TE Vwgh Erkenntnis 2008/2/28 2005/18/0096

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Veröffentlicht am 28.02.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/09 Internationales Privatrecht;

Norm

IPRG §2;
IPRG §4 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):2005/18/0098 E 28. Februar 2008 2005/18/0097 E 28. Februar 2008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde des S G, geboren am 26. April 1966, vertreten durch Univ.-Doz. Dr. Richard Soyer, Mag. Wilfried Embacher und Mag. Josef Bischof, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 24. Jänner 2005, Zl. 142.254/2-III/4/04, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom 24. Jänner 2005 wurde der vom Beschwerdeführer am 8. April 2003 beim Landeshauptmann von Wien (der Erstbehörde) gestellte Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 FrG" gemäß § 14 Abs. 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 29. Juli 2004 erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen eingewendet, es wäre nicht geklärt, ob der Beschluss über den Widerruf seiner griechischen Staatsbürgerschaft rechtswirksam geworden sei. Eine Zustellung an ihn wäre nie erfolgt.

Begründend führte die belangte Behörde nach Hinweis auf § 14 Abs. 2 und § 23 Abs. 5 FrG weiter aus, dass dem Beschwerdeführer am 19. März 1996 auf Grund von gefälschten bzw. verfälschten Dokumenten die griechische Staatsbürgerschaft zuerkannt und ihm auf Grund der Vorlage eines griechischen Reisepasses von der Bundespolizeidirektion Wien am 26. September 1996 ein EWR-Lichtbildausweis ausgestellt worden sei. Am 13. März 2002 sei der Beschluss, mit dem ihm die griechische Staatsbürgerschaft zuerkannt worden sei, von der "Griechischen Republik, Bezirksselbstverwaltung Westl. Attikas, Direktion für Zivilrechte und Bürgerschutz, Abteilung Bürger- und Familienstand" widerrufen worden. Diesem Beschluss zufolge sei ihm die griechische Staatsbürgerschaft nur auf Grund von gefälschten bzw. verfälschten Dokumenten zuerkannt worden.

Der Widerruf der griechischen Staatsbürgerschaft bewirke, dass sich der Beschwerdeführer nicht auf diese Staatsbürgerschaft, also auf die Niederlassungsfreiheit als EWR-Bürger, berufen könne und er somit für die Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes einen Aufenthaltstitel benötige.

Da er noch nie über einen Sichtvermerk, eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Niederlassungsbewilligung für die Republik Österreich verfügt habe und sich nicht auf die Niederlassungsfreiheit von EWR-Bürgern berufen könne, sei sein Antrag vom 8. April 2003 als Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten gewesen. Das FrG sehe vor, dass ein Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung vom Ausland zu stellen und die Entscheidung darüber auch im Ausland abzuwarten sei. Es stehe fest, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag persönlich bei der Erstbehörde eingereicht habe und sich bisher im österreichischen Bundesgebiet aufhalte.

Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe in dessen Berufung (gegen den erstinstanzlichen Bescheid) vorgebracht, dass nicht geklärt wäre, ob der Beschluss über den Widerruf der griechischen Staatsbürgerschaft rechtswirksam geworden sei. Eine Zustellung an den Beschwerdeführer wäre nie erfolgt. Auf Grund der Aktenlage gehe die belangte Behörde davon aus, dass der Widerruf (der Zuerkennung der griechischen Staatsbürgerschaft) rechtskräftig sei.

Auf Grund der Anregung des Beschwerdeführers zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen gemäß § 10 Abs. 4, § 19 Abs. 2 Z. 6 und § 14 Abs. 2 FrG sei eine Überprüfung im Sinn des § 10 Abs. 4 leg. cit. durchgeführt worden, und es sei festgestellt worden, dass kein ausreichender berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt vorliege, zumal sich der Beschwerdeführer die griechische Staatsbürgerschaft erschlichen habe. Eine Inlandsantragstellung bzw. die Quotenfreiheit seines Antrages werde daher von Amts wegen nicht zugelassen, wobei sich diese Entscheidung aus formeller Sicht auf § 90 Abs. 1 FrG gründe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 14 Abs. 2 und § 23 Abs. 5 FrG lauten:

"§ 14. (2) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitel sind vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist, und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat; (...) Liegen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 vor, kann der Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland gestellt werden."

"§ 23. (5) Eine weitere Niederlassungsbewilligung ist auch solchen Fremden auf Antrag zu erteilen, die auf Dauer niedergelassen bleiben, für die Niederlassung aber deshalb bisher keiner Niederlassungsbewilligung bedurften, weil sie (...) Niederlassungsfreiheit genossen; (...)."

Gemäß § 46 Abs. 1 leg. cit. genießen EWR-Bürger Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit.

2. Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, dass der obgenannte Beschluss vom 13. März 2002, mit dem die Zuerkennung der griechischen Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer widerrufen worden sei, rechtswirksam und rechtskräftig geworden sei, und bringt - wie bereits in der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid - vor, dass es kein Beweisergebnis für diese Annahme gebe, eine Zustellung dieses Beschlusses an den Beschwerdeführer nie erfolgt sei und gegen diesen Beschluss eine Berufung möglich sei, sodass der Beschluss nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Dies ergebe sich bereits aus dem Entziehungsbeschluss, in dem vorgesehen sei, dass ein Zustellnachweis erbracht werden müsse. Mangels Zustellung des Beschlusses an den Beschwerdeführer sei er zur Inlandsantragstellung berechtigt gewesen.

3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass von der genannten griechischen Behörde der Entziehungsbeschluss vom 13. März 2002 gefasst wurde. Schon in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hat er dazu jedoch vorgebracht, dass auch im griechischen Recht die Wirkungen behördlicher Entscheidungen erst einträten, wenn sie dem Adressanten bekannt würden, was sich auch aus dem genannten Beschluss ergebe, in dem es heiße: "Mit der Bitte, dass es den Interessenten zugestellt wird. Der Zustellnachweis soll an unser Amt übermittelt werden."

