sachverhaltsmäßig - angesichts der getroffenen Feststellungen und auch des Allgemeinwissens über den Verlauf der Auseinandersetzungen in Tschetschenien - nicht nachvollziehbare Bemerkung, die "Gefahr des Erzwingens von konventionswidrigen Handlungen" sei "nicht erkennbar".

Der angefochtene Bescheid war schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. September 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190561.X00

Im RIS seit

06.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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