TE Vwgh Erkenntnis 2007/12/12 2007/19/1054

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Veröffentlicht am 12.12.2007
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Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §1 Z3;
AsylG 1997 §10 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §44 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §44 Abs3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs2 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §8;
AVG §38;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z1;
MRK Art8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Dr. Thomas Nirk, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 56/7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 6. September 2007, Zl. 265.480/0/2E-VIII/40/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 und § 10 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtenen Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der minderjährige Beschwerdeführer, ein armenischer Staatsangehöriger, wurde am 21. März 2005 in Österreich geboren. Er ist der Sohn von R K (hg. Zl. 2007/19/0945) und A D (hg. Zl. 2007/19/1055) sowie der Bruder von A K (hg. Zl. 2007/19/1053), die bereits in den Jahren 2002 und 2003 Asyl- und Asylerstreckungsanträge gestellt hatten. Den Asylantrag des Vaters des Beschwerdeführers hatte das Bundesasylamt mit Bescheid vom 8. Juli 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF vor der Asylgesetznovelle BGBl. I Nr. 101/2003, mangels Glaubwürdigkeit der Verfolgungsbehauptung abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers nach Armenien gemäß § 8 Asylgesetz 1997 für zulässig erklärt. Die Asylerstreckungsanträge der Mutter und des Bruders des Beschwerdeführers waren mit Bescheiden vom selben Tag gemäß §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 abgewiesen worden.

Zehn Tage nach der Geburt des Beschwerdeführers brachte seine Mutter für ihn am 31. März 2005 unter Verweis auf das Vorbringen seines Vaters einen Asylantrag ein, zu dem keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden.

Im Anschluss an die die Familienangehörigen betreffenden Bescheide vom 8. Juli 2003 wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 10. Oktober 2005 den Antrag des Beschwerdeführers - im Rahmen eines Familienverfahrens nach § 10 Asylgesetz 1997 idF der Asylgesetznovelle BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) - gemäß § 7 AsylG, ab (Spruchpunkt I.), erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien aus (Spruchpunkt III.).

Die gegen diese Entscheidung erhobene Berufung wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der die Eltern des Beschwerdeführers befragt worden waren, mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 6. September 2007 "gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 und § 10 AsylG" ab. Die belangte Behörde schloss sich in der Begründung ihrer Entscheidung der Beurteilung des Bundesasylamtes hinsichtlich der mangelnden Glaubwürdigkeit des Vaters des Beschwerdeführers an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nachdem die belangte Behörde die ihr gemäß § 35 Abs. 2 VwGG eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme nicht wahrgenommen hatte - erwogen hat:

1. Soweit sich die Beschwerde gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid wendet, ist ihr zu entgegnen, dass die Erwägungen, aus denen die belangte Behörde den Behauptungen des Vaters des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe nicht gefolgt ist, der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle der Beweiswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof standhalten (vgl. den hg. Beschluss vom heutigen Tag, Zl. 2007/19/0945). Die belangte Behörde ist daher zutreffend vom Fehlen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr und eines Refoulementhindernisses auch für den Beschwerdeführer ausgegangen, sodass die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Bestätigung der Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

2. Mit der durch den angefochtenen Bescheid erfolgten Bestätigung des Spruchpunktes III. des erstinstanzlichen Bescheides, mit dem der minderjährige Beschwerdeführer - als einziges Familienmitglied - nach Armenien ausgewiesen wurde, hat die belangte Behörde jedoch die Rechtslage verkannt.

3. Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 1997 in der hier anzuwendenden Fassung der Asylgesetznovelle BGBl. I Nr. 101/2003 lauten wie folgt:

"Subsidiärer Schutz

§ 8. (1) Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

(2) Ist ein Asylantrag abzuweisen und hat die Überprüfung gemäß Abs. 1 ergeben, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist, hat die Behörde diesen Bescheid mit der Ausweisung zu verbinden.

...

Übergangsbestimmungen

§ 44. (1) Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, werden nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

...

(3) Die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 sind auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden."

4. Mit der Asylgesetznovelle 2003 wurde das im Asylgesetz 1997 vorgesehene System der Asylerstreckung durch das sogenannte "Familienverfahren" abgelöst, das folgendermaßen geregelt ist:

"Familienverfahren

§ 10. (1) Familienangehörige (§ 1 Z 6) eines

1.

Asylberechtigten;

2.

subsidiär Schutzberechtigten (§§ 8 in Verbindung mit 15) oder

3.

Asylwerbers

stellen einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Für Ehegatten gilt dies überdies nur dann, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Fremden geschlossen wird, der den ersten Asylantrag eingebracht hat.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Asylberechtigten mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen eines subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid den gleichen Schutzumfang zu gewähren, es sei denn, dem Antragsteller ist gemäß § 3 Asyl zu gewähren. Abs. 2 gilt.

(4) Befindet sich der Familienangehörige eines subsidiär Schutzberechtigten im Ausland, kann der Antrag auf Gewährung desselben Schutzes gemäß § 16 drei Jahre nach Schutzgewährung gestellt werden.

(5) Die Behörde hat Asylanträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Dies ist entweder die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz, wobei die Gewährung von Asyl vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Antragsteller erhält einen gesonderten Bescheid.

..."

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (120 BlgNR 22. GP 15) heißt es zu § 10 AsylG:

"Der vorgeschlagene § 10 dient der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband und ersetzt die sogenannte 'Asylerstreckung'. ... Die Asylverfahren einer Familie sind unter einem zu führen, wobei jeder Asylantrag gesondert zu prüfen ist; es erhalten alle Familienmitglieder einen eigenen Bescheid, mit dem über die Asylgewährung oder über die subsidiäre Schutzgewährung abgesprochen wird. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienmitglieder anzuwenden. Das gemeinsame Führen der Verfahren hat den Vorteil, dass - wenn möglich zeitgleich - über die Berechtigungen, die Österreich einer Familie gewährt, abgesprochen wird. ..."

