TE Vwgh Beschluss 2008/10/28 2008/05/0097

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Veröffentlicht am 28.10.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
14/01 Verwaltungsorganisation;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §38;
AVG §56;
AVG §62;
AVG §67g;
USG 2000 §12 Abs1;
USG 2000;
VwGG §36 Abs2 idF 1997/I/088;
VwGG §36 Abs2 idF 2004/I/089;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Pallitsch, Dr. Handstanger, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, in der Beschwerdesache der A SpA in Udine, vertreten durch die Onz Onz Kraemmer Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen den Umweltsenat, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Bauangelegenheit, (weitere Partei: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft), den Beschluss gefasst:

Spruch

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 675,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beabsichtigt die Errichtung und den Betrieb einer 220 kV-Verbindungsleitung zwischen dem italienischen und dem österreichischen Übertragungsnetz. Die Leitungslänge beträgt auf österreichischem Staatsgebiet ca. 7,4 km und auf italienischem Staatsgebiet ca. 34 km.

Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schriftsatz vom 12. Juli 2007 bei der Kärntner Landesregierung als zuständiger Behörde gemäß § 39 Abs. 1 UVP-G 2000 die Feststellung gemäß § 3 Abs. 7 leg. cit., dass für das Vorhaben (die Trasse auf österreichischem Staatsgebiet) keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.

Mit Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 11. Oktober 2007 wurde auf Grund dieses Antrages der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 4 und 7 , § 3a Abs. 2 und 5 und § 39 Abs. 1 iVm Anhang 1 Z 16 lit. a Spalte 1 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 - UVP-G 2000 festgestellt, dass für dieses Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 durchzuführen ist.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kärntner Naturschutzbeirat als Umweltanwalt die am 10. Jänner 2008 beim Umweltsenat eingelangte Berufung.

In der nichtöffentlichen Sitzung vom 2. April 2008 beschloss der Umweltsenat beim Europäischen Gerichtshof einen Antrag auf Vorabentscheidung nach Art. 234 EG mit folgendem Inhalt zu stellen:

"Ist die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. Nr. L 175 vom 05.07.1985, 40, idF der sog. Änderungsrichtlinie 97/11/EG des Rates vom 03.03.1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten ABl. Nr. L 73 vom 14.03.1997, und der sog. Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 2003/35EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.05.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. Nr. L 156 vom 25.06.2003, so auszulegen, dass ein Mitgliedstaat eine Prüfpflicht für die in Anhang 1 der Richtlinie, namentlich in Z 20 (Bau von Hochspannungsfreileitungen für eine Stromstärke von 220 kV oder mehr und mit einer Länge von mehr als 15 km) angeführten Projektstypen bei einer auf dem Gebiet von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geplanten Anlage auch dann vorsehen muss, wenn der die Prüfpflicht auslösende Schwellenwert (hier: die Länge von 15 km) zwar nicht durch den auf seinem Staatsgebiet liegenden Anlagenteil, jedoch durch Hinzurechnung der im Nachbarstaat/in den Nachbarstaaten geplanten Anlagenteile erreicht beziehungsweise überschritten wird?"

Am 30. April 2008 langte beim Verwaltungsgerichtshof die vorliegende Säumnisbeschwerde ein, in welcher sich die Beschwerdeführerin in dem Recht auf Sachentscheidung dadurch verletzt erachtet, "dass der Umweltsenat über die Berufung des Kärntner Naturschutzbeirates vom 18. 12. 2007 gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 11.10.2007, 7-A-UVP-1187/14-2007, nicht binnen sechs Wochen entschieden hat".

Mit Bescheid vom 8. Mai 2008, Zl. US 8B/2008/2-8, der Beschwerdeführerin zugestellt am 19. Mai 2008, wurde vom Umweltsenat das mit Berufung des Kärntner Naturschutzbeirates eingeleitete Berufungsverfahren gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 11. Oktober 2007 "bis zur Erledigung des durch den vom Umweltsenat am 2.4.2008 beschlossenen Antrages auf Vorabentscheidung beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahrens ausgesetzt". Gestützt wurde diese Entscheidung auf § 38 AVG.

