TE Vwgh Erkenntnis 2008/3/6 2006/09/0043

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Veröffentlicht am 06.03.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
HVG §2 Abs1;
HVG §86;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des DM in R, vertreten durch Zauner & Mühlböck Rechtsanwälte KEG in 4010 Linz, Graben 21, gegen den Bescheid der beim Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz eingerichteten Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 23. Jänner 2006, Zl. 41.550/334-9/05/HVG, betreffend Beschädigtenrente nach dem HVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1969 geborene Beschwerdeführer leistete in der Zeit vom 3. Oktober 1988 bis 31. März 1989 seinen Präsenzdienst ab und erlitt am 9. März 1989 auf dem Truppenübungsplatz Ramsau beim Überqueren einer Hindernisbahn anlässlich einer Truppenübung eine Verletzung des rechten Kniegelenks.

Über seine Anträge vom 29. März und 31. Oktober 1989 auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem HVG wurden mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Oberösterreich vom 8. März 1991 gemäß §§ 1 und 2 des Heeresversorgungsgesetzes folgende Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigungen anerkannt:

Vom 9. März bis 7. August 1989:

1. Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk nach Kreuzbandschaden und Meniskusläsion und

2. Narbe am rechten Kniegelenk.

Ab 8. August bis 31. August 1989:

1.

Kreuzbandschaden rechtes Kniegelenk,

2.

Meniskusläsion rechtes Kniegelenk und

3.

Narbe am rechten Kniegelenk,

jeweils mit einem Kausalanteil von 1/1.

Ausgehend davon wurde dem Beschwerdeführer eine Beschädigtenrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Zeit vom 1. März 1989 bis 31. Juli 1989 von 100 %, vom 1. bis 31. August 1989 von 60 % und ab September 1989 in der Höhe von 40 % bemessen.

Am 21. Mai 1992 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Erhöhung seiner Beschädigtenrente infolge Verschlechterung seines Leidenszustandes.

Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Oberösterreich vom 22. September 1992 wurde dieser Antrag (rechtskräftig) abgewiesen.

Am 6. Dezember 2002 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf Neubemessung seiner Beschädigtenrente infolge Verschlimmerung seines Leidenszustandes. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 23. Juni 2003 abgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung. Die Berufungsbehörde ergänzte das Ermittlungsverfahren der Behörde erster Instanz durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Orthopädie Dr. S vom 14. August 2003, auf Grund dessen Ergebnis die belangte Behörde mit Bescheid vom 26. Jänner 2004 der Berufung Folge gab und die Dienstbeschädigung wie folgt neu bezeichnete:

1.

Zustand nach vorderer Kreuzbandplastik am rechten Kniegelenk,

2.

posttraumatische Arthrose,

3.

posttraumatischer degenerativer Innen- und Außenmeniskusriss im rechten Kniegelenk und

              4.              Narbe am rechten Kniegelenk. Auf dieser Grundlage gewährte sie dem Beschwerdeführer ab 1. Jänner 2003 eine unter Zugrundelegung einer MdE von 50 % berechnete erhöhte Beschädigtenrente. Bereits in dem diesem Bescheid zu Grunde gelegten Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Orthopädie Dris. S vom 14. August 2003 wurden im Rahmen der Befundaufnahme nicht nur "geringgradig degenerative Veränderungen im Bereich der gesamten Lendenwirbelsäule" diagnostiziert, sondern auch darauf hingewiesen, dass die vom Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt bereits behaupteten Knieschmerzen im linken Knie sowie chronische Kreuzschmerzen zwar vom Patienten auf die Beschädigungen des rechten Kniegelenks zurückgeführt würden, sich aber nicht beweisen ließen ("es kann wohl so sein, muss aber nicht").

Mit Antrag vom 5. November 2004 beantragte der Beschwerdeführer eine Neueinstufung und Bemessung seiner Erwerbsminderung mit 80 % mit folgender Begründung:

"Mein Gesundheitszustand hat sich insofern verschlechtert, dass nicht nur das Knie betroffen ist, sondern auch das gesamte rechte Bein und die Wirbelsäule."

Hiezu legte er ein ärztliches Attest Dris. L vom 28. Oktober 2004 vor.

Mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 22. April 2005 wurde dieser Antrag nach Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Unfallchirurgie Dris. K vom 9. März 2005 abgewiesen. Im Rahmen der Befundaufnahme stellte dieser Sachverständige fest, dass das rechte Bein des Beschwerdeführers um "ca. 10 mm verkürzt" sei. Im unteren Brustwirbelsäulenabschnitt diagnostizierte er eine "geringe li. konvexe Skoliose". Zu der an ihn gestellten Frage, inwieweit die Beschwerden im rechten Bein und der Wirbelsäule in kausalem Zusammenhang mit der Dienstbeschädigung stünden oder akausaler Natur seien, antwortete der Sachverständige, dass die Beschwerden am rechten Knie durch Schonung und Mindergebrauch möglich seien, an der Wirbelsäule würden diese von Patienten zwar gerne behauptet, seien aber noch nie bewiesen worden, "also eher nein". Insgesamt kam der Sachverständige zum Ergebnis, es läge gegenüber dem Vergleichsbefund keine Änderung im Leidenszustand des Beschwerdeführers vor.

In ihrem ablehnenden Bescheid vom 22. April 2005 erachtete die Behörde erster Instanz dieses Gutachten für schlüssig und übernahm das medizinische Kalkül, die Rückenbeschwerden würden ohne neurologisches Substrat auf die unsichere Belastung der Kniegelenke zurückgeführt, was aber vom medizinischen Standpunkt aus nicht schlüssig oder pathogenetisch erwiesen werden könne und daher die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule als akausal einzustufen gewesen seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung unter Beifügung des bereits einmal vorgelegten ärztlichen Attestes Dris. L vom 28. Oktober 2004 sowie eines orthopädischen Befundes Dris. R vom 27. September 2004, welcher einen "Beckenschiefstand rechts minus 5 cm mit entsprechender kompensatorischer skoliotischer Haltung" diagnostizierte. Die belangte Behörde ergänzte das Ermittlungsverfahren durch Einholung eines fachärztlichen Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Neurologie Dris. Sch vom 7. Juli 2005, in welchem "keine neuropsychische Problematik" festgestellt wurde, und aus dem Fachgebiet für Orthopädie Dris. B vom 3. Oktober 2005, welcher im Rahmen der Befundaufnahme keinen Beckenschiefstand und keine Skoliose feststellen konnte und im Übrigen zum Ergebnis kam, die "degenerative Lendenwirbelsäulenerkrankung mit Bandscheibenvorfall L4/L5 ohne Wurzelirritationssymptomatik und ohne neurologisches Defizit" sei akausal. Die Wirbelsäulenbeschwerden mit dem Kniegelenk in Verbindung zu bringen sei insofern nicht "sinnvoll", da kein Beckenschiefstand bestehe, daher eigentlich kein Grund bestehe, dass das Kniegelenk die Lendenwirbelsäulenbeschwerden auslösen oder beeinflussen könnte. In einem beigelegten Befund Dris. R werde von einem Beckenschiefstand von minus 5 cm rechts berichtet, welcher einerseits derzeit nicht gefunden werden könne und andererseits, wenn er bestehen würde, unmöglich von einer Kreuzbandschädigung und anschließender Operation entstanden wäre.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 23. Jänner 2006 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundessozialamtes vom 22. April 2005 abgewiesen, jedoch die Dienstbeschädigung wie folgt neu bezeichnet:

              1.              Knorpelschaden zweiten und dritten Grades nach Kreuzbandoperation rechts

2.

Operativ sanierter Innen- und Außenmeniskus

3.

Narbe am rechten Kniegelenk.

Nach Verweis auf den Antrag des Beschwerdeführers und die mit Berufung bekämpfte Entscheidung des Bundessozialamtes sowie wörtlicher Wiedergabe des Gutachtens (einschließlich des Befundes) der von ihr eingeholten Sachverständigengutachten kam die belangte Behörde zu nachfolgender Richtsatzeinschätzung:

Als Dienstbeschädigung (§ 2 HVG) wird festgestellt:

Position in den

Richtsätzen zu

§ 21 HVG

MdE gemäß

§ 21 HVG

1.

Knorpelschaden 2. bis 3. Grades nach

Kreuzbandoperation rechts

419

40 vH

2.

Operativ sanierter Innen- und Außenmeniskus

122

20 vH

3.

Narbe am rechten Kniegelenk

702 1.Z.li.

