TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/26 2006/19/0525

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Veröffentlicht am 26.09.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des I, vertreten durch Mag. Joachim Weingartner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 29/9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. April 2005, Zl. 256.194/0-VI/18/04, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides (Zulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach "Moldawien") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und insoweit, als damit Spruchpunkt III des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Moldau, gelangte im Juni 2003 - damals 15-jährig - in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 20. Oktober 2004 gab er an, sein Vater sei im Jahr 2002 verstorben und seine Mutter, die die Familie schon zuvor verlassen gehabt habe, weigere sich, ihn aufzunehmen. Sie habe jedoch seine Ausreise finanziert. Andere Angehörige als seine Mutter habe er nicht mehr.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach "Moldawien" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III). Es sprach dem Beschwerdeführer "jegliche Glaubwürdigkeit" ab, weil er im "Formular Asylantrag/pre screening" nach der Einreise - wie er bei der Einvernahme angab, auf Anraten "russischer Flüchtlinge" - andere, bei der späteren Einvernahme nicht mehr beschriebene Fluchtgründe behauptet und somit "bei verschiedenen Kontakten mit dem Bundesasylamt" völlig verschiedene Angaben gemacht habe.

In der vom Jugendwohlfahrtsträger namens des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde zum Beweis für die Glaubwürdigkeit der Angaben bei der Einvernahme eine neuerliche Einvernahme durch die Berufungsbehörde beantragt. Ergänzend wurde vorgebracht, da der Beschwerdeführer (dem angegebenen Geburtsdatum zufolge: erst in Österreich) das 16. Lebensjahr vollendet habe, würden sich "die Behörden von Moldau (z.B. Jugendamt)" nicht um ihn kümmern.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG ab.

In der Begründung dieser Entscheidung beschrieb die belangte Behörde zunächst, was der damals 15-jährige Beschwerdeführer nach der Einreise in das Formular eingetragen und was er "im Gegensatz zu diesen schriftlichen Ausführungen" bei seiner Einvernahme geschildert habe und dass ihm das Bundesasylamt "aufgrund der aktenkundigen völligen Widersprüche in der niederschriftlichen Einvernahme, verglichen mit den Angaben im Formblatt des Bundesasylamtes" jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen habe.

Im Anschluss an eine Darstellung des Berufungsvorbringens, in der die Behauptung mangelnder behördlicher Unterstützung in Moldau nicht vorkam, und an längere allgemeine Rechtsausführungen führte die belangte Behörde sodann aus, unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt könne "schlichtweg nicht erkannt werden, dass dem Vorbringen irgendeine Asylrelevanz inne wohnt".

Die weiteren Ausführungen zur Begründung der Bestätigung der ersten beiden Spruchpunkte des erstinstanzlichen Bescheides lauten im angefochtenen Bescheid wie folgt:

"Wie auch das Bundesasylamt kommt auch die erkennende Behörde zum klaren Ergebnis, dass der Antragsteller einerseits asylrelevante Gründe vorzutäuschen versucht hat, wenngleich er die unrichtigen Angaben im schriftlichen Asylantrag in seiner niederschriftlichen Einvernahme klar gestellt und die Unwahrheit zugestanden hat. Dennoch ist zur Person des Antragstellers zu konstatieren, dass er tatsächlich, wie vom Bundesasylamt dargestellt, versucht hat, die österreichischen Asylbehörden über seine Fluchtgründe zu täuschen. Nicht glaubhaft ist der Antragsteller darüber hinaus, wenn er die Behauptung aufstellt, dass es von ihm möglicherweise nur eine Geburtsurkunde geben soll, er dieses Dokument jedoch nicht vorlegen kann, da die Mutter geheiratet habe und er die Adresse der Mutter nicht kenne. Unabhängig davon, dass dieses Vorbringen und die behauptete Minderjährigkeit leicht in den Raum gestellt ist, kann nicht erkannt werden, dass es dem Antragsteller in all den Jahren seines Aufenthaltes in Moldawien nicht möglich gewesen sein soll, wenigstens den Aufenthaltsort der eigenen Mutter in Moldawien in Erfahrung zu bringen, dies auch angesichts der vom Antragsteller selbst beschriebenen mehrmaligen Besuche der Mutter am Markt, wo er als Hilfsarbeiter gearbeitet haben will.

Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller darüber hinaus klar zu Protokoll gegeben hat, dass ihm die eigene Mutter die Reise nach Österreich finanziert haben soll und darüber hinaus mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Antragsteller - sei es über die Familie der Mutter oder über die Familie des angeblich verstorbenen Vaters - weit reichende familiäre Bindungen haben muss, kann schlichtweg nicht erkannt werden, dass dem Antragsteller im Fall der Rückkehr nach Moldawien nicht die Möglichkeit offen stünde, wenn auch nur vorübergehend bei diesen anderen Familienangehörigen Aufenthalt zu nehmen bzw. mit deren Hilfe oder mit Hilfe von moldawischen Institutionen und Gerichten einen gebührenden Unterhaltsanspruch von der Mutter zu erwirken. Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller ein beinahe volljähriger Minderjähriger ist und im Verlauf dieses Kalenderjahres auch nach österreichischem Recht die Volljährigkeit erreichen wird, darüber hinaus nicht zutage getreten ist, dass der Antragsteller an einer schwerwiegenden Krankheit leiden würde, kann auch nicht erkannt werden, dass es ihm nicht möglich sein sollte, wie in der Vergangenheit sich um eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter zu bemühen und in der ersten Übergangszeit auf die Hilfe von (sicherlich bestehenden) familiären Bindungen oder Freunden in Moldawien zu vertrauen. Die erkennende Behörde kann daher eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahrenlage für den Antragsteller im Fall der Rückkehr nach Moldawien schlichtweg nicht erkennen, zumal irgendwelche Probleme mit Polizei oder Gerichten oder Behörden nicht einmal behauptet wurden."

Schließlich begründete die belangte Behörde noch die Bestätigung der Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem Bundesgebiet". Ihre diesbezüglichen Ausführungen endeten mit dem Hinweis, dass

"jede andere inhaltliche Entscheidung bewirken müsste, dass die Behauptung eines undokumentierten Asylwerbers, minderjährig und ohne jegliche familiäre Bindungen und mittellos zu sein, zum Ergebnis haben müsste, dass dieser sämtliche Bestimmungen bezüglich eine geordneten Zuwanderung umgehen könnte und durch einfachste Asylantragstellung den Aufenthalt im Bundesgebiet auf Jahre hinaus bzw. bis zum Erhalt der Staatsbürgerschaft verlängern könnte. Solches kann weder den gesetzlichen Grundlagen noch der Intention des Gesetzgebers unterstellt werden, weshalb die Berufung vollinhaltlich abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden war".

Warum entgegen dem vom Jugendwohlfahrtsträger namens des Minderjährigen gestellten Beweisantrag von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung abgesehen werde, wird im angefochtenen Bescheid nicht begründet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Verwaltungsgerichtshof kann - im Gegensatz zu der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - nicht finden, dass die belangte Behörde angesichts des Vorbringens bei der Einvernahme und in der Berufung noch Anlass hatte, sich mit den in dem Formblatt, das der Beschwerdeführer nach seiner Ankunft in Österreich ausgefüllt hatte, behaupteten Fluchtgründen auseinander zu setzen. In Bezug auf die Angaben bei der Einvernahme und in der Berufung ist der Ansicht der belangten Behörde, es fehle an Hinweisen auf die Gefahr einer Verfolgung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe, im Ergebnis beizupflichten. Insoweit sich die Beschwerde gegen die Bestätigung des ersten Spruchpunktes des erstinstanzlichen Bescheides richtet, muss sie daher erfolglos bleiben.

Der belangten Behörde war es jedoch verwehrt, sich bei der Beurteilung der Frage, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des alleinstehenden Minderjährigen nach Moldau zulässig sei, über dessen Angaben mit Bezugnahmen etwa auf die "behauptete Minderjährigkeit", die "leicht in den Raum gestellt" sei, und den "angeblich" verstorbenen Vater sowie mit Spekulationen über "weit reichende familiäre Bindungen", "Freunde" und die Durchsetzbarkeit eines "gebührenden Unterhaltsanspruchs" ohne mündliche Berufungsverhandlung hinwegzusetzen (vgl. zur Verhandlungspflicht nur beispielsweise die Nachweise in dem hg. Erkenntnis vom 24. August 2007, Zl. 2006/19/0140).

Die unveränderte Bestätigung des dritten, die Ausweisung "aus dem österreichischen Bundesgebiet" betreffenden Spruchpunktes des erstinstanzlichen Bescheides war darüber hinaus auch inhaltlich rechtswidrig, wozu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden kann.

Es war daher die Bestätigung von Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und die Bestätigung von Spruchpunkt III des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben und die Beschwerde im Übrigen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. September 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190525.X00

Im RIS seit

24.10.2007

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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