Das Vorabentscheidungsersuchen langte beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften am 19. Mai 2008 ein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Verfügung vom 7. Mai 2008 über das gegenständliche Beschwerdeverfahren gemäß § 35 Abs. 3 VwGG das Vorverfahren eingeleitet und die Beschwerde der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG mit der Aufforderung zugestellt, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides sowie eine Kopie des Nachweises über die Zustellung des Bescheides an die beschwerdeführende Partei dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

Diese Verfügung wurde dem Vertreter der Beschwerdeführerin am 23. Mai 2008, dem Umweltsenat am 26. Mai 2008 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2008, beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt am 4. Juni 2008 teilte der Umweltsenat dem Verwaltungsgerichtshof mit, dass an den Europäischen Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen gestellt worden ist. Gleichzeitig wurde der Unterbrechungsbeschluss vom 8. Mai 2008 übermittelt.

In ihrer Stellungnahme vom 2. Juni 2008, beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt am 5. Juni 2008, wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass ihr der Unterbrechungsbeschluss erst nach Überreichung der Säumnisbeschwerde zugestellt worden sei. Das Vorabentscheidungsersuchen sei für das Feststellungsverfahren nicht relevant, der Verwaltungsgerichtshof möge gemäß § 38a Abs. 2 AVG dieses Vorabentscheidungsersuchen zurückziehen und die Berufung des Kärntner Naturschutzbeirates als unbegründet abweisen.

Das Säumnisbeschwerdeverfahren war aus folgenden Gründen einzustellen:

Gemäß Art. 132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war.

Gemäß § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei sie im administrativen Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, (...), angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag zur Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Dem gegenständlichen Beschwerdeverfahren liegt ein Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 auf Feststellung, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP-G 2000 durchzuführen ist und welcher Tatbestand des Anhanges 1 oder des § 3a Abs. 1 bis 3 durch das Vorhaben verwirklicht wird, zugrunde.

Gemäß § 3 Abs. 7 dritter Satz UVP-G 2000 ist die Entscheidung über einen solchen Antrag in erster und zweiter Instanz jeweils innerhalb von sechs Wochen mit Bescheid zu treffen.

Gemäß § 40 Abs. 1 UVP-G 2000 ist in Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes - daher auch im Verfahren nach § 3 Abs. 7 dieses Gesetzes - Berufungsbehörde und sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne der §§ 5, 68 und 73 AVG der Umweltsenat (siehe auch § 5 des Bundesgesetzes über den Umweltsenat - USG 2000).

Gemäß § 12 Abs. 1 USG 2000 ist, soweit nicht in diesem Bundesgesetz oder in den Verwaltungsvorschriften anderes bestimmt ist, im Verfahren vor dem Umweltsenat das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), einschließlich §§ 67d bis 67g AVG, anzuwenden. Gemäß § 13 leg. cit. ist der die Verwaltungssache erledigende Bescheid über § 67g AVG hinaus noch zusätzlich bei der Standortgemeinde und bei der Geschäftsstelle des Umweltsenates während der Amtsstunden mindestens acht Wochen zur öffentlichen Einsicht aufzulegen.

Auch für den Umweltsenat gilt daher die Regelung des § 67g AVG betreffend die Erlassung eines Bescheides. Wurde der Bescheid nicht durch öffentliche Verkündung erlassen, erfolgt dessen Erlassung durch die Zustellung der in § 67g AVG zwingend vorgeschriebenen Bescheidausfertigung (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. April 1995, Zl. 93/17/0157). Für die Erlassung eines Bescheides einer Kollegialbehörde ist nicht das Datum der Beschlussfassung, welches für sich allein noch keine Rechtswirkungen nach außen entfaltet, sondern das Datum der Zustellung/Verkündung des Bescheides entscheidend (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2008, Zl. 2006/07/0169).