0 vH

Die Einschätzung der MdE der angeführten Leiden innerhalb des Rahmensatzes der Positionen in den Richtsätzen zu § 21 HVG werde wie folgt begründet:

Entsprechend dem vorliegenden Knorpelzustand erfolge bei der DB 1 die Heranziehung des unteren Rahmensatzwertes. Zur Beurteilung der DB 2 werde der obere Rahmensatzwert gewählt, weil hier auch die Bewegungseinschränkung zu berücksichtigen sei. Nach § 3 der Verordnung vom 9. Juni 1965 sei im Falle des Zusammentreffens mehrerer Leiden bei der Einschätzung der MdE zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste MdE verursache. Sodann sei zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 2 HVG zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere MdE rechtfertige. Die Einschätzung der Gesamt-MdE infolge des Zusammenwirkens der einzelnen Gesundheitsschädigungen sei daher mit 50 vH gerechtfertigt. Hiefür sei maßgebend, dass die unter Punkt 1 ausgewiesene führende MdE durch das unter Punkt 2 angeführte Leiden eine einstufige Erhöhung erfahre. Dies sei dem Beschwerdeführer gemäß § 45 AVG zur Kenntnis gebracht worden. Er habe dagegen zwar Einwände erhoben (welche im Folgenden dargestellt werden), dazu sei aber festzustellen gewesen, dass ein "allfällig bestehender Beckenschiefstand nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens" sein könne, weil darüber noch keine erstinstanzliche Absprache vorliege. Nach Zitierung der gesetzlichen Bestimmungen des HVG kam die belangte Behörde schlussendlich zum Ergebnis, die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten Dris. Sch vom 7. Juli 2005 und Dris. B vom 3. Oktober 2005 seien schlüssig und nachvollziehbar und wiesen keine Widersprüche auf. Es werde darin auf die Art der Leiden, deren Ausmaß und Auswirkung auf das allgemeine Erwerbsleben ausführlich eingegangen und diese schlüssig beurteilt. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen Befund, entsprächen den festgestellten Funktionseinschränkungen. Die Angaben des Beschwerdeführers könnten nicht über den erstellten Befund hinaus objektiviert werden. Es werde auch nachvollziehbar dargelegt, dass die geltend gemachte Wirbelsäulenschädigung in keinen kausalen Zusammenhang mit den Eigentümlichkeiten des Wehrdienstes oder der anerkannten Dienstbeschädigungen gebracht werden könne. Die Sachverständigengutachten seien daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde zu legen gewesen. Danach aber sei gegenüber dem Vergleichsbefund vom 14. August 2003 keine maßgebliche Änderung im Leidenszustand des Beschwerdeführers eingetreten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher (lediglich) die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem einfachgesetzlich gewährleisteten subjektiven Recht auf Stattgebung des Antrages auf Anerkennung der Gesundheitsschädigung "Wirbelsäulenbeschwerden gemäß § 2 HVG verletzt".

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 erster Satz des Heeresversorgungsgesetzes - HVG, BGBl. Nr. 27/1964, in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 150/2002, ist eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes, einschließlich einer beruflichen Bildung im freiwillig verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat erlitten hat, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung zu entschädigen (§ 2).

Gemäß § 2 Abs. 1 HVG ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinn des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.

Gemäß § 21 Abs. 1 HVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 48/2005, hat der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung über drei Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung (§ 2) hinaus um mindestens 25 vH vermindert ist; die Beschädigtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 vH. Unter Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen.

Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinn des Abs. 1 nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen. Diese Richtsätze sind durch den Bundesminister für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Landesverteidigung nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates (§§ 8 bis 13 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990) durch Verordnung aufzustellen.