Im Allgemeinen Teil der Erläuterungen (120 BlgNR 22. GP 10, 11) wird zum Familienverfahren u.a. Folgendes ausgeführt:

"Liegt die Familieneigenschaft in Bezug auf einen anderen Asylwerber vor, werden die Verfahren 'verbunden'. Zweck dieses Vorschlages ist es, über die Anträge aller Familienangehörigen die

gleiche Entscheidung zum gleichen Zeitpunkt zu erlassen. ... Dem Konzept der Novelle liegt ... die gebotene rasche und

unbürokratische Familienzusammenführung von Asylwerbern und - berechtigten und ihrer Familienangehörigen zu Grunde ..."

5. Wie sich daraus ablesen lässt, wollte der Gesetzgeber mit der Einführung des Familienverfahrens die Familieneinheit im Vergleich zur früheren Rechtslage (nach der etwa nur Asyl, nicht aber Refoulementschutz "erstreckt" werden konnte) in der Weise stärken, dass allen Angehörigen einer "Kernfamilie" iSd § 1 Z 6 AsylG (das sind Elternteile eines minderjährigen Kindes, Ehegatten, oder zum Zeitpunkt der Asylantragstellung unverheiratete minderjährige Kinder eines Asylwerbers oder Asylberechtigten) im Asylverfahren die gleiche Rechtsstellung zukommt. Damit sollte verhindert werden, dass es durch verschiedene rechtliche Behandlung einzelner Familienmitglieder entgegen dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK festgelegten Gebot der Achtung des Familienlebens zur Trennung von Familien kommen kann.

Im Sinne der Wahrung der Familieneinheit wird durch § 44 Abs. 3 AsylG sichergestellt, dass das Bundesasylamt nach dem 30. April 2004 in Fällen, in denen Asylanträge von Mitgliedern einer Familie zum Teil vor und zum Teil nach dem Inkrafttreten der Novelle 2003 gestellt wurden, auch im Hinblick auf die Ausweisung einheitlich entscheiden kann. Hat das Bundesasylamt jedoch für einzelne Familienmitglieder (mangels Zuständigkeit nach der Rechtslage vor der Asylgesetznovelle 2003) keine Ausweisung verfügt, so ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, für diese Angehörigen Ausweisungen "nachzutragen", um die Rechtsposition der Familie zu vereinheitlichen (vgl. zur Unzulässigkeit der Nachholung einer Ausweisung durch den unabhängigen Bundesasylsenat im allgemeinen das hg. Erkenntnis vom 29. März 2007, Zl. 2006/20/0500). In derartigen Fällen haben über die Ausweisung die Fremdbehörden zu entscheiden.

Für Fälle, in denen einzelne Mitglieder einer Kernfamilie nach der dargestellten Rechtslage von den Asylbehörden, andere aber von den Fremdenbehörden auszuweisen wären, hat der Gesetzgeber weder Vorkehrungen für ein koordiniertes Vorgehen noch für eine einheitliche Ausweisungsentscheidung getroffen. Auch § 38 AVG bietet dafür keine Lösung.

6. Im vorliegenden Fall hat der unabhängige Bundesasylsenat die erstinstanzliche Ausweisung des minderjährigen Beschwerdeführers bestätigt, der als Kleinkind in Österreich im Familienverband mit seinen Eltern und seinem Bruder lebt. Die Asyl- bzw. Asylerstreckungsverfahren dieser Familienmitglieder sind zwar mittlerweile auch (negativ) beendet. Eine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet hätte jedoch nach der bei ihnen anzuwendenden Rechtslage durch die Fremdenbehörden zu erfolgen.

Es erscheint daher möglich, dass der minderjährige Beschwerdeführer aufgrund der asylrechtlichen Ausweisung das Bundesgebiet ohne seine Eltern zu verlassen hat. Ein solches Ergebnis, das zu seiner Trennung von der Kernfamilie führen würde, widerspräche den oben dargestellten Intentionen des Gesetzgebers bei Einführung des Familienverfahrens und wäre ein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Familienleben, für den - auch unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen - keine Rechtfertigung zu erkennen ist.

Um das vom Gesetzgeber intendierte und verfassungsrechtlich gebotene Ergebnis zu erzielen, hat eine Ausweisung durch die Asylbehörden daher in einem Fall wie dem vorliegenden zu unterbleiben. Demnach hätte die belangte Behörde die erstinstanzliche Ausweisung des Beschwerdeführers ersatzlos beheben müssen.

Durch den so erreichten rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens wäre der Beschwerdeführer kein "Asylwerber" (im Sinne des hier noch anzuwendenden § 1 Z 3 AsylG) mehr, sondern fiele als "Fremder" (im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG) in die Zuständigkeit der Fremdenbehörden, welche damit in die Lage versetzt würden, über die Zulässigkeit der Ausweisung aller Familienmitglieder gemeinsam zu entscheiden.

7. Der angefochtene Bescheid war daher insoweit, als damit Spruchpunkt III. der erstinstanzlichen Entscheidung (Ausweisung) bestätigt wurde, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (§ 42 Abs. 2 Z 1 VwGG) aufzuheben.

8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr. 333.

Wien, am 12. Dezember 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007191054.X00

Im RIS seit

27.12.2007

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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