TE Vwgh Erkenntnis 1990/12/20 90/10/0134

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Veröffentlicht am 20.12.1990
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Index

L40019 Anstandsverletzung Lärmerregung Wien;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
EGVG Art8/Wr Fall2 Lärmerregung;
VStG §25 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 30. Mai 1990, Zl. MA 62-III/718/89/Str, betreffend Übertretung des Art. VIII, zweiter Fall, EGVG 1950, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.380,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat A, vom 18. Oktober 1989 bestätigt, womit der Beschwerdeführer schuldig erkannt worden war, am 28. August 1987 um 00.25 Uhr in Wien n1, X-Markt n2, durch übermäßig lautes Radiospielen in ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt zu haben. Der Beschwerdeführer habe dadurch Art. VIII zweiter Fall EGVG 1950 verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 500,-- (Ersatzarreststrafe in der Dauer von 30 Stunden) verhängt werde.

In ihrer Begründung vertrat die belangte Behörde die Auffassung, durch die vom Meldungsleger und dem Zeugen Inspektor B auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmung abgegebenen Sachverhaltsdarstellungen in Verbindung mit ihren ergänzenden Zeugenaussagen sei als erwiesen anzunehmen, daß zur angeführten Tatzeit aus der Wohnung des Beschwerdeführers derart lautes Radiospielen zu hören gewesen sei, daß der damit verbundene Lärm als ungebührlich und störend empfunden worden sei. Dies insbesondere auch deshalb, da zur Tatzeit "geringer Verkehrslärm und gewöhnlich Nachtruhe und somit ein allgemein niedriger Lärmpegel geherrscht" habe. Der als Zeuge vernommene Wachebeamte Inspektor B habe in diesem Zusammenhang in seiner Aussage ausgeführt, daß selbst vom X-Markt kein Verkehrslärm zu hören gewesen sei.

Bei Würdigung der Aussagen der Sicherheitswacheorgane müsse zunächst festgehalten werden, daß kein Grund bestehe, den Angaben des Beschwerdeführers, der naturgemäß bestrebt sei, einer Bestrafung zu entgehen, mehr Glauben zu schenken, als den unter Diensteid stehenden Organen der öffentlichen Aufsicht, welche bei Verletzung der ihnen obliegenden Verpflichtung zur Wahrheitsangabe nicht nur mit strafrechtlichen, sondern auch mit disziplinären Folgen zu rechnen hätten. Es lasse sich auch kein Anhaltspunkt dafür finden, weshalb die Polizeibeamten den Beschwerdeführer, welcher ihnen bis zur Tatzeit unbekannt gewesen sei, eines Verhaltens bezichtigen sollten, das dieser gar nicht gesetzt habe. Daran könnten auch die Aussagen der vom Beschwerdeführer namhaft gemachten, zeugenschaftlich vernommenen Personen nichts ändern, da der eine (C) nicht mit Sicherheit habe ausschließen können, daß das Radio übermäßig laut aufgedreht gewesen sei, die andere (D) sich nicht mehr habe erinnern können, ob sie zur Tatzeit in der Wohnung des Beschwerdeführers anwesend gewesen sei und der dritte (E) sich an den Vorfall nicht mehr genau habe erinnern können. Der weiters namhaft gemachte Zeuge, F, habe nicht einvernommen werden können, da er trotz mehrmaliger Ladungen nicht erschienen sei. Es sei jedoch nicht anzunehmen, daß sich gerade dieser Zeuge trotz des lange zurückliegenden Vorfalles noch genau an den Sachverhalt hätte erinnern können. Die Beschreibung der Intensität der Lärmerregung im Zusammenhang mit der Aufmerksamkeit und dem Unwillen, welche das laute Musikspielen in der Wohnung des Beschwerdeführers hervorgerufen habe, lasse den Schluß zu, daß der Musiklärm auch nach einem objektiven Maßstab als äußerst unangenehm zu empfinden gewesen sei und darüberhinaus gegen ein Verhalten verstoßen habe, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden müsse, somit geeignet gewesen sei, das Wohlbefinden normal empfindender Menschen zu beeinträchtigen. Auf Grund der von den Sicherheitswacheorganen übereinstimmend festgestellten ungebührlicherweise störenden Lärmerregung durch lautes Musikspielen in der Wohnung des Beschwerdeführers sei die von diesem beantragte Durchführung einer Lärmpegelmessung nicht erforderlich gewesen. Ebenso hätte von der Durchführung eines Lokalaugenscheines Abstand genommen werden können, da durch die Aussagen der Polizeibeamten bei ihrer zeugenschaftlichen Einvernahme die örtlichen Gegebenheiten hinreichend geklärt seien. Der strafbare Tatbestand und das zugehörige Verschulden seien somit erwiesen, weshalb das erstinstanzliche Straferkenntnis zu bestätigen gewesen sei.