Am Tag des Einlangens der vorliegenden Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof (30. April 2008) hatte der belangte Umweltsenat über die Berufung des Kärntner Naturschutzbeirates als Umweltanwalt gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 11. Oktober 2007, mit welchem über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlassung eines Feststellungsbescheides vom 17. Juli 2007 im stattgebenden Sinn abgesprochen wurde, noch nicht entschieden. Auch der Bescheid des Umweltsenates vom 18. Mai 2008, womit das Berufungsverfahren bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsverfahrens ausgesetzt wurde, war zum Zeitpunkt der Einbringung der Säumnisbeschwerde noch nicht erlassen.

Die gegenständliche Säumnisbeschwerde war daher zulässig, weil die belangte Behörde nicht innerhalb der in § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 normierten Entscheidungsfrist von sechs Wochen über die Berufung des Umweltanwaltes entschieden hat.

Gemäß § 36 Abs. 2 VwGG ist bei Säumnisbeschwerden nach Art. 132 B-VG der belangten Behörde aufzutragen, innerhalb einer Frist bis zu drei Monaten den Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn die belangte Behörde das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Erlassung des Bescheides unmöglich machen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Vorverfahrens erlassen, so ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde einzustellen.

In ständiger Rechtsprechung führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die Einbringung einer Säumnisbeschwerde nach Art. 132 B-VG - im Gegensatz zur Einbringung eines Devolutionsantrages - noch nicht den Übergang der Zuständigkeit der säumigen Verwaltungsbehörde auf den Verwaltungsgerichtshof nach sich zieht, sondern erst der ungenützte Ablauf der nach § 36 Abs. 2 VwGG eingeräumten Frist (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 28. Februar 1985, Zl. 85/02/0032, VwSlg 11.688/A (nur RS), vom 26. April 2000, Zl. 2000/14/0049, vom 7. September 2004, Zl. 2001/05/0748, und vom 15. November 2005, Zl. 2002/14/0103; siehe auch Winkelhofer, Säumnis von Verwaltungsbehörden, Behördliche Untätigkeit und ihre Bekämpfung, Seite 207).

Unter dem Begriff "den Bescheid" in § 36 Abs. 2 erster Satz VwGG bzw. "der Bescheid" in § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997 ist jeder Bescheid zu verstehen, der die geltend gemachte Säumnis der belangten Behörde beendet, ohne dass es nach der Novellenfassung darauf ankommt, ob der Bescheid vor oder nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erlassen wurde. Nach der Rechtsprechung beendet auch ein Aussetzungsbescheid nach § 38 AVG die Entscheidungspflicht der Behörde (vgl. die hg. Beschlüsse je vom 23. Februar 2006, Zlen. 2005/16/152 und 2005/16/0158, m.w.N.). Wird ein Aussetzungsbescheid wie hier während des Säumnisbeschwerdeverfahrens erlassen, dann bedeutet dies nach der Novellenfassung des § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG einen Einstellungsfall nach dieser Gesetzesstelle (vgl. den hg.

Beschluss vom 23. Jänner 2008, Zl. 2007/12/0176).

     Im Beschwerdefall war daher die belangte Behörde auch zur

Erlassung eines bloß das Verfahren betreffenden Bescheides zuständig.

     Der Aussetzungsbescheid der belangten Behörde vom 8. Mai 2008

gehört noch dem Rechtsbestand an, weshalb die Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gegeben sind. Es war daher spruchgemäß in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat zu entscheiden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff, insbesondere auf § 55 Abs. 1 zweiter Satz VwGG in Verbindung mit § 1 Z. 1 lit. a, zweiter Tatbestand der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 28. Oktober 2008

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltZeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008050097.X00

Im RIS seit

20.01.2009

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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