TE Vwgh Erkenntnis 2008/1/29 2006/05/0248

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Veröffentlicht am 29.01.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §73 Abs1;
AVG §73;
VwGG §27;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde 1. des KD und 2. der ID, beide in Göllersdorf, beide vertreten durch Dr. Franz Havlicek, Rechtsanwalt in 2020 Hollabrunn, Amtsgasse 6, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 24. Mai 2006, Zl. RU1-SL-23/003-2005, betreffend eine Angelegenheit nach dem NÖ Straßengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. Mai 2004 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn (im Folgenden: BH) antragsgemäß dem Land Niederösterreich die Bewilligung zur Errichtung einer zusätzlichen Fahrspur durch Verbreiterung des Bestandes der B 303 auf der westlichen Seite im Bereich von Viendorf bis nach Göllersdorf nach Maßgabe der mit dem Hinweis auf diesen Bescheid versehenen Projektsunterlagen, der in der Verhandlungsschrift enthaltenen Projektsbeschreibung und der angeführten Auflagen und Erklärungen, die einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides bildeten. Zum näheren Inhalt dieses Bescheides und zu der diesem Bescheid vorausgegangenen Verhandlung vom 3. November 2003 wird auf die Darstellung im hg. Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 2005/05/0193, betreffend Enteignung, hingewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Mit Schreiben vom 12. Mai 2005, gerichtet an die BH, zeigten die Beschwerdeführer an, dass durch die tatsächliche Bauführung den Beschwerdeführern der bescheidmäßig zugesicherte Zugang abhanden kommen werde. Durch die Auflassung des Wirtschaftsweges (= "linker Begleitweg" im Sinne des eingangs genannten Erkenntnisses) werde die Zufahrt für Einsatzfahrzeuge, Rettung, Feuerwehr usw. bei schlechter Witterung und die Zufahrt zum behördlich angeordneten Löschteich sowie zu den Parzellen Nr. 1791/2 und 1791/3 nicht mehr gegeben sein. Der Landwirtschaftsbetrieb der Beschwerdeführer werde daher verkehrsmäßig nicht ausreichend erschlossen sein. Die Straßenbaubehörde wurde ersucht, die bescheidmäßig zugesicherte Zufahrt sicherzustellen.

In einem weiteren Schreiben an die BH vom 15. Juni 2005 zeigten die Beschwerdeführer eine "nicht gesetzeskonforme Zufahrtsmöglichkeit gemäß § 13 Abs. 2 NÖ Straßengesetz" an. Sie legten Fotos von der nunmehr gegebenen Zufahrtsmöglichkeit vor und ersuchten um Überprüfung, ob diese Zufahrtsmöglichkeit den Anforderungen gemäß § 13 Abs. 2 NÖ Straßengesetz und den Auflagen und Erklärungen des Baubewilligungsbescheides zur Verbreiterung der B 303 entspreche.

In einem weiteren Schreiben vom 13. Juli 2005 erklärten die Beschwerdeführer, sie hätten das Recht, dass eine zu ihren Gunsten entschiedene Bausache nicht neuerlich aufgerollt werde. Die derzeitige Bauführung sei unzulässig.

Am 4. August 2005 führte die BH, wie aus einem Aktenvermerk von diesem Tag hervorgeht, einen Ortsaugenschein durch. Dabei wurden aber keine Feststellungen zum linken Begleitweg getroffen; eine andere Zufahrtsmöglichkeit wurde festgestellt.

Mit Schreiben vom 23. November 2005 richteten die Beschwerdeführer einen Devolutionsantrag an die belangte Behörde. Darin brachten sie vor, sie würden durch die unzulässige Sperre des linken Begleitweges, also der Zufahrt zu ihrem landwirtschaftlichen Betrieb, schwerstens beeinträchtigt. Seit mehr als sechs Monaten sei keine Erledigung erfolgt. Die Zufahrt zu den Stallungen der Beschwerdeführer sei zurzeit nur über Umwege bzw. unter Inkaufnahme unzumutbarer Bodenverhältnisse denkbar. Mangels Entscheidung durch die BH werde beantragt, dem Devolutionsantrag Folge zu geben, und die Landesregierung möge als zuständige Oberbehörde über den Antrag vom 12. Mai 2005 auf Sicherstellung einer gesicherten Zufahrt meritorisch entscheiden.