Weiters gehe aus diesem Beschluss hervor, dass eine Berufung dagegen innerhalb von 30 Tagen eingelegt werden könne. Wenn die österreichische Botschaft im Schreiben vom 14. Juni 2004 feststelle, dass der Beschluss mit Beschlussdatum in Rechtskraft erwachsen wäre, so gehe sie von einer falschen Annahme, nämlich dass eine Berufung gegen den Beschluss nicht zulässig wäre, aus.

Laut der in den Verwaltungsakten erliegenden Übersetzung des Beschlusses der "Griechischen Republik, Bezirksselbstverwaltung Westl. Attikas, Direktion für Zivilrechte und Bürgerschutz, Abteilung Bürger- und Familienstand" vom 13. März 2002, mit dem der Widerruf des Beschlusses dieser Behörde vom 19. März 1996 über die Bestimmung der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, dessen Streichung aus dem "Männerregister" der Stadtgemeinde Ano Liosia und die Streichung seiner Registernummer beschlossen wurden, war dieser Beschluss u.a. der Polizeistelle Acharnes mit dem Ersuchen zuzustellen, dass "es" (offensichtlich gemeint: dieser Beschluss) den "Interessenten" zugestellt werde und der Zustellnachweis an die Behörde übermittelt werde, dies mit dem weiteren Hinweis zur Kenntnisnahme, dass man eine Berufung gegen den Beschluss ausschließlich innerhalb von dreißig Tagen einlegen könne.

In den vorgelegten Verwaltungsakten erliegt weiters ein Schreiben des österreichischen Botschafters in Athen an das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten vom 14. Juni 2004, dem zufolge der genannte Beschluss vom 13. März 2002 laut telefonischer Auskunft der Sachbearbeiterin (offensichtlich gemeint: der griechischen Behörde) rechtskräftig sei und es eine Berufung im Sinne der österreichischen Rechtsvorschriften nicht gebe. Ob dieser Beschluss den Parteien zugestellt worden sei oder nicht, sei aus der Aktenlage der griechischen Behörde nicht ersichtlich.

Staatsangehörigkeitsfragen - wie etwa die Frage, ob ein Fremder die Staatsangehörigkeit eines Staates verloren hat - sind nach dem Recht des Staates zu entscheiden, um dessen Staatsangehörigkeit es sich handelt (vgl. dazu etwa Schwimann in Rummel, ABGB Kommentar2, § 2 IPRG Rz 3; ferner Braga, Zur Dogmatik des Staatsangehörigkeitsrechts, in FS Seidl-Hohenveldern (1989) 35 ff (42 bis 44)). Von der Behörde ist das zur Beurteilung dieser Frage erforderliche Recht - analog § 4 Abs. 1 IPRG - von Amts wegen zu ermitteln (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 1996, Zl. 95/19/1084, mwN). Konstitutive Staatsangehörigkeitsentscheidungen (wie Einbürgerungs- oder Ausbürgerungsbescheide) des zuständigen Staates sind, soweit diese nicht völkerrechtswidrig sind - diese sind etwa völkerrechtswidrig, wenn sie die Souveränität eines fremden Staates verletzen - (vgl. dazu Braga, aaO (43)), hiefür bindend (vgl. dazu nochmals Schwimann, aaO, § 2 IRPG Rz 3).

Nach diesen Grundsätzen ist somit die Frage, ob der Entziehungsbeschluss vom 13. März 2002 Rechtswirksamkeit erlangt hat, nach griechischem Recht zu beurteilen. Die belangte Behörde hat ihre Auffassung, dass der "Widerruf der griechischen Staatsbürgerschaft" rechtskräftig sei, lediglich mit dem Hinweis auf die "Aktenlage" begründet. Diese Begründung vermag jedoch vor dem Hintergrund, dass laut dem genannten Beschluss eine Zustellung an die "Interessenten" zu erfolgen habe und eine Berufung binnen 30 Tagen möglich sei, einerseits und des - dazu widersprüchlichen -

Schreibens der österreichischen Botschaft, wonach aus der Aktenlage der griechischen Behörde nicht ersichtlich sei, ob dieser Beschluss den Parteien zugestellt worden sei oder nicht, und es eine Berufung (im Sinne der österreichischen Rechtsvorschriften) nicht gebe, andererseits die Beurteilung der belangten Behörde nicht zu tragen. Die belangte Behörde hätte in Anbetracht dieses Widerspruches zu klären gehabt, ob nach griechischem Recht die Rechtswirksamkeit des Entziehungsbeschlusses dessen Zustellung an den Beschwerdeführer voraussetzt und, zutreffendenfalls, ob dieser Beschluss nach griechischem Recht dem Beschwerdeführer zugestellt und rechtswirksam ihm gegenüber erlassen wurde.

Dieser Frage kommt im vorliegenden Fall Relevanz zu: Sollte dem Beschwerdeführer die griechische Staatsangehörigkeit bei Erlassung des vorliegend angefochtenen Bescheides nicht rechtswirksam entzogen gewesen sein, so hätte er als EWR-Bürger Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genossen (§ 46 Abs. 1 FrG) und für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigt (§ 30 Abs. 1 FrG), sodass er gemäß § 14 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland hätte stellen dürfen.

4. Der angefochtene Bescheid ist daher mit einem wesentlichen Feststellungs- und Begründungsmangel belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

5. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 28. Februar 2008

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12Begründung BegründungsmangelVerfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2005180096.X00

Im RIS seit

20.03.2008

Zuletzt aktualisiert am

13.04.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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