In Ausführung der Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, der von der belangten Behörde der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegte Sachverhalt sei ergänzungsbedürftig, zumal sich die belangte Behörde mit den vom Beschwerdeführer geltend gemachten zusätzlichen Beschwerden praktisch nicht auseinandergesetzt habe. Insbesondere habe sie festgestellt, dass ein allfällig bestehender Beckenschiefstand nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens sein könne, weil darüber noch keine erstinstanzliche Absprache vorliege. Diese Feststellung sei ungenügend, weil sie nicht erkennen lasse, welche Erwägungen maßgeblich dafür gewesen seien, anzunehmen, dass der durch Dr. R festgestellte Beckenschiefstand in keinem Zusammenhang mit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rückenschmerzen stehe. Sie habe auch den Widerspruch zwischen den ärztlichen Befunden Dris. R und Dris. B nicht aufgeklärt. Diesbezüglich hätte das Ermittlungsverfahren ergänzt werden müssen. Es seien auch keine Gründe dafür angegeben worden, weshalb Dr. B der Ansicht sei, dass ein allfällig doch bestehender Beckenschiefstand unmöglich auf die leistungsbegründende Kreuzbandschädigung zurückzuführen wäre. Gerade in diesem Punkt wäre der Gutachter aber zur Aufklärung verpflichtet gewesen. Einig seien sich die Gutachter lediglich hinsichtlich des Umstandes gewesen, dass Wirbelsäulenbeschwerden entstehen könnten, wenn ein Beckenschiefstand bestehe. Zu verweisen sei auch darauf, dass im Röntgenbefund aus dem Jahre 2003 ein Beckenschiefstand konstatiert worden sei. Gerade die einseitige Belastung infolge der Knieverletzung habe aber nach Ansicht des Beschwerdeführers zum Beckenschiefstand geführt. Die belangte Behörde habe auch den auf Ergänzung der Sachverständigengutachten gerichteten Antrag ohne weitere Begründung abgelehnt. Eine nachvollziehbare Beweiswürdigung liege nicht vor. Dadurch, dass die belangte Behörde das Beweisanbot des Beschwerdeführers zum Thema, dass eine Beckenverschiebung vorliege, die vorfallskausal sei, von vornherein nicht zugelassen habe, liege auch eine vorgreifende Beweiswürdigung vor, welche das Verfahren mangelhaft mache. Die belangte Behörde habe auch ihre Begründungspflicht verletzt, weil sie die bei der Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtslage nicht vollständig, insbesondere keine Gründe dafür angegeben habe, weshalb sie den Beweisantrag auf Gutachtensergänzung abgelehnt habe und weshalb sie den Feststellungen im Befund Dris. R nicht gefolgt sei.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.

Im Verfahren nach dem Heeresversorgungsgesetz geht es nicht um eine Objektivierung der Verneinung der Kausalität, sondern um die Feststellung, ob die Wahrscheinlichkeit für die Kausalität spricht. In diesem Zusammenhang entschädigt das Heeresversorgungsgesetz als Dienstbeschädigung auch den Anteil einer Gesundheitsschädigung, der zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist (sogenannte "Verschlimmerungskomponente"; vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 2003, Zl. 2000/09/0128). Der ursächliche Zusammenhang und die - nach dem Gesetz ausreichende - Wahrscheinlichkeit dieses Zusammenhanges sind Rechtsbegriffe; ob der Kausalzusammenhang, und zwar (wenigstens) mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist, ist Gegenstand der rechtlichen Beurteilung. Die Behörde hat der rechtlichen Beurteilung einen ausreichend ermittelten Sachverhalt zu Grunde zu legen und zu diesem Zweck ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, in dessen Rahmen auch Beweis durch ärztliche Sachverständige aufzunehmen ist. Die Behörde hat dabei die ärztlichen Sachverständigen anzuleiten, zu dem von ihr pflichtgemäß ermittelten Vorgängen und Erscheinungen Stellung zu nehmen und sich gutachtlich zu äußern, ob sie ausreichen, einen ursächlichen Zusammenhang als wahr anzunehmen. Das Gutachten der ärztlichen Sachverständigen darf sich nicht darauf beschränken, den ursächlichen Zusammenhang bloß zu verneinen. Die ärztlichen Sachverständigen haben vielmehr ihr Urteil zu begründen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2001, Zl. 2000/09/0069).

Der Beschwerdeführer stützte seinen Antrag auf Neubemessung und Erhöhung der ihm gewährten Beschädigtenrente auf den Umstand, dass infolge seines (anerkannten) Knieleidens und der daraus resultierenden Schonhaltung Schmerzen in das gesamte rechte Bein ausstrahlten und er an "Wirbelsäulenbeschwerden" leide. Thema des erstinstanzlichen Verfahrens war daher die Frage nach der (zumindest Teil-)Kausalität der solcherart umschriebenen (weiteren) Schmerzen im Hinblick auf die anerkannte Dienstbeschädigung. Die Feststellung eines "Beckenschiefstandes" als Dienstbeschädigung war - isoliert betrachtet - weder Gegenstand des Antrages noch des erstinstanzlichen Verfahrens oder der Berufung. Er ergab sich lediglich aus den medizinischen Befunden als mögliche Teilursache der geltend gemachten "Wirbelsäulenbeschwerden". Die Möglichkeit eines zumindest teilweisen ursächlichen Zusammenhanges zwischen der anerkannten Dienstbeschädigung und dem (im Übrigen nicht von allen Gutachtern befundenen) Beckenschiefstand war aber jedenfalls durch den Antrag ("Wirbelsäulenbeschwerden") umfasst und somit auch Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Aus diesem Grunde geht der Hinweis der belangten Behörde auf ihre funktionelle Unzuständigkeit zur Beurteilung eines "allfällig bestehenden Beckenschiefstandes" ins Leere.

Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass bereits anlässlich früherer Untersuchungen eine Verkürzung des rechten Beines festgestellt worden war, und zwar sowohl vom (Privat-)Sachverständigen Dr. R (Befund vom 27. September 2004) als auch vom Gutachter Dr. K (Gutachten vom 9. März 2005). "Degenerative Veränderungen im Bereich der gesamten Lendenwirbelsäule" und "chronische Kreuzschmerzen" wurden sogar bereits im Gutachten Dris. S vom 14. August 2003 erwähnt. Unklar bleibt, aus welchem Grund der von der belangten Behörde zugezogene Sachverständige Dr. B - obwohl ihm die Vorgutachten vorlagen - nunmehr keines dieser Leiden diagnostizieren konnte. Diesen eklatanten Widerspruch zwischen den vorliegenden Befunden hätte die belangte Behörde - zumindest durch Ergänzung des Sachverständigengutachtens - klären müssen, damit auf gesicherter Sachverhaltsgrundlage beurteilt werden kann, ob sich die nunmehr auftretenden "Wirbelsäulenbeschwerden" auf eine angeborene Körperanomalie oder - wenigstens zu einem Teil - auf die anerkannte Dienstbeschädigung zurückführen ließe.

Sie hätte sich auch eingehender mit der - allerdings durch die Sachverständigen zu beantwortenden - Frage auseinandersetzen müssen, warum eine Verkürzung (bzw. Atrophie) des rechten Beins bzw. ein sich daraus ergebender Beckenschiefstand und daraus resultierende Schmerzen in der Wirbelsäule nicht einmal mit der in § 2 Abs. 2 HVG geforderten Wahrscheinlichkeit auf die anerkannte Dienstbeschädigung zurückzuführen sein kann, obwohl - wie sowohl Dr. S als auch Dr. K erwähnen - eine Mehrheit von Patienten derartige auftretende Wirbelsäulenbeschwerden auf Schonhaltungen infolge von Knieverletzungen zurückführen. Die Begründung des angefochtenen Bescheides erschöpft sich aber letztlich in dem bloßen Verweis auf die von der belangten Behörde als schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar erachteten Sachverständigengutachten Dris. Sch und Dris. B. Der bloße Hinweis, eine Kausalität der nunmehr geltend gemachten Leidenszustände habe sich nicht "beweisen" lassen, reicht als nachvollziehbare Begründung nicht aus.

Die belangte Behörde wird daher - nach entsprechender Ergänzung des Sachverständigengutachtens oder Einholung eines neuen - zu beurteilen haben, ob die nunmehr auftretenden Schmerzen im rechten Bein und die Wirbelsäulenbeschwerden des Beschwerdeführers (die im Übrigen nicht als unglaubwürdig erachtet wurden) nicht zumindest auch eine Teilursache in der anerkannten Dienstbeschädigung (Knieverletzung) haben können.

Gerade zu diesem Beweisthema aber hatte der Beschwerdeführer die Ergänzung der eingeholten Sachverständigengutachten beantragt. Insoweit sich die belangte Behörde im Zusammenhang mit der - im Übrigen begründungslosen - Abstandnahme von der beantragten Gutachtensergänzung auf die freie Beweiswürdigung beruft, ist ihr entgegen zu halten, dass "freie Beweiswürdigung" erst nach einer vollständigen Beweiserhebung einsetzen darf; eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, dass der Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) beurteilt wird, ist unzulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1990, Zl. 90/10/0134, mwN).

Die Unterlassung der notwendigen Ergänzungen der für die Entscheidung erforderlichen Sachverhaltsgrundlage macht das Verfahren vor der belangten Behörde und die Begründung des angefochtenen Bescheides mangelhaft, weil die belangte Behörde erst nach Ergänzung der Gutachten im aufgezeigten Sinne auf Grund einer sodann als ausreichend anzusehenden Sachverhaltsgrundlage im Rahmen ihrer Beweiswürdigung beurteilen kann, ob die von den Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen nachvollziehbar und schlüssig sind.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 6. März 2008

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt Anforderung an ein Gutachten Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006090043.X00

Im RIS seit

11.04.2008

Zuletzt aktualisiert am

12.07.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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