Mit ihrem Schriftsatz vom 30. Dezember 2005, gerichtet an die belangte Behörde, erstatteten die Beschwerdeführer ein umfangreiches Vorbringen und präzisierten ihren Antrag. Sie hätten mit ihrem Schreiben vom 12. Mai 2005 die bescheiderlassende und daher auch für die Vollstreckung zuständige Behörde um Sicherstellung der Zufahrt angerufen. Damit sei die Gewährleistung einer bestehenden Zufahrt gemeint. Mit dem begünstigenden rechtsgestaltenden Bewilligungsbescheid liege auch ein Leistungsbescheid im Sinne des VVG vor, dessen Spruch zwar nicht den Vorschriften des § 12 Abs. 6 NÖ StraßenG entsprechend gestaltet worden sei, der aber ausreichend bestimmt sei. Mit den Bauarbeiten sei am 2. Mai 2005 begonnen worden, also die Begünstigung in Anspruch genommen worden. Damit sei die Verpflichtung vollstreckbar geworden. Die B 303 sei im Oktober 2005 eröffnet und der Begleitweg bis dahin nicht hergestellt worden. Da die Behörde über den Antrag auf Sicherstellung der Zufahrt seit mehr als sechs Monaten nicht entschieden habe, seien auch die Voraussetzungen des Devolutionsantrages gegeben.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Devolutionsantrag ab. Sie verwies auf den rechtskräftigen Straßenbaubewilligungsbescheid vom 13. Mai 2004, der, wie jede andere Bewilligung auch, den Bewilligungswerber nicht verpflichte, tatsächlich von dieser Bewilligung Gebrauch zu machen. Auch könne nur ein Teil der Bewilligung in Anspruch genommen werden. Ein Nachbar habe darüber hinaus nicht das Recht zu verlangen, dass von einer erteilten Bewilligung auch tatsächlich Gebrauch gemacht werde. Zum Antrag auf Einleitung des Vollstreckungsverfahrens wurde ausgeführt, dass ein Vollstreckungsverfahren von Amts wegen einzuleiten sei, ein Rechtsanspruch einer Partei bestehe regelmäßig nicht. Eine straßenrechtliche Bewilligung sei auch nicht vollstreckbar. Der Vollstreckung unterlägen nur Auflagen, aber auch nur dann, wenn von der Bewilligung Gebrauch gemacht wurde. Hier sei von der Baubewilligung zur Errichtung des Begleitweges nicht Gebrauch gemacht worden und daher liege auch diesbezüglich kein vollstreckbarer Titelbescheid vor, der die Einleitung eines Vollstreckungsverfahrens ermöglichte. Im Übrigen habe die BH einen Lokalaugenschein durchgeführt und festgestellt, dass die Erreichbarkeit der landwirtschaftlichen Grundstücke der Beschwerdeführer nach wie vor gegeben sei. Die Erreichbarkeit der in der ersten Bauphase auf den Grundstücken der Beschwerdeführer errichteten Gebäude sei sogar über einen asphaltierten Weg möglich; lediglich die konsenslos errichteten Gebäude könnten nicht über asphaltierte Wege erreicht werden. Es bestehe aber keine Verpflichtung der Baubehörde, die Erreichbarkeit über gut ausgebaute Zufahrten von konsenslos errichteten Gebäuden im Grünland zu gewährleisten. Jedenfalls sei die BH nach Einlangen des Antrages tätig geworden und habe den Zustand in der Natur überprüft. Der Umstand, dass ein Teil des bewilligten Projektes nicht konsumiert bzw. ausgeführt wurde, berechtige die Antragsteller nicht, die Behörde zur Durchführung eines Vollstreckungsverfahrens zu veranlassen. Die Verzögerung über die Entscheidung sei daher nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde erster Instanz zurückzuführen, im Gegenteil hätten die Antragsteller durch ihr Verhalten bei den Grundstückseinlöseverhandlungen sowie durch die Errichtung konsensloser Bauwerke den derzeitigen Zustand selbst herbeigeführt.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 25. September 2006, B 1217/06, ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Erlassung eines Bescheides spätestens sechs Monate nach Antragstellung und in ihrem Recht auf Ausstellung der verlangten Vollstreckbarkeitsbestätigung verletzt. Sie begehren die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

Mit Schriftsätzen vom 2. März 2007 und vom 20. Oktober 2007 erstatteten die Beschwerdeführer weitere Äußerungen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde über einen Devolutionsantrag der Beschwerdeführer abgesprochen. § 73 AVG lautet:

"(1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

(2) Wird der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

(3) Für die Oberbehörde (den unabhängigen Verwaltungssenat) beginnt die Entscheidungsfrist mit dem Tag des Einlangens des Devolutionsantrages zu laufen."