1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

1.3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen:

2.1. Im Verfahren vor dem Gerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht, nicht einer Verwaltungsübertretung nach Art. VIII zweiter Fall EGVG 1950 schuldig erkannt und dafür bestraft zu werden, verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes rügt der Beschwerdeführer zunächst unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, daß einem Antrag auf Vernehmung des Zeugen F nicht Folge gegeben worden sei. Die Auffassung der belangten Behörde, es sei nicht anzunehmen, daß gerade dieser Zeuge sich trotz des lange zurückliegenden Vorfalles noch genau an den Sachverhalt erinnern könne, sei durch nichts gerechtfertigt und stelle eine vorgreifende Beweiswürdigung dar. Die belangte Behörde habe auch die Aussagen der Zeugen C und E unrichtig gewürdigt. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergebe sich auch daraus, daß weder eine Lärmpegelmessung noch ein Lokalaugenschein durchgeführt worden sei. Erst danach wäre beurteilbar gewesen, ob die Lärmerregung der Art oder Intensität nach geeignet gewesen sei, das Wohlbefinden normal empfindender Menschen zu beeinträchtigen. Darüberhinaus sei festzuhalten, daß sich lediglich eine einzige Person bemüßigt gefühlt habe, eine Anzeige zu erstatten. Auch daraus sei zu schließen, daß eine Lärmbelästigung über das gebührliche Maß hinaus nicht anzunehmen gewesen wäre.

2.2. Die Behörde hat den für die Erledigung der konkreten Verwaltungsstrafsache maßgebenden Sachverhalt von amtswegen zu ermitteln und sodann unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens - unter in gleicher Weise vorzunehmender Berücksichtigung der den Beschuldigten entlastenden und belastenden Umstände (§ 25 Abs. 2 VStG 1950) - nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 45 Abs. 2 AVG 1950), wobei die hiebei maßgebenden Erwägungen nach den Grundsätzen der §§ 60 und 67 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) in der Bescheidbegründung in klarer und übersichtlicher Weise zusammenzufassen sind (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 1983, Zl. 82/11/0274). Dies bedeutet auch, daß alle Beweismittel grundsätzlich gleichwertig sind, d.h. die gleiche abstrakte Beweiskraft haben, und daß allein der "innere Wahrheitsgehalt" der Ergebnisse des Beweisverfahrens dafür ausschlaggebend zu sein hat, ob eine Tatsache als erwiesen anzusehen ist oder nicht. "Freie Beweiswürdigung" darf erst NACH einer vollständigen Beweiserhebung einsetzen; eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, daß der Wert eines Beweises abstrakt (im vorhinein) beurteilt wird, ist unzulässig (vgl. etwa die bei Walter-Mayer, Grundriß des Österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 4. Auflage, unter der Randzahl 325 f. wiedergegebene Rechtsprechung).

2.3. Wenn die belangte Behörde in ihrer Begründung die Auffassung vertritt, die Vernehmung des vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen F sei deshalb entbehrlich, da nicht anzunehmen sei, daß gerade dieser Zeuge sich trotz des lang zurückliegenden Vorfalles noch genau an den Sachverhalt erinnern könne, so nahm sie damit einen Akt vorwegnehmender Beweiswürdigung vor, der sich aber weder mit § 25 Abs. 2 VStG 1950 noch mit § 45 Abs. 2 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 vereinbaren läßt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 23. Mai 1984, Zl. 84/03/0005). Bereits dadurch belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Daß die belangte Behörde etwa den Sachverhalt für so vollständig festgestellt erachtet hat, daß sie sich auf Grund der bisher vorliegenden Beweise ein klares Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen konnte, und sie auch dann nicht zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, wenn der namhaft gemachte Zeuge das bestätigt hätte, was der Beschwerdeführer unter Beweis stellt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. März 1983, Zlen. 2415, 2425/79), kann der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht entnommen werden.

2.4. Auf Grund dieser Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

2.5. Die Entscheidung über den Kostenausspruch stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl.1989/206.

Schlagworte

Grundsatz der GleichwertigkeitBeweiswürdigung Wertung der BeweismittelBeweiswürdigung antizipative vorweggenommeneAblehnung eines Beweismittels

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990100134.X00

Im RIS seit

03.12.2001

Zuletzt aktualisiert am

09.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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