Voraussetzung der Stellung eines Devolutionsantrages nach § 73 Abs. 1 AVG ist somit, dass ein "Antrag" vorliegt. Ein "Antrag" ist (grundsätzlich) ein Antrag, der auf die Erlassung eines Bescheides gerichtet ist; auch über Anträge, die unzulässig sind, etwa mangels Legitimation, hat die Behörde durch - zurückweisenden - Bescheid zu entscheiden (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 1619; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht3, 315 f). (Dass allenfalls mit einer Zurückweisung vorgegangen werden müsste, haben die Beschwerdeführer selbst in ihrem Schriftsatz vom 30. Dezember 2005 ausgeführt.)

Der Antrag vom 12. Mai 2005 lautete:

"Wir ersuchen daher die Baubehörde, die bescheidmäßig

zugesicherten Zufahrt herzustellen."

Die angerufene BH hat über diesen Antrag weder einen Bescheid erlassen, auch nicht in Form einer Zurückweisung, noch ist sie mit einer Mängelbehebung nach § 13 Abs. 3 AVG vorgegangen.

Auf diesen Antrag hat sich der Devolutionsantrag vom 23. November 2005 bezogen. Die belangte Behörde ist von einer Entscheidungspflicht der Erstinstanz ausgegangen und hat, zumal die Sechsmonatsfrist abgelaufen war, den Devolutionsantrag als zulässig erachtet, indem sie ihn abgewiesen und nicht etwa zurückgewiesen hat. Ohne dass die belangte Behörde eine Verbesserung gemäß § 13 Abs. 3 AVG veranlasst hätte, haben die Beschwerdeführer von sich aus in ihrem Schriftsatz vom 30. Dezember 2005 ihren Antrag wie folgt präzisiert:

"... auf Einleitung eines Vollstreckungsverfahrens durch einen Antrag auf Ausstellung einer Vollstreckungsbestätigung und der damit verbundenen amtswegigen Einleitung des eigentlichen Vollstreckungsverfahrens."

Zulässige Devolutionsanträge führen ex lege zum Übergang der Entscheidungspflicht an die Oberbehörde (Thienel, aaO, 322, mwN). Die Oberbehörde hatte also zunächst die Zulässigkeit des Devolutionsantrages zu überprüfen; fällt sie trotz des nicht erfolgten Kompetenzüberganges eine Sachentscheidung, so wäre diese Sachentscheidung infolge Unzuständigkeit rechtswidrig (Winkelhofer, Säumnis von Verwaltungsbehörden, 85). Die Oberbehörde hat hier eine Entscheidung über den Devolutionsantrag getroffen, weshalb zunächst zu prüfen ist, ob der Devolutionsantrag zulässig war.

Der Antrag, die bescheidmäßig zugesicherte Zufahrt sicherzustellen, war unmittelbar auf ein faktisches Verhalten gerichtet. Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings in seiner Rechtsprechung ausgeführt, dass das Verlangen nach Setzung eines tatsächlichen Vorganges (z.B. Beschluss vom 14. September 1995, Zl. 95/06/0162: Zustellung von Bescheiden; vom 20. September 1994, Zl. 94/04/0153: Zuleitung eines bestimmten Aktes an eine näher bezeichnete Behörde) keine Verpflichtung der Behörde zu einer Sachentscheidung auslöst. Dies trifft auch auf die im Devolutionsweg angerufene sachlich in Betracht kommende Oberbehörde (sowie auf den mit Säumnisbeschwerde angerufenen Verwaltungsgerichtshof) zu.

Davon ausgehend bestand auch im Beschwerdefall keine Verpflichtung zur Sachentscheidung, weshalb die Entscheidungspflicht nicht auf die belangte Behörde übergegangen ist. Allerdings hat die Oberbehörde in Anwendung des § 73 Abs. 2 AVG den Devolutionsantrag wegen unverschuldeter Säumnis abgewiesen; diesbezüglich liegt keine Unzuständigkeit vor, weil eine derartige Entscheidung nur von der Oberbehörde getroffen werden kann. Ihre Entscheidung ist vielmehr, da sie die vorrangige Frage der Zulässigkeit des Antrages vom 12. Mai 2005 unrichtig (bejahend) gelöst hat, mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit behaftet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurft hätte.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden.

Wien, am 29. Jänner 2008

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7Verletzung der Entscheidungspflicht Diverses Zurückweisung - EinstellungVerfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006050248.X00

Im RIS seit

06.03.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.06.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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